Keine Juwelendiebe in Sicht Das Bayerische Staatsballett entzückt mit „Jewels“ von George Balanchine in neuen Besetzungen

Jewels" beim Bayerischen Staatsballett

Schöner als jeder Opernball: Die Paare in „Diamonds“ aus den „Jewels“ von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Schmuck kann so verführerisch funkeln! Vor allem, wenn es sich um echte Juwelen handelt und man weiß, dass der edle Eindruck viel länger als ein Menschenleben erhalten bleibt. Die „Jewels“ von George Balanchine, die er 1967 in New York City uraufführen ließ, sind denn auch nicht nur wahre tänzerische Preziosen von genialer Machart, sondern sie sind auch recht gedankenvoll thematisch rund ums Thema „Juwelen“ angesiedelt. Die nächtliche Schaufensterauslage eines bekannten Juweliers soll den Choreografen und Mitbegründer vom New York City Ballet inspiriert haben. Seinen Geldgebern und deren Gattinnen war das sehr lieb: Die reiche Oberschicht vom Big Apple hatte selbstverständlich schon immer ein Faible für mehr oder weniger protzige Juwelen. Eine künstlerische Aufwertung anhand der lebendigsten aller Künste, des Tanzes, kam da gerade recht. Und es wurde ein ebenso repräsentatives, aber auch berührendes dreiteiliges Ballett, das Balanchine für insgesamt 20  Solist:innen sowie für das Corps de ballet kreierte. Drei der vier großen Weltedelsteine nahm er sich nacheinander vor: die Smaragde („Emeralds“), die Rubine („Rubies“) und die Diamanten („Diamonds“). Fehlen noch die Saphire („Saphires“), die vielleicht mal jemand als  Auftakt choreografieren wird. Für Balanchine steht indes jede Edelsteinart für ein ganz bestimmtes, unverwechselbares Temperament, für einen bestimmten Grundausdruck im Tanz. Musikalisch konzentrierte sich der Erfinder des russisch-amerikanischen Balletts dabei auf leichthin melodiöse, ausdrucksstarke Klänge der Klassik. Keine Experimente, aber auf den Punkt gebrachte Stimmungen interessierten ihn als akustische Grundierung seiner Kreationen voller Flair und Leidenschaften. Das Bayerische Staatsballett, das vor einigen Jahren sehr erfolgreich Balanchines „Sinfonie in C“ im Repertoire hatte, liefert mit „Jewels“ schon traditionellerweise ein Highlight der Neoklassik ab.

"Jewels" zur Ballettfestwoche 2019

Alina Somova lag hier auch schon in den Armen von Vladimir Shklyarov beim Bayerischen Staatsballett, im Grand Pas de Deux der „Diamonds“ bei den „Jewels“. Wow! Foto: Wilfried Hösl

Verschiedene Besetzungen – auch mal mit Nancy Osbaldeston, Ashley Bouder und Alina Somova als Gaststars – machten die getanzte Juwelen-Schau schon oft zu tollen Abenden im Münchner Nationaltheater.

Am vergangenen Samstag debütierten nun weitere Mitglieder des Hauses in diversen Partien – und begeisterten einmal mehr mit dem Glanz und der Brillanz der Stücke, die sehr wohl Raum lassen für persönliche Noten und Nuancen.

Jewels" beim Bayerischen Staatsballett

Emilio Pavan in „Emeralds“, dem ersten Teil der „Jewels“, mit einer anderen Damenbesetzung – so war es auch schon zu sehen beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Allen voran reüssierten Madison Young und Emilio Pavan, Jeannette Kakareka und Carollina Bastos sowie Shale Wagman – ein neuer Münchner Sensationstänzer – im ersten Teil des Abends, also in den elegisch-melancholischen und ganz in samtigem Smaragdgrün gehaltenen „Emeralds“.

Sanft und hingegeben läutet die Musik von Gabriel Fauré, der ein Schüler von Camille Saint-Saens war, zur Meditation über die Schönheit und Hintergründigkeit der Smaragde.

Arabesken und voluminöse Armgesten, superber Spitzentanz und oftmals ein eklatant schneller Richtungswechsel sind hier prägend.

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Hier im Bild tanzt die begeisternde Münchner Ballerina Madison Young die Titelrolle der „Giselle“: mit einer Weichheit, für die auch in den „Emeralds“ der „Jewels“ von George Balanchine gelegentlich Raum ist. Foto vom Bayerischen Staatsballett: Emma Kauldhar

Insbesondere Madison Young mit ihren eleganten Linien und Jeannette Kakareka mit ihrer mädchenhaften Zartheit verkörpern hier die akkurate Noblesse des Balanchine’schen Stils.

