Der 20. März 2018 gehörte ganz dem Nördlichen Breitmaulnashorn. Es war der Tag, an dem das letzte männliche Exemplar der Spezies verstarb. Sudan, 45 Jahre alt und aus einem tschechischen Zoo stammend, wurde in Kenia als vermeintliches Wildtier gehalten, streng bewacht. Von bewaffneten Sicherheitsleuten. Nicht nur wegen der Wilderer, die die Leben von Sudans Artgenossen ausgelöscht haben. Sondern auch, um Sudans Ableben nicht zu verpassen. Jetzt war der Zeitpunkt günstig, die Nachricht seines Todes mit enormem Aufwand bekannt zu machen. Man schläferte den altersschwachen Bullen ein, bald gingen die Bilder um die Welt. Facebook, Twitter, alle News brachten es. Mit Ballettchefs in Deutschland, so hat man den Eindruck, geht es mitunter ebenso. Man schläfert sie zwar nicht faktisch ein, aber man sucht Nachfolger, die ihnen nicht wirklich das Wasser reichen können. Die jüngste Hiobsbotschaft dieser Sorte: Bridget Breiner, derzeit Ballettdirektorin in Gelsenkirchen, soll tatsächlich auf Birgit Keil in Karlsruhe folgen.
Mit Beginn der Spielzeit 2019/2020 ist es soweit: Breiners choreografische Werke, die aussehen, als habe man die Stile von William Forsythe, John Cranko und John Neumeier mehr schlecht als recht kopiert und abgemischt, sollen statt im „Musiktheater im Revier“ in Gelsenkirchen beim Badischen Staatsballett in Karlsruhe reüssieren. Zweifelsohne für sie ein Aufstieg, wenn nicht sogar eine Adelung.
Die Aufbauarbeit, die Birgit Keil in Karlsruhe über fünfzehn Spielzeiten lang geleistet hat, geht dann allerdings vor die Hunde – es triumphiert choreografischer Provinzialismus.
Weil Breiner aber eine gute Mikrofonstimme und ein aalglattes Gesicht hat, sich also multimedial prima vermarkten lässt und darüberhinaus zu brenzligen Themen wie sozialer Ungerechtigkeit und Überbevölkerung, Gentechnik und Naturschutz niemals auch nur ein Wort sagen würde, schon gar keines, das diese Gesellschaft ins Mark treffen und ihr weh tun könnte, ist damit zu rechnen, dass diese Weichspülerin harter Argumente noch eine große Karriere hier zu Lande vor sich hat.
Für zwei ihrer eher kitschigen als berührenden Kreationen erhielt die gebürtige Amerikanerin Bridget Breiner, die wie die dreißig Jahre ältere Keil einst beim Stuttgarter Ballett tanzte, den „Faust“, den jährlich ausgelobten Theaterpreis vom Deutschen Bühnenverein. Letzterer ist keine Publikumsvereinigung noch ein Förderverein – sondern einfach nur der Verband theatraler Arbeitgeber in Deutschland. Mit Riesentamtam macht er sich seit 2006 durch die Preisvergaben an Künstler wichtig. Manchmal sind sogar glückliche Treffer darunter, was ich bei Breiners blutleeren, halbherzig auf modern getrimmten Ästhetizismen aber nicht gerade behaupten kann.
Breiner bediente mit preisgekrönter Mühe und viel bravem Mittelmaß schon lukrativerweise die Lobby der deutschen Wirtschaftskünstler: Sie schuf ein vom Thema her Aufsehen erregendes Tanzstück über die im KZ Auschwitz ermordete jüdische, künstlerisch allerdings schwer banale Malerin Charlotte Salomon. Deren Bilder wurden von Geldmachern im Kunstbetrieb zwecks Spekulationswertschöpfung aus der Versenkung geholt.
Nun geht das Fundraising los. Für das bald von innen heraus modernisierte Badische Staatsballett ebenso wie für neue Nashörner. Neun Millionen Dollar soll es kosten, mit modernster Technik aus Sudans DNA-Material eine ganze Herde zu rekreieren. Seine gehörnte Partnerin und seine Tochter leben ja noch. Künstliche Befruchtungen sollen einen Menschheitsalptraum wahrmachen. Und die Gentechnik lebt. Wilderei ist da egal, der Umweltschutz ebenfalls. Eine Nashornherde aus der Retorte ist genau, was uns noch fehlt.
Der Dramatiker Eugène Ionesco (1909 – 1994) ahnte das. Er schrieb 1957 seine Erzählung „Die Nashörner“, 1959 das Theaterstück. Ein Welterfolg. Uraufgeführt in Düsseldorf. Worum es geht? Darum, dass sich die Menschen langsam, aber sicher in Nashörner verwandeln. In schreckliche, monströse, grobschlächtige Biester, die alles, was ihnen im Wege steht, zertrampeln. Nachbars Katze ebenso wie die Liebe zur Wahrheit.
Bridget Breiner wird im Laufe ihrer Amtszeit vermutlich auch ein paar Millionen an Steuergeldern kosten. Ob sie damit wohl ein Ballett über geklonte Nashörner machen wird? Oder hat sie das sogar schon längst – und wir haben im Eifer des Gefechts übersehen, dass Nashörner auch ballettös anmuten können?
Bei Ionesco ist es jedenfalls so: Die Hauptperson allein bleibt übrig, bekennt sich zum Menschsein. Ein einsames Dasein – alle anderen verwandeln sich nämlich ganz gern. Es schnauft und stampft sich so schön als Nashorn. Rhinozerosse gehören ja zu den ältesten lebenden Säugetieren. Früher gab es sie sogar wild in Europa, bis sie wegstarben. Wegen der Veränderungen der Natur.
Für die heutigen Veränderungen der Landschaften ist der Mensch verantwortlich. Aber bezahlen will er nicht dafür. Lieber verdient er noch was dran, mit Safari Parks wie dem „Dvur Kralova Zoo“. Dort kam Sudan her, man ist auf afrikanische Huftiere spezialisiert. Jetzt scharrt man mit den Hufen, um eine Tierherde im Labor zu züchten.
Gegen die Wilderer und die Umweltschäden in Afrika wird nix weiter unternommen. Damit ließe sich nicht so gut Geld verdienen wie mit künstlich erzeugten Nashörnern. Jurassic Parc à la Rhinozeros. Ionesco würde lachen. Vorschlag zur Güte: Die Wissenschaftler erfinden was, das dilettierende Ballettdirektoren in Nashörner verwandelt. Oder haben sie das schon?
Gisela Sonnenburg
P.S. Medientheoretische Ergänzung: Dieses ist eine journalistische Mischform aus Kommentar und Glosse, wobei bewusst zwei Themen und auch zwei Formen vermengt werden. Die Fakten darin sind wahr, die Kommentierung ist sarkastisch und durchaus humoristisch gemeint.