Der Dschungel in uns allen „Othello“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett: immer wieder ein Lehrstück über die menschliche Seele. Mit Emilie Mazon und Anna Laudere als Desdemona

Othello beim Hamburg Ballett: heiß

Ein weltberühmter Pas de deux von John Neumeier, auch gern auf Galas getanzt: „Othello“ und Desdemona zu „Mirror in a Mirror“ von Arvo Pärt, hier von Emilie Mazon und Carsten Jung vom Hamburg Ballett getanzt. Foto: Kiran West

Neulich berichtete mir mal wieder jemand, wie enttäuschend und langweilig doch die Hamburger Elbphilharmonie von innen sei. Als treuer Besucher der Hamburgischen Staatsoper und vor allem vom Hamburg Ballett kann man da nur lächeln. Brisanz und Virtuosität, Heutigkeit und Intensität haben sich hier optisch wie akustisch zuverlässig ein Heim geschaffen, und auch stylistisch fühlt man sich bestens versorgt. Ganz ohne künstlich aufgesetzten Hype. So auch letztes Wochenende, mit einem der ungewöhnlichsten Ballette, die es gibt: „Othello“ von John Neumeier. William Shakespeare, dessen Drama vom wütenden schwarzhäutigen General hier die Basis bildet, würde staunen… Allein schon die Musikauswahl! Die rhythmischen Schläge darin kommen mit hypnotischer Kraft. Der brasilianische Perkussionist Naná Vasconcelos, der im März letzten Jahres verstarb, war ein Meister auf dem Berimbau, diesem typischen Instrument für den Kampftanz Capoeira. Und Neumeier lässt Vasconcelos im Crossover mit moderner ernster Live-Musik einher kommen. Eine explosive Zusammenstellung!

Das Berimbau hat nämlich einen der indischen Sitar ähnlichen Klang, ist aber purer, härter, direkter im Ausdruck. Manchmal schnalzt und schabt es, es besteht ja nur aus einem Stock, einer Seite und einem kleinen hohlen Kürbis. John Neumeier nutzt Musiken aus dem Album „Saudades“ von Vasconcelos, um in „Othello“ das Ursprüngliche, das Primitive, akustisch zu illustrieren.

Der Dschungel in uns – immer wieder bricht er aus. Mal spendet er Freude, mal gibt er den Tod. Mal ist er gerade noch beherrschbar, dann wieder reißt er tief hinab in die Strudel der Triebhaftigkeit.

Othello beim Hamburg Ballett: heiß

Carsten Jung und Emilie Mazon in John Neumeiers „Othello“: unter der kühlen Oberfläche brodelt der Dschungel der Gefühle… Foto vom Hamburg Ballett: Kiran West

So tanzt er in „Othello“ in vielen Gestalten und Formen mit uns, und das Hamburg Ballett zeigte jüngst mit neuen Besetzungen der Hauptrollen, wie unterschiedlich sich die Liebe unter dem Einfluss des Bösen zu einer destruktiven Macht wandeln kann.

Ein mit Spannung erwartetes Rollendebüt gab Emilie Mazon als Desdemona.

Ihre Mutter Gigi Hyatt kreierte diese erotisch-apollinische, jugendlich-naive Partie 1985. Damals wurde „Othello“ – als bisher einziges Neumeier-Stück – auf Kampnagel in Hamburg uraufgeführt (nicht in der dortigen Staatsoper). An diese Aufführungstradition erinnert noch heute, wenn die Stufen seitlich des Zuschauerraums von den Protagonisten genutzt werden oder diese auf der Bühne eigenhändig die Wandvorhänge einrollen.

Ansonsten aber taugt die Choreografie sowohl für die nach drei Seiten offene Bühne wie auch für den Guckkasten der Oper.

Desdemona ist die zentrale weibliche Gestalt darin.

Emilie Mazon, 1995, also zehn Jahre nach der Uraufführung von „Othello“, in Hamburg geboren und von ihren Eltern in den USA ganz im Sinne des Neumeier-Stils zur Tänzerin ausgebildet, hat außerordentlich viel Talent fürs Tanzen.

