Der schöne Tod als Sozialkritik Iana Salenko und Marian Walter in „Die Bajadere“ beim Staatsballett Berlin – die Politik beschäftigt sich derweil verstärkt mit dem zeitweisen Streik der Tänzerschaft

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Ein glückliches Paar beim Schlussapplaus: „Die Bajadere“ mit dem Superpaar Iana Salenko und Marian Walter am 26. Juni 2015 in der Deutschen Oper Berlin – ein Vergnügen! Foto vom Curtain Call: Gisela Sonnenburg

Wenn die Titelheldin eines Balletts stirbt, dann ist das weder banal noch bedeutet es zwangsläufig das Ende des Stücks. Im Gegenteil: „Die Bajadere“ namens Nikia markiert mit ihrem schönen Bühnentod den ersten Höhepunkt des gleichnamigen Ballettabends von Vladimir Malakhov. Die gebürtige Ukrainerin Iana Salenko, die diese Rolle gestern an der Seite ihres aus Thüringen stammenden Ehemanns Marian Walter beim Berliner Staatsballett tanzte, verleiht dem Pendeln der verliebten Tempeltänzerin zwischen Diesseits und Jenseits eine nur von ihr erreichte Mischung aus mädchenhafter Sinnlichkeit und temperamentvoller Eleganz.

Nikia, die Bajadere, als Ausbund der Leidenschaft. Da erklärt sie sich und ihren Konflikt in einem vornehmen Solo vor dem Tempel, der ihr Zuhause und gleichermaßen ihr Arbeitsplatz ist: Sie dient voll Inbrunst ihren Idealen, hat sich aber in einen Mann verliebt, der nicht für sie bestimmt erscheint. Solor, der berühmte Krieger, ist der Prinz ihres Herzens – und hat auch schon ein heimliches Stelldichein mit ihr.

Vladimir Malakhovs "Die Bajadere" Nikia - hier getanzt von Shoko Nakamura - teilt sich beim Staatsballett Berlin wortlos beredt in feingliedrigen Posen mit... Foto: Enrico Nawrath

Vladimir Malakhovs „Die Bajadere“ Nikia – hier getanzt von Shoko Nakamura – teilt sich beim Staatsballett Berlin wortlos beredt in feingliedrigen Posen mit… Foto: Enrico Nawrath

Marian Walter lässt keinen Zweifel daran, dass er ein selbstbewusster Mann als Solor ist. Ein Günstling der Götter, in dessen großen Sprüngen sich alle Schönheit der Welt zu vereinigen scheint! Leichthin segelt er durch die Luft, und seine Pirouetten – zumal die à la seconde – sind wirklich nicht zu toppen. Walter ist definitiv oberste Weltklasse!

Die Selbstbeherrschung, die das Ballett zu so einer zivilisiert-menschlichen Kunst macht, zeigt Marian Walter exemplarisch – und auch den Zauber, den es umgibt und der von ihm ausgeht. In der Rollengestaltung ist sein Solor weniger melancholisch als vielmehr tatendurstig, fast möchte man sagen: revolutionär gestimmt. Für ihn ist die Liebe zur Bajadere, der Tempeltänzerin, ein Abenteuer mit offenem Ausgang.

Ihr erster Pas de deux ist denn auch voll intensiver Austauschmomente. Wer bist du, was kann ich dir geben, was gibst du mir – so scheint die Choreografie die Liebenden sich befragen zu lassen. Da ihre Beziehung illegal ist und Nikia als priesterinnenähnlicher Tempeldienerin eine weltliche Verbindung gar nicht erlaubt ist, prickelt hier die Lust an der verbotenen Frucht.

Natürlich hat Nikia für diesen Paartanz ihren Wasserkrug, den sie höchst raffiniert auf ihren Schultern trug, abgesetzt und keines weiteren Blickes gewürdigt… Wer denkt schon an so banale Dinge wie Wasserversorgung, wenn es solchen Liebesnektar gibt!

