Liebe und Intrige Abschied von einer Ära und Anregung für Ballettschaffende: „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller in der Peymann-Inszenierung im Berliner Ensemble

Claus Peymann macht aus "Kabale und Liebe" ein tragisches Fest der LIebe

Claus Peymann macht aus „Kabale und Liebe“ ein tragisches Fest der Liebe. Szenenfoto vom Berliner Ensemble: Monika Rittershaus

Es gibt ja so viele Themen und Dramen, von denen man sich wundert, dass es keine Bearbeitungen für (moderne) Ballette von ihnen gibt. So manches Stück von Friedrich Schiller gehört dazu, so „Kabale und Liebe“, das einer der schönsten Schmachtfetzen aus der Ära des Sturm und Drang ist. Dabei wurde es vermutlich angeregt von der „Emilia Galotti“ des etwas langweiligeren Klassikers Gotthold Ephraim Lessing von 1772. Nur zwölf Jahre später wurde Schillers „Kabale und Liebe“ uraufgeführt – und die Liebe zwischen Standesungleichen hat bis heute (oder auch gerade heute) so viel Brisanz, dass man wirklich nicht viel rumwurschteln muss, um die Sache für die Zuschauer heiß zu bekommen. Meisterregisseur Claus Peymann, dessen Ära als Intendant am Berliner Ensemble (BE) sich dem Ende nähert, brachte seine aktuelle Inszenierung von „Kabale“ im März 2013 zur Premiere – und am 20. Juni 2017 wird sie zum letzten Mal gespielt. Ein Jammer, denn was Liebe bewirken könnte, wenn sie das oberste Kriterium zur Weltenordnung wäre, zeigt dieses Drama in herausragender Weise.

Die Inszenierung setzt denn auch auf Purismus.

Da ist die gezielt karg ausgestattete Bühne von Achim Freyer (mit dem Peymann schon so manches gelungene Bubenstück vollbracht hat).

Zwei Kreise bilden das Bühnenbild. Oberhalb der Akteure schwebt ein Ring mit Scheinwerfern. Und unter ihren Füßen befindet sich die runde Spielfläche, etwas erhaben und zudem leicht abschüssig, wie die gesamte Bühne.

Wenn eine Person sich dem Spielort nähert, läuft sie mitunter ein paar Mal im Kreis um diese Spielfläche – im Text wird dann die Mauerschau dessen erwähnt, etwa: „Er kommt!“

Mit so einfachen, geradezu radikal einfachen Mitteln vermag Claus Peymann dem Stück Schwung zu verleihen. Eingebettet sind die Mittel der Simplizität allerdings in einen hochkarätig funktionierenden Theaterapparat, dessen minutiöse Lichtregie (Achim Freyer) ebenso von Bedeutung ist wie das Vermögen der Schauspieler, ihre Aktionen und Intonationen punktgenau zu platzieren.

Die Schauspieler, ach!

Claus Peymann macht aus "Kabale und Liebe" ein tragisches Fest der LIebe

Die Liebe in den Klauen der Macht: Luise (Antonia Bill) wird vom Präsidenten (Joachim Nimtz) seinem Sohn (Sabin Tambrea) vorenthalten. Szenenfoto vom Berliner Ensemble: Monika Rittershaus

Antonia Bill als Luise Millerin, also als jene Liebende aus bürgerlichem Stand und musikalischem Künstlerhaushalt, nach der das Drama von Schiller ursprünglich benannt worden war („Luise Millerin“), ist eine Erfrischung und eine Erbauung zugleich.

Ihr Herz wird scriptgemäß im Sturm vom gut aussehenden Major Ferdinand – furios gespielt von Peymanns bildschöner Allzweckwaffe für Jünglings- und Liebhaberrollen, Sabin Tambrea – genommen.

Die zwei sind häufig am BE ein Liebespaar auf der Bühne – und in jedem Stück verstehen sie es aufs Neue, der Liebe eine andere Farbe, eine andere glaubhafte Machart zu verleihen.

Hier sind sie die schier wie von Sinnen seiende, so verliebte Luise und der zunächst völlig sorglos verknallte Jungmann Ferdinand.

Im weißseidenen Flatterrock (sie) und im abenteuerlichen Ledermantel (er) geben sie ein Kontrastpaar ab, das auch optisch aus verschiedenen Universen stammt. Dennoch verkörpern sie als Paar die Utopie einer Zusammengehörigkeit, aufregend hübsch und romantisch im Duktus.

Dazu gehört das fliegende lange Haar eines Toupets bei Ferdinand, dem überschwänglich Liebenden, ebenso wie das demonstrativ verrutschte Kreuz auf dem Dekolleté der brav nicht-braven, weil so gefühligen Luise.

