Bei den Heldinnen und Helden zu Besuch Eröffnungsfest und neuer Tanzboden: Das Staatsballett Berlin lädt am Sonntag in die Deutsche Oper. Bühnen- und Ballettsaalproben, Workshops, Kostümbeschauen. Ihr Verständnis hilft auch, die Streiks zu verstehen - und die Tänzer in ihrem Kampf zu unterstützen

Das Eröffnungsfest vereint Künstler und Publikum.

Die Deutsche Oper Berlin lädt ein: zu Probenbesuchen, Workshops, Kostümanschauungen… ab 13.30 Uhr (Ballett ab 14.15 Uhr) bis 21 Uhr. Foto: ein Blick auf die aktuelle Homepage Staatsballett Berlin

Sie tanzen. Manchmal streiken sie, dann tanzen sie wieder – und das mit so großer Ausdruckskraft und einem so starken Willen zur Perfektion, dass zweifelsohne ein Weltklasseformat erreicht ist. Denn die auch international hoch verehrten Ballerinen und Ballerini vom Staatsballett Berlin wissen, wie sie uns bezaubern: als Prinzessinen und Feen, als Prinzen und Kavaliere, als monsterhafte Zwischenwesen wie als gottgleiche Heroen. Oder auch schlicht als Menschen wie du und ich. Sie spenden uns wahrhaftige Emotionen und stilsichere Posen, sie erzählen mit ihren trainierten Körpern von Kämpfen und Niederlagen, vom Glück und der ewigen Sehnsucht danach. Sie ringen uns aber auch viel Respekt für ihren Arbeitskampf ab, der unerlässlich ist, um die Situation von Bühnentänzern nachhaltig zu verbessern. Um die Künstler noch besser zu verstehen, um ihnen bei ihrer Arbeit näher zu sein und natürlich auch, um die eigene Neugierde spaßhaft zu befriedigen, können wir ihnen jetzt mal so richtig auf die Pelle rücken: beim „Eröffnungsfest“, das die Deutsche Oper Berlin zum Spielzeitauftakt am Sonntag – von mittags bis abends – bei freiem Eintritt veranstaltet.

Das Eröffnungsfest vereint Künstler und Publikum.

Der „Blaue Vogel“ und seine Prinzessin, ebenfalls mit Blau geschmückt, sind eines der vielen Highlights in Nacho Duatos „Dornröschen“ beim Staatsballett Berlin – geprobt werden muss für jede Vorstellung neu, das ist so im professionellen Bühnentanz. Foto: Yan Revazov

Da gibt es eine Bühnenprobe für Nacho Duatos Stück „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ zu sehen (14.15 Uhr – 15 Uhr). Da gibt es Proben in den Ballettsälen, ebenfalls für die Aufführungen der „Vielfältigkeit“ sowie für „Dornröschen“, das ebenfalls von Nacho Duato neu choreografiert wurde. Um 15 Uhr, um 15.45 Uhr, um 16.30 Uhr und um 17.15 Uhr beginnen diese öffentlichen Studio-Proben, für jeweils eine halbe Stunde sind sie angesetzt. Die Teilnahme ist begrenzt, die Platzwahl ist frei – wer zuerst kommt, sieht besser!

Proben haben im Ballett einen besonderen Nimbus. Denn für jede Aufführung muss geprobt werden, denn die Koordination, die Kondition und Körperbefindlichkeit spielen eine große Rolle. Das ist ganz anders als etwa im Sprechtheater!

Das Eröffnungsfest vereint Künstler und Publikum.

Die schönen Ballettsäle im Ballettzentrum in der Deutschen Oper Berlin locken herbei… Foto: Marc Volk

Ballettproben sind zudem nicht einfach nur „reduzierte“ Vorführungen, sondern zeigen jene osmotischen Austauschvorgänge, mit denen Tänzerinnen und Tänzer ihre Arbeit verinnerlichen. Dabei helfen ihnen – mit gebotener Strenge, aber auch Zärtlichkeit – die Ballettmeisterinnen und Ballettmeister, die sich sonst nur selten so tief ins Nähkästchen schauen lassen. Wer Ballett verstehen will, sollte sich darum unbedingt in eine Probe trauen – um möglichst viel vom fortschrittlichen Flair der theatralen Körperarbeit einzuatmen.

Dabei ist aktuell auch auf den Tanzboden der Säle zu achten, denn der ist in Berlin der Gegenstand einer geradezu symbolhaften Verbesserung. Als das Ballettzentrum in der Deutschen Oper Berlin 2011 eingeweiht wurde, dachte man, die schwingenden Tanzböden der Firma Harlequin – die weltweit Marktführer ist und sich selbst auf ihrer Homepage in siebzehn Sprachen (!) für angebliche Qualität rückhaltlos beweihräuchert – seien optimal. Dann stellte sich aber heraus, dass die wenigen Zentimeter Hohlraum unter der Holzoberfläche nicht ausreichten, um gesundheitsfördernde Schwingungen zu erzeugen.

Das Eröffnungsfest vereint Künstler und Publikum.

