Die blonde Ballerina mit dem halboffenen Haar, die hier die Hauptperson ist, trägt viel Wolle an den schönen Beinen – aber ihre munteren Augen erstrahlen, dass es einen mitten ins Herz trifft. Im Sony Center am Potsdamer Platz ist open air eine metallfarbene Bühne unter blau-orangenem Lichtzauber aufgebaut – und die Tänzerin Bianka Fucsko wirbelt hier über die Tanzfläche, als sei all das Winterwetter um sie herum gar nicht wahr. Ihr Publikum ist fasziniert, gerührt, begeistert – so unerwartet kommt Ballett hier in die Welt, als sei diese stilisierte Kunstform genau für solche Aktionen erfunden worden. Am kommenden Samstag und am Sonntag ist diese Show hier wieder zu sehen, um 18 Uhr, 19 Uhr und am Samstag auch um 20 Uhr. Mutig und inspirierend! Wenige Kilometer weiter und eine knappe Woche später – am 15. Dezember 2018 – wird hingegen Marian Walter, erfolgsverwöhnter Erster Solist beim Staatsballett Berlin, in der vornehmen und gut geheizten Staatsoper Unter den Linden eine hochrangige Auszeichnung entgegen nehmen: Marian wird Berliner Kammertänzer. Herzlichen Glückwunsch!
Walter, der aus Mitteldeutschland, genauer: aus Suhl in der DDR stammt und in den 90ern an der Staatlichen Ballettschule Berlin ausgebildet wurde, wird den nicht dotierten, aber hoch gehandelten Titel „Berliner Kammertänzer“ nach seiner Vorstellung als Solor in „La Bayadère“ (am 15. Dezember) auf der offenen Bühne entgegen nehmen.
Vermutlich wird Marian Walter die tragende Partie als untreuer, aber begehrenswerter Solor wieder mit exzellent leichtfüßigen Sprüngen, mit himmelwärts strebender Sehnsucht und mit markant-lyrischer Sinnlichkeit tanzen. Ein Hochgenuss!
Er ist ein Traumprinz zum Schmachten, er hat jenes jungenhaft-burschikose Flair, das im Ballett so viel wert ist wie drei Pfund Butter in guten Weihnachtskeken.
Als Solor in Vladimir Malakhovs Inszenierung „Die Bajadere“ bot er vor einigen Jahren sogar eines der schönsten Cambrés in der klassischen Choreografie nach Marius Petipa – und auch, wenn Alexei Ratmanskys Inszenierung dagegen wie billig zurecht geschusterte Flickarbeit in überprotziger Vermantelung wirkt: Marian Walter wird, ebenso wie seine Bühnenpartnerinnen Ksenia Ovsyanick und Aurora Dickie, durch seine Tanzkunst das Beste daraus machen, die drei werden die Augen und Herzen der Zuschauer zu erfreuen und zu rühren wissen.
Man war dennoch etwas überrascht, als die Meldung kam, dass Marian Walter nun Kammertänzer wird. Berühmter und renommierter, auch im strengen Sinn ums Ballett in Berlin verdienter als er sind zweifelsohne seine weltweit heiß begehrte Ballerinen-Gattin Iana Salenko und auch Walters langjähriger Kollege Dinu Tamazlacaru, der sich von Berlin aus international einen großen Namen gemacht hat.
Marian Walter hingegen tanzte stets solide die großen Rollen, allerdings ohne derartig rauschhaft mitzureißen wie Tamazlacaru oder auch Mikhail Kaniskin, um einen weiteren grandiosen Berliner Ballerino zu nennen. Wenn Walter tanzt, ist das unvergesslich schön – aber es geht nie so sehr unter die Haut, als wenn einer der beiden anderen zur Hochform aufläuft. Dazu fehlt Marian Walter als Künstler schlicht der Tiefgang, wahrscheinlich auch der Ehrgeiz.
Regelrecht peinlich war denn auch sein Versuch, die Titelrolle von John Crankos „Onegin“ ganz simpel und plakativ zu tanzen, was wirklich plump statt elegant geriet: So etwas darf einem First Class Dancer eigentlich nicht passieren.
In den letzten Jahren hat Marian Walter sich ohnehin nicht besonders weiter entwickelt, wie man uns nun gern weismachen möchte – seine Bestzeit als Ballerino hat er fraglos früh hinter sich gebracht.
