Der heimliche Geliebte Alle lieben William „Bill“ Forsythe – jetzt hat der Avantgardist des Balletts die Ausstellung „The Fact of Matter“ im Frankfurter Museum für Moderne Kunst inszeniert

William Forsythe macht Kunst im Museum.

Dieses Filmstill zeigt den Meister William Forsythe in Kunstaktion – und er hat an diesem etwas anderen Selfie natürlich auch selbst das Copyright.

Er ist der heimliche Darling fast aller Tanzkünstler, vieler Musiker und mancher bildender Künstler. Fragt man international erfolgreiche Balletttänzer, die man für Helden der Klassik hält, nach ihrem besonderen Wunsch, so wollen sie mit dem Avantgarde-Choreografen William „Bill“ Forsythe arbeiten. Fragt man Musiker und bildende Künstler, wer oder was sie am Bühnentanz interessieren könnte, so kommen sie einem, richtig, mit Forsythe. Das Pop-Publikum tut sich zwar manchmal schwer mit seinen hintergründig komischen, vordergründig aber komplizierten Werken. Die Insider und Fans, die Ballettomanen und solche, die es werden wollen, können hingegen gar nicht genug von ihm bekommen. Ein Grenzgänger zur bildenden Kunst ist Forsythe zudem schon lange, immer wieder inszeniert er Begegnungen mit soziokulturellem Bezug in musealen Sphären. Jetzt richtete Forsythe im Frankfurter Museum für Moderne Kunst eine in jeder Hinsicht wirklich große Ausstellung aus: „The Fact of Matter“ heißt sie, in munterer wortspielerischer Verkehrung der Faktenlage.

In matter of fact, it is about the fact of matter! Tatsächlich geht es hier um die Tatsächlichkeit!

Schon der erste Raum nach dem Eintritt ist wie die Visitenkarte einer futuristischen, interagierender Spielwiese. Man wird nämlich gefilmt und fast synchron dem Anschein nach auf eine verzerrende Spiegelwand projeziert. Sinn der etwas hämischen, aber auch lustigen Verdoppelung der Besucher: Sie sollen beim Anschauen ihrer sich im scheinbaren Spiegel bewegten Zerrbilder selbst auch zu Bewegung motiviert werden. Unwillkürlich verbiegt man sich sowieso, um seinem Gegenüber in der zweiten Welt des Spiegelreichs zu folgen – und siehe da, Forsythe würde es glatt zu Tanz erklären, was man da macht.

„In dieser Ausstellung muss man sich bewegen, um etwas mitzukriegen. Wenn man sich nicht bewegt, wird man nichts wissen“, sagt der Meister. Er ließ dafür seine eigenen Installationen – knapp ein Dutzend an der Zahl – zusammen mit von ihm ausgewählten Werken aus der Frankfurter Museumssammlung kuratieren: vom Leiter der Sammlung, Mario Kramer.

William Forsythe macht Kunst im Museum.

James Turrell arbeitet mit Licht – und nur mit Licht. So zu sehen in „William Forsythe. The Fact of Matter“ im Fankfurter Museum für Moderne Kunst. Foto: Axel Schneider

Werke von Nam June Paik, der einst mit Wolf Vostell zusammen die Kunstrichtung Fluxus erfand, sind nun ebenso Teil des Forsythe’schen Kosmos wie ein 1966er-Werk von Cy Twombly (hier mal ganz ohne ästhetische Krickelei, dafür als Tafelbild gestaltet, das einen mit simplen Strichen in drei Etagen unterteilten Turm zeigt). Ob eine Fotoserie von Anna und Bernhard Blume oder ein kryptischer Raum von Andreas Slominski – in der Imagination haben sie jetzt alle mit Tanzen zu tun, denn ihre Arbeiten dienen zumindest in dieser Ausstellung der Freiheit der Kunst qua körperlicher Lebendigkeit, also: als Bewegungsmacher.

Auch James Turrell, der so oft unterschätzte Lichtkünstler, hat hier in diesem Sinn seinen Raum und seine Aura, um bei ihm anregende Muße zu finden – und Forsythes Idee, die Museumsbesucher zu Tänzern zu machen, kulmuniert in mehr oder weniger sportlichen Bewegungsanreizen, die er selbst installierte.

Da hängen kleine metallische Kreisel wie Pendel in Bodennähe. Es gilt aber nicht etwa, sie oder ihre Befestigungen anzufassen – sondern sich durch den Wald aus Nylonfäden, an denen sie hängen, galant hindurchzumogeln. Noch sportiver: ein Raum voll von hängenden Turnringen, an und in denen man schaukeln kann und soll. Das erfordere die ganze Aufmerksamkeit und Koordination eines Menschen, meint William Forsythe – und sieht den „Gymnastik-Dschungel“, wie er ihn nennt, als ein Sinnbild sowohl für tänzerische Bewegung als auch für das Leben an sich.