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Michael Banzhaf beim Applaus nach „Die Bajadere“ – ein glaubwürdiger Großbrahmane, der einerseits skrupellos ist, andererseits Mitleid erregend… das muss man erstmal hinkriegen! Foto vom Curtain Call aus der Deutschen Oper Berlin: Gisela Sonnenburg

Das denkt sich allerdings auch der Großbrahmane, generös und mit starker Präsenz von Michael Banzhaf dargestellt. Er, der als oberster Priester sozusagen der Chef der Bajadere ist, offenbart Nikia seine Liebe und bietet ihr sogar seine Krone an, also einen Platz in allen Ehren an seiner Seite im Tempel. Sie lehnt aber brüsk ab, ist erschrocken von seinem Ansinnen – sie ist keinesfalls bereit, für die Karriere ihre Würde als Frau zu vergessen. Und es erinnert durchaus an sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, wenn Banzhaf der Salenko dann in der traditionellen Petipa-Choreografie gestisch auf die Pelle rückt.

Sie kann sich aber vor ihm schützen. Und ihr Herz hat, nun ja, bereits der edle Krieger Solon.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Iana Salenko, die zarte „Bajadere“, hier beim Schlussapplaus mit den von Vladimir Malakhov überreichten Blumen (nicht etwa mit dem Blumenkorb von Nikia!). Foto: Gisela Sonnenburg

Diese Liebesangelegenheit bespricht der enttäuschte Großbrahmane mit dem Radscha, den Tomas Karlborg mit der gehörigen gebieterischen Geste eines echten Paschas spielt.

Der Radscha heißt hier mit vollem Namen Dugmanta, Radscha von Golconda – ist eine nahezu historische Gestalt. Denn tatsächlich ist Golconda, das als Festungs- und Ruinenstadt noch immer in Indien existiert, eine bekannte Sehenswürdigkeit.

Mit einer kriegssicheren Ausstattung – Kanonen, Zugbrücken, vier Festungen – und einer Vielzahl von religiösen Stätten war die auf Granit erbaute Stadt einst ein Zentrum des Diamanthandels. Die Steine, in der Umgebung abgebaut, wurden hier bearbeitet: Golconda war eine Art gut gesichertes Idar-Oberstein im alten Indien.

Ein russischer Kaufmann und Reisender brachte schon im 15. Jahrhundert die Kenntnis von dieser steinernen Stadt nach Europa. Marius Petipa, auf dessen Choreografie von 1877 auch Malakhovs Version beruht, und Petipas Librettist Sergej Khudekoff saugten sich da also nicht irgendwas aus den Fingern, sondern gingen schon korrekt historisierend vor.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Golconda in Indien, auf Granit gebaut, ist von einer besonderen Architektur, die früher spektakuläre Schallwellentricks erlaubt haben soll. Foto: anonymous

Ein Detail in der Choreografie entstammt einer Legende um Golconda: Wenn man an einem der Tore in die Hände klatschte, so konnte man es angeblich noch in kilometerweiter Entfernung hören. Das soll mit der besonderen Architektur der auf Stein gebauten Stadt zu tun gehabt haben: Die Schallwellen des Klatschens wurden als Warnung bei Gefahr benutzt.

Petipa und Khudekoff kannten diese Anekdote offensichtlich: Sie lassen Solor in die Hände klatschen, um seine Untergebenen anzuweisen. Und er klatscht auch zweimal in die Hände, wenn er sich heimlich mit Nikia trifft. Vielleicht lenkt er damit die Soldaten ab, die dann der Vermutung eines Angriffs nachgehen.

Das Sujet des Balletts ist indes nicht Golconda-spezifisch, es gibt es vielmehr überall und zu allen Zeiten auf der Welt.

Es ist die enttäuschte Liebe einer Frau, deren Geliebter nicht seiner inneren Stimme folgt, sondern sich von einem reichen Mädchen angeln und heiraten lässt. Diese Gegenspielerin namens Hamsatti (in anderen Versionen „Gamsatti“ oder „Gamzatti“ geschrieben) ist allerdings auch kein kalter Fisch, sondern ebenfalls in Solor schwer verliebt.

