Er kam aus einem Schneiderei-Haushalt und wurde der bedeutendste Bildhauer seiner Zeit. Johann Gottfried Schadow, 1764 in Berlin geboren, erhielt den ersten Zeichenunterricht von einem Schuldner seines Vaters. Der zahlte solchermaßen in Naturalien, ein Glück für die Kunstgeschichte. Schadows später entstandene Figuren – wie die „Quadriga“ auf dem Brandenburger Tor und die „Prinzessinnengruppe“ mit den Schwestern Luise und Friederike – sind bis heute weltberühmt. Ebenmaß, Lieblichkeit, Strenge, aber auch Harmonie und Natürlichkeit prägen sie. Und: Empfindsamkeit. Die war ein Schlagwort der Epoche. Der preußische Klassizismus erhielt so durch Schadow maßgeblich Auftrieb, man nennt ihn gar „Vater der Berliner Bildhauerschule“. Künstler wie Christian Daniel Rauch waren seine Schüler. Jetzt entführt eine umfassende Ausstellung in der Alten Nationalgalerie in Berlin in diese Welt: „Johann Gottfried Schadow. Berührende Formen“ bietet ästhetisch und inhaltlich spannende, eben auch berührende Überraschungen.
Der absolute Höhepunkt ist die gelungene neuartige Präsentation von Schadows fortschrittlichstem Werk. Der mit zwei gegenüber liegenden Spiegelwänden ausgestattete „Schinkel-Saal“ beherbergt die lebensgroße „Prinzessinnengruppe“ gleich doppelt: als 1795 entstandene Gips-Skulptur und als daraufhin in Auftrag gegebene Marmor-Variante von 1797. Lässig und solidarisch stehen die jungen Damen nachgerade bürgerlich Arm in Arm da, ganz so, als pausierten sie in malerischer Pose während eines Spaziergangs durch die majästetische Natur. Erstmals seit ihrer Entstehung im Atelier befinden sich beide Standbilder wieder im selben Raum. Mit ihnen werden Büsten der Prinzessinnen Luise und Friederike gezeigt: Solche Vorarbeiten waren seit der Antike für Herrscherbilder üblich.
Vor allem aber lockt der Effekt der Präsentation: Dank der Spiegelungen sieht man all die Luisen und Friederiken wie in einem poetischen Spiegelkabinett unendlich oft vervielfältigt. Was einerseits bezaubert, erinnert andererseits auch an ihre Vermarktung als stark verkleinerte Porzellan- oder auch Plastikfigur.
Die Kuratorin Yvette Deseyve weist aber darauf hin, dass man in den Spiegeln auch die Rückenansichten der Statuen gut betrachten und sogar um die Figuren herumgehen kann. Schadow selbst legte nämlich großen Wert auf ihre entzückenden Rückenansichten. Und der Künstler hat sich sehr geärgert, als die Marmorfigur, nachdem sie bei einer Ausstellung großen Anklang bei Kritik und Publikum fand, im Schloss Charlottenburg in eine dunkle Nische verbannt wurde.
Dass König Friedrich Wilhelm III, also Luises Gatte, die Skulptur nicht mochte, obwohl sie extra auf seinen Wunsch hin ohne Blumenkörbchen, sondern mit einem in Gips und Bier getauchten, so genannten Überspieltuch in der rechten Hand der späteren Königin entstand, mag uns heute entsetzen. Es zeigt aber, dass der Patriarch der fortschrittlichen Kunst hinterher hinkte.
Denn die charmant-verspielt tändelnden, fast tänzelnden Schwestern verströmen durchaus eine Aura feministischer Weiblichkeit. Luise mit ihrem Blick geradeaus in die Ferne und Friederike mit ihrem verträumt gesenkten Kopf verkörpern zwei Frauenideale, die bis heute Bestand haben.
So wurde Luise für ihre diplomatische Begabung bei ihrer Visite bei Napoleon berühmt. Der hatte die Preußen besiegt und Luise bat um einen milden Frieden. Mit mäßigem Erfolg. Aber Napoleon war beeindruckt. Luise war eine Visionärin.
Friederike, die jüngere der beiden, war hingegen sinnlich, leichtlebig, auch leichtherzig. Sie wurde nach dem frühen Tod ihres ersten Gatten unehelich schwanger und hätte dadurch auch als Adlige um 1800 eine düstere Zukunft haben können.
Doch Luise und die Familie hielten zu ihr. Die solidarische Kraft, die von Schadows Standbildern ausgeht, war keine Chimäre. Man besorgte Friederike einfach einen willigen, standesgemäßen zweiten Ehemann. Mehr Freiheit gab es damals für Frauen leider kaum. Und wäre Luise, die mehrfache Mutter war, nicht mit nur 34 Jahren an einer Lungenentzündung verstorben, hätte das Schwesternduo vielleicht noch öfters für Furore gesorgt.
