Glockenspiel und Glückskaskaden Trost für alle Zeiten: „Die Zauberflöte“ mit William Workman, inszeniert von Filmstar Peter Ustinov an der Hamburgischen Staatsoper als DVD

Zauberflöte Ustinov Mozart

Papageno (William Workman) und Papagena (Carol Malone) probieren das große Glück. So zu sehen in „Die Zauberflöte“ von Mozart in der Regie von Peter Ustinov auf der DVD von Arthaus Musik. Videostill: Gisela Sonnenburg

Er war der beste Nero der Filmgeschichte (in „Quo Vadis“), der hintersinnigste Detektiv (Hercule Poirot) und der beliebteste Talkshowgast höheren Alters: Peter Ustinov (1921 – 2004) ist als schillernder Vollblutschauspieler und herzensguter Charmebolzen in Erinnerung.  Dass er auch Regisseur war, ist weniger bekannt. Dabei hat er „Die Zauberflöte“, die am meisten gespielte Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, in einer so zeitlosen wie hinreißenden Inszenierung an der Hamburgischen Staatsoper realisiert; diese als DVD bei Arthaus Musik (Cat.-No. NTSC 101 265) erschienene Arbeit ist ein Beleg dafür, dass Modernität und klassische Musik, märchenhafte Elemente und lebenspralles Spiel einander nicht ausschließen. Die Auswahl an Sängern, die auftreten, ist handverlesen: Allen voran begeistert William Workman als knuffiger Papageno, aber auch Hans Sotin als machtbewusster Sarastro, Nicolai Gedda als naiv-liebender Tamino und Franz Grundheber als abgestrafter Monostatos (der Bariton in einer Tenorrolle!) sowie – bei den Damen – Edith Mathis als liebliche Pamina, Cristina Deutekom als brillant tirilierende Königin der Nacht und Carol Malone als zauberhafte Papagena machen das Singspiel, das unter der Fernsehregie von Joachim Hess nachgerade cineastisch und doch theatral wirkt, zu einem puren Vergnügen: für den Verstand und die Seele gleichermaßen. Horst Stein am Dirigentenpult lotet die Mozart’schen Klänge wie mit der Goldwaage fein aus. Als Sprecher ist zudem Dietrich Fischer-Dieskau mit von der Partie, wie ein akustische Zugabe.

Die Zeit, aus der die Inszenierung stammt, war vielleicht generell die beste für Kunst und Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es handelt sich um die erste Ära von Opernintendant Rolf Liebermann, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Stadt Hamburg zu einem Mekka für ästhetisch, aber auch politisch nicht meinungsferne Zeitgenossen machte.

Damals – das muss man mal so offen sagen – träumten Künstlerinnen und Künstler noch von mehr als nur von Erfolg. Oder von Ruhm. Oder von Geld.

Gerade die Stars, die damals als Diven und Halbgötter öffentlich stilisiert wurden, gaben viel darauf, auch als gesellschaftsrelevant zu gelten. Und das durfte durchaus mehr bedeuten, als den richtigen Hut, das richtige Kleid, den richtigen Lippenstift oder die witzigste Maske zu tragen.

Man hatte nicht – wie es heute relativ viele Prominente betrifft – Angst, eine bestimmte politische Position zu beziehen. Im Gegenteil: Menschen ohne eigene Meinung (welche sich auch mal ändern durfte, ohne, dass man das Gesicht verlor), ohne eine glaubhafte innere Haltung zur Welt und insbesondere zu ihrer näheren Umwelt und ohne die Bereitschaft, per se an Visionen und Entwürfe zu glauben, galten als fade. Demokratie war Trumpf!

Zauberflöte Ustinov Mozart

Schelmisch, aber auch hintergründig; lieblich, aber auch verwegen: das Pärchen Papageno und Papagena in der „Zauberflöte“, wie Peter Ustinov sie in der Hamburgischen Staatsoper inszenierte. Im Hintergrund: ein lebender, männlich geprägter und an das Ballett „Le Spectre de la Rose“ erinnernder Rosengarten! Videostill von Arthaus Musik: Gisela Sonnenburg

Peter Ustinov, der als Multitalent auch Romane und Theaterstücke schrieb sowie  Karikaturen anfertigte, hatte die Gabe, viel von diesem rasanten gesellschaftlichen Meinungsflair in sich zu vereinen und zu einem Weltbild aufzumotzen, das von sozialem Empfinden einerseits und von unterhaltsamer Ästhetik andererseits geprägt war. Und: Ohne durchdringenden Humor, ob leise und fast verborgen oder ob auch mal deftig-satirisch einherkommend, ist keine seiner Schöpfungen.

Britisches Understatement trifft auf komödiantischen Overkill: So reich und vielseitig an Facetten ist auch Ustinovs „Zauberflöte“, die sich an die Handlung des Librettos von Emanuel Schikaneder hält und nicht vergessen macht, wieviele Modernisierungsversuche dieses wunderbare Opernstück von 1791 schon über sich ergehen lassen musste.

Angst vor einer Riesenschlange, Abgesandte vom Nachthimmel, mysteriöse Verliebtheit aufgrund eines Bildnisses: Den Grundzutaten folgt die abenteuerliche Reise von Prinz Tamino und dem Vogelfänger Papageno, um die von einem Oberpriester entführte Prinzessin Pamina zu befreien.

Mit dabei als Requisiten, um die zahlreichen Kämpfe in verschiedenen Sphären zu bestehen: die Zauberflöte, die sogar wilde Tiere zähmt, und ein Glockenspiel, das über eine magische Ausstrahlung verfügt.

Prüfungsaufgaben und eine entfesselte Natur, Missverständnisse und Verzweiflungstaten sorgen dann für ein Szenario, das mal alptraumhaft, mal wie ein Action-Krimi anmutet. Für eine Oper gibt es hier ein großartiges Kuddelmuddel – bis zum Happy Ending mit zwei glücklichen Pärchen…

William Workman pokert als Papageno mit Gesicht und Gesten und vor allem mit der grandiosen Stimme wie ein wildgewordener Debütant in einer Märchenwelt, die erst durch ihre Migranten die Anmutung einer realistischen Szenerie erhält.

Die Macht, die Liebe und der Prinz: Das Personal der „Zauberflöte“ ist märchenhaft und wirkt in der  Inszenierung von Peter Ustinov dennoch wie aus einem Sci-Fi à la „Enterprise“. Videostill von Arthaus Musik: Gisela Sonnenburg

Glückskaskaden und wahre Orgien des Erstaunens spiegeln sich auf seinen Zügen, während der ehrenwerte Prinz, von Nicolai Gedda gegeben, stets spielerisch um Fassung ringt.

Wer diese beiden Jungs auf großer Tour verpasst, ist selbst schuld!
Gisela Sonnenburg

www.arthaus-musik.com

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