Achim Freyer, außer für Bühne und Licht zusammen mit Wicke Naujoks auch für die Kostüme zuständig, hielt sich zudem an eine strikte Farbsymbolik.

Das Weiß der Unschuld und der Nichtkorrumpierbarkeit tragen denn auch nicht nur Luise, sondern auch ihre Eltern zur Schau.

Zwar nimmt die Mutter (herzhaft-matronenhaft: Traute Hoess) gern kleine Geschenke wie Schnupftabak und Kaffee vom begüterten Major an, der als Sohn des einflussreichen Präsidenten von Walter eine blendende berufliche Laufbahn vor sich haben soll.

Aber wenn es hart auf hart kommt, hält sie zur Familienehre – und die verbietet jedwedes Nuttentum.

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Interessant ist, dass Schiller, der selbst als Poet ein Künstler war, hier das Bürgertum mit dem Künstlertum zusammenfallen lässt. Denn Luises Vater ist Stadtmusikant, und Martin Seifert spielt den laut Text auf Flöte und bei Peymann zudem auf Geige sowie aufs Cello nicht eben engherzig spezialisierten Künstler mit fester, klarer Stimme, die vor allem eine Art Klassenstolz bedeutet.

Dieser Musiker hier ist kein Bückling, kein kriechender Untertan, er ist keiner, der für Ruhm und hohe Gagen alles tun würde. Vielmehr hütet er sein familiäres Idyll als Hort des Anstands und der Würde – und erzog seine hierin durchaus willige Tochter nach diesen christlich, aber auch von der Aufklärung inspirierten Maßstäben.

Dass Luise sich nun die erotische Liebe sucht, um ein kleines Stück weit Rebellion gegens solide Elternhaus zu betreiben, passt ins moderne Psychogramm einer jungen Schönheit ebenso wie in die Vorgaben der Aufruhr gegen den Vater. Hätte der sich doch ganz sicher keinen Adligen als Freier der Tochter erwünscht, sondern, im Gegenteil, einen aus dem eigenen (bürgerlichen) Stand.

Das Motto, die Tochter solle sich die gesellschaftliche Leiter emporschlafen oder sogar emporheiraten, ist hier also verpönt. Schiller erteilt somit vielen realitären Maßstäben eine Absage. Seine Kleinbürgerfamilie Miller – die im Grunde eine Künstlerfamilie ist – strotzt nur so vor hehrem Ethos, sie frönt standhaft der eigenen Ehre statt der Korruption und verkörpert solchermaßen eine idealisierte Figurentruppe, die von Peymann ohne große Abstriche auch so verstanden wird.

Als Ballett könnte man sich diese Sphäre übrigens problemlos vorstellen, ebenso wie die fürstlicheren Gefilde, die hier szenisch von Ferdinands Vater und der für seinen Sohn als Gemahlin vorgesehenen Lady Milford verkörpert werden.

Die Lady. Krista Birkner spielt sie im atemberaubend erotischen, rosaroten Ballkleid, mit passenden langen Handschuhen und oft verdecktem, aber hüfthoch reichenden Seitenschlitz als von vornherein tragisch angelegte Figur.

Auf einer rosa Schaukel – die indes absichtlich viel zu tief hängt, um wirkliches Glück des Sichemporschwingens zu illustrieren – wiegt sie sich in Träume hinein, die, so weiß es der Zuschauer bereits, null Aussichten haben, Realität zu werden.

Lady Milford liebt nämlich den in Luise so völlig hingegeben verliebten Ferdinand – und sie hofft allen Ernstes, er werde ihre Zuneigung erwidern und ihren als Mätresse des Herzogs erprobten Reizen zwecks Eheschließung nicht widerstehen können.

Nun mag man sich fragen, ob ihr keine Selbstzweifel kommen, schon weil sie als zwar adlige, aber doch „gebrauchte“ Mätresse im Land bekannt ist.

Claus Peymann macht aus "Kabale und Liebe" ein tragisches Fest der LIebe

Ein letztes Mal ringt das Paar um seine Liebe: Antonia Bill als Luise und Sabin Tambrea als Ferdinand in „Kabale und Liebe“. Szenenfoto vom Berliner Ensemble: Monika Rittershaus

Aber das hat Schiller schon ganz richtig beobachtet: Wenn eine Frau verliebt ist und sich Hoffnungen macht, ist sie blind für die realen Zustände.

Zumal, wenn sie, wie im Fall der Lady, auf vielerlei Verbesserungen durch die neue Verbindung hoffen darf. Schließlich ist ein junger, knackiger Ferdinand als legitimer Lebenspartner für die Milford deutlich erfolgversprechender für eine gelungene Lebensführung als der knorrige Herzog, der ihren schmuddligen Mätressenstatus seit vielen Jahren zementiert hat.