Nur den starken naturgegebenen Sexappeal ihrer Mutter hat sie nicht – Emilie muss, wenn es um Erotik geht, sich diese schauspielerisch jedes Mal hart erarbeiten und Szene für Szene neu damit gestalten. Da kommt nichts einfach so aus ihr heraus – und mit einem Hüftschwung allein vermag sie das Publikum nicht in Bann zu ziehen.

Othello beim Hamburg Ballett: heiß

Alexander Riabko als Jago und Leslie Heylmann als Emilia in der Nachmittagsvorstellung am Sonntag von „Othello“: Er dämonisiert und intrigiert, sie begehrt auf und unterwirft sich… das Böse siegt. Foto vom Hamburg Ballett: Kiran West

Dennoch bewies sie als Nina in John Neumeiers „Die Möwe“ unlängst, dass sie die Kunst des erotischen Spielens sehr wohl beherrscht.

Vor allem mit Dario Franconi als Szenenpartner entwickelte Emilie Mazon hoch erotischen Charme.

Auch in anderen Pas de deux, so mit Marc Jubete, sowie in ihrem After-the-show-Solo im zweiten Teil der „Möwe“ sprühte sie nur so vor mädchenhafter Sexiness.

Othello beim Hamburg Ballett: heiß

Jacopo Bellussi umgarnt als Cassio Emilie Mazon: die wilden Fantasien von „Othello“ verwirren diesem die Sinne… Foto vom Hamburg Ballett: Kiran West

Die Rolle der Desdemona verlangt allerdings noch mehr…

Das Schwierige dieser Rolle besteht darin, einerseits unschuldig und sogar keusch zu wirken, andererseits aber schwer sinnlich und darin auch zielsicher und selbstbewusst zu sein. Ein Drahtseilakt für jede Ballerina!

Dennoch hatte auch die durchaus zurückhaltende Rolleninterpretation, die Mazon bei ihrem Debüt ablieferte, etwas für sich: Sie betonte, dass Desdemona in dieser Geschichte als Lustobjekt den Trieben der anderen ausgeliefert ist – und dass sie im Strudel der Gier der anderen Personen keine Überlebenschance hat.

Desdemona, das zwangsläufige Opfer – diese Interpretation geht nun wirklich auf!

Zumal Mazon technisch nichts vorzumachen ist, mit sauberen und ganz genau getimeten Bewegungen erkundet sie die Choreografie, lotet sie aus, ja kostet sie aus. Da ist es ein Vergnügen, ihr zuzusehen.

Und wenn sie am Ende arglos auf Othello zuläuft, sich ihm immer wieder im Paartanz ausliefert, dann ist sie umso rascher seine Todesbeute, als sie nicht einmal ahnt, was in einem aufgehetzten, durchgedrehten Mann so abgeht.

Carsten Jung ist indes auf den ersten Blick nicht ihr optimaler Bühnenpartner. Obwohl er ein herzzerreißender Othello ist – der sich in seinen Soli mustergültig als tapferer Held beweist, um dann dem perfiden Bösewicht Jago doch arglos in die Falle zu tappen – spart auch er hier an Erotik, die er mit anderen Partnerinnen auf der Bühne doch so sicher zu entwickeln weiß.

Auf der anderen Seite hat gerade dieses unterkühlt wirkende Pärchen seinen Reiz. Denn unter der Oberfläche aus Eis, das weiß man ja, brennt das Feuer oft umso heftiger…

Das Feuer in uns. Das ist das Stichwort, wenn es um die Urtriebe geht.

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Das große Thema in „Othello“ ist der Mord aus Eifersucht, und hier ist es vor allem das Gefühl, betrogen worden zu sein, das im definitiven Totentanz eines Ehepaares kulminiert.

Aber es gibt auch zahlreiche andere Momente im Stück, mit denen John Neumeier den Dschungel in uns vorführt. Und es ist wahr, was er damit sagt: Die Decke der Zivilisation ist so dünn, dass man manchmal kaum merkt, wenn sie einbricht.

Da sind die vornehmen Patrizier, die die Oberschicht in diesem Fantasie-Venedig bilden, und die in weißem Seidenplissee höchst fein und edel auftanzen. Aber es ist kein Zufall, dass keiner von ihnen den Mord an Desdemona vorhersieht oder gar verhindern kann.