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Elisa Carrillo Cabrera ist als Hamsatti in „Die Bajadere“ vor allem mondän – auch hier beim Schlussapplaus in der Deutschen Oper Berlin. Neben ihr: Julia Golitsina im in jeder Hinsicht geistreichen Schatten-Outfit. Foto: Gisela Sonnenburg

Elisa Carrillo Cabrera, die feurige Mexikanerin vom Staatsballett Berlin, tanzt die Partie mit lasziver und betont femininer Erotik.

Man kann also verstehen, warum Solor sich betören lässt – es liegt nicht nur am Geld seiner Braut. Dennoch wird auch in den technisch sehr anspruchsvollen, grandios gefügten Pas de deux von Solor und Hamsatti immer wieder deutlich: Sie ist die treibende Kraft der Beziehung, er hingegen lässt sich lediglich mitreißen.

Wir haben in der Stückkonstellation somit zwei unerlaubt ineinander Verliebte sowie zwei Liebende, die zwar aus sozialer Sicht zum Objekt ihrer Begierde passen würden, die aber nicht wiedergeliebt werden.

Das ist mächtig viel sozialer Brennstoff! Zumal der Kastenunterschied und somit der soziale Stand beim ineinander verliebten Liebespaar die entscheidende Rolle spielt.

Offenbar wussten die Europäer Ende des 19. Jahrhunderts, dass das indische Kastensystem sowohl soziale als auch finanziell definierte Stellenwerte bezeichnete. Die Brahmanen bilden darin die oberste Kaste, sie stellen auch die Priester. Ihnen untergeordnet sind die Kshatriyas, zu denen die Krieger und die Fürsten gehören. Solor steht also trotz seines Ruhms unter dem Großbrahmanen.

Händler, Handwerker und Unberührbare bilden je eine weitere Kaste für sich.

Petipa hat sich zudem den Schabernack erlaubt, die Fakire, also die in religiöser Askese lebenden Yogis und Moslems, zur obersten Dienerschaft zu machen. Man kann das als Anspielung auf seine eigene Zunft, also auf die Künstler der Bühne und des Balletts, deuten.

Eine Anmerkung: Erst seit einigen Jahren ist das Kastensystem zumindest in Indien ohne gesetzliche Grundlage. Dennoch wird es weiterhin praktiziert – und zwar im Einklang mit einer offensiv-brutalen, stark patriarchal ausgerichteten Moral.

Deren Kehrseite ist eine geringe Hemmschwelle zur Kriminalität. Sprich: zum Meuchelmord!

Damit haben wir auch in „Die Bajadere“ zu tun: Hamsatti wird erst Opfer einer eifersüchtig-affektiven Attacke Nikias.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Zwei Frauen im Kampf um einen Mann – das sieht ja nun nicht immer so drastisch aus, aber in „Die Bajadere“ muss es das… schließlich werden hier Gefühle bloß gelegt. Vom Staatsballett Berlin in Vollendung in der Choreografie von Vladimir Malakhov. Foto: Enrico Nawrath

Dafür lässt Hamsatti Nikia umbringen: als die Bajadere auf der Verlobungsfeier von Solor und der Radscha-Tochter auftanzt, wird ihr ein tödliches Blumenbouquet überreicht. Nachdem Nikia ein schaurig-trauriges Adagio getanzt hat, wird sie von einer Schlange gebissen, die zwischen den Blumen versteckt war.

Weil der Großbrahmane ihr ein Gegengift anbietet, nimmt Solor die Sache nicht ernst – und lässt sich von seiner neuen Familie in die Kulissen lenken. Als Nikia nun sieht, dass er sich von ihr abwendet, obwohl sie in höchster Not ist, verzichtet sie auf das Antidot – und stirbt, aus freien Stücken: schön, schnell, erhaben.

Wie eine Ikone der reinen, nicht korrumpierbaren Liebe liegt sie dann lang ausgestreckt auf dem Rücken da, als würde sie nur schlafen – die Füße ballettös gestreckt, den Körper angespannt. Aber alle wissen, auch dank der dramatischen Musik, die unter Robert Reimer am Dirigentenpult fein nuanciert perlt und wogt: Nikia ist tot, gestorben an einer Liebe, die gegen die Bedürfnisse der Mächtigen keine Existenzberechtigung hat. Ein Liebestod als Sozialkritik.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Robert Reimer, der feinfühlige Dirigent des Orchesters der Deutschen Oper Berlin, beim Applaus nach der Vorstellung von „Die Bajadere“: ohne Reimer wäre nix gelaufen! Foto: Gisela Sonnenburg

Nur die Traum- und Rauschwelten, als Geschwisterplaneten des Todes, können Solor nun noch helfen.