Außerdem ist der Herzog kein Menschenfreund. 7000 junge Männer, so der Text, verkaufte er als Kanonenfutter nach Amerika. Weitere Familien stürzte er herzlos ins Unglück – die Lady will hingegen Gutes tun.

Glücklich sein und Gutes tun – sind das nicht ganz zeitgenössische Ziele?

Die Milford glaubt also, mit der Idee des Präsidenten, sie mit seinem Sohn zu vermählen, würde ihr Leben erst so richtig schön werden.

Blind aus Liebe ist derweil nicht nur sie allein.

Auch Luise macht sich keineswegs rechtzeitig Gedanken über den Standesunterschied zwischen ihr und Ferdinand. Und auch der Jüngling schmachtet solange sorgenfrei, bis ihm sein Vater die Probleme voll aufs Auge drückt.

Joachim Nimtz spielt den Präsidenten von Walter, mit einer wuchtigen Selbsteingenommenheit, wie sie typisch und notwendig für Mächtige wie diesen Adligen ist.

Freyer hat ihm eine wilde rote Perücke ohne Frisur verpasst, die auf eine windige Absicht beim Schalten und Walten des Präsidenten schließen lässt. Hier hat einer im Gewand eines Postens offenkundig nur sein eigenes Wohl im Blick!

Peymann stellte den Präsidenten zudem auf hohe Plateauschuhe, sodass er stelzenhaft die anderen Mitspieler hoch überragt und zudem gezwungen ist, sich äußerst majestätisch-langsam zu bewegen.

Es gruselt einen vor solchen Herrschaften, und doch kommen sie einem irgendwie bekannt vor.

Clownesk wirkt die Streifenhose, in der von Walter steckt, und dass es sich um einen klamaukigen Feudalhof handelt, unterstützt auch die Figur des Hofmarschall von Kalb. Thomas Wittmann spielt diesen hier stets in einer Staubwolke erscheinenden professionellen Günstling mit weiß angemaltem Lästermaul und changierender Eitelkeit bei gleichzeitiger Devotheit. Köstlich!

Bleibt noch der Mann namens Wurm, das wandelnde Sinnbild aller Intrigen. Als Haussekretär des Präsidenten krümmt er sich gern vor jeder weltlicher Macht, als künftiges Weibchen aber hat er sich – wohl auf den Fingerzeig des Präsidenten hin – ausgerechnet die hübsche Bürgerliche Luise erkoren.

Mit einem schwarzen Strumpf überm Gesicht wie ein Bankräuber und Ganove auftretend, ansonsten mit einem lädierten Zylinderhut wedelnd, müht sich Wurm sichtlich vergebens um den Anschein von Anstand. Norbert Stöß verleiht dieser Rolle das Süffisante des ewigen Bücklings.

Allerdings erinnere ich mich gern an Edgar Selge, der in den 80er Jahren diese Rolle in den Münchner Kammerspielen so reptilienartig und wirbellos sich krümmend spielte, dass er damit zweifelsohne einen unübertroffenen Maßstab an fieser Listigkeit eines hinterfotzigen Emporkömmlings ablieferte.

Wurm schließlich intrigiert so viel, bis die Liebenden gänzlich in der Klemme sitzen.

Claus Peymann macht aus "Kabale und Liebe" ein tragisches Fest der LIebe

Nur noch eine Vorstellung von „Kabale und Liebe“ in der Regie von Claus Peymann: Am 20. Juni 2017 im Berliner Ensemble – und es gibt noch einige wenige Karten (Infostand bei Redaktionsschluss am 1.5.17)! Faksimile von der Homepage vom BE: Gisela Sonnenburg

Inszenierte Missverständnisse zwischen ihnen sorgen dafür, dass Liebe und Tod in den Augen beider – und zwar unabhängig voneinander – unabdingbar vereint und ihr Ende notwendig erscheinen.

Claus Peymann hat sich hier auch körperliche, nahezu tanztheaterreife Vorgänge einfallen lassen.

Wie es schließlich dazu kommt, dass Ferdinand Luise zu einem von seinen rhythmischen Worten gesteuerten Walzer packt und in der Luft – sie schwebt dabei hilflos in seinen Armen – umher wirbelt, um sie dann zu Boden zu werfen, lohnt sich unbedingt, besehen zu werden.

Als die beiden bald darauf sterben, erst sie, dann er, hat das Böse scheinbar gesiegt.

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt – und sie keimt gerade bei diesem Stück erneut in den Herzen der Zuschauer, sehen sie doch, wie gut und gerecht die Liebe die Welt gestalten würde, wenn man sie nur ließe.
Gisela Sonnenburg

Noch einmal am 20. Juni 2017

www.berliner-ensemble.de

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