Das junge Ensemble tanzt diese Bürger mit Präzision und Eleganz, und wenn es in Othellos Wahnvorstellung das Personal einer ästhetisch aufgeladenen Orgie abgibt, so überzeugt es auch damit.

Da ist die Primavera, der italienische Frühling: Florencia Chinellato und ihre Gefährtinnen Xue Lin und Priscilla Tselikova tänzeln mit hinreißender kribbelnder Freude, aber auch mit mysteriös-sinnlicher Anmut. Sie verkörpern das, was Othello an Desdemona am meisten liebt, was aber auch gefährlich für Desdemona ist. Das Feminin-Leichtherzige – ein Mann wie Othello kann kirre daran werden! Angesichts der letztlich wahnhaften Realität Othellos geht dieser symbolhafte Frühling dann gnadenlos zu Grunde.

Othello beim Hamburg Ballett: heiß

Graeme Fuhrman als Venezianer vorn und Carsten Jung als Außenseiter und General „Othello“ (von hinten zu sehen): Dramatik in „Othello“ von John Neumeier – in Neumeier’schen Kostümen – beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Das Gegenstück zum apollinischen Frühling ist „Der wilde Krieger“, der, kohlschwarz angemalt und mit knallroten Lippen, fast so etwas wie ein Karnevalsmohr ist. Marcelino Libao und, alternativ, Lizhong Wang, springen fantastisch-grotesk als solcher durch die Szenen – kann man den Urtrieb zu leben fasslicher machen?

Da ist des weiteren aber auch die Soldateska, die hier wild und gewaltlüstern herumtollt, laut brüllt und im Zuschauerraum, auf den Stufen seitlich des Parketts, wie eine losgelassene wilde Horde agiert.

Thomas Stuhrmann, Christopher Evans, Aleix Martínez, Konstantin Tselikov und Eliot Worrell tanzen und springen so hervorragend männlich-potent, dass man versteht, was für Energien sich in militärischen Männergesellschaften ansammeln.

Und wenn sie unter Lustgeschrei eine Art Stocktanz zum Besten geben, dann sind sie zugleich so egozentrisch damit wie japanische Samurai.

Dass hier auch noch Platz für eine von den Soldaten getanzte Persiflage auf die Liebe zwischen der zarten Desdemona und dem rauen Mohren Othello ist, verdankt sich Neumeiers Einfallsreichtum.

Seine Werke sind ja stets so vielschichtig, dass sie viele Perspektiven auf einen Sachverhalt zeigen – ebenso wie ihre Reflexionen.

Da ist deshalb auch das Bordell der Hure Bianca wichtig, die sich von mehrern Männern nehmen lässt, ohne selbst Lust dabei zu empfinden. Man kann die männliche Sexualität ja nicht einfach leugnen – und sie ist auf schnelle Befriedigung angelegt, oft genug, ohne welche geben zu können oder zu wollen. Wie soll eine Gesellschaft dem begegnen, außer mit legaler Prostitution?

Patricia Friza – am Sonntagnachmittag – und Yun-Su Park – am Abend – tanzen diese nicht eben einfache Partie der Bianca mit großer Würde, mit stoischer Gelassenheit, mit geheimnisvoller Erotik.

Cassio, Othellos Helfershelfer, will Bianca darum sogar zunächst von den Männern, die sie belagern, befreien, in Unkenntnis des Geschäfts, das sie solchermaßen tätigt. Aber dann wird der junge Mann selbst ein hemmungsloser Freier, von Jago, dem ultimativen Diabolo, dazu gedrängt und verleitet.

Othello beim Hamburg Ballett: heiß

Ivan Urban und Carolina Agüero als ultimatives Sado-Pärchen Jago und Emilia: so zu sehen in „Othello“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Der rauschhafte Sexus, er ist in der Welt von „Othello“ viel präsenter als nur im Eifersuchtswahn eines durchgeknallten Ehemannes. Das ist die Lehre, die aus dieser Inszenierung zu ziehen ist: Die Gefahr des emotional motivierten Verbrechens ist allgegenwärtig.

