Wir stehen zu George Floyd In den USA toben Aufstände, weltweit hält die Ballettwelt zu den Unterdrückten: Der Tod des schwarzen Amerikaners George Floyd durch Polizeigewalt verändert unsere Sicht auf die Welt

George Floyd starb durch Polizeigewalt – weil er schwarz war. In den USA gibt es seither Aufstände und bürgerkriegsähnliche Zustände. Was hat Ballett damit zu tun? Mehr, als wir auf den ersten Blick so denken. Foto: rtl / anonym

Viele können es kaum fassen: Der Rassismus in den USA hat ein Opfer, was nicht mehr zu übersehen ist. Der Name George Floyd ist somit eingebrannt in die Annalen der USA. Mit ihm die Daten seines Todes. Minneapolis, 25. Mai 2020, gegen 20 Uhr Ortszeit. Ein Polizist drückt  fast neun Minuten lang sein eigenes Knie in den Nacken des am Boden liegenden, athletisch gebauten 46-jährigen Floyd. Das war keine Festnahme, sondern eine Hinrichtung. Lynchjustiz durch die Exekutive. Ganz offenbar rassistisch motiviert. Floyd erstickte. Die Hilferufe „I can’t breathe!“ („Ich kann nicht atmen!“) des Sterbenden sind von etlichen Smartphones dokumentiert. Doch die gegen ihn ausgeübte Gewalt wurde immer stärker: Vier Polizisten waren am Einsatz beteiligt, drei von ihnen knieten schließlich auf dem Versterbenden, der in seiner Todesangst versuchte, hochzukommen. Kein Regisseur hätte sich diese Szene dramatischer und trauriger ausdenken können. Fast drei Minuten dieser Folter lag das Opfer am Ende reglos da, auch das ist dokumentiert. Niemand half. Aber Viele waren entsetzt. Auch die Ballettwelt verstummt und schreit zugleich angesichts dieser Gewalttat. Überall bekunden Tänzer und Ballettchefs ihre Bestürzung – und oftmals auch ihre Solidarität mit all jenen, die sich jetzt trauen, gegen die herrschenden Zustände zu prostieren. Es wird Zeit, aus der Corona-Starre zu erwachen!

Zum Zeichen der Solidarität posten Viele ein großes schwarzes leeres Quadrat. Aber vor allem in den USA wird auch über die Legitimität von Gewalt als Gegengewalt nachgedacht.

Für George Floyd kommt all das zu spät. Er war zuletzt als Türsteher tätig, in einer Gesellschaft, die ihn selbst aufgrund seiner Hautfarbe nie ganz herein ließ – und schließlich sogar umbrachte.

Spartacus bewegt die Welt.

Osiel Gouneo vom Bayerischen Staatsballett sehnt sich hier als Titelheld in „Spartacus“ von Yuri Grigorovich nach Freiheit… Foto: Wilfried Hösl

I, too, sing America“ („Auch ich besinge Amerika“) – das dichtete 1926 der junge Schwarze Langston Hughes. Es ist nicht neu, dass die Weißen die Schwarzen diskriminieren. „ I, too, am America“ („Auch ich bin Amerika“) – so beharrlich endet das Gedicht, in dem der Autor davon träumt, respektiert statt unterdrückt zu werden.

Seither sind fast hundert Jahre vorbei gegangen. Aber es war kein Dornröschenschlaf. Und wie viele Opfer haben Rassismus, Sexismus und Chauvinismus seitdem verursacht! Es wäre ein Fehler zu glauben, man könne diese drei Kardinalssünden des 20. Jahrhunderts voneinander trennen, wenn man sie bekämpfen will.

Männer werden dabei die Hilfe der Frauen benötigen, und zwar von emanzipierten Frauen! Diskriminierte aus jeglichen Schichten müssen dieses eine Mal zusammenhalten, wenn es darum geht, der hässlichen Fratze aus Hass und Unterdrückung den Kampf anzusagen!

Schwarz und Weiß müssen endlich lernen, füreinander einzustehen!

