Eine furiose Welt der Gegensätze „Don Quixote“ von Nurejew nach Petipa noch einmal auf den 45. Hamburger Ballett-Tagen: fetzig, hochklassig, virtuos – mit den Stars Alexandr Trusch und Madoka Sugai

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Madoka Sugai, empor gehoben von Alexandr Trusch in „Don Quixote“ beim Hamburg Ballett. Wowowow! Foto: Kiran West

Was für ein hoffnungsvoller Moloch ist diese teils spanische, teils russische, teils internationale Welt, die sich Marius Petipa 1869 für sein grandioses Ballett „Don Quixote“ ausdachte, das er selbst knapp zwei Jahre später erneuerte und das Rudolf Nurejew 1966 überarbeitete, es gleichsam vervollkommnete. Die jüngste Vorstellung dieses Stücks am gestrigen Abend in der Hamburgischen Staatsoper ließ, in der Einstudierung von Manuel Legris, keinen Zweifel an dessen Brillanz aufkommen und auch nicht an seiner Zeitlosigkeit. Groteske und Grandezza gehen hier Hand in Hand! Es gibt viel Jubel, Trubel, Heiterkeit, aber auch Bedrohliches und Tragikomisches im tänzerischen Operetten- und Slapstick-Format, gewürzt mit schier unglaublichen Sprüngen, Drehhebungen, originellen Pirouetten, und zwar alles auf der Basis folkloristisch angehauchter Klassik: Das ist Tänzerfutter satt, in akrobatisch verspielten Spannungsbögen, und John Neumeiers Weltklasse-Stars wie der in jeder Hinsicht begeisternde, bildschöne  Alexandr Trusch als Basil und die sprungstarke, elegant-erotische Madoka Sugai als Kitri ließen damit die Sterne des klassisch-russischen Balletts funkeln. Leider wird das Stück kommende Spielzeit nicht mehr gezeigt, und es hat keine guten Chancen, in absehbarer Zeit auf den Spielpan zurückzukehren. Insofern war diese Dernière ein brennend erwarteter Höhepunkt der 45. Hamburger Ballett-Tage, aber die höchsten Erwartungen wurden – zumal von dem supersoft, supersynchron und superschön tanzenden Ensemble sowie auch durch das fetzig-poetische Dirigat von Garrett Keast– sogar noch übertroffen.

Die Musik von Ludwig Minkus zeitigt in der Orchestrierung von John Lanchbery aber auch viel Zugkraft, und Keast arbeitete ihren erfrischenden Galoppcharakter ganz vorzüglich heraus. Diese Inszenierung wurde ja in Wien erstmals aufgeführt, und tatsächlich regiert die Walzerlust darin.

Jede Arabesque gleicht einer Liebeserklärung: Madoka Sugai als Kitri mit Alexandr Trusch als Basil in Nurejews „Basil“ beim Hamburg Ballett. Schade, dass es vorbei ist… Foto: Kiran West

Die Zustimmung des Publikums kulmininierte in immer wieder heftig aufflammendem Applaus nach den einzelnen Szenen, und es gab wohl kaum jemanden im Zuschauerraum, der oder die nicht am liebsten die Zeit angehalten hätte, um dieses Paradies aus knallbunter, komödiantischer Hochkultur noch stärker auszukosten. Natürlich war das Haus ausverkauft, aber mit einem solchen seriellen Bombardement aus Highlight auf Highlight hatte man nicht unbedingt gerechnet, wenn man auch auf einen Teil davon gehofft hatte.

Inmitten all der funkelnden Brillanz entwickelt sich in dieser Version von „Don Quixote“ zudem eine Handlung, die keineswegs abgespult wird wie in einem Action-Thriller, sondern die nachgerade metaphorische Dimensionen hat.

Kontraste sind da angesagt, wenn es um die Charakterisierung einer vorzustellenden Gesellschaft geht: Das Panorama eines Kosmos mit vielen Facetten entfächert sich.

Die Geschichte nach einer Episode aus Miguel Cervantes‘ Roman erzählt zwar auf den ersten Blick „nur“ die schlussendlich erfolgreich endende Liebesgeschichte des Hirten Basil mit der Wirtstochter Kitri. Aber unter der Oberfläche glitzert verheißungsvoll die Utopie, die Sehnsucht nach einem gerechten Leben, nach Chancengleichheit, wie man es heute nennt.

Und erst nach etlichen Abenteuern und der Überwindung sämtlicher gesellschaftlicher Schichten kommt es zum Sieg des Guten über das Dumme.