William Forsythe macht Kunst im Museum.

„Ich bin in luftigen Höhen für die Kunst durch Ringwelten gestapft!“ Das können Besucher der Ausstellung „The Fact of Matter“ von William Forsythe unter Umständen von sich behaupten. Foto: Dominik Mentzos

Der Spieltrieb wird in dieser Ausstellung jedenfalls ausgiebig bedient, und wessen Horizont sich darin nicht erweitert, der muss schon arg verbiestert sein. Für den 1949 geborenen Forsythe selbst wiederum bedeutet sie ein Coming home der besonderen Art: Erst im Frühjahr dieses Jahres löste er seine eigene Company, die regelmäßig erst nur in Frankfurt am Main, dann auch in Dresden auftrat, auf. Nun kehrt der Choreograf als Tänzermacher zurück – in ein Museum, das mit seiner Arbeit ein betont junges oder auch jugendlich gebliebenes Publikum ansprechen will. Die Grenzen zur Museumssammlung wiederum sind fließend, und man kann „Entgrenzung“ hier auch in diesem Sinn verstehen: Dauerbestand und aktuelle Inszenierung überlappen sich.

Forsythes Rezipienten sind dadurch mehr gefordert denn je. Denn den Zusammenhang zwischen Privatem und Politischem, um den es in „The Fact of Matter“ offenkundig auch geht, muss man in der Konkretion selbst herstellen. Da steht das Aufräumen einer alten Wohnung (in den Bildern der Blumes) gegen das freie Lichtspiel bei Turrell. Traurige Vergänglichkeit versus zeitlose Meditation – der Triumph der Dinge unterliegt der emotionalen Bindung an sinnenhafte Erfahrungswerte. Insofern ist die Ausstellung stark antikonsumistisch, sie betont die Aktivität des Individuums und gerade nicht dessen Selbststilisierung zum Habenden, Seienden oder Verlangenden.

Und auch zum Thema des symbolischen Geldflusses ist eine Arbeit von großer Bedeutung zu sehen: ein Film von Richard Serra mit dem Titel „Hand catching lead“, der titelgemäß eine Männerhand zeigt, die stetig ein Stück Blei mit schnappendem Greifen auffängt und gleich wieder loslässt und das Blei dadurch verliert. Und da kommt schon der nächste Klumpen Schwermetall… und so fort. Das Fangen und Weggeben imitiert den Zugewinn und Verlust von Geld – aber das giftige, für Umweltverschmutzung und Hirnverblödung stehende Metall macht klar: Das hier ist nicht lustig! So soll Blei in Lebensmitteln aus Konservendosen soll schon viele arm verdummte Kindergehirne verursacht haben. Da ist dann viel Tanzunterricht nötig, um Hirn und Körper wieder reibungslos zum Laufen zu bringen!

Das kräftige Schnappen der Hand erinnert übrigens ebenso an eine theatral-tänzerische Geste wie der fast prahlerisch präsentierte Staubwedel, den Forsythe als Übungsobjekt für den großen Auftritt daheim empfiehlt.

William Forsythe macht Kunst im Museum.

Ganz still soll man das Objekt halten, so lautet die Anweisung zur Kunst hier. Dem Staubwedel wird das komisch vorgekommen sein, denn Staubwedeln ist an sich eine eher hektische als still gehaltene Aktivität. So zu bestaunen im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt / Main. Foto: Dominik Mentzos

Besonders lockt jedoch, am 18. November, das öffentliche Gespräch mit Forsythe und Kramer über „Tanz, Kunst, Raum und nicht zuletzt den Menschen“. Forsythe, der zurzeit einen Vollbart trägt, wird sich da sicher gern öffnen und erklären, und er ist auf Gegenwind durch womöglich kritische Fragen gefasst. Falls er sich nicht noch rasiert! Vollbärte entstanden nämlich mal als Windschutz für die zarte Männerhaut – und nicht umsonst gelten sie als Kennzeichen für Männlichkeit in dem Sinn, dass man sich nicht hinter dem Kamin oder an der steinzeitlichen Feuerstelle oder auch hinter den eigenen Kunstwerken versteckt.

Also, en garde, Avantgarde – und halte es dieses Mal ja nicht mit dem Klassiker Gotthold Ephraim Lessing, denn der meinte ganz kategorisch und publikumsfeindlich: „Bilde, Künstler, rede nicht!“
Gisela Sonnenburg

Weitere Texte zu William Forsythe unter dem Stichwort „Impressing the Czar“ hier im ballett-journal.de

„William Forsythe. The Fact of Matter“ im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt / Main – 17. Oktober 2015 bis 31. Januar 2016

Am 18. November, 19 Uhr, im MMK1: MMK talks – William Forsythe im Gespräch mit Mario Kramer (in englischer Sprache)

www.mmk-frankfurt.de

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