Glaube, Liebe, Pas de deux! Wo ist John Neumeier? In Kopenhagen, wo sein jüngstes Werk uraufgeführt wird: „Persistent Persuasion“ mit Ida Praetorius und Alexandr Trusch

"Persistent Persuasion" von John Neumeier

Deliziös: Ida Praetorius und Alexandr Trusch proben „Persistent Persuasion“ von John Neumeier. Foto: Kiran West

Andere Leute fangen erst mal ganz langsam das neue Jahr an – da hat John Neumeier schon wieder die Nase vorn. Ganz weit vorn. Im Norden. Nämlich in Dänemark, in Kopenhagen, beim Royal Danish Ballet, dem Königlichen Dänischen Ballett. Dort beginnen am Freitag, dem 10. Januar 2020, die Feierlichkeiten zum hundertjährigen Jubiläum der friedlichen Festlegung der Grenze zwischen Dänemark und Deutschland. Zum Auftakt der Festivitäten, der als Festakt im Königlich-dänischen Theater stattfindet, wird dort Neumeiers nagelneuer Pas de deux namens „Persistent Persuasion“ („Anhaltende Überzeugung“) uraufgeführt. Seine Protagonisten sind die Stars Ida Praetorius aus Kopenhagen und Alexandr Trusch vom Hamburg Ballett. Beide sind so jung, aber das  neue Paartanzstück verlang von ihnen reife Emotionen!

Auch ihr Boss ist nicht eben faul…

Der geniale Neumeier hat trotz etlicher Aufführungen seiner Truppe zu den Festtagen in Hamburg und trotz viel sonstiger Arbeit wie etwa am Cut seiner kommenden DVD vom „Beethoven-Projekt“ wie nebenbei mal wieder ein ernsthaftes Werk geschaffen, vermutlich eines seiner größten Meisterwerke.

Die Musik entspricht mit dem Adagio cantabile aus der 7. Violinsonate von Ludwig van Beethoven dem zweiten Satz dieser Sonate für Violine und Klavier.

Während die Sonate insgesamt als c-moll-Werk verzeichnet ist, ist das Adagio in As-Dur komponiert, in einer Tonart also, die als besonders sanft gilt, bis hin zur Vergeistigung.

Tatsächlich erringt die Violine in spiralenförmigen Aufwärtsbewegungen stetig Luft und Auftrieb, während das Piano, lieblich trällernd, mit soliden Akkorden dagegen hält.

Geige und Klavier verhalten sich also wie ein Liebespaar, was das Musikstück als Ballettvorlage optimal sein lässt.

Die Harmonie der beiden Instrumente ist hier ausgesprochen hoch; auch gezupfte Passagen der Violine ändern daran nichts, im Gegenteil: Es ist, als wolle sie damit dem Stakkato des Klaviers entgegen kommen.

"Persistent Persuasion" von John Neumeier

John Neumeier probt mit Ida Praetorius und Alexandr Trusch den Pas de deux „Persistent Persuasion“, den er soeben kreiert. Foto: Kiran West

Man muss nun annehmen, dass diese Musikauswahl kein Zufall war.

Auch wenn Ludwig van Beethoven als Geburtskind mit 250 Jahren derzeit ein Jubilar ist, so ist es äußerst passend zum deutsch-dänischen Friedensthema, dass Neumeier gerade diesen Satz dieser Sonate aussuchte.

Ihr Duktus ist extrem versöhnlich!

Die beiden Spitzenkünstler, die den Pas de deux mit John Neumeier kreiert haben, verstehen sich nun indes auch ohne Extraportion Harmonie.

Aber um mit ballettösem Tanz die Beziehung zweier Länder zu würdigen, die unter der Einbringung von Minderheitenrechten ihren Frieden sicherten, mussten wohl auch sie an ihre Grenzen gehen.

Es geht im Ballett ja trotz aller feinen Hebefiguren nicht um Akrobatik, sondern um den Ausdruck der Choreografie.

Der entspricht hier selbstredend dem Hauptthema des Choreografen John Neumeier: der Liebe in all ihren Facetten.