Die Musik von Naná Vasconcelos stellt da den ständig brodelnden Urquell aller Gelüste vorbildlich heraus. „Tanderadei“ – manchmal rufen und locken dazu auch Männerstimmen, die direkt aus dem Amazonas kommen könnten.

Wenn dann noch subtil-komplizierte Orchestermusik von Alfred Schnittke hinzu kommt, und zwar sein Concerto grosso Nr. 1 – und was für eine superbe Mischung ergeben die sanften Streicher und die schmatzenden Urwald-Klänge – dann wähnt man sich bereits in einem akustischen Menschentheater, das die Seele gleichermaßen illustriert wie analysiert.

Die Solisten Anton Barachovsky und Ljudmila Minnibaeva an der Geige geben aber auch ihr Bestes.

Sie sind – mit Orchester und Dirigent Garrett Keast – auf der Bühne über dem tänzerischen Geschehen platziert. Sie sind solchermaßen Teil des Bühnenbildes wie auch Teil des Horizonts, den sie hier getrost erweitern dürfen.

Und doch entfaltet auch die Musik ihre ganz andere Wucht erst, wenn die stimmungsvollen Bilder dazu kommen.

Dafür sorgt dann am Abend das Paar Anna Laudere als Desdemona und Amilcar Moret Gonzalez als Othello.

Othello beim Hamburg Ballett: heiß

Anna Laudere, Ivan Urban, Amilcar Moret Gonzalez: Die Intrige in „Othello“ ist auf diesem Szenenbild schon in vollem Lauf… Foto vom Hamburg Ballett: Kiran West

Ach, La Laudere, sie ist ja eine Meisterin in Sachen Liebe, und es gibt wohl kaum eine Art von Verliebtheit, die sie auf der Bühne noch nicht gezeigt hat. Auch ihre Desdemona ist nicht immer dieselbe, sondern ändert sich, je nach Partner.

Mit Carsten Jung als „Othello“ war sie früher die zittrig-schüchterne, ganz feinsinnig inspirierte junge Dame.

Jetzt, mit dem als Gaststar funkelnd die Titelrolle tanzenden Amilcar Moret Gonzalez, ist sie die funkensprühende, heißblütige Liebhaberin.

Gonzalez tanzte „Othello“ sonst mit der jetzt hoch schwangeren Hélène Bouchet (Hallo, alles Gute!) als Desdemona. Und die beiden waren ein Ausbund an inniger Liebe und körperlicher Harmonie.

Anna Laudere aber weiß der Rolle jetzt noch einen anderen Kick zu verleihen.

Sie ist hier nämlich selbst ein Stück Dschungel, als Partnerin von Gonzalez’ Othello!

Da sie mit ihren kräftigen Beinen und den breiten Schultern nicht so zierlich wirkt wie Bouchet oder andere Ballerinen, versucht sie auch gar nicht erst, den Gegensatz als superzarte Frau zum extrem starken Mann darzustellen. Vielmehr ist sie auch ein Stück von ihm, dem faszinierend Wilden – und auch in ihr pocht ein Dschungelherz.

Da, wo Emilie Mazon sich kindlich zurück hielt, zeigt Anna Laudere jetzt forcierte Aktivität.

Sie schmachtet Othello darum nicht nur wie einen Popstar an, als sie ihn erstmals sieht, sondern in ihr erwacht sofort die heiße Lust.

Es ist dann fast ein Kampf, ein Aufeinanderkrachen dominanter Gefühle, als die zwei zum Pas de deux finden.

Othello beim Hamburg Ballett: heiß

Zu sehen sind hier von links Amilcar Moret Gonzalez, Thomas Stuhrmann, Alexandr Trusch, Anna Laudere und vorn rechts: Konstantin Tselikov. „Othello“ hat jede Menge Action zu bieten! Foto vom Hamburg Ballett: Kiran West

Nun haben sie mit Alexandr „Sascha“ Trusch aber auch einen Cassio bei sich, der zugleich Amor und Schicksalsgehilfe, Retter und Verderber in eins spielt. Was für ein Rollenprofil!

Cassio wird von Othello bald befördert, an Stelle von Jago – weshalb Jago aus Rache und Eifersucht Othello glauben lässt, Cassio und Desdemona hätten ein Verhältnis.

