Mann tanzt! Hossa! Doppelvorstellung beim Hamburg Ballett: „Don Quixote“ von Rudolf Nurejew zeigt nicht nur tolle Frauen, sondern auch die verschiedensten Männerpartien

Don Quixote lockt alle an

Carsten Jung als verträumter, leicht wahnsinniger „Don Quixote“: eine zu Unrecht oft nicht ernst genommene Partie. Foto vom Hamburg Ballett: Kiran West

Heißa! Gleich zwei Mal tanzte das Hamburg Ballett am letzten Sonntag den „Don Quixote“ von Rudolf Nurejew. Und es spricht für sich, dass nach der Nachmittagsvorstellung begeisterte Zuschauer zum Ticketverkauf stürmten, um dort auch Karten für die Abendvorstellung zu ergattern: „Bitte nochmal!“ Fast wünscht man sich ballettöse Mitternachtsvorstellungen in der Hamburgischen Staatsoper: für drei Vorstellungen hintereinander. Aber zuviel sollte man den ohnehin superfleißigen Tänzerinnen und Tänzern vom Hamburg Ballett besser nicht abverlangen. Doppelvorstellungen sind schon allerhand an Leistung und Virtuosität. Fakt ist: Auch beim mehrfachen Ansehen berückt das fetzig-hintergründige Stück, und gerade die Männerbilder darin haben eine mächtige Wirkungspotenz.

Natürlich aber, das sei vorab gesagt, sind auch die Ballerinen hier sehr schön, und sie haben zudem jede Menge zu tun: von der keck-spritzigen Kitri – ein Ausbund an frivoler Lebensfreude – über ihre famosen Freundinnen bis zur rassig-eleganten Straßentänzerin. Von den feurigen Zigeunerinnen über die ätherischen Dryaden bis zum erotisch aufgeladenen Fandango. Von den braven Barcelonischen Damen bis zu den niedlichen Brautjungfern.

Ach! Man könnte nun das ganze Hamburg Ballett aufzählen, um zu würdigen, dass ein großes Ganzes aus vielen einzelnen Heldinnen und Helden besteht. Zumal auch einige Schülerinnen und Schüler von der Ballettschule vom Hamburg Ballett – John Neumeier schon ordentlich zeigen, dass sie was können.

Das Hauptaugenmerk richtet sich dennoch auf die fabelhaften Solopartien.

Don Quixote lockt alle an

Carolina Agüero – die in dieser Saison mit Grandezza die Königin der Dryaden tanzt – war auch mal eine sprungmächtige Kitri, wenn auch nicht beim Hamburg Ballett. Aber dafür in der ebenfalls spannenden Version von Patrice Bart. Faksimile: Facebook

Und da sind Madoka Sugai, Mayo Arii, Carolina Agüero, Anna Laudere, Florencia Chinellato, Lucia Ríos, Xue Lin und Yaiza Coll unbedingt als herausragende Ballerinen für den „Don Quixote“ zu nennen – sie machen ihrem Berufsstand mehr als nur alle Ehre.

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Lieblich und mythisch: Die zarte Mayo Arii als Amor im Traum von „Don Quixote“ von Rudolf Nurejew beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Das könnte nun genügen. Weil aber das Hamburg Ballett über so viele Talente verfügt, steht die Fantasie nicht still. So möchte man sich als Neuinterpretin gern die sinnliche Emilie Mazon in der Rolle des Amor vorstellen – auch wenn die zarte Mayo Arii diese ungewöhnliche Spitzentanz-Partie ganz entzückend tanzt – und als Königin der Dryaden wäre vielleicht eine die rundum großartige Carolina Agüero in Sachen Lyrik vornehm ergänzende Giorgia Giani auch mal eine Erbauung.

Ihr bestes Vorbild haben die Nachwuchsballerinen derzeit unter sich: in Madoka Sugai, die unermüdlich und ebenso redlich an sich arbeitet, übrigens sichtlich mit Freude und Würde.

Don Quixote lockt alle an

Zwei der aktuell weltbesten Balletttänzer: Madoka Sugai und Alexandr Trusch als exzellentes Pärchen in „Don Quixote“ beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Was Sugai, diese im Bundesjugendballett (BJB) geschulte Ballerina, in der Doppelrolle als Kitri und Dulcinea schafft, ist fast unglaublich – zumal sie niemals auch nur für eine Sekunde in selbstverliebte Eitelkeit abgleitet, was bei den technischen Schwierigkeiten der Partien an tänzerischen Altruismus grenzt. Absolut faszinierend und beglückend – Sugai ist es meiner Meinung nach gelungen, innerhalb weniger Monate zu einer der besten Tänzerinnen der Welt aufzusteigen.

