Jetzt ist es einmal mehr bewiesen: John Crankos Ballettkomödie „Der Widerspenstigen Zähmung“ nach dem gleichnamigen Stück von William Shakespeare ist nicht nur eine starke Herausforderung für eine bestens aufgestellte Company. Sie ist auch Anlass zu zahlreichen, so abwechslungsreichen wie vorbildlichen Bravourstücken. So etwas gibt es in der Tanzwelt nicht nochmal, wird es wohl auch nicht noch einmal geben: Da prangen inmitten einer aberwitzigen, klamaukig erzählten, dennoch auch hintergründigen Geschichte ebenso akrobatische wie lyrische Leckerbissen. Außerdem wird mit zahlreichen Persiflagen ein wahres Feuerwerk an schauspielerischen Mätzchen abgefackelt. Was für ein Vergnügen, das ernste Thema vom Geschlechterkampf auf so muntere und satirische Art und Weise serviert zu bekommen! Ben Van Cauwenbergh, Ballettdirektor vom Aalto Ballett in Essen, hat die goldrichtige Entscheidung getroffen, gerade dieses Stück in unserer nachdenklichen Zeit der Pandemie zu zeigen. Gestern war Premiere – und es war wie ein Fest! Mit Adeline Pastor als Titelheldin, also als erst wilde, dann umso sanftere Katharina, und mit Moisés León Noriega als sie zähmendem, furiosem Petrucchio hat man in Essen aber auch brillante Protagonisten dafür! Adeline Pastor, die kürzlich den „Aalto Bühnenpreis“ erhielt (und wie sie den verdient hat!), kann bekanntlich als wahres Pirouettenwunder gelten. Zudem hat sie ein Flair von Balance, Rasanz und Geschmeidigkeit, das nicht zu überbieten ist. Und niemals wirkt sie bei all den Tollkühnheiten ihrer Rolle zu sportiv; stets lässt sie den Charakter der Katharina aufblitzen. Ihr Bühnenpartner wiederum strotzt nur vor zärtlich-männlicher Ausstrahlung bei kraftintensiver Körperlichkeit. Moisés León Noriega springt mit Verve und viel Ballon – und er hält, wirft, fängt und lenkt seine Katharina, dass es eine pure Freude ist, hinzuschauen.
Es macht ja den Charme dieses Mannsbilds Petrucchio aus, dass er den rohen Gesellen nur spielt, weil ihm keine andere pädagogische Maßnahme einfällt. Dieses doppelte Spiel muss der Tänzer des Petrucchio wie nebenbei vermitteln. Richard Cragun, dem John Cranko die Partie damals auf den Leib choreografierte, ertanzte sich damit Weltruhm.
Moisés León Noriega hat nun den Vorzug, technisch auf dem aktuellen Stand zu sein und trotzdem mit vollem Elan zu schauspielern. Der gebürtige Kubaner sammelte seine ersten Bühnenerfahrungen übrigens unter anderem beim BALLET REVOLUCÍON, das im kommenden Jahr in aktueller Besetzung und mit garantiertem Schwung wieder in Deutschland zu sehen sein wird.
Seit der Spielzeit 2014/15, also seit Bestehen des Ballett-Journal, tanzt Noriega bei Ben Van Cauwenbergh in Essen, wo er schon als Tybalt in „Romeo und Julia“, als Drosselmeier im „Nussknacker“ und in der munteren Collage „Rock around Barock“ Gelegenheit fand zu brillieren. Jetzt aber kann er als Petrucchio voll aufdrehen und zeigen, was ein Vollblutballerino wie er zu bieten hat – oha, bitte festhalten, es ist eine Menge!
Seine Tours en l’air reißen ebenso mit wie seine überirdisch anmutenden großen Sprünge, und die Energie, die er verbreitet, schlägt einen unwiderruflich in den Bann.
Das ist die eine Seite dieser Köstlichkeit.
Die andere ist weiblich und besteht aus der am wenigsten prinzessinnenhaften Rolle, die das Ballett je erfand. Katharina hat Witz und Esprit, vereint den anfänglichen Geist der Rebellion, ja der Frechheit, mit späterer Vernunft, mit Sanftmut und Würde. Was für eine Partie für eine Ballerina!
