Rettet Winnetou! Der Verlag Ravensburger und die ARD üben sich in fröhlicher Selbstzensur – ausgerechnet der rührselige Indianerheld „Winnetou“ ist ihr Opfer. Tanzt den Indianer! 

"Winnetou" - Allgemeinbildung und Kulturgut

„Winnetou und das Halbblut Apanatschi“ – hier dirigiert der Indianer die Weißen. Passt das etwa auch wem nicht? Videostill: YouTube / Originaltrailer

Wo bleibt ein „Winnetou“-Ballett? Eine „Winnetou“-Oper? Eine „Winnetou“-Sinfonie? Nie waren die Chancen so gut, damit Staub aufzuwirbeln und all jenen, die die europäische Kultur zu Gunsten von gewaltverherrlichender, sexistischer US-Kultur zerstören wollen, die Stirn zu bieten. Aber hat irgendwer in der von deutschem Staatsgeld bezahlten Kunstwelt den Mut, das zu tun? Ist es nicht einfacher, wie immer zu schweigen und vor der Obrigkeit zu buckeln, damit das Geld fließt? Die Realität sieht leider so aus, und sie sieht leider auch so aus: Einige  narzistische, beleidigte Posts von anonymen Trollen reichen in Deutschland, um Kulturgut, das bis eben noch zur Allgemeinbildung gehörte, mal eben ins Aus zu schaßen. Die „Winnetou“-Geschichten bzw. diverse Nachahmerprodukte, die allesamt vorgeben, mit den Büchern von Karl May zu tun zu haben, seien doch historisch nicht korrekt, so die Devise. Der Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern käme darin nicht so recht zur Geltung. Und es werde mit Klischees hantiert. Der Ravensburger Verlag roch wohl die Gelegenheit, beim deutschen Staat und bei regierungsnahen Stiftungen Punkte für künftige Fördergelder zu sammeln –  und er zog ganz freiwillig die Bücher, die den neuen (ohnehin bescheuerten) Winnetou-als-Kind-Kinderfilm begleiten, vom Markt. Schwups. Das ging flott.

Und auch in der ARD sitzen solche Menschen, die äußerst karrieregeil sind und dabei über Literaturleichen gehen. Schwups! Vor wenigen Stunden teilte das von Steuergeldern lebenden Medienhaus mit, dass man künftig keine „Winnetou“-Filme mehr zeigen werde, man habe die Lizenzen dafür sowieso schon 2020 auslaufen lassen. Oh!

"Winnetou" - Allgemeinbildung und Kulturgut

Pierre Brice im Trailer zu „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“ von 1966. Keine Herabsetzung indianischer Kultur in Sicht! Videostill: YouTube / Originaltrailer

Winnetou wurde ein Opfer leicht regierungstreuer, aber schwer bildungsarmer Allesfürgeldmacher. Dass der indianische Held Winnetou, den sich der Romancier Karl May nicht ohne Recherchen über Nordamerika ausdachte, für allerbeste Tugenden steht und Gut und Böse in den Bänden  überhaupt nicht nach dem Schwarz-Weiß-Schema verteilt sind, wissen diese intellektuell auf Hassniveau agierenden Seelen vielleicht nicht mal. Ihnen fiel bisher auch nicht auf, dass sie sich wie Nazis im Dritten Reich verhalten. Ich darf laut aktuell geltender Rechtsprechung vor so einem Zustand warnen, was ich hiermit tue.

Was das intolerante Verhalten gegenüber den Winnetou-Fans mit den Nazis zu tun hat?

Man zensiert offenkundig für einen Zuspruch von oben. Man denkt nicht genügend darüber nach. Man verwechselt die Dinge, hier: Toleranz und Intoleranz. Man setzt willkürlich Grenzen. Man glaubt, man könne die unhaltbaren Ansprüche der Einen auf Kosten der Anderen umsetzen. Man glaubt, Zensur oder Quasi-Zensur sei berechtigt.

Charakter? Anstand? Freundschaft? Gar Liebe zu Winnetou, diesem Pionier multikulturell-literarischer Filme? Fehlanzeige.

Die meisten Menschen in Deutschland sind fähig, in „Winnetou“ das Gute zu sehen. Die meisten Menschen kapieren außerdem, dass Belletristik – auch wenn sie dieses Wort nicht kennen – fiktiv ist und nicht dasselbe wie eine wissenschaftliche Behauptung.