Carollina Bastos mit ihrer Aura einer Latin Beauty bringt dann im Pas de trois mit Bianca Teixeira und Shale Wagman feminine Leidenschaft in die Szenerie.

Die Herren, allen voran der versierte Emilio Pavan und der wirklich mitreißende, aus Kanada stammende Sprungbegabte Shale Wagman, sowie Vladislav Dolgikh stehen hier für geduldiges Partnern und lieblich-lyrische Referenzen auch ins Publikum.

"Jewels" von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett

Emilio Pavan als Kavalier in den „Emeralds“ aus den Jewels von Balanchine, an seiner galanten Hand: Madison Young. Foto: S. Gherciu

Das Corps de ballet besteht hier nur aus Damen, die im selben grünen, wadenlangen Tüllrock mit sexy Mieder sowie einem dunkelgrün glitzernden Diadem im Haar auftreten wie die Solistinnen.

Hier sind eben alle von Adel; es handelt sich ja um eine träumerische Fantasie, die sich auf jeden Fall auf verlebendigten Smaragdschmuck bezieht. Wehmut und dennoch Zuversicht spiegelt der Tanz hier; ein gewisses Vergnügen am tänzerischen Sinnieren ist ebenso enthalten sowie ein sehnsüchtiges Herbeiwünschen der guten Dinge.

"Jewels" von George Balanchine - immer wieder gut

Die Energie der Smaragde: Die edelmütigen Paare aus „Emeralds“ in den „Jewels“ waren auch schon beim Wiener Staatsballett zu sehen: einfach schön! Videostill: Gisela Sonnenburg

In München wird „Jewels“ zudem in der Originalausstattung von Peter Harvey und Karinska getanzt. Harvey schuf harmonisierende abstrakte Hintergrund- und Mobilé-Kulissen, die zu den jeweiligen Edelsteinen passen. Den milchig changierenden Jardin („Garten“) im Innern der kostbaren Smaragde findet man hier als grün modifizierten Sternenhimmel wieder, und vornehme Vorhangfalten stehen für die Schwere und das hohe Karatgewicht der Steine.

Karinska wiederum, die ukrainisch-amerikanische Bühnenbildnerin, die mit vollem Namen Barbara Karinska hieß, war Balanchines bevorzugte Kostüm-Designerin. Sie verstand sein Gefühl für Frauen – und schuf elegant-süße Kostüme fürs Prinzessinnen-Outfit („Emeralds“ und „Diamonds“) ebenso wie im peppig-kecken kurzberockten Look für die „Rubies“.

Superschöne Stimmung beim Applaus nach „Rubies“ in „Jewels“, hier im Bild mit Ashley Bouder und Osiel Gouneo beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Die dunkelrot mit hellen einschießenden Blitzen eingefärbte Szenerie der Rubine verheißt dann gleich eine ganz andere Atmosphäre.

Und die Musik! Igor Strawinsky schuf mit seinem „Capriccio für Klavier und Orchester“ von 1929 eine sowohl jazzige als auch avantgardistische Partitur. Dmitry Mayboroda spielt im Nationaltheater mit viel Sinn für Komik die mitunter aberwitzigen, auf- und absteigenden Melodiebögen am Piano.

 

Robert Reimer, der mehr als nur bewährte Dirigent des Abends, sorgt in allen drei Teilen des Stücks für seinen berühmten „Märchensound“: Man kann somit dahinschmelzen und sowohl ganz mit den Tänzer:innen empfinden oder auch, von der Musik geleitet, eigene Gefühlswege gehen. Das Bayerische Staatsorchester hat hier jedenfalls dafür alles drauf.

Sofia Ivanova-Skoblikova, gebürtig und ausgebildet in Sankt Petersburg, bringt einmal mehr den guten Stil der Vaganova-Akademie mit nach München. Sie ist neu in Bayern und wird als Solistin sicher noch für Bravour sorgen.

"Jewels" von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett

So muss es sein! Keck und frivol, kess und spritzig: Sofia Ivanova-Skoblikova in den „Rubies“ aus den „Jewels“ von Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: S. Gherciu

Ihre spritzig-kecke Partie in den „Rubies“ im „Solo-Paar“ wurde beim Bayerischen Staatsballett auch schon von der Primaballerina Laurretta Summerscales getanzt, die nunmehr ihr erstes Kind erwartet. Laurrettas geschmeidiger, ja wandelbarer Ehemann Yonah Acosta partnert nun auf der Bühne behende Ivanova-Skoblikova – und die beiden geben ein putzmunteres, bis ins Absurde scheinbar locker-flockiges, dennoch hoch virtuoses Paar ab, ganz wie es sich hier gehört.