Das verdankt sie natürlich dem Chef vom Hamburg Ballett, John Neumeier, aber auch dem Wiener Ballettdirektor Manuel Legris, der mit ihr die Kitri / Dulcinea erarbeitete, sowie den Hamburger Ballettmeistern, die täglich mit ihr trainieren, und da wiederum vor allem Kevin Haigen, der Madoka Sugai in ihren ersten beiden Berufsjahren beim BJB grundlegend beibrachte, was an der professionellen ballettösen Körperarbeit so besonders wichtig ist.

Und wenn sie, wie am Sonntag, beim Fächertanz als Kitri in dieser Passage zwei Mal gekonnt mit dem geschlossenen Fächer auf den Boden schlägt, um jeweils beherzt und anmutig mit erhobenem Oberkörper weiter zu walzern, als sei das Aufklopfen mit der Requisite ein Scherz, dann ist das einmal mehr in dieser Inszenierung, als habe sich die resoluteste Folklore mit dem klassischsten Tanz vermählt – einfach köstlich!

Überhaupt: Temperamentvoll und feminin, elegisch und filigran wirbeln die Mädels durch die verschiedenen „Don Quixote“-Besetzungen beim Hamburg Ballett – und machen fast vergessen, dass diese Inszenierung von Rudolf Nurejew auch vorzüglich geeignet ist, um gerade den Männertanz im klassisch-komödiantischen Ballett zu beleuchten.

Denn die verschiedensten kerligen Typen tauchen hier mit Grandezza auf: vom vertrottelt-poetischen Titelhelden Don Quixote über seinen ulkig-verfressenen Gefährten Sancho Pansa bis zum überkandidelt-tuntigen Gamache, mit dem der Vater der weiblichen Heldin Kitri selbige verheiraten will. Dann geht es weiter, eben von diesem Vater namens Lorenzo, einem schrulligen Gastwirt, über den raffiniert-galanten Espada bishin zum feurig-mitreißenden Vortänzer der Zigeuner.

Fischer und Matadore, Fandango-Tänzer und weitere Zigeuner tun ein Übriges.

Und natürlich: Hin und zurück zum stets bestgelaunten, die Jugend nachgerade in Person verkörpernden, stürmischen und vor Tatendrang nachgerade überschäumenden Liebhaber Basil.

Kaum ein anderes Ballett – außer „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier – bietet diese Palette mit so vielen so unterschiedlichen Männerbildern.

Auch Nurejews erste Anläufe zu „Don Quixote“, 1966 in Wien und 1970 in Sidney unternommen, haben noch nicht ein so breites Spektrum an männlichen Figuren zu bieten wie die jetzt gespielte Fassung.

Wer das verifizieren möchte, dem sei das DVD-Set „Nureyev as Dancer“, erschienen bei WarnerClassics, empfohlen. Darin findet sich eine filmartig inszenierte Studio-Aufnahme vom „Don Quixote“, in der Rudi höchstselbst mit viel Sprungkraft und Aplomb den Basil tanzt.

Allerdings tritt er nicht in den kniekurzen Pantalons auf, wie es sich gehört – sondern nur in weißen Strumpfhosen zur weißen Bluse und dem bunten Wams. Das liegt daran, dass Nurejew sich schon in der Sowjetunion, als er noch ein Nachwuchsstar war, wegen seiner kurzen Unterschenkel weigerte, als Basil in die Kniebundhose zu steigen. Es gab einen Skandal deshalb – aber Rudi setzte sich durch und kam auch ohne die Kniehose bestens zur Geltung.

Die DVD-Inszenierung, die Nurejew 1970 mit dem Australian Ballet aus Sidney zeigt, unterscheidet sich auch sonst in manchen Details von der heute in Hamburg getanzten Nurejew-Version, die 1981 in Paris entstand und 2014 in Wien einstudiert wurde. Aber auch diese Differenzen sind interessant – und Nurejews künstlerischer Charme macht sowieso so Einiges wett.

Eine DVD hat nur den großen Nachteil, keine Live-Performance zu sein…

In der Abendvorstellung am letzten Sonntag in Hamburg dachte man denn auch nicht an die ollen Kamellen, sondern lebte mit den Künstlern ganz die Gegenwart. Garrett Keast dirigierte energiegeladen die immer etwas gassenhauerische Musik von Ludwig Minkus. Und:

Es berückte als wunderbarer Hauptballerino Basil in Nurejews „Don Quixote“: der Premierenheld Alexandr Trusch.