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Ivan Urban, hier im Portraitbild, tanzte den Titelheld „Don Quixote“ in der vorerst letzten Vorstellung der Inszenierung von Rudolf Nurejew nach Marius Petipa beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Titelheld Don Quixote ist ein einsamer, abgehalfterter Möchegernheld in der spanischen Provinz, dem, als seine Bediensteten auch noch anfangen, seine Bücher zu verbrennen, die Decke auf den Kopf fällt. Ivan Urban tanzt diesen diffizilen, gar nicht plump komischen, sondern auch ästhetisch verführbaren Menschen mit aller gebotenen Sanftheit.

Die holde Dulcinea, jung und schön und mysteriös, erscheint diesem Don Quixote als Vision vorm Kamin und lockt ihn nach draußen – und als dann auch noch gruselige Monstereulen auftauchen, wird es Zeit, die heimische Bude zu verlassen, um auf Abenteuerfahrt zu gehen.

Zumal mit dem entlaufenen, völlig verfressenen Mönch Sancho Pansa (köstlich tapsig: Nicolas Gläsmann) eine willkommene Geisel vorhanden ist, die man zum Knecht und Unterstützer machen kann. Nur in Nurejews Version vom „Don Quixote“ ist Sancho übrigens ein Mönch: Es ist die Abrechnung mit dem Klerus, die das Ballettgenie sich hier leistet.

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Konstantin Tselikov als köstlich komischer Gamache, ein eitler Aristokrat, der den Barock als wandelnde Satire abgibt. Foto vom Hamburg Ballett aus „Don Quixote“: Kiran West

Schon in dieser ersten Szene, dem Prolog, zeigen sich die Stände in Miniatur: Es ist eine stark hierarchische Gesellschaft, mit der wir es zu tun haben, mit Splittern der Vielfalt im großen Einerlei des Reglement.

Die furiose Liebesklamotte als heimliches Sozialdrama – so viele Deutungen sind im klassischen Tanz denkbar.

Der Don steht für das untergehende Abendland, für die aus dem Mittelalter kommende Hochkultur, die derweil (auch wörtlich) verheizt wird. Hat dieses Relikt aus einer anderen Ära, aus einer anderen Wertigkeit, wie Don Q. abgedankt?

Aber was wäre die neue Zeit ohne ihn! Nur er vermag es, dem Amor in seinen Irrungen und Wirrungen tatkräftig zu helfen und sich den Ränken, die gegen ihn geschmiedet werden, wirksam entgegen zu setzen. Will sagen:

Die Träume, die Visionen, sie sind es, die uns am Leben erhalten!

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Sein Reich sind die Fantasien… „Don Quixote“ im Nebel des Glücks beim Hamburg Ballett, hier auf dem Foto von Carsten Jung dargestellt. Foto: Kiran West

Das ist die Lehre, die uns Don Quixote erteilt, und gegen seinen Idealismus kommt uns jedwede Predigt real existierender Philosophen fast banal, auf jeden Fall zu wenig vor. Das Schrullige, es hat nun mal mehr Freiraum als die Logiker, die jedes Wort an die Realität rückzubinden verpflichtet sind.

Des Dons oberste Idee: La Dulcinea. Sie ist seine weibliche Wunschgestalt, die Verkörperung einer schönen, eleganten Dame, sie ist die Heilige der Liebeskunst, der Verführung zur Anbetung, sie ist das Ideal, für das man alles macht, wirklich alles.

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Madoka Sugai als Kitri: Oh ja! Beim Hamburg Ballett, letztmals während der 45. Hamburger Ballett-Tage. Foto: Kiran West

Hach, und Madoka Sugai ist hier eine goldrichtige Besetzung!

Wenn sie auch nur einen Fuß anhebt, ein Bein hochwirft, aus dem Stand in den Herrenspagat fliegt, ihren Kitri-Sprung vollführt (mit unvergesslich schönen Linien, die sich von den Fingerspitzen über die Leibesmitte und den Rumpf bis in die Fußspitzen ziehen) oder wenn sie in den Armen ihres Partners zu schweben scheint – dann weiß man, was eine Primaballerina ist.

Alexandr Trusch hingegen sprengt alle vorstellbaren Maßgaben. Er hat jede Figur, jede Pose, jeden Sprung, jede Drehung drauf, er biegt den Leib, streckt die Füße, hebt den Podex – und füllt doch alles mit einer Bedeutung, die über die bloße Darstellung eines Charakters noch weit hinausgeht.