Die meisten Menschen in Deutschland haben außerdem genügend Herz und Hirn, um die außerordentlich wertvolle Musik von Martin Böttcher, die die „Winnetou“-Filme schmückt, zu genießen, ohne dabei Negatives über amerikanische Ureinwohner zu denken oder zu empfinden. Warum auch? Im Gegenteil: Man ehrt und bewundert die Indianer mit diesen Filmen.

"Winnetou" - Allgemeinbildung und Kulturgut

Lex Barker im Trailer zu „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“ von 1966. Generationen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen lernten mit Karl May, die Indianer zu lieben. Videostill: YouTube / Originaltrailer

Nicht umsonst reiste der Sioux-Häuptling Big Snake zum Grab von Karl May, um öffentlich seine Hochachtung auszusprechen. Er und seine Leute fühlten sich verstanden!

Auch der Genozid wird in den „Winnetou“-Filmen szenenweise dargestellt. Warum wird das abgestritten? Und schädliche Klischees kann man in den meisten US-amerikanischen Western-Filmen ganz sicher viel eher finden. Warum wird da nichts moniert?

Aber es gibt ja die Hoffnung des so genannten freien Marktes: Noch sind die DVDs mit den guten alten „Winnetou“-Filmen auf dem Markt. Da kann uns die ARD mal kreuzweise.

Ist nur schade für all jene, die jetzt vielleicht keine Möglichkeit mehr haben, „Winnetou“ an Weihnachten oder Ostern einfach mal fast kostenfrei anzusehen.

Man betrügt vielleicht Millionen von Kindern und Jugendlichen in der näheren Zukunft, indem man ihnen die Möglichkeiten nimmt, sich mit einem bedeutenden Stück deutscher Populärkunst vertraut zu machen.

Die Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg zeigen diesen Sommer übrigens „Der Ölprinz“. Man hat dort keine Probleme, Karl May gegen Anwürfe zu verteidigen. Aber die Vorstellungen sind natürlich nicht umsonst zu haben.

Auch im Internet gibt es noch Möglichkeiten, sich „Winnetou“ anzuschauen. Die originalen Bücher von Karl May gibt es zudem auch noch. Noch.

Aber jetzt kommt eine echte Knüller-News: Die vorgebliche Konkurrenz der ARD, das ZDF, hat exakt für den Tag der deutschen Einheit, den 3. Oktober 22, für 11.30 Uhr eine höchst subversive Sendung angekündigt. Dann soll nämlich – und zwar in voller Länge – „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“ laufen. Für alle Fans und solche, die es werden wollen!

Mit dem bildschönen Pierre Brice, dem aufregenden Lex Barker, der damals noch Ursula Glas heißenden Uschi, dem putzigen Ralf Wolter und dem blutjungen Götz George. Regie führte Harald Philipp.

"Winnetou" - Allgemeinbildung und Kulturgut

Götz George spielt auch mit: in „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“. Videostill: YouTube / Originaltrailer

So ist es heute noch angekündigt. Aber falls das ZDF in Sachen Idiotie nicht nachstehen will und sein Programm am Vormittag des 3. Oktober 22 ändert (die Wetten darüber laufen vermutlich schon): Der 1966 entstandene Film ist natürlich auch als DVD im Handel. Ganz unzensiert. Noch.

Es wird wohl niemand deshalb demonstrieren.

Können wir wenigstens bald einen ergreifenden Pas de trois, bestehend aus Winnetou, Old Shatterhand und Ribanna, sehen?!

Fragen wir den, der mit dem Wolf tanzte, und vielleicht kann er uns auch sagen, wieso sein durchaus gelungener Film trotz heftiger Klischees nicht diskutiert wird. Ob das mit der US-Filmindustrie zu tun hat? Wer weiß…
Gisela Sonnenburg

https://www.youtube.com/watch?v=mCzmve4jrW4

 P.S. Die Bezeichnung „Halbblut“ ist übrigens nicht diskriminierend, höchstens altertümlich. Außerdem heißt ein US-amerikanischer Film von 1992 so – und wurde nie dafür beanstandet. Auch in Europa nicht. 

 

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