Also flüchtet Solor sich voller Schuldgefühle zur Opiumpfeife. Marian Walter macht das mit der Lyrik des Empfindsamen, der sich der Weltflucht aus Trauer ergibt.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Hier sehen wir die Bajaderen vom Staatsballett Berlin beim Schlussapplaus. Vorne (von li.): Iana Balova, Julia Golitsina und Sarah Mestrovic. Foto: Gisela Sonnenburg

Und er sieht im Rausch das Reich der weißen Schatten, in dem seine Geliebte Nikia nun unter ihresgleichen existiert. Der Bann, der von den weißen Frauen ausgeht, ist ohnegleichen, und nicht ohne Grund zählt der Aufmarsch der geisterhaften Bajaderen zu den schönsten und berühmtesten der internationalen Ballettwelt.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Die drei „Frontgirls“ der Berliner Bajaderen noch einmal (von li): Iana Balova, Julia Golitsina, Sarah Mestrovic beim Curtain Call in der Deutschen Oper Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Natürlich möchte man sich da einmischen, erst recht, wenn man Solor heißt! Es kommt zu einem abwechslungsreichen Spiel der Virtuosität: Solor und Nikia tanzen einen Grand pas de deux, durchsetzt von Variationen aus den Bajaderenreihen – ein Feuerwerk in Weiß bei Mondlicht, vor den Gipfeln des schneebedeckten Himalaja (Prachtausstattung: Jordi Roig).

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Iana Balova zeigte ihre wunderschönen leichten Sprünge und einen geschmeidigen, akkuraten Bewegungsfluss – hier beim Applaus in der Deutschen Oper Berlin nach „Die Bajadere“. Foto: Gisela Sonnenburg

Die Leistung des Damen-Corps des Staatsballett Berlin ist hier gar nicht hoch genug einzuschätzen. Bravissimo! Hervorzuheben sind zudem die Solistinnen Iana Balova mit zauberhaft leichten Sprüngen und Sarah Mestrovic mit graziös-galanten Posen.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Sarah Mestrovic, hier beim Schlussapplaus in der Deutschen Oper Berlin, gefiel mit exakten, schönlinigen Posen als „weißer Schatten“ in der „Bajadere“. Foto: Gisela Sonnenburg

Für das besondere Dahinschmelzen des Publikums sorgt dann das Paar Walter-Salenko. Wenn er sie hebt oder auch nur anfasst, um sie etwa zu drehen oder bei einer Attitude zu halten, dann merkt man sofort, wieviel Spaß ihm das bereitet. Und seine Partnerin beantwortet das mit bereitwilliger Aufmerksamkeit und Hingabe, lässt sich in den siebenten Himmel auf seinen Schultern hieven oder auch sanft auf den Brettern, die die Welt bedeuten, absetzen.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Ein Paar, für die Bühne gemacht und auch privat miteinander happy: Iana Salenko als „Bajadere“ und Marian Walter als Solor beim Schlussapplaus in der Deutschen Oper Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Nun sind Marian Walter und Iana Salenko ein so spezielles Paar, dass man gern glaubt, dass ihre Liebe über den Tod hinaus hält. Man hätte das Libretto der „Bajadere“ nachgerade für diese beiden erfinden können!

Dabei ist Salenko ein Temperamentsbündel aus Liebe und Fleiß, schier unaufhörlich dreht sie Pirouetten und Chainés, als sei dies nicht nur das Bezauberndste, sondern auch das Leichteste von der Welt. Kein Wunder, dass sie weltweit als Gala- und Gaststar heiß begehrt ist, La Salenko!

La Carrillo Cabrera, die gestrige Hamsatti, ist derzeit auch schwanger, aber nicht mit einem Kind, sondern einem „Baby“ anderer Art: Sie organisiert, wie jedes Jahr im Sommer, zusammen mit ihrem Ehemann Mikhail Kaniskin eine hochkarätige Gala in Mexiko: „Elisa y Amigos“. Viel Erfolg!