Wenn die beiden synchron tanzen, so ist das eine Sinfonie der Körper auf das große Glück, nicht allein zu sein. Die Ports de bras und die Beinarbeit sind dabei derart harmonisch aufeinander abgestimmt, als würden sie von einem geheimen, gemeinsamen Impuls gesteuert.

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Temperamentvoll, virtuos, immer mit Seele dabei: Alexandr Trusch, eine tanzende Sensation, allemal in „Don Quixote“ als Basil beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Sie stehen hier für den mittellosen Naturburschen Basil und die begüterte Wirtstochter Kitri, deren Vater Lorenzo (energisch und sinnlich: Dario Franconi) sie mit dem eitlen Aristokraten Gamache (hingebungsvoll eitel: Konstantin Tselikov) verkuppeln will. Anders als bei „Romeo und Julia“ oder in „Kabale und Liebe“ führt hier die zunächst von Hindernissen beschwerte Liebe aber nicht ins Grab.

Dass es zum Happy Ending kommt, ist, wie gesagt, nicht zuletzt Don Q. zu verdanken, der mit seiner konsequenten Hochhaltung der Ideale – bis in den Bereich des Absurden hinein – stets das Richtige unternimmt, um die Liebe der anderen zu stärken. Selbst wenn er Kitri anbaggert und dabei so seltsam wirkt wie ein animalischer Außerirdischer, weil er sie für Dulcinea hält (in der Tat sind die beiden Partien als Doppelrolle besetzt, wie schon 1871 in der Zweitversion von Petipa), so macht Don Quixote unbewusst das Richtige. Er mischt durch sein skurriles Verhalten mit, stachelt die Konkurrenten an und lenkt Lorenzos Aufmerksamkeit von Basil ab, was diesem hilft.

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Nicolas Gläsmann wird als verfressener Mönch Sancho Pansa in die Luft geworfen, heißa! So im „Don Quixote“ vom Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Das Prinzip der Abenteuerlust ist hier nicht zu unterschätzen! Würden Kitri und Basil mit ihren schönen Hintern im Dorf sitzen bleiben, würde sich wohl Gamache durchsetzen.

Aber weil sie fliehen und wie Don Quixote der Heimat einstweilen ade sagen, kann ihre Liebe überleben.

Nachts suchen sie Unterschlupf in der Nähe einer alten Windmühle, und die lasziven Verführungskünste von Basil haben nach einigen schön anzusehenden Anstrengungen Erfolg. Doch die Liebenden werden überfallen, und hätten sie geldwerte Gegenstände bei sich, würde man sie ausplündern: Die prachtvoll aufgezäumten Zigeuner, die die beiden  überraschen, sind nicht eben zimperliche Raubritter.

Doch das Stück zeigt, wie aus vermuteten Klassenfeinden erst Verbündete und dann Freunde werden. Denn die Liebe der beiden jungen Leute rührt die temperamentvollen Freibeuter zu Lande, und in energiegeladenen Tänzen weihen sie die beiden in ihren Lebensstil ein.

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Hier ein Portraitfoto von Aleix Martínez, der bei der vorerst letzten „Don Quixote“-Vorstellung den Einheizer bei den Zigeunern tanzte. Ach, man konnte kaum sitzen bleiben, so mitreißend war das. Aber Marcelino Libao ist durchaus auch noch bestens in der Rolle in Erinnerung… das Hamburg Ballett überrascht eben immer wieder. Foto: Gisela Sonnenburg

Aleix Martínez brilliert hier allen voran mit Sprungkombinationen, die mal russisch, mal ungarisch, mal spanisch anmuten, und die zusammengerollte Peitsche in seiner Hand verrät seine Macht über das Triebleben seiner Truppe. Was für ein Superauftritt!

Basil und Kitri verkleiden sich rasch – und mutieren zu integrierten Teilnehmern dieser aufgekratzten, rasanten, alles andere als bürgerlichen Unterwelt.

Bis Don Quixote wieder alles durcheinander wirbelt, indem er die Windmühlen für Riesen hält… seine Fantasie geht eben eigene Wege.

Aber sogar eine kurze Szene aus dem Puppenspiel, mit dem die Zigeuner irritieren wollen, rührt hier mächtig an: Ganz langsam gehen da ein Junge und ein Mädel in stotternden Schritten aufeinander zu, bis sie sich umarmen können. Ach! So minimalistisch diese Pantomime, so groß ihre Wirkung im Kontext.

Denn um sie herum herrschen Chaos und bunter Trubel, was für unsere beiden Liebenden nur gut ist, denn so können sie rasch wieder entfliehen. Und Lorenzo und Gamache sind ihnen dicht auf den Fersen.