Schön, schwarz und eine Ausnahme: Ronald Darden 1982 mit Kevin Haigen (im Tutu) und Lynne Charles beim Hamburg Ballett in „Petruschka“ von John Neumeier, nicht zu verwechseln mit dessen „Petruschka-Variationen“. Foto: Holger Badekow

Wie halten wir es faktisch im Ballett damit? Niemand würde bestreiten wollen, dass es zu wenige Dunkelhäutige in den großen Compagnien gibt.

Die Black Beauties, die Ballettstars wurden, sind immer noch Ausnahmen. John Neumeier holte zwar schon 1978 den aus Michigan, USA, stammenden Afroamerikaner Ronald Darden als Solisten zum Hamburg Ballett und hatte schon ein Jahr zuvor mit Judith Jamison vom Alvin Ailey American Dance Theatre bei den Wiener Festwochen zusammen gearbeitet  – und damit war Neumeier ein Avantgardist.

Aber: Bis heute sind schwarze BalletttänzerInnen die Ausnahme.

Da ist die Superballerina Misty Copeland in New York City, die sich gerade rührend mit einer Internet-Initiative zusammen mit anderen – vorwiegend weißen – Ballerinen gegen die tänzerische Corona-Starre wandte.

Da ist der von London aus weltberühmt gewordene Kubaner Carlos Acosta, der nach seinem Bühnenabschied neue Aufgaben sucht – und der damit ein ganz anderes Dilemma erlebt als nur das rassistische.

Beim Bayerischen Staatsballett brillieren indes mit Yonah Acosta und Osiel Gouneo zwei bildschöne schwarze Supermänner; und beim Staatsballett Berlin wartet das Publikum darauf, dass der junge Gregor Glocke und die noch jüngere Chloé Lopes Gomes eine angemessene Chance erhalten.

Hier und da gibt es auch woanders in Deutschland dunkelhäutige Ballerinen und Ballerinos. Aber viele sind es nicht!

Schwarz – das ist in den sozialen Medien das Zeichen der Solidarität mit George Floyd und den Anderen, die durch Polizeigewalt starben. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Und wie sieht es mit Opfern von Polizeigewalt aus? Ja, auch die gab und gibt es in Deutschland! Und gar nicht mal so wenige. Allein im Gründungsjahrzehnt des wiedervereinigten Deutschland sorgten etliche Fälle für Aufsehen:

1994 wurde am Hamburger Gänsemarkt – nur einen Steinwurf entfernt von der Hamburgischen Staatsoper– der Journalist Oliver Neß von rechtsextremen Polizeibeamten berufsunfähig geprügelt. Drei Jahre später wird in Hückelhoven, Nordrhein-Westfalen, ein 36-Jähriger in einem Transportwagen der Polizei ähnlich malträtiert wie jetzt George Floyd in den USA. Er starb an der dadurch erlittenen Kehlkopfverletzung. Wieder ein paar Jahre später wird in Berlin ein iranischer Taxifahrer am 20. April, Hitlers Geburtstag, von einem bereits damals suspendierten Polizisten und dessen rechtsextremen Kumpel angegangen. Das juristische Verfahren führte zu einem Freispruch für die Täter– verurteilt wurde das Opfer. Und auch München hat seine Polizeiopfer in der Kartei: Am 26. September 1998 wurden auf der Polizeiwache nahe der „Wiesn“ reihenweise Oktoberfestbesucher misshandelt. Eine couragierte Staatsanwältin trieb das Verfahren gegen die gewalttätigen Beamten voran, ein ebenso couragiertes Gericht zog mit: Es gab mehr als zwei Jahre Haftstrafe ohne Bewährung für den beamteten Hauptangeklagten. Soviel Rechtsstaat wie damals im Freistaat Bayern ist sonst selten – zumeist werden auch in Deutschland Polizisten von der Körperverletzung im Amt entlastet.

Wie im August 1997 in Berlin: Von den siebzehn Polizeibeamten aus ein- und derselben Direktionshundertschaft 6, die wegen dutzendfacher gemeinschaftlich begangener Körperverletzung angeklagt waren, wurde nicht ein einziger zu einer Haftstrafe verurteilt. Der Richter begründete das mit einer „Mauer des Schweigens“, die sich ihm – trotz einer für Außenstehende eindeutigen Aktenlage – entgegen gestellt habe. Und zu acht Zeugen, die einen konkreten Sachverhalt aussagten, befand er: „Die Zeugen könnten sich geirrt haben.“

Das sind nun etliche traurige Beispiele aus nur vier Jahren in Deutschland. Die Opfer waren nicht immer ausländisch, hatten aber oft eine „geringe Beschwerdemacht“, wie man es nennt, wenn jemand nicht gerade top of the list die High Society anführt.

