Wer schon alle Geschenke beisammen hat, mag sich glücklich schätzen. Die meisten von uns aber werden froh sein, noch die eine oder andere Anregung zu bekommen. Für Ballettfans steht natürlich das Aufführungserlebnis im Vordergrund, gern auch als Geschenk mit einer Einladung verbunden, aber: Es führen auch andere Wege zum ballettösen Gefühl. Bewährt sind die Kalender der Compagnien, wobei sich zwei dieses Jahr besonders hervortun: Das Hamburg Ballett hat erstmals einen aufstellbaren Tischkalender für 15 Euro im Angebot, während das Bayerische Staatsballett mit dem optimalen Wandkalenderformat von 21 cm x 21 cm nicht zu groß und nicht zu klein einherkommt, was auch für den Preis von 10 Euro gilt. Da bleibt noch etwas übrig, um dem Ballett-Journal mit einer Spende für die Jahresarbeit zu danken. Absolut geeignet als Weihnachtsgeschenk sind außerdem Kino-Gutscheine und Einladungen ins Kino, zumal „Der Nussknacker“ mit dem Royal Ballet aus London in ausgewählten Lichtspielhäusern noch bis zum 1.1.2020 läuft.
Und weil in vielen Städten „Der Nussknacker“ zu dieser Jahreszeit, also um Weihnachten herum, hoffnungslos ausverkauft ist, bietet das Kino mit der eleganten Londoner Version von Peter Wright erst recht eine lässige und doch begeisternde Alternative.
Dass man unkompliziert und spontan ins Kino gehen kann, auch um einer bestimmten Stimmung in der Jahresendzeit zu entgehen und in eine andere – immer schöne – zu kommen, ist ein weiterer Vorteil. Und:
Die Attituden und Arabesken von Lauren Cuthbertson– in der Rolle der Zuckerfee – sind dabei ebenso legendär wie die Sprünge und Pirouetten von Federico Bonelli als ihrem Prinzen. Und beide Stars vom Royal Ballet zeigen in diesem „Nussknacker“ mit sichtbarer Spielfreude ihre tänzerischen Tugenden im schönsten Licht, und zwar in einem prächtigen barocken Tutu-Outfit, das Ballettkenner an den dritten Akt von „Dornröschen“ erinnert.
Als Clara, also als das Mädchen, das beim klassischen „Nussknacker“ im Mittelpunkt steht, reüssiert mit Francesca Hayward ein weiterer Star aus London: niedlich und dennoch virtuos passt sich auch sie in die Choreografie von Wright ein. Sie darf hier ja besonders frech und tatkräftig sein – und den bösen Mäusekönig glatt mit ihrem Spitzenschuh k. o. schlagen. Wenn das kein Action-Ballett ist!
Hayward macht hier übrigens eine weitaus bessere Figur als in der digital gesteuerten, nur auf Spezialeffekte setzenden Verfilmung von „Cats“, die am 25. Dezember 2019 in die Kinos kommt und von der leider abgeraten werden muss.
Ihr tanzender Nussknacker ist der bildhübsche Alexander Campbell, dessen Cabrioles wirklich mitreißend sind. Peter Wright lässt die beiden aber nicht heiraten, sondern nur miteinander tanzen und dabei eine neue Welt erleben. Was für beide erlöserische Effekte hat: Clara wird erwachsen und der Nussknacker, der hier auch Hans-Peter heißt (nun ja), bleibt ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Schließlich kehrt der Nussknacker hier als verloren geglaubter Sohn zu seinem Vater namens Drosselmeyer zurück. Gavy Avis als Vater sieht mit seinem grau gepuderten Anwaltszopf fast aus wie ein Jurist, dem der Sohn abhanden kam und der ihn nun gerührt und glücklich wieder in die Arme schließen kann. Ob Peter Wright da ein Stück Eigenerfahrung ins Libretto getragen hat?
Der große alte Herr des englischen Ballettstils war 1961 übrigens bei John Cranko in Stuttgart als Ballettmeister und Lehrer an der staatlichen Ballettschule tätig – und eigentlich ist es merkwürdig, dass man auf dem Kontinent relativ selten Choreografien von ihm sieht.
Aber das liegt wohl auch daran, dass die Briten ihren publikumsfreundlichen Wright gern selbst tanzen – und bei der Ausprägung der typisch englischen Süßigkeit des Tanzes dafür eben auch besonders geeignet sind.
Seinen „Nussknacker“ ließ er 1984 in London premieren, und er folgt darin der Originalchoreografie, die Lew Iwanow nach den Anweisungen von Marius Petipa schuf (1892).
Die Ausstattung von Julia Trevelyan Oman erinnert im ersten Akt an die „Nussknacker“-Ausstattung von Jürgen Rose für John Neumeier, verpackt die walzernden Schneeflocken-Mädchen dann als Ballet blanc in fedrige, wadenlange Röcke, um schließlich ein seriöses Barockfest im Reich der Zuckerfee anzurichten.
Wer sonst schon alle „Nussknacker“-Versionen kennt, sollte sich diese Aufzeichnung aus London von 2016 nicht entgehen lassen. Wer es nicht ins Kino schafft, aus welchem Grund auch immer, kann sich auch die entsprechende DVD schenken lassen, sie ist im Handel vorrätig.
Das Eine soll das Andere aber nicht ausschließen. Das gilt auch für weitere Ballettabenteuer.
Den Kino-Genuss ergänzen Live-Vorstellungen, zum Beispiel festlich-tiefgründig „Das Weihnachtsoratorium I – VI“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett oder die prachtvollen Inszenierungen von „Der Nussknacker“ und „La Bayadère“ beim Staatsballett Berlin, der modern-ballettöse Abend „Rachmaninow / Tschaikowsky“ von Xin Peng Wang beim Dortmund Ballett, eine weitere klassische Version von „Der Nussknacker“ – von Aaron S. Watkin – beim Semperoper Ballett, das unglaublich erfolgreiche „Dornröschen“ von Marcia Haydée mit dem Stuttgarter Ballett und noch ein weiterer „Nussknacker“, nämlich die bezaubernde Fassung von John Neumeier, beim Bayerischen Staatsballett.
Zu all diesen Inszenierungen finden Sie Beiträge im Ballett-Journal, bitte sehen Sie dafür jetzt in den Spielplan, wo sie die entsprechenden aktuellen Links finden.
Und noch ein Tipp: Tief im Nordosten gibt es am 25., 27.und 29. Dezember wieder „Weihnachten – Das Ballett“ von Ralf Dörnen mit dem BallettVorpommern zu sehen, einen tänzerischen Leckerbissen der Extra-Klasse mit viel Charme und Herzenswärme. Mehr dazu bitte hier – und wer aus dem Stehgreif zwischen den Jahren verreisen möchte, könnte diesen Ballettbesuch mit einem Abstecher auf eine der Inseln Usedom oder Rügen vereinbaren. Ballett gibt es da aber nur online!
Eine Anmerkung zu meiner warmen Empfehlung, fürs nächste Jahr mit einem Kalender ballettmäßig aufzurüsten, sei noch erlaubt: Als Geschenk für solche Menschen, die einem besonders am Herzen liegen, hat ein Kalender den Vorteil, dass er Tag für Tag an die oder den freundlich Schenkende(n) erinnert.
Beschenkt man sich nun aber selbst damit, so hat man die Gewissheit, den eigenen Geschmack perfekt getroffen zu haben.
In diesem Sinne: Nur nicht geizig sein!
Gisela Sonnenburg