Nach der Pause entführt uns das stetig sich in immer neuen Fantasien entladende Superhirn von Don Quixote in eine neue Sphäre.

Wir haben bisher im Stück den alten, heruntergekommenen Ritteradel gesehen und seine kleinkarierten Bediensteten. Den Mönch, dem das Essen und die Sinneslust zur Religion wurden. Den reichen Bürger Lorenzo, der nicht weiß, was die Liebe ist. Den armen, aber schönen Hirten Basil, der sich gegen den Standeskodex verknallt. Die süße Wirtstochter, die das bejaht: Auch sie verstößt damit gegen das Standesrecht.

Aber es wäre doch gelacht, wenn die Liebe nicht stärker als alle Portemonnaies der Welt wäre!

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Mit superbem Schwung: Matias Oberlin als Espada und Lucia Ríos als Straßentänzerin in „Don Quixote“ von Rudolf Nurejew nach Marius Petipa beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Und weiterhin kennen wir hier: die verführerische Straßentänzerin mit ihrer selbstbewussten Gestik (ach, so mitreißend: Lucia Ríos) und dazu den so locker-flockig wie  himmelhochjauchzend sein Torero-Tuch wirbelnden Espada (sehr quirlig-souverän: Matias Oberlin). Die wilden Zigeuner (die auch einen Mikrokosmos bilden) sind da, mit ihrem lasziv-temperamentvollen Einheizer und dem alten Herrscherpaar an der Spitze (gelassen-lasziv: Niurka Moredo mit dem männlichen Graeme Fuhrman). Mit dem egozentrischen Gamache, der ohne seine Perücke nichts ist, kennen wir schließlich den „neureichen“, frühbarocken Adel, der vor lauter Vornehmheit zur Selbstkarikatur verkommen ist.

Aber jetzt, im zweiten Akt, gibt es noch eine weitere, ganz andere Welt, eine Traumwelt, die dennoch so überzeitlich-surreal wirkt und so stark in ihrer Schönheit und Zuversicht ist, dass sie all das normale irdische Alltagsleben zu überstrahlen weiß.

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Eine liebliche Königin der Dryaden, der Baumnymphen: Hélène Bouchet, hier ein Portrait von Kiran West

Don Quixote erscheinen nämlich im Nebel seine heilige Dulcinea und die elysischen Dryaden, die Baumnymphen, sowie der kesse Amor, ebenfalls als hoch erotische Frauenfigur mit Pfeil und Bogen gedacht.

Was für ein hübsches Dekor, was für eine liebliche Damenwelt!

Das Corps de ballet besteht aus wahren Feen, was ihre Lieblichkeit angeht, und Hélène Bouchet als Königin der Dryaden weiß, mit ihren schier unglaublich schönen Füßen und edelmütigen Bewegungen in Bann zu schlagen. Was für ein lyrisches Flair!

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Mayo Arii als kecker Amor – ganz entzückend im „Don Quixote“ beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Mayo Arii als Amor ist ebenfalls eine Sehenswürdigkeit in Spitzenschuhen! Sie agiert mit Pfeil und Bogen so sicher und leichthändig, so keck und frivol zugleich, dass man sich ein weiteres Ballett wünscht, in dem dieser Amor eine tragende Rolle tanzen darf.

Das also ist das Gefilde, in dem sich Don Quixote so richtig wohl fühlt.

Man könnte ihn glatt mit einem Ballettomanen vergleichen, der erst so richtig aufblüht, wenn vor ihm zarte Elfen und feingliedrige Feen auftanzen.

Weil La Dulcinea mit von der seligen Partie ist und Madoka Sugai ein weiteres Mal im Solo wie im Duett und Trio mit den anderen beiden hochrangigen Geister-Damen ihre Bravour zeigen darf, haben wir es tatsächlich mit einer Art Luxus-Gefilde zu tun, das Ähnlichkeit mit einem Harem der weiblichen Musen hat.

Alle Anziehungskraft des holden Geschlechts wird in der Choreografie auf den Punkt gebracht. Dieser süß verträumte Zauberwald aus lauter Mädchen ist zudem die sinnfällig gewordene Gegenwelt zum Zigeunerlager, in dem das aggressiv-männliche Prinzip dominiert und der Eros weniger sublim als vielmehr tatkräftig und deftig wirkt.