Schwarz – das ist in den sozialen Medien das Zeichen der Solidarität mit George Floyd und den Anderen, die durch Polizeigewalt starben. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Letztere wiederum stiehlt sich gern aus der Verantwortung. Aber ist es nicht genau die Crème de la Crème einer Gesellschaft, also die so genannte herrschende Klasse, die auch für das Agieren der  Staatgewalt einstehen müsste? Schließlich wird sie am meisten vom Staat beschützt.

Kann man immer nur die Vorteile einer Gesellschafti n vollen Zügen genießen, ohne sich um ihre Schattenseiten zu kümmern? Aber gerade die Reichen und Verwöhnten gucken gern einfach mal weg, wenn es schwierig wird.

Das ist jetzt anders. Die Schutzmaßnahmen wegen des Corona-Virus haben die Sinne geschärft und die Wachsamkeit wie eine Alarmanlage eingeschaltet. George Floyd wird nicht vergessen.

In den USA gibt es eine lange Geschichte von Toten durch Polizeigewalt. George Floyd ist nicht der Erste. Und nicht der Letzte.

Mit Google Alert wurden bis heute  802 Todesfälle durch Polizeigewalt in den USA allein in diesem Kalenderjahr 2020 registriert. Darunter Breonna Taylor, die am 13. März 2020 in Louisville, Kentucky, von der Polizei erschossen wurde.

Gewalt erzeugt Gegengewalt: Bei den aktuellen Plünderungen und Ausschreitungen sterben weitere Menschen. Auch Polizisten sind angeschossen worden. In mehr als vierzig Städten wurden Ausgangssperren verhängt. Präsident Donald Trump droht mit dem Einsetzen des Militärs. Für ihn handelt es sich wohl um eine Art Bürgerkrieg, den er statt mit Argumenten mit Waffengewalt gewinnen will.

Derweil zeigen die Geschehnisse, wie weit die USA von einer Gleichbehandlung entfernt sind.

Romeo und Julia in einer Neubesetzung in Berlin

Die Solisten Aurora Dickie und Alexej Orlenco tanzten die Capulets in „Romeo und Julia“ von Nacho Duato. Rechts hinter ihnen Gregor Glocke, Nachwuchstalent beim Staatsballett Berlin, und Sarah Mestrovic, Solistin. Foto vom Schlussapplaus aus der Staatsoper Unter den Linden: Gisela Sonnenburg

So wollte in Los Angeles eine Gruppe Dunkelhäutiger ein Geschäft vor Plünderern bewahren. Sie riefen die vorbeifahrenden Polizisten zu Hilfe. Was geschah? Sie wurden selbst festgenommen. Der Grund dafür: ihre Hautfarbe.

Der Rassismus, der Sexismus, der Chauvinismus – sie sitzen tief nicht nur in der amerikanischen Gesellschaft. Dort eskaliert gerade die Gewalt, dort türmen sich immer neue gewaltbereitschaftsschürende Konflikte.

Und wem werden die Aufstände letztendlich nützen? Hoffentlich nicht  Donald Trump, der bei den Vorwahlen empfindliche Verluste hinnehmen musste und jetzt hofft, dass ihm die Angst vor der black power die weißen Wähler zurückbringt.

Aber in Louisville in Kentucky hat die Polizei schon wieder einen Dunkelhäutigen getötet. David McAtee ist sein Name, und sein Verbrechen war, dass er als Schwarzer demonstrieren wollte. Der Bürgermeister seines Wohnortes sprach sich spontan für ihn als „wundervollen Bürger“ aus – was aber nützt das dem Toten?!

Wird jemand ihm und den anderen Toten zu Ehren ein Ballett kreieren? Und:

WANN HÖRT DAS TÖTEN ENDLICH AUF?
Gisela Sonnenburg

www.hamburgballett.de

www.staatsballett.de

www.staatsballett-berlin.de

 

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