Marcia Haydée, die sie kreierte, war bei den Proben kurz vorm Aufgeben. Genau dieses trotzige Aufbegehren, als sie ihrem Choreografen John Cranko im Ballettsaal mitteilte, sie könne und wolle das nicht weiter probieren, war dann das Grundgefühl für die Rolle.
Auch für heutige Ballerinen ist es ein Kraftakt nicht nur körperlicher, sondern auch emotionaler und seelischer Art, die Rolle der Katharina zu tanzen und darzustellen.
Weder das ausladend Zänkische noch das ständig Gedemütigtwerden lernen Tänzerinnen in der Ausbildung. Und darüberhinaus muss hier beides mit so unterschiedlichen Nuancen des Temperaments ausgeführt werden, dass man von einer enormen Bandbreite sprechen muss, die als Voraussetzung nötig ist, um überhaupt eine Katharina in der „Zähmung“ zu werden.
Glücklicherweise hat das Aalto Ballett seine vorzügliche Ballerina Adeline Pastor für diese sehr spezielle Aufgabe!
Es gibt in Essen ja keine Ersten Solisten und auch keinen Posten für eine Primaballerina assoluta. Aber wenn das der Fall wäre, so hätte Adeline Pastor diesen Job zweifelsohne verdient.
In nichts steht sie dem furiosen Petrucchio nach! Im Gegenteil: Sie tanzt überaus virtuos: feminin, aber stark; wild und erotisch, aber auch sanft und anmutig. Und immer mit einer gediegenen Leichtigkeit bei höchster Konzentration und Passion. Da sitzt jede tänzerische Pointe! Man staunt jedes Mal aufs Neue.
Adeline Pastor – was ist sie für eine Könnerin, sowohl vom elegant-geschmeidigen Stil her als auch beim expressiven Ausdruck!
Die in Nizza geborene Französin studierte unter anderem in Kuba das Tanzen – vielleicht ist das auch ein Grund mehr, weshalb sie mit Noriega so vorzüglich harmoniert.
Adeline gewann als Studentin Silber in Varna und begann ihre Karriere unter Alicia Alonso beim Kubanischen Nationalballett. Ben Van Cauwenbergh entdeckte sie schon bald fürs hessische Wiesbaden, seiner Ballettdirektorenstation vor Essen. Dass er sie zum Aalto Ballett mitnahm, ist nur zu verständlich. Man muss ihm gratulieren, dass ihm diese Königin treu blieb. Allein ihre Pirouetten sind ja aus den sozialen Medien weltweit bekannt und gerühmt – und etliche weitere Schrittmanöver beherrscht sie so souverän wie nur wenige.
In „Carmen“, in „Coppélia“, in „Undine”, in „Don Quichotte“, in „La vie en rose” und auch in „Rock around Barock“ hat Adeline Pastor das Publikum zu Begeisterungsstümen hingerissen, in den beiden letztgenannten Stücken sogar nicht nur als Tänzerin, sondern auch als Sängerin.
In der „Zähmung“, wie Crankos Stück gemeinhin gekürzelt wird, bringt sie nun den Zuschauersaal mit ihrer eleganten Naturwildheit zum Brodeln, zum Lachen, zum Staunen, kurz: zu höchsten Glücksgefühlen. Sie verführt und entführt mit ihrem trotzigen Charme und ihrer langsam sich entfaltenden Verliebtheit hinein in ihre Welt; sie macht vollends vergessen, dass da draußen Fußball-Hooligans und Verkehrsunfälle ihre Gastspiele geben.
Dabei klingt stets die Verletzlichkeit einer sensiblen jungen Frau an, auch wenn sie noch so toben und vermaledeien darf. Das ist eine Besonderheit der Pastor’schen Katharina, die eben nicht einfach nur vom groben Klotz zur liebenden Gattin wird.
Zu Beginn ist sie die kratzbürstige, bockige Tochter eines reichen Edelmanns, die verheiratet werden muss, bevor ihre scheinbar liebliche jüngere Schwester den Bund fürs Leben schließen darf.