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Eine Vielschichtigkeit ergibt sich bereits aus dem Zusammenspiel der Musik mit der Choreografie, zumal der politische Aspekt hier (siehe weiter unten) nicht übersehen werden darf.

Das Adagio hat zudem – wie auch der Brief an die „unsterbliche Geliebte“, den Komponist Beethoven im Juli 1812 verfasste – drei Teile. Diese bauen aufeinander auf und ergänzen einander.

Der Brief („Welche Sehnsucht mit Tränen nach Dir!“) lässt zudem auf eine pikante Liebesgeschichte mit einer sehr vertrauten Dame schließen, vermutlich mit der außerordentlich hübschen Gräfin Josephine Brunsvik, die Beethoven kurz vor ihrer ersten standesgemäßen Eheschließung kennenlernte. Da er nicht von Adel war, war eine Legitimierung ihrer beider Beziehung zumindest aus ihrer Sicht indiskutabel. Zudem war er Deutscher, sie Ungarin. Dann, als ihr erster Gatte relativ früh starb, hatte sie bereits vier Kinder, die sie versorgt wissen wollte. Sie heiratete darum erneut standesgemäß, dieses Mal auf den Druck einer erneuten Schwangerschaft hin – und die Ehe wurde kreuzunglücklich.

Josephines siebtes Kind – das Mädchen Minona– ist zwar innerhalb dieser Ehe von Josephine mit dem Grafen von Stackelberg geboren worden, aber die Forschung nimmt an, dass Beethoven der biologische Vater war. Immer wieder hatten die beiden Möglichkeiten gefunden, sich zu treffen, mal in Wien, mal in Pyrmont. Ganz treu waren sie sich aber nicht, weder er ihr noch sie ihm! Ein weiteres Kind empfing und gebar Josephine übrigens später von dem Mathematiklehrer, den sie beschäftigte. Ein Vorbild für Verhütung war sie also nicht gerade.

"Persistent Persuasion" von John Neumeier

Ida Praetorius und Alexandr Trusch in einer für das späte Neumeier-Werk typischen Pose: in „Persistent Persuasion“ von John Neumeier, erstmals am 10.01.2020 in Kopenhagen zu sehen. Foto: Kiran West

Als die vorliegende Violinsonate erstmals erschien – 1803– war Beethoven schon einige Zeit als ihr Klavierlehrer tätig und besuchte sie mehrfach wöchentlich. Ein Jahr darauf, 1804, starb überraschend ihr erster Mann, der Graf Deym von Stritetz, und Ludwig van Beethoven begann, Josephine die erhaltenen Liebesbriefe zu schreiben, mehr als ein Dutzend an der Zahl.

Ob er ihr auch zuvor welche schrieb, die sie vorsorglich vernichtet hat, ist unbekannt.

Die harmonischen, liebevollen Klänge der 7. Violinsonate aber könnten sich auf Josephine beziehen, auch wenn das Stück offiziell – und gegen Honorar – dem russischen Zaren Alexander I. gewidmet ist.

Auf jeden Fall aber kann man davon ausgehen, dass es eine viele Jahre anhaltende, starke Anziehungskraft zwischen Beethoven und Josephine gab. Es war wohl eine große Liebe…

John Neumeier an seinem 80.

Ida Praetorius tanzte schon öfters als Gast in Hamburg, hier mit Jacopo Bellussi als „Romeo und Julia“ von John Neumeier auf der Geburtstagsgala am 24.02.2019 in der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Kiran West

Ganz so vereint sehen sich Dänemark und Deutschland nun nicht.

Aktuell ist es sogar so, dass ein 70 km langer, von Dänemark an der Grenze errichteter so genannter „Wildschweinzaun“ für gar keine gute Stimmung sorgt. Vorgeblich will Dänemark so die Afrikanische Schweinepest, die zuletzt in Polen auftrat, von der einheimischen Fleischindustrie fernhalten. Dabei sind in Schleswig-Holstein gar keine Überträger dieser Tierkrankheit festgestellt worden.

