Proben für den glücklichen Ernstfall Rückkehr zum Showbiz nach Corona: Das Hamburg Ballett und das Bayerische Staatsballett proben, das Stuttgarter Ballett gönnt den Leuten einen „Theaterparcours“ und das Ballett Dortmund hat schon Termine mit Publikum im Saal!

Comeback nach Corona

Starballerina Lucia Lacarra ist die Königin der Uraufführungspremiere „Fordlandia“ am 19. September 2020 beim Ballett Dortmund. Foto: Ballett Dortmund

Die besten News kommen derzeit aus Dortmund. Für den 1. September 2020 wird dort freudestrahlend und geradezu übermütig im Opernhaus der Abend angekündigt: „Auftakt 2020 – Wir spielen wieder!Glückwunsch! Auch das Ballett soll dann auf der Bühne stehen – in welcher Form, mit wievielen Frauen und Männern, bleibt abzuwarten. Sicher ist Eines, und das ist wirklich sicher, auch im Sinn von Corona: 262 Tickets dürfen pro Vorstellung vergeben werden. Es wird also kein Gedränge im Theater eben. Aber wer zuerst kommt, guckt zuerst – der Vorverkauf für September und Oktober 2020 beginnt heute! Und schon für den 12. September 2020 ist das Gala-Programm „Only Soloists! Internationale Ballettgala XXXI“ angesagt. Auch Stargäste aus dem Ausland sollen dafür kommen und tanzen! Diese beiden Programme laufen übrigens mehrmals. Aber dann, dann geht die Post tief im Westen noch weiter ab: Für den 19. September 2020 ist im Opernhaus Dortmund eine superheiß besetzte Ballett-Uraufführung angesetzt: „Fordlandia“, benannt nach der Geisterstadt in Amazonien, die der Autoindustrie zu verdanken ist und die mit ihren menschenleeren Straßen durchaus den Stadtbildern während des Corona-Lockdown zu vergleichen ist. Keine geringere als eine der bedeutendsten Ballerinen unserer Zeit, Lucia Lacarra, wird in Paartänzen von Anna Hop, Yuri Possokhov und Christopher Wheeldon gemeinsam mit Matthew Golding auf der Bühne stehen! Und leidenschaftlich tanzen… Possokhovs Werk widmet sich übrigens dem Schneesturm als Sinnbild für unsere Gesellschaft, und die Musiken von Frédéric Chopin, Jóhan Jóhanssón und Arvo Pärt, die an diesem Abend zu hören sind, werden die intensiv-dramatische Atmosphäre weiter schüren. So haben die laufenden Proben ein konkretes Ziel, einen fasslichen glücklichen Ernstfall. Wie es wohl werden wird, das zu erleben?

Es wird nicht sein wie früher, aber es wird auf eine eigene Art vielleicht noch schöner sein.

Dortmunds Ballettchef und Chefchoreograf Xin Peng Wang sagt es so:

Es hat uns kalt erwischt. Distanz ist die neue Nähe. Unseren individuellen Bedürfnissen sind Schranken gesetzt, unserem kollektiven Selbstverständnis ist der Bremsweg von 1,5 Metern verordnet. Will man selbst überleben, muss man für die Gesundheit des anderen Vorsorge treffen. Wir haben viel zu bedenken in diesen Tagen und noch mehr zu lernen.

Auf der Grundlage so pragmatischer Gedanken sind dennoch Pläne für künstlerisches Handeln entstanden. Und so endet Wang mit einem vielleicht für Manche überraschenden Satz: „Tanz ist Hoffnung“.

Dortmunds Ballettchef Xin Peng Wang sieht mit Zuversicht in die Zukunft: Es werden neue Programmabende auf der großen Bühne kommen! Foto: Ballett Dortmund

Intimate distance – die Corona-Regelungen wirken ganz deutlich auch irgendwie inspirierend. Die neuen Ballette, die jetzt entstehen, sollen Hoffnung machen, aber auch das Augenmerk auf das Wesentliche, auf die Essenz von Leben richten. Das sind aufrichtige Gefühle, starke Gefühle, das sind innere Haltung und geistige Freiheit.

Auch beim Hamburg Ballett wird zurzeit fleißig geprobt, ebenfalls unter dem Eindruck der Corona-Bedingungen. John Neumeier kreiert dort zu Musik von Franz Schubert ein Distanz-Ballett, das nicht nur den Solisten, sondern der gesamten Company die Gelegenheit zur Rückkehr zum Publikum geben soll: „Ghost Light“ („Geisterlicht“) ist der Titel, den Neumeier für sein aktuelles Stück in Anlehnung an eine amerikanische Theatertradition fand.

Das Geisterlicht bezeichnet einen Ständer mit einer Glühbirne, die man nach der Vorstellung nachts auf der Bühne brennen ließ, ohne dass Künstler dort anwesend waren. Aus Sicherheitsgründen soll so vermieden werden, dass es im Theater zappenduster ist.

In Neumeiers Ballett steht es vielleicht für den Funken Hoffnung, der manchmal alles zusammenhält.