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Madoka Sugai, zart gehoben und sicher gehalten von Alexandr Trusch: Kitri und Basil beim Hamburg Ballett in „Don Quixote“ von Rudolf Nurejew. Foto: Kiran West

Wie Madoka Sugai gehört auch er, als Primoballerino mit sowohl lyrischem als auch noblem Temperament, meiner Einschätzung nach unbestreitbar bereits zu den Weltbesten – und er ist mit ein Grund für den schnellen Aufstieg von Sugai.

Denn er partnert und hebt sie so feinfühlig und so galant, dass sie unter seinen Händen zu schweben scheint – ob in einer geradlinigen Spagatsprungbewegung, einer exzellenten Drehhebung oder einer der extravaganten Hebefiguren im „Don Q.“.

Gemeinsam ergeben die zwei ein Dreamteam, wie man es sich auch für „Die Kameliendame“ langfristig wünscht. Dieses Kultstück von John Neumeier ist ja ab April 2018 wieder beim Hamburg Ballett zu sehen – und zuvor schon im Februar auf einem Gastspiel der Truppe in Tokio mit der exquisiten Alina Cojocaru an der Seite von Alexandr Trusch sowie alternativ mit Anna Laudere und Edvin Revazov.

Darin ist dann viel Gelegenheit, um die melancholisch-traurigen Seiten des Lebens und die bis in den Tod reichende Tiefe der Liebe zu zeigen.

Im „Don Quixote“ aber hotten die beiden Hauptprotagonisten ab, als gebe es kein Morgen. Hui!

Im spektakulären Synchrontanz ebenso wie bei den Soli oder den typischen Paartanz-Sentenzen: So viel Potenz in so wenigen Minuten sieht man sonst einfach selten. Aber was heißt „wenige Minuten“?! Die zwei Rollen, Kitri und Basil, erfordern eine ausgezeichnete Kondition, denn sie tanzen das ganze Stück durch immer wieder „wenige Minuten“ sprich etliche Minuten – und bis zum Anschlag. Das ist auch für Basil eine Besonderheit, denn andere junge Liebhaberrollen erlauben durchaus mehr und längere Verschnaufpausen bzw. verlangen nicht so häufig technische und rasant-spielerische Höchstleistungen.

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Alexandr Trusch als Basil: schlicht ein gar nicht schlichter, sondern faszinierender Augenschmaus! Foto: Kiran West

Das Schalkhafte dieses Paares sei da nicht verschwiegen. Insbesondere Basil hat den Slapstick sozusagen im Blut. Gitarre, Fächer, Becher, Kastagnetten, Messer, Hut, Umhang – alle Requisiten werden in diese Spielwut fabelhaft eingebunden.

Der Gegenspieler von Basil bekommt das schmerzlich zu spüren: Dario Franconi als Lorenzo, Kitris Vater, macht vorzüglich den dominanten Griesgram, der sein Kind als Spekulationsgut und nicht als eigenständigen Menschen sieht.

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Konstantin Tselikov als Gamache – ein Komiker zum Halbtotlachen…. so zu sehen in „Don Quixote“ beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Gamache, brillant getanzt und gespielt von Konstantin Tselikov, will sich das zunutze machen – und die aberwitzigen, teils an Travestie erinnernden komischen Szenen, in die er sich begibt, wären allein schon einen Besuch der Vorstellung wert.

Mit frühbarocker Raffinesse statt mit spätbarocker Trampeligkeit kommt dann Mathias Oberlin als Espada einher. Mit der bravourösen Lucia Ríos als Straßentänzerin ergibt er ein Paar, wie man es sich zu den Flamenco-inspirierten spanischen Tanzrhythmen sehr gern gefallen lässt. Die beiden vermitteln so viel Flair, dass man ihnen glatt in eine Tanzbar folgen würde…

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Matias Oberlin als Espada – olé! Das ist Raffinesse auf ballettisch! Foto vom Hamburg Ballett: Kiran West

Eine Steigerung kennt die Choreografie aber noch: den Vortänzer der Zigeuner, der mit der zusammengerollten Peitsche in der Hand erst ein Solo, dann einen Gruppentanz vom Feurigsten überhaupt abliefert. Die Welt des Balletts hat kein Pendant zu diesem Auftritt, und eigentlich ist es auch keine Partie für einen Ballerino, sondern für einen Folkloretänzer.