Und während seine derzeit schwangere Ehefrau Iana Salenko zeitgleich in Berlin und beim Royal Ballet in London Erste Solistin ist und zudem unzählige Galas vor allem im Ausland umjubelt bestückt hat, ist Marian Walter stets eher zurückhaltend gewesen: zuverlässig gut, doch niemals alle anderen überragend.
Aber es sollte wohl wieder ein gebürtiger Deutscher sein, der diese deutsche Auszeichnung „Kammertänzer“ vom Berliner Senat erhält: Marian Walter ist schon der dritte Deutsche in der kleinen Ahnenreihe der in den letzten Jahren zum Berliner Kammertänzer gekürten Ballettkünstler. Seltsam, wo doch über 98 Prozent der bemerkenswerten Balletttänzer nicht-deutscher Herkunft sind…
Für einen rot-rot-grünen Senat ist das ein sehr merkwürdiges Vorgehen. Und es wirkt nicht gerade weltstädtisch. Der Berliner Staatssekretär für Kultur, Torsten Wöhlert, wird die Ehrung an Walter überreichen. Aber weder Kultursenator Klaus Lederer noch der Regierende Bürgermeister Michael Müller sind für die Festlichkeit angesagt. Sie sind Anhänger von Sasha Waltz und haben von klassischem Ballett eher wenig Ahnung.
Objektiv muss man feststellen: Es hilft wohl, deutscher Abstammung zu sein, um Berliner Kammertänzer zu werden. Wenn man bedenkt, dass nur ein winziger Bruchteil der hochgradig gut tanzenden Ballettkünstler in Deutschland deutsch von Geburt an ist, so ergibt das hier irgendwie eine Schieflage, die gar nicht gut riecht.
Nach Gregor Seyffert (gebürtiger Deutscher) und Vladimir Malakhov (der die österreichischer Staatsbürgerschaft angenommen hat) folgte mit dem gebürtigen Deutschen Michael Banzhaf als „Berliner Kammertänzer“ ein Ballerino, der nie Erster Solist war, dem man aber das Schmankerl, Kammertänzer zu sein, aus Gründen der Sympathie und als Versüßung des Bühnenabschieds von Herzen gönnte. Jetzt folgt mit Marian Walter aber schon wieder ein Deutscher – und man ist damit etwas ratlos.
Natürlich ist Walter ein sehr guter Tänzer, er ist ein fantastischer Prinz, ein passionierter Romeo und ein höchst interessanter Lenski in „Onegin“ – aber wenn er so einen Preis bekommt, dann müssten viele andere ihn auch bekommen. Also bitte: Preise für alle!
Und gerechterweise müssten andere, nicht-deutsche männliche Tänzer, sogar noch vor ihm ausgezeichnet werden.
Aber viele feine Leute, die im Ballett was zu sagen haben, kümmert das nicht: Sie lassen sich gern blenden, und dafür ist Ratmanskys „La Bayadère“ nun wirklich wie gemacht.
Es ist ein wenig traurig, diese Entwicklungen hin zur Oberflächlichkeit zu sehen, denn eigentlich hat das Staatsballett Berlin – diese tapfere, hochkarätige Truppe mit ihrem wirklich sehr guten Ballettmeister-Team – etwas ganz anderes verdient.
Denken wir uns also einen Preis aus, der dem ganzen Ensemble, dem ganzen Staatsballett Berlin, verliehen wird, und der nicht irgendwelchen Protektionen geschuldet ist, sondern schlicht der Tatsache, dass hier eine Balletttruppe unter größten Schwierigkeiten und bei häufigem Richtungswechsel immer noch supergut zu tanzen weiß!
Etwas ganz anderes als das gewohnte Opernhausballett, aber ebenso Schönes ist der gelungene Street Dance, den Bianka Fucsko und Ali Enani für jeweils eine Viertelstunde abends am Potsdamer Platz – und zwar outdoor, trotz der winterlichen Kälte – zu bieten haben.
Gute 15 Minuten dauert das Spektakel, das noch lange nachwirkt; der Eintritt ist frei, lediglich warme Kleidung und ein wenig Stehvermögen sollten mitgebracht werden. Und etwas Neugierde!
Dann erlebt man, wie eine junge Frau die runde Bühne betritt. Ihr Handy bringt keine gute Nachricht – wütend wirft sie es weg.
Dann lauscht sie der Musik – und beginnt zu tanzen.
Stück für Stück verliert sie ihre mollig warme Umhüllung, steigt aus den Filzstiefeln, tanzt in Spitzenschuhen!
