Persönlicher Abschied Thomas Hartmann, der ostdeutsche Jorge Donn, verstarb nach langer Krankheit. Der Komponist René Hirschfeld würdigt ihn hier in einem Brief

Der künstlerischen Wahrhaftigkeit verpflichtet: Thomas Hartmann (1952-2019) auf einer Probe in der Semperoper in Dresden. Foto: Erwin Döring

Diese Karriere war außergewöhnlich, nicht nur im schönen, sondern auch im traurigen Sinn. Der gebürtige Thüringer Thomas Hartmann, Jahrgang 1952 und an der heutigen Palucca Hochschule für Tanz in Dresden ausgebildet, erlebte so viele Höhen und Tiefen wie nur wenige. Seit 1970 reüssierte er zunächst an der Semperoper in Dresden, stieg dort vom Ensembletänzer zum Solisten auf, zum Choreografen und schließlich zum Ballettdirektor. Er brillierte in Stücken von Kurt Jooss bis Tom Schilling, natürlich auch in eigenen, hatte seinen eigenen Stil als Tänzer ebenso wie als Tanzschöpfer. In der Ballettkunst in der DDR war Thomas Hartmann eine feste, nicht zu ersetzende Größe. Nach der Wende wurde es schwierig für ihn. Seit 1993 wirkte er zwar freiberuflich und international als Pädagoge, auch als Choreograf. Aber ein Haus, das seinem Schaffen angemessen war, fand er nicht mehr als fixe künstlerische Heimstatt. Zuletzt, und zwar seit rund zehn Jahren, war er Trainingsleiter und Choreograf am eher weniger bekannten Theater Plauen-Zwickau. Es war fast wie ein Exil für einen Großen, der sich verstoßen fühlte. Im Januar 2019 wurde er dort unter öffentlicher Teilnahme feierlich in den Ruhestand verabschiedet – da war er von seiner schweren Krebserkrankung unübsehbar stark gezeichnet. Am 23. Februar 2019 erlag er diesem Leiden. Wir trauern um einen der vehementesten Vertreter der Tanzkunst; Thomas Hartmann war jemand, der nie, aber auch nie die künstlerische Redlichkeit zu Gunsten irgendwelcher Erfolgsaussichten opferte. Und als Tänzer hatte er eine Ausstrahlung, die ihn zum ostdeutschen Jorge Donn machte: Wie der berühmte Béjart-Ballerino verfügte Hartmann über eine natürliche, stark auffallende Ausdruckskraft, die ihn und seinen Körpereinsatz unvergesslich werden ließ.
Gisela Sonnenburg

Thomas Hartmann als Tänzer in „Brennender Friede“ – expressiv und expressionistisch in seiner Dresdner Zeit an der Semperoper. Foto: Erwin Döring

Der ebenfalls thüringische Komponist und Violinist René Hirschfeld, einst ein Meisterschüler von Udo Zimmermann in Dresden und mitThomas Hartmann seit langem gut befreundet, würdigt den Verstorbenen im Folgenden mit einem Brief:

Lieber Thomas!

Als wir beide uns vor über dreißig Jahren kennen lernten, warst Du als Erster Solist an der Dresdner Semperoper beschäftigt, und ich war ein Musikstudent, der sich intensiv mit Tanz und Tanztheorie beschäftigte und auch als Performance-Künstler auftrat.

Deine Präsenz als Tänzer war schier unglaublich, sie war zentriert und weit zugleich.

Du brauchtest auch auf einer vollen Bühne nur eine Hand zu bewegen – und alle Blicke waren bei Dir.

Es machte keinen Unterschied, ob Du als Romeo in Sergej Prokofjews „Romeo und Julia“ auf der großen Opernbühne standest, ob Du in einem Solo-Abend zu Musik von Chopin und Debussy tanztest oder ob Du später in der freien Szene in Dresden Dein wunderbares Stück „Ein Engel kommt“ inszeniertest: Es war immer beispielhaft, immer ein großes Erlebnis für Dein Publikum.

Was ich in all den Jahren von Dir gelernt habe, betraf weit mehr als nur den Tanz und die Bewegungssprache. Es ging um künstlerisches Denken generell!

Der ehemalige Dresdner Ballettdirektor Thomas Hartmann starb

Mit der Gruppe in „Brennender Friede“, einer Abrechnung mit dem Kalten Krieg: der Tänzer, Choreograf, Pädagoge, Ballettmeister und dann auch Ballettdirektor Thomas Hartmann (mittig) in Dresden, auf der Bühne der Semperoper. Foto: Erwin Döring

Als Ballettdirektor in Dresden warst Du dann der Mentor für meine Diplomarbeit „Vergleichende Analyse zu Bewegungsqualitäten in Musik und Tanz“ als Komponist. Später hast Du meine Komposition „Haiku II“ bei mir in Auftrag gegeben und in Dein wunderbares Programm „Bogenschritte“ integriert.

Aus dieser Zusammenarbeit konnte ich damals erahnen, welch ein Gewinn es für jene sein würde, die Du unterrichtet hast, sei es in Leipzig oder in Dresden, an der California State University oder auch als Ballettmeister und Choreograf in Innsbruck und Plauen-Zwickau.

Als Choreograf warst Du inspiriert und inspirierend. Und als ich vor kurzem Deine letzte Choreografie zur g-Moll-Sonate von Johann Sebastian Bach sah, erkannte ich Deine Sprache bereits bei der ersten Bewegung.

Bei aller Freude an Neuem war modernistische Beliebigkeit Deine Sache nicht.

Immer war Deine Arbeit unterfüttert vom Wissen um die Möglichkeiten, von souveräner Beherrschung des Handwerks – und von einer klaren Aussage. Die Konsequenz, mit welcher Du Deine Ideale künstlerischen Denkens verfolgt und Deinen hohen Anspruch an die Kunst gelebt hast, verdient gerade in der heutigen Zeit Bewunderung.

„Strukturelle Klarheit“ und „sinnliche Konkretheit“ waren zwei Begriffe, die Du gern verwendetest und die auf Deine Arbeit bestens zutreffen.

Thomas Hartmann in „Konzertante Tänze“ – einer Eigenchoreografie – in Dresden an der Semperoper. Unvergessen! Foto: Erwin Döring

Viele Deiner Projekte konntest Du trotzdem dort, wo Du zuletzt gearbeitet hast, nicht realisieren, sei es ein großer Tanzabend nach deutschen Volksliedern oder die „Penthesilea“.

Zu gern hätte ich diese Stücke gesehen. Bis zuletzt hattest Du Ideen, wolltest einen Aufsatz über Tanzdramaturgie und einen über die Palucca schreiben. Und „Das Floß der Medusa“ als Ballett inszenieren, wenn Du wieder gesund wirst.

Als ich Deinen letzten Brief erhielt, ahnte ich nicht, dass Du schon zwei Tage später nicht mehr leben würdest, wiewohl ich um Deinen tapferen gesundheitlichen Kampf wusste.

Tanz ist diejenige Kunstform, die die Vergänglichkeit allen Seins am stärksten spiegelt. Doch die Eindrücke, die Du mit Deiner Kunst und als Person hinterlassen hast, bleiben.

Lieber Thomas, ich danke Dir für Deine langjährige künstlerische Freundschaft. Wer Dich und Deine Arbeit gekannt hat, darf sich glücklich schätzen.

Du wirst fehlen! – Dein René Hirschfeld

www.youtube.com/watch?v=zd9HbswdB0s

www.renehirschfeld.de

www.semperoper.de

 

 

 

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