Elisas Hamsatti lebt von unter der Mondänität brodelnden latent kämpferischen Elementen – darum passt sie ja auch vordergründig so gut zu Solor, dem VIP-Soldaten.

Aber dieser Krieger hat sein Herz schon vergeben – und er hat sich auch, in Malakhovs Inszenierung, als Mensch verändert. Ihn fasziniert nicht mehr das Siegen allein, sondern vor allem das Sein. Nicht das Kämpfen, sondern das Lieben!

Und so erscheint Solor der Geist seiner ihn so sehr liebenden Bajadere: ausgerechnet auf seinem Hochzeitsfest.

Zuvor jedoch tanzt jene Macht, die dann das irdische Ende dieser Gesellschaft bestimmen wird: Alexander Shpak, der als „Goldener Gott“ aus seinem Tempelschrein tritt, um ins unzulängliche menschliche Handeln einzugreifen, ist ein Knüller!

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Alexander Shpak, hier beim Curtain Call in der Deutschen Oper Berlin, verkörpert in „Die Bajadere“ die dadurch zur Doppelrolle gewordene Partie des unterwürfigen Fakirs und des Goldenen Rachegotts. Sehr toll! Foto: Gisela Sonnenburg

Es ist zudem eine feine zusätzliche Bedeutung, dass derselbe, sich diese Saison auffallend mausernde Tänzer Alexander Shpak, im ersten Akt der „Bajadere“ bereits den unterwürfigen Fakir Mahdawaja tanzt. Die so entstandende Doppelrolle ergibt eine raffinierte Interpretation, denn der Fakir, der dem Kastensystem nach keine Möglichkeit hat, sozial aufzusteigen, sondern der wehrlos die Launen seiner Herrschaften ertragen muss, kehrt so im vierten Akt als Rachegott wieder. Sigmund Freuds „Wiederkehr des Verdrängten“ ist hier mustergültig umgesetzt – durch ein auch personell absolut berechtigtes kluges Casting. Toll!

Die schmissigen Drehsprünge und gleitenden Pirouetten von Shpak sind denn auch ebenso wie seine indisch inszenierten Posen ein absoluter Augenschmaus. Und vom Ausdruck her wirkt die kühle Erhabenheit einer Gottheit zusammen mit expressiv-männlicher Tatkraft. Diesem Goldjungen traut man noch allerhand zu!

Dazu passt, dass eine Schar zart durch das Diesseits flatternde Bajaderen die schicksallose Hochzeitszeremonie unterbricht.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Alles bewegt sich, manchmal ja sogar die Politik – und hier die Bühnenkünstler beim Schlussapplaus nach der „Bajadere“ in der Deutschen Oper Berlin. Ganz links: Elisa Carrillo Cabrera. Neben Alexander Shpak in Gold: Tomas Karlborg als Radscha. Ganz rechts: Martina Böckmann als Zofe. Foto: Gisela Sonnenburg

Solor verfällt unter ihrem Eindruck immer wieder der Erscheinung seiner geliebten Nikia, und während er mit ihr tanzt, fällt der weiße Schleier, den er ihr einst schenkte (nachdem der Großbrahmane ihr einen ähnlichen raubte) aus dem Schnürboden.

Nikia tanzt damit – und lässt ihn liegen. Hamsatti hebt ihn auf, und sie hat sofort symbolträchtiges Blut an den Händen. Weiße Magie! Entsetzt und verstört zeigt Hamsatti ihre blutbefleckten Hände herum – und merkt zu spät, dass sie sich damit selbst verrät.

