Kurz vor der Premiere liegen an jedem Theater die Nerven blank. Dennoch fand Tobias Ehinger, Ballettmanager unter dem Direktorat von Xin Peng Wang beim Ballett Dortmund, die Zeit und die Konzentration, einige Fragen zum neuen, dreiteiligen Abend „Kontraste“ tiefgehend zu beantworten. Was da im Titel so einfach und sinnfällig klingt – eben „Kontraste“ – ist nämlich durchaus vertrackt und gerade darum hoch spannend.
Ballett-Journal: Kurz vor der Premiere von „Kontraste – Inger / Siegal / Clug“ war das Konzept des Abends ja schon deutlich. Warum wurden genau diese drei Stücke von diesen drei Choreografen dafür ausgewählt?
Tobias Ehinger: Uns ist es ein Anliegen – neben abendfüllenden Uraufführungen mit neuen Stoffen und Klassikern – in jeder Spielzeit die Bandbreite der unterschiedlichen choreografischen Handschriften in mehrteiligen Ballettabenden vorzustellen. In der neuen Premiere haben wir bewusst drei Choreografen ausgewählt, die sowohl in ihrer Herangehensweise, als auch im Charakter ihrer Choreografien gänzlich unterschiedlich sind. Durch die Gegenüberstellung der Werke bekommen diese einen besonderen Kontext und werden in ihrer Besonderheit verstärkt. So etwas empfinde ich oft bei der Betrachtung von bildender Kunst unterschiedlicher Stilrichtungen, aber auch bei „Unitxt“ von Richard Siegal im Kontext zu „Rain Dogs“ von Johan Inger.
Ballett-Journal: Johan Inger, der vor allem mit seinem Satire-Stück „Cacti“ weltweit Erfolge einheimst, steht für Witz und für die skandinavische Avantgarde. Was macht ihn so besonders?
Tobias Ehinger: Johan Inger hat einen sehr feinen Sinn für Humor und für die zwischenmenschlichen Schwingungen. Sein Stück „Rain Dogs“ (wörtlich: „Regenhunde“, d. Red.) ist inspiriert von der besonderen Atmosphäre in Tom Waits Musik – ein sehr stimmungsvolles Stück, das Alltagsituationen aufgreift und in einer geerdeten ausdrucksstarken Tanzsprache erzählt. Ingers Herkunft vom Nederlands Dans Theater ist unverkennbar.
Ballett-Journal: Richard Siegal hat seit kurzem eine eigene Tanztruppe in München. Sein „Unitxt“ wurde beim Bayerischen Staatsballett uraufgeführt. Worin liegt der Reiz, es nun beim Ballett Dortmund zu zeigen? Zumal die Musik von Carsten Nicolai in meiner Erinnerung vor allem laut und banal ist…
Tobias Ehinger: Richard Siegal ist stets auf der Suche nach neuen Formen für den Tanz. Dabei arbeitet er oft interdisziplinär – in „Unitxt“ hat er zusammen mit dem Industriedesigner Konstantin Grcic elastische Haltegriffe für die Partnerarbeit entwickelt. Sein Ansatz ist, den Raum neu zu definieren und die anatomischen Möglichkeiten zu erweitern. Dies ist ein interessanter Aspekt. Aber nicht nur für den Zuschauer, auch für die Tänzer ist sein greller Stil ein starker Kontrast und in der Kombination eine Herausforderung. Eine Herausforderung, an der die Compagnie wächst.
Ballett-Journal: Edward Clug ist gebürtiger Rumäne und hat ebenfalls eine kleine eigene Truppe, am Slowenischen Nationaltheater in Maribor, wo er früher auch Erster Solist war. Clug hat aber auch schon international, unter anderem
für das Stuttgarter Ballett, choreografiert. Was wird er in Dortmund zeigen?
Tobias Ehinger: Wir schätzen Edward Clug sehr und freuen uns, dass er für und mit unseren Tänzern ein neues Werk kreiert hat. „Hora“ ist eine Auseinandersetzung mit seinen eigenen Wurzeln, seiner Herkunft aus Rumänien und den dortigen Tänzen und Bräuchen. Es ist aber kein lautes Stück, sondern eines mit viel Feinsinn. Inspiriert wurde Clug von seinem Landsmann Alexander Balanescu, einem Violinisten und Komponisten, der inzwischen das Balanescu Streichquartett in London leitet. Ein sehr poetisches Stück, dass sehr detailliert gearbeitet ist.
Ballett-Journal: Verbessern Sie mich bitte, wenn ich falsch liege. Aber die „Kontraste“ aus dem Titel kann man offenbar in vielen verschiedenen Hinsichten erkennen – und am Ende dürfte die Erkenntnis stehen, dass das Leben seine Würze und
seine Wahrheit aufgrund von Gegensätzen und Unterschiedlichkeiten erhält. So treffen der Humoristische (Inger) und der Fortschrittliche (Siegal) und der Neoklassizistische (Clug) aufeinander, zugleich aber auch der Leichtherzige (Inger), der Düstere (Siegal) und der Smarte (Clug). Gibt es weitere „Kontraste“ zu erleben? Etwa in Bühnenbild und Kostümen?
Tobias Ehinger: Kontraste kann man in der Tat in vielerlei Hinsicht entdecken. Beispielsweise mit diesem Ansatz: Siegal stellt die Form über den Inhalt, Inger den Inhalt über die Form und Clug nähert sich dem Tanz von seinen Ursprüngen her. Auch in der Musik, den Farben und dem Lichtkonzept kann man Gegensätze entdecken. Aber letztendlich bleibt es dem Zuschauer selbst überlassen, was er entdecken möchte. Uns war wichtig, sehr spezielle choreografische Handschriften zu präsentieren.
Ballett-Journal: Die klassische Dreiteilung eines Abends hat sich im Ballett bewährt. Dennoch erreicht man nie das große Erlebnis wie bei einem abendfüllenden Stück – und auch nur selten die kurzlebige Brillanz einzelner Gala-Nummern. Ist die Triple Bill darum immer ein besonderes Wagnis?
Tobias Ehinger: Die Triple Bill ist aus wirtschaftlicher Sicht sicherlich ein Wagnis und doch so wichtig! Wichtig sowohl für den Zuschauer als auch für die Entwicklung der Compagnie. Der Zuschauer erhält dadurch an einem Abend eine Übersicht über die unterschiedlichen Möglichkeiten und Stilistiken. Und dies im Gegensatz zu einer Gala nicht nur als Höhepunkte, sondern in in sich geschlossenen Werken. Dadurch erhält er Vergleichsmöglichkeiten, kann seine Vorlieben entdecken oder vielleicht auch ganz bewusst etwas ablehnen. Vor allem für junge Tänzer ist es wiederum wichtig, mit verschiedenen
Choreografen arbeiten zu können, verschiedene Herausforderungen zu erhalten um einen Schritt weiter zu kommen. So verstehe ich Fordern und Fördern. Und die Qualität einer Compagnie ist wiederum die Grundlage für
ein Publikum, das sich mit seinen Tänzern identifiziert.
Ballett-Journal: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Interview: Gisela Sonnenburg
Termine: siehe „Spielplan“