Die neue Saison startet tief im Westen mit einem lustvollen Schrei: Das Ballett Dortmund präsentiert am Wochenende des 10. und 11. September 22 die Jubiläumsausgabe seiner Galareihe, nämlich die 35. Gala, also die Internationale Ballettgala XXXV – und die Liste der Gäste, die dann auftanzen werden, bringt Ballettherzen zum Jubeln.
Sie reicht von Alina Cojocaru aus London bis zu Skylar Brandt und Herman Cornejo aus New York, von Evan McKie aus Toronto bis zu Filipa de Castro und Carlos Pinillos aus Lissabon, von Juliette Hilaire und Caroline Osmont aus Paris bis zu Osiel Gouneo aus München, von Iratxe Ansa und Igor Bacovich aus Madrid bis zu den beiden freiberuflichen Paaren, die aus Maria Kochetkova mit Sebastian Kloborg und aus Lucia Lacarra mit Matthew Golding bestehen.
Zudem tanzt das hervorragende Ballett Dortmund Ausschnitte aus genialen Tanzstücken von Xin Peng Wang, seinem Ballettdirektor, und das NRW Juniorballett zeigt eine Uraufführung. Tänzerische Preziosen aus Wangs „Faust I“,„Faust II“ und „Tschaikowsky“ im Verein mit Glanzstücken aus aller Welt sollten niemanden kalt lassen. Stars und Sternchen bieten hier jede Menge Brillanz und Grandezza: Dieses pralle Programm ist wirklich jede Anreise wert!
Aber auch tief im Osten wird wieder gewalzert, gelächelt, gelitten: Schon eine Woche vorher, nämlich ab Sonntag, dem 4. September 22, brilliert das Staatsballett Berlin mit seiner unsterblich romantischen „Giselle“ in der klassisch-authentischen Version von Patrice Bart. Berühmt ist da bereits das Dreamteam Iana Salenko mit Dinu Tamazlacaru. Am 18. September 22 in der Nachmittagsvorstellung gibt zudem der neue Primo David Soares sein Debüt als Albrecht, an der Seite der eleganten Ksenia Ovsyanick.
Einstudiert und aufgefrischt wurde das Stück unter der Leitung von Raffaela Rienzi, die früher selbst an der Deutschen Oper Berlin(DOB) tanzte und sogar den Titel der Kammertänzerin erhielt. Patrice Bart, der bisher stets selbst anreiste, um die Berliner Wiederaufnahmen zu betreuen, vertraut ihr, also vertrauen auch wir ihr. Wer mehr von und über Raffaelaerfahren möchte, komme am Montag, dem 29.08.22, in das Foyer de la Danse in der DOB, wo sie im Rahmen eines Künstlergesprächs Bericht erstattet.
In München beim Bayerischen Staatsballett geht es dann am Samstag, den 17. September 22, ziemlich laut und heftig mit der neuen Spielzeit los: „Herzkammern“ nennt sich das Programm mit Stücken von Sharon Eyal und Philippe Kratz, und Poesie oder gar Esprit sollte man da besser nicht erwarten. Die bittere Realität im Ballett ist nun mal, dass sich Techno-Stücke und der oft verdorbene Sponsoren-Geschmack auch mal durchsetzen. In diesem Fall präsentiert sogar ein Sponsor die Vorstellung. Der neue Münchner Ballettdirektor Laurent Hilaire hätte keinen faderen Neubeginn einer Saison wählen können. Er wirkt bis jetzt nicht so, als habe er gute eigene Ideen.
Bittere Realität ist auch die aktuell auffallend superschlecht gemachte Homepage der Bayerischen Staatsoper und des Bayerischen Staatsballetts – man ist nicht zu beneiden, wenn man sich da durchlesen muss.
Ganz anders verhält es sich im hohen Norden. Die Homepage enthält deutlich lesbar die wichtigsten Infos. Und: Poesie, Weltflucht und Spirit bietet das Hamburg Ballett von John Neumeier, wenn es ab Sonntag, dem 18. September 22, die „Dritte Sinfonie von Gustav Mahler“ tanzt: ein anrührendes Meisterwerk, das den sinfonischen Tanz seit seiner Uraufführung 1975 maßgeblich geprägt hat. Die schon fast ausverkaufte Vorstellung ist der Auftakt für die Abschiedssaison von John Neumeier, der nach dann 50 Jahren im kommenden Sommer sein Dasein als Ballettboss an der Alster beenden wird. Wer sein Nachfolger wird, ob Christopher Wheeldon, Lloyd Riggins oder eine andere Persönlichkeit, ist noch nicht bekannt gegeben.
Tänzerische Qualität zeigt auch zuverlässig das Stuttgarter Ballett, das seine neue Saison in Stuttgart am 26. September 22 mit drei mehr oder weniger witzigen Stücken von Johan Inger beginnt. Es tanzt dasselbe Programm übrigens bereits ab Samstag, dem 24. September 22, bei seinem Gastspiel in Berlin: „Pure Bliss“ vereint Ingers Ballettsatire auf „Dornröschen“ mit zwei älteren, vor allem auf Ästhetik und Hintergründigkeit abzielenden Werken. Da nun John Cranko in diesem Monat seinen 95. Geburtstag hätte feiern können, wenn er nicht 1973 viel zu früh verstorben wäre, hätte man gern was vom Gründer der Truppe in Berlin gesehen – aber offenbar liegt John Inger unwiderstehlich im Trend.
Am selben Samstag, dem 24. September 22, öffnet auch das Semperoper Ballett in Dresden seine Tore der Saison, und zwar ebenfalls mit einem Stück von Johan Inger. Sein „Peer Gynt“ strotzt nur so vor Spielfreude und Originalität.
Und aus Dresden kommt auch die heißeste News aus einem Direktorenbüro: Ballettchef Aaron S. Watkin wechselt im Sommer 2023 nach dann siebzehn Jahren in Sachsen nach London, wird dort neuer Künstlerischer Leiter vom English National Ballet. Watkin hat wunderbare Neuversionen von ballettösen Klassikern erstellt, allen voran sein für Dresden und seinen Striezelmarkt maßgeschneiderten „Nussknacker“. Er hat David Dawson und William Forsythe nach Dresden geholt und ein sicheres Gespür für tänzerische Talente bewiesen.
Wer auf seinem frei werdenden Thron in der Semperoper Platz nehmen wird, steht noch nicht fest. Anhänger:innen des guten Geschmacks und feinen Benehmens hoffen, dass Intendant Peter Theiler, der selbst zusammen mit Chefdirigent Christian Thielemann 2024 in Dresden ausscheiden wird, jemanden unter Vertrag nimmt, die oder der Knowhow, Charakter und Qualitätsbewusstsein mit Warmherzigkeit verbindet.
Gisela Sonnenburg
www.bayerisches-staatsballett.de