Arabesken, Pliés, Ports de bras, Tendus – alles wirkt so poetisch hier im Nebel und Lichtergewirr, und dass bald Weihnachten ist, erhöht die Attraktivität ihrer Darbietung nur noch mehr. Nix da Kitsch, nix da Oberflächlichkeit: Bianka Fucsko, die aus Australien kommt, ungarischer Abstammung ist und auf der Akademie der Princesse Grace de Monaco zur Tänzerin ausgebildet wurde, berührt mit jedem Atemzug, weil sie weiß, was sie macht, wenn sie tanzt.
Romantische Silhouetten zaubert sie aus ihrer Wut – das ist die spirituelle Energie, die Ballett ausmacht, und auf die das Publikum hört.
Wer denkt da noch an bad news aus dem Handy?
Liebeskummer? – War gestern! Das Leben geht weiter, und auch, wenn der Akku immer wieder neu aufgeladen werden muss, so bleiben die Ströme der Lust und der Lebensenergie doch erhalten.
Und da taucht auch schon ein neuer Mann auf…
Er hat einen Besen dabei, kehrt traurig und in sich gekehrt auf der ohnehin blitzblanken, superglatten Metalloberfläche der Bühne (ein Tanzteppich hätte hier entschieden geholfen, der Ballerina auch hohe Sprünge besser zu ermöglichen).
Der junge Mann sieht gut aus! Und nett! Und er kann was! Nämlich Breakdance! Es ist der aus Ägypten kommende Körperkünstler Ali Enani, und als er Bianka sieht, beginnen die Funken zu sprühen…
Hey, hi! How are you? Wie geht’s?
Schnell sind sich die beiden einig: Beide brauchen etwas Trost und Menschlichkeit, und für die folgenden Minuten tanzen sie miteinander, als wären sie Romeo und Julia!
Das Choreografenduo, das aus der Japanerin Yui Kawaguchi und dem Palästinenser Khaled Chaabi besteht, dachte sich feine Paatänze für die beiden „Eistänzer“ aus.
So verschieden sie sind, die klassische Ballerina und der breakdancende Körperkünstler, so sehr vereint sie die Liebe zum Tanz!
Er hat nie gelernt, wie man eine Frau ballettös hebt, aber hier hat er es für die Show gut hinbekommen.
Und synchron beginnen sie einen neuen Lebensabschnitt, mit vorgerecktem Spielbein und in lachender, freundlicher Stimmung, Hand in Hand.
Auf der Bank zu sitzen, geht auch als Team, als Paar: Köstlich ist es, wie sie sich kennenlernen, indem sie originelle Posen und Tanzschritte gemeinsam ausführen.
Guck mal, so bin ich! – Sieh her, ich mach das so!
Die Körper sprechen Bände, und wenn sich die zwei in die Augen schauen, glaubt man schon, die Hochzeitsglocken zu hören.
Aber es ist nur ein Moment, der hier tänzerisch bebildert ist, ein Traummoment: „The magic Moment„, der magische Moment, so heißt das Stück darum auch.
Vielleicht haben sie sich eigentlich nur einmal kurz angeguckt.
Aber in dieser Sekunde lag die explosive Kraft, die Menschen zu Menschen macht und von Tieren unterscheidet!
Die Musikcollage spiegelt das in abwechslungsreichen Klängen. Popmusik, rührige Songs, aber auch Robert Schumanns „Kinderszenen“ sind dabei.
Und glaubt man nicht an die Kindheit, wenn man liebt?
Glaubt man nicht an das Unschuldige, das Unmittelbare, das Unverstellte und Unverbildete?
Noch einmal spielen und tanzen Bianka Fucsko und Ali Enani umeinander, miteinander, umarmen sich, umringen sich – und trennen sich dann.
Es war nur ein Moment, der sie verbinden konnte, aber danach muss jeder wieder seinen Weg gehen.
Der Straßenkehrer und die Ballerina – für uns waren sie ein Paar, ein Dreamteam, und wenn das möglich ist, dann gibt es vielleicht wirklich kleine oder auch größere Weihnachtswunder!
Nur noch am kommenden Wochenende steigt diese Dance Party wieder, am Samstag, dem 8. Dezember 2018 um 18, 19 und 20 Uhr, und am Sonntag, dem 9. Dezember, um 18 und 19 Uhr.
Bitte pünktlich sein! Und gute Laune und den Wollschal mitbringen – dann zeigt die Welttanzstadt Berlin ihr wahres Herz!
Gisela Sonnenburg