Besonderen Einsatz aber zeigt Margarita Grechanaia, die als zusätzliche Solistin die furiose Einzelgängerin in den „Rubies“ ist. Patricia McNeary tanzte diese Partie einst – und drückte der Rolle als selbstbewusst funkelnde Solitär-Heldin auch ihren Stempel auf. Frech und technisch hoch anspruchsvoll, ist das hier keine Partie für etwaige Mauerblümchen. Forsch und dominant erfüllt Grechanaia alle Ansprüche, von der originell und schnell ausgeführten Akrobatik auf einem Bein bis zum anmutig zelebrierten Penché.

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Margarita Grechanaia im Grand jäte als Myrtha in „Giselle“ beim Bayerischen Staatsballett: jung und beherrscht, souverän und doch eine verletzbare Frau. Wunderbar! Foto: Emma Kauldhar

Auch das Corps de ballet entspricht der lebhaften, mitunter geometrisch, aber auch mal exotisch anmutenden Choreografie.

Und dann, nach der zweiten Pause, glitzert und funkelt das große Glück der Diamanten!

„Diamonds“ ist ein Stück wie aus dem Musterbuch des neoklassischen Balletts. Zu Ehren des härtesten Materials, das es natürlicherweise geben kann – und das in geschliffenem Zustand zudem wörtlich brillant zu glitzern vermag – erfand Balanchine zeitlos-majestätische Schrittkombinationen.

Großartige Soli und Pas de deux zeigen folkloristische Zitate, aber immer auf höchstem und stilisiertem Niveau. Das Corps hat dazu auch eine Menge zu geben, von rotierenden Formationen bis hin zur großen Paar-Polonaise.

Die Musik von Peter I. Tschaikowsky unterstützt all dies, mit dem 2., 3., 4. und 5. Satz der 3. Sinfonie in D-Dur. Sie entstand übrigens zwei Jahre vor der Uraufführung vom  „Schwanensee“, also 1875. Aber sie atmet bereits dieselbe hoheitliche, kühne und dennoch seelenvolle Schönheit.

Diese Eigenschaften muss auch die Primaballerina hier nachgerade verkörpern.

Viele Primaballerinen von Welt manifestierten schon mit der an Marius Petipas „Raymonda“ orientierten Partie ihren guten Ruf. Von Suzanne Farrell bis zu Polina Semionova.

"Jewels" ist ein Ballett nicht nur über Edelsteine.

Die „Diamonds“ glitzern stets verheißungsvoll! Wie hier im Bild tanzten einst Mikhail Kaniskin und Shoko Nakamura beim Staatsballett Berlin in „Jewels“. Foto: Carlos Quezada

Jetzt tanzt Prisca Zeisel aus Wien diese begehrte Partie, in strahlendes Weiß gehüllt und mit strahlenden Augen als unverzichtbares Apercu unter dem großartigen Diadem.

Grandios ist hier alles, von den vornehmen Tendu-Posen bis zu den eleganten großen Sprüngen.

Auch ihr Kavalier, von dem stets mit Brillanz wie auch mit leichter Hintergründigkeit begeisternden gebürtigen Chinesen Jinhao Zhang getanzt – der nunmehr endlich zum Ersten Solisten ernannt wurde (Herzlichen Glückwunsch! Sehr verdient!) – bekleidet eine Glanzpartie in „Diamonds“.

"Jewels" von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett

Robert Reimer, der grandiose Dirigent des Abends, mit den Stars Prisca Zeisel und Jinhao Zhang: Diamantener Glanz beim Schlussapplaus nach „Jewels“ von Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Serghei Gherciu

Hochherrschaftlich und dennoch verbindlich tanzen die beiden erst auf Distanz, dann face en face, schließlich im engen Pas de deux miteinander. Die Hebungen klappen reibungslos, die entrückt-verzauberte Sphäre verleiht den beiden die Anmutung von Himmelstänzern.

Margarita Grechanaia, Elvina Ibraimova, Jeannette Kakareka, Vera Segova, Vladislav Dolgikh, Vladislav Kozlov, Sergio Navarro und Dmitrii Vyskubenko sind in Solopartien präsent – und zusammen mit dem Corps entsteht hier eine Vision von einer glücklich-beglückenden  Menschheit, die einerseits nostalgisch, andererseits aber auch sehr zukunftsgewandt wirkt.

So prachtvolle Festlichkeit ist eben niemals out – ebenso wenig wie das Feuer von lupenreinen, hochkarätigen, facettenreich geschliffenen Brillanten.

Und auch, wenn der Bühnenboden manchmal etwas zu glatt erscheint, so sind doch keine Juwelendiebe in Sicht, die den Eindruck von ewiger Grandiosität entwenden könnten.

Das Publikum goutierte das und spendete stürmischen Beifall, inklusive dem für München typischen Fußgetrappel.
Franka Maria Selz / Gisela Sonnenburg

www.staatsballett.de

 

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