Weltweit ist der Konzern Harlequin mit seinen „dance floors“ Marktführer – aber in Berlin sind die Schwingböden zunächst nicht so toll gewesen. Die neue Berliner Niederlassung des Unternehmens gibt es ja auch erst seit 2013. Da heißt es offensichtlich: Üben, üben, üben! Foto: ein Blick auf die Homepage von Harlequin, wo sich der Berliner Vertriebsleiter, Dirk Rüter, vorstellt.

Die Tänzer bekamen Rücken- und Gelenkschmerzen: Besonders bei Landungen nach großen und kleinen Sprüngen wurden die schönen Körper unbotmäßig erschüttert.

Statt still vor sich hin zu leiden, wie es seit Jahrhunderten im Ballett die schlechteste aller Traditionen ist, verlangte das Staatsballett Berlin eine Verbesserung. Und siehe da: In den Sommerferien wurde der erste, der größte der drei betroffenen Ballettsäle diesbezüglich saniert. Der neue Schwingboden liegt sichtlich höher, hat also deutlich mehr Hohlraum unter den Füßen zum Abfedern zu bieten. Der Untergrund kann nun sanft und tief genug federn – es ist nämlich normal, dass, wenn das ganze Ensemble springt, der Boden sich fast wie ein Trampolin verhält. So biegsam muss das Holz sein, so groß der Hohlraum. Hoffen wir, dass der erneuerte Tanzgrund jetzt den gesundheitlichen Anforderungen genügt!

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Tanzböden müssen schwingen – viel und heftig! Dann ist es gut für die Wirbelsäule und für andere Körperteile. Das Staatsballett Berlin hat neue Böden durchgesetzt! Foto: Marc Volk

Die beiden anderen Ballettsaalböden werden übrigens im September ausgetauscht, während sich das Staatsballett Berlin auf Gastspielreise in Madrid, der Heimat seines Intendanten Nacho Duato, befinden wird. Dort tanzen „unsere“ Tänzer Duatos jüngste Kreation: die ergreifende „Static Time“, die speziell für die Berliner Truppe und auch in gewisser Hinsicht für die Stadt Berlin entstand. Außerdem zeigen sie Duatos tiefsinnige „White Darkness“, die sich mit Drogenproblemen auseinander setzt. Marco Goeckes gestenreiche Unterdrückten-Arie „And the Sky on that cloudy old Day“, die die Malaisen der modernen Arbeitswelt abstrahiert vorführt, steht ebenfalls auf dem Gastspielzettel. Das Profil vom Staatsballett Berlin, das einerseits eine klassische, andererseits eine moderne Compagnie ist, zeigt sich so den Spaniern von seiner aktuellen modernen Seite. Wir wünschen viel Erfolg und Tänzern wie Publikum viele innige Momente!

Das Publikum in Berlin kann hingegen am Sonntag noch weiter hinter den Kulissen schnuppern. Da gibt es Tanzworkshops im „Unteren Ballettsaal“, die speziell für Familien (mit Kindern ab 4 Jahre) erdacht sind: um 15 Uhr, 16 Uhr und 17 Uhr beginnen sie und dauern jeweils 45 Minuten. Anfänger und Fortgeschrittene in der durchaus auch ehrenwerten Laiensparte Tanz / Ballett dürfen also bitte vortreten! Die Anmeldung erfolgt ausschließlich direkt vor Ort, man sollte also bitte pünktlich sein.

Das Eröffnungsfest vereint Künstler und Publikum.

Tutus haben für junge und ältere Menschen einen ganz besonderen Reiz – hier ein Exemplar mit historischer Anmutung. Foto: anonymous

Das besondere Kleidungsstück des Balletts ist das Tutu, jener oft prächtig bestickte Tüllrock, den es als Teller-Tutu mit abstehenden, kniekurzen Lagen gibt oder auch als romantischen Flatterrock, der traditionell waden- oder knöchellang ist. Eine Ausstellung hierzu gib es im Foyer de la danse zu sehen, von 15 bis17 Uhr – man kann dort auch mal anfassen, fühlen, Fragen stellen.

Für Kinder ist Ballettunterricht bekanntlich die beste Investition in ihre körperliche Zukunft! Darum sind die Vorführungen „Kinder tanzen“ des Projekts „Tanz ist KLASSE!“ besonders sehenswert – um 16 und um 18 Uhr in der Tischlerei, für jeweils 45 Minuten.

Da auch der Opernbetrieb sich beim „Eröffnungsfest“ vorstellt, kann man sogar mal in ein mehr oder weniger geräumiges Opernsängerkostüm hineinschlüpfen, man kann mit dem Chor der Deutschen Oper auf der Bühne stehen und mitsingen (!), man kann sich Orchesterinstrumente erklären lassen oder Filmvorführungen genießen.

Das Eröffnungsfest vereint Künstler und Publikum.

Im Bühnenlicht wirkt jedes Tutu anders – je nachdem, wie es angestrahlt wrid. Foto: anonymous

Die Bühnenmaschinerie zeigt zudem auch mal pur und ganz ohne künstlerischen Rahmen, was sie so alles kann, da gibt es viel zum Staunen – auch das ist Tänzeralltag, mit solchen technischen Errungenschaften zu tun zu haben.