Es wird darum auch angenommen, dass Dänemark sich mit dem Zaun, der aus naturschützerischer Sicht ein einziger schädlicher Unfug ist, weil er alle natürlichen Wildwechsel – etwa auch von Rehen, Füchsen, Dachsen  – unterbindet, vor ganz anderen „Problemen“ schützen will. Man will wohl in letzter Konsequenz für den Fall, dass es einen Ansturm von Flüchtlingen geben sollte, diesen den Übertritt über die grüne Grenze verwehren. Der jetzige Zaun ist zwar nicht besonders hoch, könnte aber relativ zügig durch einen höheren ersetzt werden.

Anders als Deutschland hat Dänemark zwar ein sehr soziales Versorgungssystem – zum Beispiel ist jeder Einwohner Dänemarks automatisch für alle medizinischen Leistungen krankenversichert – aber man will dort nicht jeden ständig haben.

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Die dänische Einwanderungspolitk insgesamt ist darum insgesamt eine restriktive. Immerhin beruhigt sie damit die rechtspopulistischen Anteile ihrer Bevölkerung.

Dass nun Wildschweine und Rehe damit zu kämpfen haben, ist eine der typischen Nebenwirkungen von unausgereiften Ideen.

Die angrenzende deutsche Bevölkerung mit dänischer Minderheit in Schleswig-Holstein wartet nun gespannt, wie die Tierwelt reagiert.

Denn erst im Dezember 2019 wurde der dänische Zaun, der ja nun gar nicht an die Mauer in Berlin oder an den Eisernen Vorhang erinnert, fertig gestellt.

Man rechnet damit, dass einiges Wild versucht, über den Zaun zu springen, um sein natürliches Revier weiterhin zu nutzen. Dabei wird es wohl Unfälle geben, die meisten letztlich tödlich, denn ein verletztes Tier hat in freier Wildbahn zumeist keine Chance mehr. Andere Tiere werden sich von dem Zaun abschrecken lassen und sich zurückziehen – ein drastisch verkleinertes Revier löst Dichtestress und aggressives Verhalten untereinander aus, sodass auch diese Tiere Schaden nehmen. Ihre Freiheit, sich Nahrung und Partner dort zu suchen, wo sie es wollen, wurde vom dänischen Zaun drastisch beschnitten.

Sehr geärgert haben sich auch jene dänischen Einwohner, die enteignet wurden, damit unter Einbeziehung ihres Grund und Bodens dieser aberwitzige Zaun gebaut werden konnte. Das starke Staatsverständnis Dänemarks führt zu wirklichen Skurrilitäten.

Man kann jetzt aber hoffen, dass die gute Energie, die von „Persistent Persuasion“ ausgeht, den Zaun langsam, aber sicher fallen lässt bzw. die dänische Regierung zu der Einsicht bringt, dass sie die rund sieben Millionen Euro, die sie für den Bau des Zauns aufbrachte, besser anders hätte ausgegeben können.

Zumal Königin Margrethe II. als persönliche Freundin von John Neumeier unter den Gästen der Uraufführung sein wird.

Sollte der nicht gerade simple, aber sehr liebevolle Pas de deux die Selbsteinsicht der Dänen nicht beschleunigen, ist ihnen zusätzlich noch ein Besuch des Neumeier-Stücks „Hamlet“ zu empfehlen, welches ab dem 29. März 2020 beim Hamburg Ballett zu sehen ist.

"Persistent Persuasion" von John Neumeier

Edvin Revazov vom Hamburg Ballett in „Hamlet“ von John Neumeier. Foto: Holger Badekow

Es wurde unter dem Titel „Amleth1985 in Kopenhagen beim Königlichen Dänischen Ballett uraufgeführt und bezieht sich nicht nur auf Shakespeare als Grundlage für den Hamlet-Mythos, sondern auch auf Saxo Grammaticus. Den somit nicht nur die Dänen und Lateiner auf schönste Art und Weise näher kennenlernen können.

Die „Anhaltende Überzeugung“ aus dem Stücktitel des neuen Pas de deux deutet jedenfalls auf Glaube, auf Liebe, auf Hoffnung, auf Aussöhnung und Überwindung aller schädlichen Dummheit – und auf Freundschaft und Charakterstärke als Lebensprinzipien.

Wir wünschen darum der Uraufführung: Toitoitoi!
Gisela Sonnenburg

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