John Neumeier kreiert sein erstes Corona-Ballett „Ghost Light“ für alle Tänzer seiner Company. Videostill von der ARD: Gisela Sonnenburg

In Kleingruppen mit bis zu acht Tänzern arrangiert Neumeier nun seine 60-köpfige Truppe. Die Musik – von Franz Schubert – braucht nur den Pianisten. Aber die sinnenhaften Ideen, die man braucht, um so ein Ballett entstehen zu lassen, sind von vielen Faktoren abhängig. Choreograf Neumeier dazu:

„ ‚Ghost Light‘ ist ein Ensemble-Ballett, das ich in Fragmenten entwickle. Es ist vergleichbar mit einzelnen Instrumentalstimmen einer Sinfonie – oder einem traditionellen japanischen Essen: eine Folge sorgsam arrangierter, hoffentlich ‚köstlicher‘ Miniaturen. Wie die einzelnen Teile sich letztlich zu einem Werk verbinden, wird von dem Moment abhängen, an dem wir uns auf der Bühne wieder nahekommen und anfassen dürfen.“

Comeback nach Corona

Proben im Ballettsaal mit Sicherheitsabständen: John Neumeier (hinten mittig) arbeitet mit seinem Stab vom Hamburg Ballett an „Ghost Light“. Foto: Kiran West

Wann die Uraufführung in Hamburg sein wird, steht noch in den Sternen, aber man darf wohl auf Termine im September hoffen.

Das Stuttgarter Ballett beglückt derweil schon live ein kleines, nein: ein winziges Publikum, allerdings nicht im Opernhaus, sondern in den Gängen des Stuttgarter Schauspielhauses. Musik, Tanz und Schauspiel bilden hier ein Mini-Potpourri unter dem Titel „Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind“. Das ist ein Shakespeare-Zitat aus „Der Sturm“, aber es ist nur die Hälfte des bekannten Zitats. Tiefsinnig lautet es weiter: „und unser kleines Leben ist von einem Schlaf umringt.

Comeback nach Corona

Anna Osadcenko als „Corona-Schwan“, also als „Sterbender Schwan“, im improvisierten Umfeld eines Foyers. Foto: Bernhard Weis

Ob da heutzutage wohl der Corona-Lockdown gemeint sein könnte? Jedenfalls tanzte schon Anna Osadcenko als „Sterbender Schwan“ die Choreo von Mikhail Fokine im Foyer, und das Herrenensemble bot in Kostümen den „Tanz der Ritter“ aus „Romeo und Julia“ von John Cranko an, welchen Ballettintendant Tamas Detrich für die neuen Räumlichkeiten total umformte. Nun ja. Er ist kein Choreograf, das sei dazugesagt. Für Cranko-Puristen mutet so eine Aktion nachgerade wie Frevel an.

Comeback nach Corona

„Corona-Ritter“ vom Stuttgarter Ballett begrüßen das vereinzelte Publikum, backstage im Stuttgarter Schauspielhaus. Der Zusammenhang mit dem Werk „Romeo und Julia“ ist nicht wirklich gegeben. Foto: Bernhard Weis

Weil sowieso nur Einzelne mit drei Begleitpersonen aus demselben Haushalt durch die Revue-artigen Stationen in Stuttgart geführt werden können, sind die Tickets praktisch schon weg, wenn sie angeboten werden. Obwohl die Kaufmöglichkeiten unter dem Ansturm der Willigen ausgelost werden. Es hat also jede und jeder eine superkleine Chance, rein zu kommen. Im Ganzen handelt es sich aber doch eher um eine Ausstellung mit Show-Einlagen als um eine inhaltlich motivierte Vorstellung mit Konzept und Hand und Fuß; solche Kleinkunst mit Opernmitteln ist nicht jedermanns Sache. insofern verpasst man wohl nicht allzu viel, wenn man draußen bleibt.

Das Bayerische Staatsballett powert hingegen für ein weiteres Vorstellungsmodell als Ersatz für große Abende, um möglichst bald Neukreationen, so von dem Wiener Choreografen Andrey Kaydanovskiy, zu zeigen. Sie sollen im Rahmen der „Festen Samstage“ uraufgeführt werden, an denen man das Nationaltheater in München für ein überschaubares Publikum öffnet. Pro Zuschauer wird nur ein Ticket verkauft – ab heute für die kommenden Wochenenden.

Andrey Kaydanovskiy arbeitet an einer Neukreation mit dem Bayerischen Staatsballett, für einen „Festen Samstag“, wie man dort samstägliche Eratzvorstellungen aktuell nennt. Foto: Benjamin Hofer

Live-Streams und Live-Performances im Internet– wie am kommenden Freitagabend mit Polina Semionova und Daniel Barenboim aus der Staatsoper Unter den Linden in Berlin auf staatsoper-berlin.de und wie die „Montagskonzerte“ auf staatsoper.tv – gibt es trotzdem noch zur Genüge, und sie sollten nicht vergessen werden.

Vielleicht ist das die große Chance, die uns Corona gibt: Zu erkennen, dass weniger mehr sein kann, wenn man dem Wenigen ein Mehr an Sinn verleiht.
Gisela Sonnenburg

www.theaterdo.de

www.hamburgballett.de

www.stuttgarter-ballett.de

www.staatsballett.de

 

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