Solor weiß nun also sicher Bescheid: Die Schlange im Blumenkorb, die Nikia tötete, war kein Zufall, sondern entsprang der Heimtücke von Hamsatti. Trotzdem will er sie heiraten – aber er stirbt unter den Trümmern, die das vom Goldenen Gott bewirkte Unwetter samt Erdbeben hinterlässt. Ein fatalistisches Ende wäre das, käme da nicht noch die Pointe.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

EIn schöner Schlussapplaus: Michael Banzhaf, Robert Reimer, Iana Salenko, Marian Walter, Elisa Carrillo Cabrera, Alexander Shpak, Birgit Brux nach „Die Bajadere“ in der Deutschen Oper Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Denn als wäre nichts geschehen, betritt Nikia die neblige Kulisse, die flugs zum Paradies mutiert. Zusammen mit Solor und dem weißen Schal, der ihre Liebe symbolisiert, bildet diese Frau, die nur aus heißer, wahrhaftiger Liebe besteht, ein Dekor wie für ein Wappen der Zweisamkeit.

Love forever!

Solch exquisite Ballettabende möchte man immer wieder erleben. Damit das Publikum in Berlin das weiterhin kann, kämpft das Staatsballett Berlin um einen Haustarif. Die Bedingungen dazu wurden mit ver.di erarbeitet und sind auch bereits mehr oder weniger ausgehandelt. Allerdings hat die Politik in Person des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) sich noch nicht durchringen können, das richtige Zeichen zu setzen. Sonst wäre der Haustarifvertrag schon unterschrieben.

Immerhin beschäftigt sich jetzt die Berliner Regierung, die den seit Monaten gärenden zeitweisen Streik des Berliner Staatsballetts zunächst aussitzen wollte, mit der Sache.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Wolfgang Brauer, kulturpolitischer Sprecher von Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, versteht was von Kunst – und setzt sich massiv für das Staatsballett Berlin ein. Foto: Gisela Sonnenburg

Maßgeblich ist dabei der kulturpolitische Sprecher der Linken, Wolfgang Brauer, der schon frühzeitig begann, sich für die streikenden Tänzerinnen und Tänzer einzusetzen. Damit war er zunächst lange allein in der nicht eben von Mut geprägten Berliner Politik.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Ein schöner Schhlussapplaus nach „Die Bajadere“ in der Deutschen Oper Berlin am 26. Juni 2015. Foto: Gisela Sonnenburg

Jetzt aber kommt Bewegung ins Gefilde: Bei der Plenarsitzung im Berliner Abgeordnetenhaus am Donnerstag letzter Woche wurde Michael Müller von der Linken unter Druck gesetzt. Deren Abgeordnete Gabriele Hiller stellte fest, dass Müller, der auch über den Aufsichtsrat der Stiftung Oper in Berlin Einfluss ausübt, durch Untätigkeit weitere Streiks provoziert.

Es ist jetzt an ihm, ver.di als gewünschten Vertragspartner zu akzeptieren und den Geschäftsführenden Direktor des Staatsballetts Berlin, Georg Vierthaler, dazu anzuweisen.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

Höhepunkt beim Applaus: Vladimir Malakhov bringt den Bühnenstars Blumen, Iana Salenko dankt – ein Riesenapplaus! Das Publikum in der Deutschen Oper Berlin freute sich mit. Foto: Gisela Sonnenburg

Das berührt aber auch das Verhalten des Publikums. Man kann nicht einerseits den Streik der Tänzer befürworten und sich andererseits nicht dem Risiko eines Ausstellungsausfalls durch Streik ausliefern wollen.

DIe Bajadere mit Iana Salenko

So glücklich, wie die Künstler hier aussehen, so fühlt sich auch das Publikum nach einer wunderbaren Vorstellung. Beim Curtain Call nach „Die Bajadere“ in der Deutschen Oper Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Gelebte Solidarität mit den Künstlern heißt in diesem Fall: Hingehen, auch wenn die Vorstellung vielleicht ausfällt. Das Vergnügen ist, wenn sie stattfindet, umso größer – die Tänzerinnen und Tänzer danken die mentale Unterstützung in jedem Fall.
Gisela Sonnenburg

„Die Bajadere“ sollte es zwar laut Spielplan noch einmal diese Saison geben: am 28. Juni mit Salenko, Walter und Carrillo Cabrera in der Deutschen Oper Berlin – aber diese Vorstellung entfällt, wegen Streik! 

Mehr zum Thema der Bajadere von Malakhov gibt es hier zu lesen:

www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-die-bajadere/

www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-outlook-bajadere/

www.staatsballett-berlin.de

 

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