Mit dem irdischen Leben in der Taverne von Lorenzo aber hat dieses Frauentraumgebilde aus Ästhetik und Ätherik kaum etwas zu tun…

Und dennoch findet das hilfreiche Finale im bunten Kuddelmuddel der Alltagswelt statt.

Wie alle Träume endet auch der von den Dryaden in tiefem Schlaf. Danach heißt es: munter werden, weiter ziehen!

Beim Hochzeitstanz zeigt sich die Liebe: Madoka Sugai als Kitri und Alexandr Trusch als Basil in „Don Quixote“ beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Unser Liebespaar hat seine Beziehung gefestigt. Sie sind sich sicher, dass sie miteinander in die Ehe wollen – und Petipa und Nurejew haben solchermaßen ganz galant darauf hingewiesen, dass die Braut das Recht der ersten Nacht vor der Verheiratung haben sollte. Damit sie weiß, auf was sie sich einlässt.

Mit einer lustig anzusehenden List erschleicht sich Basil nun das Jawort des unwilligen Schwiegervaters. Aber auch hier würde ohne die Verkuddelmuddelung durch Don Quixote der Spaß nur ein halber sein. Aber: Ha! Klugheit siegt!

Für das Publikum ist es eine Gaudi sondergleichen.

Die Hochzeit ist denn auch ein Fest, wie es im Ballettbilderbuch beschrieben steht:

Im Zentrum begeistert der Gala-trächtige, bedeutende Grand pas de deux der frohgemuten beiden Liebenden – es ist aber wahrlich nicht ihr erster hier im Stück, allein im ersten Akt gab es schon drei davon – und auch all ihre Freundinnen und Freunde dürfen zeigen, was sie drauf haben.

Da sind mit Nako Hiraki und Xue Lin zwei süße Freundinnen von Kitri, ganz unterschiedlich, aber sehr redlich im Ausdruck. Die eine mehr sinnlich, die andere vor allem zart – wäre man auf Brautschau, man könnte sich kaum entscheiden.

Die Erste Brautjungfer Yun-Su Park bildet dann die reizende Vorhut einer raffinierten kleinen Mädelstruppe, aus Olivia BetteridgeYaiza Coll, Giorgia Giani, Charlotte Larzelere, Priscilla Tselikova und Mengting You bestehend.

Aber auch die Jungs sind so mitreißend, als sei das Leben in Lorenzos Taverne das wahre El Dorado. Das wirkt ganz besonders!

Ich glaube sogar, dass kein Corps de ballet weltweit eine so fantastisch in Form gebrachte Männergruppe zu bieten hat wie sie in dieser Vorstellung zu sehen war. Wirklich top!

Im ersten Akt kamen sie als Fischer und Matadore einher, im zweiten Akt als Zigeuner und am Ende tanzen sie mit den Damen den Fandango, einen hier nochmals aufgehübschten, rasanten spanischen Volkstanz.

Fetzig: "Don Quixote" beim Hamburg Ballett

Aleix Martínez, Marià Huguet, Alexandr Trusch, Marcelino Libao und Pascal Schmidt „fliegen“ hier ganz harmonisch und synchron, mit dynamischem Drive und gebotener Grazie. Aus dem „Don Quixote“ beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Marià Huguet, Florian Pohl, David Rodriguez, Mathieu Rouaux, Ricardo Urbina, Pietro Pelleri, Illia Zakrevskyi, Lizhong Wang, Eliot Worrell, Marcelino Libao, Borja Bermudez, Leeroy Boone und Jacopo Bellussi sind in den superakkuraten Jungstrupps eine absolute Augenweide!

Die Utopie erfüllt sich denn auch im Stück: als Ausnahme am Hochzeitstag zweier Ungleicher, die doch zusammen passen, als wären sie füreinander gemacht.

Und auf einmal ist die Welt nicht aufgeteilt in Arm und Reich, in Glückliche und Unselige, in solche mit Zukunft und solche ohne, sondern gemeinsam wird ein neues Leben in Angriff genommen, das ganz sicher nicht schlechter als das alte sein wird. Vielleicht sogar viel, viel besser…

Und wem ist das im Grunde zu verdanken? Genau: Don Quixote und seinem Sancho Pansa, vielleicht sogar auch dem irgendwie menschlichen, dem Kindertheater entlehnten Gaul des Don.

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Sie müssen nun wieder los, ein neues Abenteuer suchen… aber in Gedanken fliegen die Rockrüschen der Damen (die geschmackvolle, rot-orange-cremefarbene Ausstattung stammt von Nicholas Georgiadis) noch immer weiter und weiter. Olé!
Gisela Sonnenburg

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