Eine kleine winterliche Romanze Paartanzen im Winter ist was Besonderes: Sarah Hay und István Simon vom Semperoper Ballett in Dresden machen’s vor – Alexei Ratmansky und William Forsythe kassieren derweil lieber ab

Ein fotografischer Wintertraum beim Semperoper Ballett.

Sarah Hay und István Simon vom Semperoper Ballett in Dresden: Man zupft an den Accessoires, bis man in winterlich-anmutige Stimmung kommt… Es kann losgehen! Foto: Gisela Sonnenburg

Und es begab sich an einem kühlen Wintertage, dass die Pause zwischen einer Probe und einer Vorstellung nicht nur mit Ruhezeit gefüllt werden wollte. In der Semperoper in Dresden war die „Probebühne 2“ frei für ein kleines Foto-Shooting – eine Séance, bei der Witz und Charme des Winters sich durchsetzen sollten. Der Erste Solist István Simon und die Halbsolistin Sarah Hay schnappten sich Ohrenschützer, Schal und andere Flausch- und Strickutensilien – und setzten sich in Pose. Eine kleine winterliche Romanze kann beginnen…

Wie aber soll man sie anfangen, in einem Raum ohne Kulissen, nur mit etwas Licht? Man ist auf sich selbst zurückgeworfen, als Tänzer, auf den Körper, auf die Ideen, die sich aus wenigen spaßhaften Textilien entwickeln lassen.

Ein fotografischer Wintertraum beim Semperoper Ballett.

Ein Mädchen, ein Junge, etwas Licht: Winterimprovisation mit Sarah Hay und István Simon auf der „Probebühne 2“ in der Semperoper in Dresden. Foto: Gisela Sonnenburg

Man könnte eine Hebung versuchen. Die rotweißen Nikolausschuhe passen dazu ja ganz vorzüglich! Offiziell hat sogar schon die Karnevalszeit begonnen, seit dem 11.11. um 11.11 Uhr, auch wenn das immer wieder vergessen wird. Aber die Schellen und die hoch gebogenen Spitzen dieser lustigen Schuhe erinnern eindeutig an die Narrenzeit, und die wiederum erinnert an so manche „Schwanensee“-Inszenierungen (etwa an die von Vladimir Burmeister, die in der Mailänder Scala jahrelang auf dem Spielplan stand). Da gibt es am Hofe des Prinzen Siegfried einen seltsamen Narren, der schöne Sprünge hat und zudem ein Flair von Absurdistan in die ansonsten ernsthafte Szenerie hinein trägt.

Ein fotografischer Wintertraum beim Semperoper Ballett.

Ah, eine Hebung! Die witzigen Nikolausschuhe passen beiden: Sarah Hay und István Simon in spaßhaft-ästhetischer Aktion in einer Pause in der Dresdner Semperoper. Foto: Gisela Sonnenburg

Diese Schuhe sind so witzig, dass sowohl Sarah als auch István einen abbekommen. Sie tanzen ja ohnehin zusammen hier, also können sie sich auch das Schuhwerk teilen… Hohohohoooo, heheheeeeey!

Was noch könnte man so machen? Noch eine Hebung? Den „Fisch“ etwa, den es in „Dornröschen“ oft zu besehen gibt und bei dem die Frau aus den Oberschenkeln des Mannes herauszuwachsen scheint?

Ein fotografischer Wintertraum beim Semperoper Ballett.

Jaaaaa, was könnte man denn noch machen? István Simon geht der Inspiration nach, Sarah Hay konzentriert sich auf eine Fantasie. Foto: Gisela Sonnenburg

Ach, das ist zu majestätisch, wenn man lieber an lustige Schneeballschlachten und glühweinselige Weihnachtsmarktbesuche denken möchte. Pardon, in Dresden heißt es natürlich: Striezelmarkt-Besuche. Die sind dort so häufig, vor allem von Touristen, dass die Hotelpreise explodieren und im Dezember stets doppelt bis dreifach so hoch sind wie sonst. Eigentlich ist das ungerecht, denn andere Gewerbe können sich eine solche Preisgestaltungen nicht erlauben. Die Taxifahrer zum Beispiel dürfen nicht einfach das Doppelte verlangen, wenn ihre Dienste wegen schlechter Witterung oder beim Streik der Zugführer besonders gefragt sind.

Oder die Currywurstbudenbetreiber und die Veggie-Burger-Anbieter. Die Bäcker und die Biogeschäfte. Oder auch die Tänzer und die Journalisten!

Ein fotografischer Wintertraum beim Semperoper Ballett.

Eine wunderhübsche, verspielte Pose – und irgendwie weihnachtlich. Oder vor allem verliebt? István Simon hält Sarah Hay, sicher und fest(lich)… Foto: Gisela Sonnenburg

Niemand von ihnen treibt einfach mal eben so kurzfristig seinen Marktwert in die Höhe… Es sei denn, sie sind Stars und haben mehr als nur einen Fernsehauftritt. Da wird dann natürlich immer sehr gut gezahlt – und wenn man Alexei Ratmansky oder William Forsythe heißt, wird man sogar noch von Rolex angefragt, ob man nicht gegen fettes Geld Werbung für lächerliche, überteuerte, grottige und geschmacklose Protz-Uhren machen möchte.

Aber korrupt sind leider doch viele, auch Ratmansky und Forsythe konnten nicht widerstehen – und lassen sich derzeit vor den Karren des Weihnachtsgeschäfts dieser T-Rex-Uhrenfabrikanten spannen. Deren Produkte sind Prototypen für eine Art von Luxus, den im Grunde wirklich nur Idioten brauchen.

Ein fotografischer Wintertraum beim Semperoper Ballett.

Ballett in der Schieflage: Alexei Ratmansky hält bei Rolex die Hand auf. Doofwerbung für doofe Reiche – mit einem technisch schlechten Foto, das Authentizität vortäuschen soll, auf der Rückseite einer „Spiegel“-Ausgabe im Dezember 2015. Mit Kunst oder Kultur hat so eine Art des Geldverdienens jedenfalls nichts zu tun. Statussymbole sind die falschen Werte und sollen ja auch meist etwas kaschieren… Jedenfalls ist das ärgerlich! Foto: Gisela Sonnenburg

Mit Schönheitssinn oder gar mit ästhetischer Erziehung hat das nix mehr zu tun. Aber unsere Starchoreografen schätzen ja die prall gefüllten Konten! Sie buckeln vor dem großen Geld. Da bewerben sie nun also diese grässlichen Monsteruhren, um eine Potenz vorzutäuschen, die ihnen selbst möglicherweise schon eher wieder abgeht. Im Internet und auch auf der Rückseite einer „Spiegel“-Ausgabe findet man die Resultate. Unbekannte Talente werden zusätzlich präsentiert – eine Alibi-Funktion dieser Geldmacherei, damit sie angeblich begabten jungen Leuten auch noch was nützt. Pfui!

Ein fotografischer Wintertraum beim Semperoper Ballett.

Ganz sittsam überlegen sie die folgenden Schritte… István Simon und Sarah Hay vom Semperoper Ballett sind hier keine Ikonen des überteuerten Kommerzes… sondern Künstler! Foto: Gisela Sonnenburg

Das ist nun gar nicht romantisch. Aber närrisch!

Ein fotografischer Wintertraum beim Semperoper Ballett.

Sie hat ihn an der Leine, auch wenn er noch so ätherisch springt: Sarah Hay und István Simon mit einer vollen Portion Humor auf der „Probebühne 2“ in der Semperoper in Dresden. Foto: Gisela Sonnenburg

Da möchte man doch glatt in die Luft gehen vor Ärger! Oder man taucht ab in die Welt des praktischen Balletts, wie sie sich auf der „Probebühne 2“ in der Semperoper in Dresden ergeben hat.

Da kann man sogar mal einfach die Rollen tauschen, wie es in moderneren Balletten ja auch manchmal der Fall ist.

István Simon mutiert flugs scherzhaft zu einer Art höchst attraktivem „Sylphidus“, der zwar nicht am vergifteten Schal hängt – wie die Titelfigur in „La Sylphide“ – der aber von seiner Partnerin flott eingefangen wurde. Aber hallo! Sarah platzt dazu schier das Gelächter aus dem niedlichen Gesicht.

Ein fotografischer Wintertraum beim Semperoper Ballett.

Walzer statt Krippenspiel: eine gute Idee für Weihnachten, tauglich für so ziemlich alle Altersklassen! István Simon und Sarah Hay in der Semperoper in Dresden. Foto: Gisela Sonnenburg

Irgendwie macht die Maskerade beiden höllischen Spaß. Vielleicht sollte man Weihnachten künftig sowieso ein bisschen weniger ernst nehmen und mehr karnevaleske Elemente in die Feierei einflechten… und da muss es ja nicht immer der klassische Weihnachtsmann sein.

Was das Paartanzen angeht, so wurde es vermutlich im Winter erfunden, weil man sich dabei so schön aneinander wärmen kann. Wenn Musik ertönt, kommt auch die Inspiration in Schwingungen.

Walzer! So hübsch er im Sommer oder auch als „Blumenwalzer“ auf der Bühne in Tschaikowskys „Nussknacker“ auch aussehen mag – erfunden wurde der Walzer natürlich zur Winterszeit. Der Wiener Opernball, dem man in der Semperoper erstmals 1925 mit dem Dresdner Opernball nacheiferte, steht ja nicht umsonst alljährlich kurz vor Aschermittwoch am Ende einer langen Übungsserie von Bällen und Empfängen, die den dunklen Winter zu einem lichten Ereigniszeitraum machen sollen.

Ein fotografischer Wintertraum beim Semperoper Ballett.

Ein Walzer muss noch sein, mit Sarah Hay im Arm von István Simon vom Semperoper Ballett: Walzer ist der schönste Tanz im Winter, das war schon 1814/1815 zur Zeit des Wiener Kongresses so… Foto: Gisela Sonnenburg

Walzer! Walzer! Man tanzt ihn Arm in Arm und ist doch distanziert. Man ist im Strudel der Dreiviertelrhythmen schnell hin- und hergerissen, bald nassgeschwitzt, dabei orgiastisch animiert – und dennoch behält man den Kopf oben. Der Unterleib bleibt nämlich ruhig beim Walzern, daran liegt es wohl. Walzer ist kein Hüftgeschiebe, ist kein Mambo und kein Paso doble.

Walzer hat die Kühle der frischen Winterluft und die Hitze der heißen Gedanken. Ein echter Wintertraum…
Gisela Sonnenburg

P.S. Die auf den Fotos oben posierenden Künstler sind indes nicht immer nur am Tanzen interessiert. So wird sich Sarah Hay – was im März 2016 bekannt gegeben wurde – vom Semperoper Ballett beurlauben lassen, um nach ihrem Erfolg in einer US-amerikanischen TV-Mini-Serie („Flesh and Blood“) ihr Glück als Filmschauspielerin in Hollywood zu versuchen. Da lockt die Aussicht auf großes Geld wohl doch mehr als die harte Ballettstange…
bj

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