Für Zerstreuung und Einstimmung ins Thema „Oper und Ballett“ ist also reichlich gesorgt.

Man sollte aber besonders den Kontext bedenken: Es gibt derzeit keine Ballettcompagnie weltweit, die einerseits auf so hohem Niveau arbeitet und andererseits zugleich so stark für eine Verbessung der Arbeitsbedingungen für Profitänzer kämpft: Beides zeichnet das Staatsballett Berlin vor allen anderen aus. Sein Intendant Nacho Duato stellte sich jüngst in einem Interview ganz hinter seine Tänzer, bezeichnete deren Arbeitskampf mit den Streik-Einlagen als berechtigt und machte ihnen Mut, weiter zu kämpfen.

Duato stellte sich auch ausdrücklich hinter ver.di, also jene Gewerkschaft, die dem Staatsballett Berlin mustergültig eine für Ballett zudem nachgerade völlig neuartige Interessensvertretung gewährleistet. Übrigens kann auch er ver.di-Mitglied werden, wenn er es möchte: Die Großgewerkschaft hat schon einige Intendanten und Direktoren zu ganz normalen Gewerkschaftsmitgliedern gemacht.

Für die nahe Zukunft gilt: Ein anderes Mittel als den Streik kennt eine Demokratie leider nicht, um arbeitsrechtlich ausreichend Druck zu machen. Darum wird das Publikum in Berlin auch künftig die Tänzerinnen und Tänzer gelegentlich statt durch Applaus mit Akzeptanz ihres Streiks unterstützen müssen. Dass alle darunter leiden, nicht nur die Zuschauer, ist bekannt – aber Leiden gehört zum Kämpfen dazu. Wer wüsste das besser als das Ballettpublikum!

Das Eröffnungsfest vereint Künstler und Publikum.

Das Tutu an sich hat Poesie und Wandelbarkeit – angezogen, betont es die Reize der Tänzerin. Das gilt auch für Ballerinen, die ihre Arbeitsrechte dank ver.di wahrnehmen können! Foto: anonymous

Georg Vierthaler, der Geschäftsführer des Berliner Staatsballetts, der die Streiks durch seine absurd-groteske Antihaltung zu ver.di hervorgerufen hat, muss von daher auch künftig mit Gegenwind rechnen. Sympathie und Fairness sind nämlich ein Bündnis gegen ihn und gegen seine absolut unverständlichen Machenschaften gegen ver.di eingegangen. Der Trend zum „Union Bashing“, zum Gewerkschaftsmobbing, der möglicherweise von einem logenähnlichen Wirtschaftsverband ausgeht, ist jedenfalls nicht lustig und muss, ob beim Staatsballett Berlin oder in anderen Arbeitsbereichen, unverzüglich gestoppt werden.

So wird es Zeit, dass sich die Bundespolitik des Themas annimmt – der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, hat ja leider bislang auf voller Linie versagt. Um sich mit Ballett vertraut zu machen, ist das Eröffnungsfest eine gute Gelegenheit – auch für politisch Interessierte und für Politiker!
Gisela Sonnenburg

P.S. Am Donnerstag kam von ver.di die Meldung, dass Georg Vierthaler die Tänzer zu einem Meeting am 11. September einlädt, um ihnen Verträge mit zwei kleinen Gewerkschaften anzubieten. Diese kleinen Gewerkschaften haben nicht die Möglichkeit, etwa längere Streiks zu finanzieren. Sie gelten zudem als vor allem zahm – und haben darum im Staatsballett Berlin keine nennenswerten Mitglieder. Zu etwa 90 Prozent sind die Tänzerinnen und Tänzer hingegen Mitglieder bei ver.di. Andreas Köhn, ver.di-Landesfachbereichsleiter Medien, Kunst und Industrie in Berlin-Brandenburg, ist über die Ignoranz der freien Gewerkschaftswahl durch Georg Vierthaler empört: „Dass den ver.di-Mitgliedern im Staatsballett jetzt quasi nahegelegt wird, die Gewerkschaft zu wechseln, um einen angemessenen Tarifvertrag zu erhalten, ist ein schwerwiegender Eingriff, den ver.di nicht hinnehmen wird.“ Köhn fordert Vierthaler explizit auf, mit ver.di für die Tänzer zu verhandeln. Man könnte es derweil verstehen, wenn die Künstler einfach das Büro dieses Geschäftsführers besetzen und so klar machen, dass sie sich nicht ihre grundlegenden Arbeitsrechte nehmen lassen wollen.

Eröffnungsfest: Deutsche Oper Berlin, Sonntag, 30. August, 13.30 Uhr bis 21 Uhr

www.staatsballett-berlin.de

Anmerkung:

Marian Walter und Marina Kanno vom Staatsballett Berlin tanzen am 30. August nicht in Berlin, sondern auf der Gala „balletto & friends“ im Theater in Münster. Mehr dazu hier:

 www.theater-muenster.com

 

 

 

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