Mit der Schadow’schen Arbeit gingen sie immerhin in die Kunstgeschichte ein. Die zweijährige, sehr erfolgreiche Restaurierung des Gips-Standbildes der Prinzessinnen gab dann den Anlass für die große Ausstellung. Schicht um Schicht mussten Übermalungen abgetragen und das in eine Mischung aus Gips und Bier getauchte textile Überspieltuch stabilisiert werden. Man kann sich als Laie kaum vorstellen, wieviel Detailarbeit in einer solchen Restaurierung steckt.
Tatsächlich steckt in der Ausstellung aber auch viel Sponsorengeld einer großen Firma. Diese schaltete zwar keine Anzeigen im BALLETT-JOURNAL und sorgt auch sonst nicht immer für positive Schlagzeilen. Aber mit der Unterstützung dieser Kunstausstellung tat sie wirklich Gutes. Selten gelingt eine historische Ausstellung in so hohem Maße, zumal hier auch der Bogen zur Gegenwart geschlagen wird. Wie aktuell Schadows Kunstauffassung ist, kann man sich ganz konkret anschauen.
Gerade die Verbindung verschiedener Werte in Schadows Werk sollte heute musterhaft sein. Ralph Gleis, Direktor der Alten Nationalgalerie, bringt es so auf den Punkt: „Naturnähe und Spontaneität prägen trotz aller Repräsentation diesen Inbegriff des Klassizismus.“
Wenn man die Prinzessinnengruppen besieht, glaubt man eigentlich kaum, dass sie aus dem 18. Jahrhundert stammen. So modern, so freiheitlich wirken sie. Mehr dazu auch hier:
Ballett-Journal-Exklusiv-Beitrag-zur-Prinzessinnengruppe
Luise und Friederike wirken eben nicht nur selbstbewusst und erotisch. Sondern auch weiblich-solidarisch und nahezu frei von männlicher Unterdrückung. Diese Frauen würden niemals aus Berechnung mit einem Mann schlafen, sondern nur aus Freude und Lust. Die Option, nein zu sagen, kann man aus ihrer gemeinsam demonstrierten Stärke ableiten, wenn man will.
Kein Wunder, dass der patriarchal ausgerichtete königliche Gatte dabei wenig Pläsier empfand. Schadow war zweifelsohne ein Künstler, der etwas mitzuteilen hatte, statt nur vor der Obrigkeit zu buckeln.
Von Schadow sind außerdem Zeichnungen, Marmorreliefs, Statuen, Büsten in der Ausstellung zu sehen. Sorgsam ausgeleuchtet faszinieren sie und vermitteln den Geist des Erhabenen, verbunden mit scheinbarer Lebendigkeit der Figuren.
Portraits sind das große Thema Schadows. Seine Familienangehörigen konnte er aus finanziellen Gründen nur in Gips, sich selbst nur mit Terracotta modellieren. Aber für die hoheitlichen Aufträge schuf er atemberaubende Werke aus Carrara-Marmor. Vom Grabmal bis zum Reiterstandbild.
Viele seiner Motive und Posen sind von der Antike inspiriert. Der Weingott Bacchus erscheint da als Tröster, eine hübsche Maid stemmt sich gegen den Wind. Gewänder werfen dekorative Falten, Blüten formieren Kränze und Bögen. Gesichter und Hände sind besonders zart und mit edlen Konturen geformt. Schadow meißelte sie zumeist selbst, während zum Beispiel der Corpus der Marmor-Prinzessinnen von Mitarbeitern seiner Werkstatt aus dem Stein gehauen wurden.
Ergänzt wird das Werk Schadows von Stücken seiner Zeitgenossen, die von ihm gelernt hatten, aber auch von nachfolgenden Künstlern, die vor allem das Thema „Freundschaft“ im Sinne Schadows aufgriffen. Bis heute gibt es eine Kultur der Freundschaftsportraits, und vor allem Geschwister lassen sich gern als Sinnbild der Jugend und kollektiven Kraft verewigen.
Wie die beiden Prinzessinnen – und doch ganz anders. Schmal gewachsene „Tanzende Mädchen“ von Gerhard Marcks sind darunter, ebenso ein kubistisch-eckiges Schwesternpaar von Henri Laurens. Mit Öl und Acryl auf Leinwand sind zwei poppig-softe Girls von Vivian Greven gemalt, die sich erst in diesem Jahr umarmen lernten.
Am stärksten aber bleibt der funkelnde Spiegelsaal mit den Prinzessinnen im Gedächtnis. Schade, dass Schadow, der 1850 in Berlin starb, diese Inszenierung seiner Werke nicht mehr selbst lobpreisen kann.
Gisela Sonnenburg
Bis 19.02.23 in der Alten Nationalgalerie in Berlin
Und zum Tanzvideo vor der Prinzessinnengruppe an ihrem angestammten Platz mit Adeline Pastor von Gisela Sonnenburg geht es noch einmal hier: