Vom Bolschoi über Wien in die Welt Rudolf Nurejev brachte den russischen „Don Quixote“ in den Westen – jetzt ist diese Inszenierung wieder in Wien zu sehen: sogar als Outdoor-Erlebnis

"Don Quixote" in Bestform in Wien.

Maria Yakovleva und Denys Cherevychko in „Don Quixote“ in Wien: elegant, feurig, überbordend vor Lebensfreude. Foto: Michael Pöhn / Wiener Staatsballett

Ole, ole, ole! „Don Quixote“, dieser spanisch inspirierte Bestseller der Klassik, ist der „Action-Thriller“ unter all den feinen Stücken, die der gebürtige Franzose Marius Petipa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Russland uraufführte: „Don Quixote“ strotzt nur so vor Tatendrang, besteht aus komisch-skurrilen, teils sogar absurden Handlungsmomenten, die sich dennoch zu einer runden Geschichte formen. Die Titelfigur – der Ritter von der traurigen Gestalt, er ist dem Episodenroman von Cervantes aus dem frühen 17. Jahrhundert entlehnt – ist dabei aber gar nicht mal die Hauptperson. Sondern in Petipas Ballett brilliert, eingebettet in personalstarke, volkstümliche Szenerien, vor allem ein virtuos tanzendes Liebespaar, das um seine Verbindung kämpfen muss. Die Mutter der Braut will sie nämlich unbedingt anderweitig verkuppeln. Bis zum Happy End – im vierten Akt – ist darum viel Librettoplatz für „Äktschn“. Komik und Klamauk, Verwicklungen und Verwechslungen, Schwung und Scherzhaftigkeit bestimmen das Geschehen: „Don Quixote“ (bei dem das „x“ als „ch“ gesprochen wird) ist seit seiner Uraufführung 1869 am Bolschoi in Moskau ein familienfreundliches, rasantes, knallbuntes Turboballett. Auf also nach Bühnenspanien! Dieses befindet sich zudem bald nicht mehr nur in der Staatsoper in Wien, sondern an zwei Abenden – am 18. und am 22. September 2015 – auch outdoor, denn die Vorstellungen werden live auf den Herbert von Karajan-Platz übertragen.

Da stimmt es froh, dass in Wien derzeit noch richtig sommerliche Temperaturen herrschen. Zwar tanzen Kitri – also die bildschöne, bühnenwirksame Primaballerina Maria Yakovleva – und ihr Basil – dargestellt vom blutjungen Supertalent Denys Cherevychko – nur scheinbar draußen (auf der Leinwand). Aber als Publikum will man es ja auch angenehm und nicht zu kalt um die Nase haben.

"Don Quixote" in Bestform in Wien.

Rudolf Nurejev 1972 in „Don Quixote“: Er hatte sich Jahre zuvor in Sankt Petersburg beim Kirov-Ballett (dem heutigen Mariinsky-Theater) von der Pluderhose als „spanischem“ Kostüm selbst befreit. Seither darf Basil zeigen, was er hat… Foto: privat / Faksimile: Gisela Sonnenburg

Dabei wird der Geist von Rudolf Nurejev über allem schweben. Denn er brachte das dort traditionsreiche Petipa-Ballett „Don Quixote“ aus der Sowjetunion mit in den Westen; vorher war es, wie auch „Le Corsaire“, jenseits des Eisernen Vorhangs kaum bekannt. 1966 inszenierte „Rudi“ das Stück voll tollkühner Sprünge, die er dann selbst zum Besten gab, an der Wiener Staatsoper – und von hier aus trat es seinen Triumphzug über die Ballettbühnen der Welt an. Die Tradition, den „Don Quixote“ ohne Pantalons und statt dessen nur in Strumpfhose zu tanzen, erfand Nurejev übrigens schon gegen den erbitterten Widerstand seiner Vorgesetzten in Russland: Er wollte attraktiv wirken und verweigerte bei den Aufführungen einfach die dort vorgesehenen „spanischen“ Pluderhosen. Im Westen dann setzte sich das Quixote-Kostüm à la Nurejev durch, ohne dass es als solches auch nur erwähnt oder gar diskutiert werden musste.

"Don Quixote" in Bestform in Wien.

Noch einma Nurejev 1972 in seiner Glanzrolle als Basil: charmant, leidenschaftlich, bestgelaunt! Foto: privat / Faksimile: Gisela Sonnenburg

In Wien wurde indes auch schon das erste bekannte „Don Quixote“-Ballett überhaupt uraufgeführt, das mit dem von Petipa-Nurejev aber nicht zu verwechseln ist: um 1740 war das, am Wiener Kärtnertor-Theater, der choreografierende Inszenator hieß Frans Hilverding van Wewen. Der Schwerpunkt lag damals auf den Massenszenen, bei denen es mit viel Kledage halt viel zu gucken gab. Aber auch der Franzose Jean Georges Noverre (der oft als Vater des Ballets bezeichnet wird) schenkte Wien seinen eigenen „Don Quixote“: 1768. Und fast hundert Jahre später, 1855, machte der Pantomime Giovanni Gollinelli eine komische Posse mit deftiger Humtata-Musik aus dem anekdotischen Thema, ebenfalls im schönen Wien.

"Don Quixote" in Bestform in Wien.

Basil beim Flirten: „Rudi“ Nurejev in einer seiner Inszenierungen von „Don Quixote“, mit Laute und Herrendekolletée… Foto: privat / Faksimile: Gisela Sonnenburg

Allerdings: So großen Erfolg wie Nurejevs Petipa-Glamour hatten all diese historischen Wiener Teilchen mitnichten. Denn die hochkarätige, aus Russland stammende Version verbindet den teils derben Humor der Geschichte mit feinsinnigen choreografischen Arrangements, sie unterfüttert die Groteske mancher Handlungsstränge mit technischer Grandezza – und auch mit körperlicher Ironie.

Getanzte Ironie – das ist ja oft schlicht Übertreibung, ohne jeden Hinweis auf ironisches Geschehen, auf Under- oder Overstatement.

In den Hebungen und Konstellationen des Liebespaares aus „Don Quixote“ ist denn auch allerdings gar nichts übertrieben. Sondern auf den Punkt gebracht, vor allem eins: virtuos.

"Don Quixote" in Bestform in Wien.

Noch einmal Rudolf Nurejev als Basil: in den 70er Jahren floss der Zeitgeist mit ein, die Haare wurden bauschig gefönt, die Ärmel betonten den Brustausschnitt. Foto: privat / Faksimile: Gisela Sonnenburg

Da darf das Mädchen mit dem Fächer spielen, lange Balancen auf einem Bein halten und sich im vertikalen Spagat weit über den Kopf des Jungen heben lassen. Er wiederum darf ein Bolerojäckchen oder alternativ ein rüschenreiches Hemd mit Pluderärmeln tragen, mit Sprüngen und Pirouetten ungezügelt beeindrucken – und stolz wie Bolle auf seine eigene, unverwüstlich gute Laune sein. Besonders beliebt und berühmt sind zwei Tanzelemente: der „Kitri-Sprung“ der Hauptdarstellerin, der einem diagonal nach vorn tiefer gelegten Spagatsprung mit angewinkeltem Hinterbein gleicht, und der Grand Pas de deux aus dem Schlussakt.

Letzterer ist als Bravourstück bei Galas heiß begehrt; und es gibt kaum eine Starballerina noch einen Starballerino, die oder der damit nicht schon nach allen Regeln der Ballettkunst reüssiert hat.

Auch Manuel Legris, seit 2010 Ballettdirektor vom Wiener Staatsballett, hat als Ètoile der Pariser Oper international bleibenden Eindruck als Basil hinterlassen. Mit strahlendem Lächeln ob der Raffinesse des Stücks!

Der technisch hohe, anspruchsvolle Standard wird dabei ergänzt von Posen mit feurigem Flamenco-Temperament, welches das Stück in stilisiert-ballettöser Manier grundiert. Weitere Elemente spanischer Folklore kommen hinzu, sind aber stets verbrämt und eingefügt in die klassische Ballettästhetik.

In Wien beherrschen gleich drei Besetzungen dieses Flair.

Roman Lazik, Ketevan Papava und Olga Esina tanzen gemeinsam mit Yakovleva und Cherevychko. Esina wird aber dann im Oktober die Kitri tanzen, zusammen mit ihrem Galan Vladimir Shishov. Liudmila Konovalova (manchen deutschen Hauptstädtern noch aus ihrer Zeit unter Vladimir Malakhov ein wunderbarer Begriff) und Robert Gabdullin als ihr Partner übernehmen dann Ende Oktober und im November die Hauptpartien.

"Don Quixote" in Bestform in Wien.

Ein „Fisch“ in mustergültiger Position: Maria Yakovleva (Kitri) hält sich hier nur mit den Beinen an ihrem Partner Denys Cherevychko (Basil), der sie unauffällig mit dem linken Arm unterstützt. Die Ballerina braucht hier viel Kraft im Rücken! Toll: „Don Quixote“ in Wien. Foto: Michael Pöhn / Wiener Staatsballett

Das Orchester der Wiener Staatsoper wird von dem versierten Ballettdirigenten Paul Connelly durch die knallenden Rhythmen und treibenden Melodiebögen von Ludwig Minkus geführt. Minkus war übrigens Österreicher – und schuf mit der Musik für „Don Quixote“ so etwas wie den ersten musikalischen Multikulti-Mix. Denn nicht nur für wenige Takte wird hier hörbar ein fremdes Land besucht… ole!
Gisela Sonnenburg

„Don Quixote“: am 18. und 22. September, dann am 2., 6. und 20. Oktober sowie am 8. November in der Wiener Staatsoper; an den September-Terminen auch als Outdoor-Übertragung live auf dem Herbert von Karajan-Platz in Wien, mit Sitzgelegenheiten auf dem Platz – und ohne Eintritt dort… eine tolle Schnuppergelegenheit für Wiener, Wientouristen, Flüchtlinge und alle, die Ballett im familienfreundlichen Format genießen wollen!

www.wiener-staatsoper.at

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