Das weiße Lendentuch Othellos, das auch im wichtigen Hochzeits-Paartanz mit Desdemona zu Arvo Pärts bekanntester Musik (Mirror in a Mirror) eine besondere Rolle spielt und zu ihrem Gürtel wird, gerät zum Verräterfetisch. Denn Jago spielt es Cassio zu…

Cassio, der Gute, Cassio, der Böse – an ihm entzündet sich die ganze Fantasie des dann kriminell werdenden Helden Othello.

Ach, und Alexandr Trusch holt aus seiner Partie als Cassio mal wieder so viel heraus, dass man ihn eigentlich auch zu gern mal als Othello sehen würde. Zumal er auch mit Anna Laudere in den Paartänzen  hier eine fantastische Figur abgibt.

Ich mag mich täuschen, denn die brodelnde Dramatik des wilden Generals Othello ist an sich nicht Truschs – eher lyrisches – Fach. Aber auf einen Versuch sollte man es irgendwann ankommen lassen!

Othello beim Hamburg Ballett: heiß

Amilcar Moret Gonzalez als „Othello“ und Alexandr Trusch als sein Getreuer: John Neumeier zeigt vielschichtige Beziehungen. Foto: Kiran West

Überraschte Trusch doch auch in der Titelrolle als „Nijinsky“ (www.ballett-journal.de/hamburg-ballett-nijinsky-alexandr-trusch/) – bald wieder beim Hamburg Ballett zu sehen – mit einem absolut expressiven Facettenreichtum. Insofern traut man ihm ein Dschungelherz unbedingt zu!

Leider aber verschwindet „Othello“ nun erstmal vom Spielplan des Hamburg Balletts.

Doch so vieles würde es da noch an Details zu entdecken geben – zumal wenn, wie am Sonntag abend, Ivan Urban als Jago brilliert.

Er verleiht diesem Teufel von Untertan und dessen sadistischer Beziehung zu seiner Gattin Emilia (hierin unübertrefflich ausdrucksstark: Carolina Agüero) so viel Schmackes, dass es sich allein darum noch mal lohnen würde, das Stück erneut anzusehen.

Dabei ist „Othello“ eines der wenigen Neumeier-Meisterwerke, die restlos tragisch und ohne Hoffnungsschimmer im Schlussbild enden.

Denn nach dem Mord an einer liebenden Frau, wie Desdemona es ist, kann nichts Hoffnungsfrohes mehr folgen, das sieht auch der weise Choreograf John Neumeier so.

Die Welt liegt in Schutt und Asche dann – auch ohne Krieg. Und Othello, der irre Mann, der letztlich zwischen Liebe und Hass, zwischen Zärtlichkeit und Mord nicht mehr zu unterscheiden wusste, richtet sich selbst, er erhängt sich im Liegen, mit dem Gewicht der Leiche Desdemonas unter sich. Ein schöner Tod. Aber eben Tod.

Othello beim Hamburg Ballett: heiß

Hier schlägt die Liebe Funken: Anna Laudere als Desdemona und Amilcar Moret Gonzalez als „Othello“ beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Nach dem großen Applaus mit Blumensträußen satt für die gefeierten Solisten in der Hamburgischen Staatsoper beginnt dann noch einmal akustisch das Stück neu, mit den Rufen der Soldaten:

„Tanderadei, tanderadei!“ Und als sei es Hohn, klingt die Zeile wie ein Vers des mittelalterlichen Dichters Walther von der Vogelweide. Dieser erzählt vom paradiesischen Liebesidyll in der freien Natur und seinem rätselhaft-tierischen „Tanderadei“:

„Unter der Linde / an der Heide, / wo unser beider Bette war, / da könnt ihr schön / gebrochen finden / Blumen und Gras. / Vor dem Walde in einem Tal, / Tanderadei, / sang die Nachtigall lieblich.“ – Ach, Othello, wärst du doch auch so sanft geblieben!
Gisela Sonnenburg

Weitere Texte zum Stück hier und dort im Abspann:

www.ballett-journal.de/hamburg-ballett-othello-neumeier/

www.hamburgballett.de

 

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