Hier ist ein Zigeuner zugleich ein großer Tanzkünstler wie auch ein mysteriöser Eros, der sich nach seinem Tanz denn auch zwei schöne Damen gleichzeitig gönnt. Seine Strahlkraft verdankt er aber nur der Choreografie seines Solos – es ist fast aggressiv oder auch machistisch zu nennen, hat aber soviel Verve, dass man die subversive Männlichkeit hier nachgerade riechen kann.

Das Temperament, das sich hier in heißen Sprüngen und flotten Kniebeugentänzen bündelt, ist in der Ballettgeschichte absolut unikat.

Bühnenbildner Nicholas Georgiadis hebt diese Figur zudem farblich stark von den anderen, bunten Zigeunern ab – und lässt ihn fast wie einen Kolonialherren erscheinen. Was der aggressiven Sprungtechnik der Choreografie nochmals eine weitere Nuance verleiht.

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Marcelino Libao – schon jetzt legendär als Vortänzer der Zigeuner in „Don Quixote“ von Rudolf Nurejew beim Hamburg Ballett. Das entsprechend ausdrucksvolle Foto stammt von Kiran West.

Und es gibt beim Hamburg Ballett tatsächlich einen Tänzer, der diese seltene Gabe schier im Überfluss zu haben scheint: Marcelino Libao ist schon jetzt eine Legende als Zigeuner, weil er mit seinen Läufen und Sprüngen und Wirbeleien am Boden wie in der Luft einem völlig den Kopf verdrehen kann. Man sperrt den Mund auf und staunt und staunt und staunt! Libao war wirklich eine tolle Überraschung in dieser Partie – und allerhand bemerkenswert. Aber: Er tanzte nicht am Sonntagabend!

Als Debütant traute sich dann nämlich David Rodriguez in dieses nahezu militärisch-hochgetunte Outfit des Zigeuner-Vortänzers. Technisch absolut überzeugend, fehlt ihm allerdings dieser ganz spezielle Esprit für die Partie, den ohnehin kaum ein Profi-Balletttänzer hat. Dafür war Rodriguez sehr schön, elegant und geschmeidig anzusehen; ein wenig allerdings wie ein Danseur der Oper, der sich in einen volkstümlichen Schwank verirrt hat.

Dennoch hofft man darauf, ihn bald mit verschiedenen Solo-Auftritten in Stücken von John Neumeier anzutreffen. Denn sein Talent und seine Ausstrahlung sind einfach umwerfend – und recht vielversprechend.

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Heiße spanische Verführung: Matias Oberlin und Lucia Ríos machen’s vor – beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

An jungen Männern mit Talent mangelt es beim Hamburg Ballett derweil nicht. Das zeigte am Sonntagabend auch eine Einlage, die bestimmt nicht zum Wichtigsten des Stücks gehört, die aber – wenn sie so edel und fein und synchron getanzt wird – durchaus etwas Herausragendes werden kann.

Gemeint sind die acht Fischer (Leeroy Boone, Marià Huguet, Aljoscha Lenz, Marcelino Libao, Aleix Martínez, David Rodriguez, Pascal Schmidt, Illia Zakrevskyi), die im ersten Akt für einen unüberbietbar guten Eindruck gemeinschaftlicher Männlichkeit sorgen. Hossa! Hossa! Hossa!

Vollkommen synchron und dennoch mit viel individuellem Ausdruck klopfen die jungen Herren auf den Boden, knien mal mit links, dann mit rechts und reißen triumphierend die Arme hoch. Ihr Tagesfang muss außerordentlich gut gewesen sein. Was für eine glückselige Bande!

Da kann einem der Titelheld fast Leid tun, denn er ist in Rudolf Nurejews Version von „Don Quixote“ zur Pantomime und zum Tragen einer starren Metallrüstung verdammt. Allerdings hat das einen tieferen Grund. Dieser Don ist ja ein „Ritter von der traurigen Gestalt“, wie es im Roman „Don Quixote“ von Miguel de Cervantes heißt. Das ist bei Nurejew so umgesetzt: Er ist ein Mensch, der nicht tanzt, von daher also ein trauriger Mensch.

Ihn retten allein seine Träume, und nur diese geben ihm Auftrieb zu handeln und überhaupt sein Zimmer zu verlassen.

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Carsten Jung spielt rührend und klamaukig zugleich den traurig-beseelten Ritter „Don Quixote“ – der eigentlich gar kein Ritter, sondern ein Träumer ist… Foto: Kiran West

Wenn dieser skurril-poetische, auch mal leicht wahnsinnige und dann etwa mit Windmühlen kämpfende Don Q. auf seinem Pferd (das natürlich nur aus Menschen besteht) der echt wilden, spanischen Tanzwut zu Leibe rückt, so hat er damit bereits die höchste Handlungsmacht, die seiner Figur hier zugeschrieben ist. Aber seine Träume sind es, die auch uns gruseln oder vor Freude erschauern lassen.

Alpträume mit Eulen und monströsen Regenschirmfratzen wechseln sich mit verkappten Haremsträumen da ab.

Der Don ist jedoch ein zu moralischer und auch zu prüder Mensch, als dass er sich halbnackte Damen in einem Lustgarten vorstellen könnte. Also träumt er als Höhepunkt seiner sinnlichen Vorstellungskraft von anständigen und sogar bekrönten Baumnymphen (Dryaden), denen er noch eine Königin sowie einen weiblichen Amor an die Seite stellt.

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Carsten Jung als „Don Quixote“ sieht im Traum seine Dulcinea – Madoka Sugai – und die Königin der Dryaden, hier Anna Laudere. So viel Schönheit! Aber er wahrt Distanz… Foto: Kiran West

Nichts erinnert in diesem Szenarie auf den ersten Blick an einen Harem! Aber in der Lustfantasie von Don Q. nehmen die jungen Damen genau diesen Stellenwert ein.

All diese und auch die liebreizende Dulcinea – eine Art ätherische Anti-Kitri – entspringen seinen Traumideen. Da rührt uns zu sehen, dass er es sich selbst in seinem eigenen Traum nicht erlaubt, diese wunderbaren Wesen anzufassen.

Darum kann er auch nicht mit ihnen tanzen. Er sehnt sich nach diesen traumhaften Frauen, aber er versetzt sie zugleich in eine esoterische, spirituelle Welt, in der die körperlich-erotische Berührung nicht stattfindet.

Carsten Jung spielt diesen tapferen Ritter der keuschen Träume ganz fantastisch. Und es ist nicht einzusehen, dass das Publikum die anderen Protagonisten mit Jubel und Bravo und Johlen haushoch überschüttet, ihm aber kaum mehr als Höflichkeitsbeifall zugesteht. Offenbar will man damit zum Ausdruck bringen, dass man den Tanz und nicht das stumme Spiel im Ballett sehen will.

Don Quixote lockt alle an

Weltklasse: Madoka Sugai und Alexandr Trusch beim Grand Pas de deux kurz vorm Finale von „Don Quixote“ beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Hier aber hat die rein pantomimisch agierende Titelfigur eine wichtige dramaturgische Funktion, die eigentlich sogar als Identifikationsfigur für die Zuschauer taugen sollte. Wehrt sich das Publikum von heute etwa dagegen, sich als Nicht-Tänzer zu sehen? Womöglich lehnen es die Zuschauer ab, mit jemandem mitzufühlen, der scheinbar nicht tanzen kann. Aber man sollte bedenken: Kein Tanzkünstler wird glücklich ohne Publikum. Die Nicht-Tänzer haben also auch im Ballett durchaus ihren Stellenwert.

Eine pantomimisch-akrobatische Partie hat Nicolas Gläsmann als mönchischer Sancho Pansa. Dieser dubiose Gottesmann ist der Völlerei verfallen und stiehlt Lebensmittel, lässt sich dabei aber immer erwischen und dann auch bestrafen – er fühlt sich am wohlsten, wenn er mit Augenbinde als Blindekuh zum Gespött der jungen Damen wird. Eiderdaus! Was für eine erneute barocke Anspielung auf den heimlichen Sinn des Lebens…

Es ist zwar in Deutschland noch ungewöhnlich, für journalistische Projekte zu spenden, aber wenn man die Medienlandschaft um das Ballett-Journal ergänzt sehen möchte, bleibt keine andere Möglichkeit. Im Impressum erfahren Sie mehr. Danke.

So bebildern die Männer in Nurejews letzter Version von „Don Quixote“ einen ganzen Reigen von Anschauungen und Lebensmodellen – ohne Heiligenschein, aber mit viel sinnlicher Kraft.
Gisela Sonnenburg

Mehr über die Premiere und die Alternativbesetzung sowie die letzte Vorstellung 2019 beim Hamburg Ballett hier jeweils auf Anklick!

Nureyev as Dancer erschien 2013 bei WarnerClassics (No. 2564-66013-1)

Termine: siehe „Spielplan“

www.hamburgballett.de

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