Ein Mann, der von zwei Huren beraubt wurde, nämlich Petrucchio, erklärt sich bereit, sie wegen ihrer Mitgift zur Gattin zu nehmen – und entgegen seinen ursprünglichen Plänen empfindet er bald Liebe für sie. Er wird also nolens volens Amors Opfer, zu seinen eigenen Gunsten.
Ähnlich ergeht es Katharina, die eigentlich nur darum in die Ehe einwilligt, weil sie dann erst recht stänkern und zanken will. Aber bald bemerkt sie, was für ein schöner, starker, edler Mann ihr da entgegen tritt, und sie verliebt sich in seinen weichen Kern unter der gespielten rauen Fassade.
Für Jean-Christophe Maillot, der ebenfalls ein Ballett nach der „Zähmung“ von Shakespeare kreierte (hier zum Interview dazu) ist das die eigentliche Geschichte.
Doch ganz so einfach ist es bei Shakespeare und Cranko nicht!
Ihre Stücke wirken nach wie vor provozierend und neckisch zugleich.
Denn außerhalb der Lovestory der beiden wichtigsten Protagonisten gibt es auch weniger glückliche Paare.
Bianca, Katharinas Schwester, wird in Essen von der erfrischend-fröhlichen, zudem komödiantisch außerordentlich begabten Larissa Machado getanzt.
Hui! Was für ein Feuer hat diese Bianca, was für eine Lebenslust, was für ein Temperament und doch auch die passende hitzige Unberechenbarkeit!
In wunderschönen Arabesken angelt sie sich einen Verehrer nach dem anderen, um doch ihr Herz rasch zu vergeben: und zwar an den Studenten Lucentio (sehr präzise und zugleich warmherzig in der Ausstrahlung: Wataru Shimizu).
Der große Pas de deux der beiden, der Hoffnung und Harmonie der Liebe auf den Punkt bringt, wird denn auch mit viel spontanem Applaus belohnt.
Wataru Shimizu tanzt seit 2008 beim Aaalto Ballett in Essen; er stammt aus Japan und wurde unter anderem an der Académie de Princesse Grace in Monaco ausgebildet. Sein vielseitiges Repertoire umfasst unter anderem die Rolle des Puck im „Sommernachtstraum“ und den Jago in „Othello“, aber auch den spitzbübischen Fritz im „Nussknacker“ und den diabolischen Mercutio in „Romeo und Julia“. Im „Schwanensee“, den Ben Van Cauwenbergh für Essen auf Vordermann brachte, tanzt er den Benno, und im „Don Quichotte“ sowohl den lustigen Sancho Pansa als auch den brillanten Basile.
Seine Bühnenpartnerin in der „Zähmung“ ist Larissa Machado, und sie ist Ballett-Journal-Leser:innen schon vom Bundesjugendballett (BJB) und viel beachteten Auftritten dort her bekannt. Larissa stammt aus Brasilien und schloss ihre Ausbildung in Dresden an der Palucca Hochschule für Tanz ab, bevor John Neumeier sie 2015 fürs BJB engagierte. Seit 2017 tanzte sie dann als Gast beim Aalto Ballett, und seit 2019/20 gehört sie fest zum Ensemble von Ben Van Cauwenbergh.
Die Bianca ist ihre erste größere Hauptrolle – und Larissa Machado meistert sie mit wunderbarer Spielfreude und exzellenter tänzerischer Hingabe. Ihre Frische in der Ausstrahlung und ihre uneitle Mimik werten die sonst manchmal etwas fade wirkende Bianca auf, verleihen ihr jene Hintergründigkeit, die sie zum interessanten Pendant von Katharina macht.
Denn anders als erwartet, gerät ihre Beziehung zu Lucentio schon mit der Verheiratung ins Gleisbett des Streits und der Uneinigkeit. Die locker-leichte Verliebtheit der beiden, die sich in ihrem großen Pas de deux noch stolz und schön gezeigt hat, scheint auf Dauer nicht zu tragen – oh trügerische Beziehungskisten! Schon Shakespeare wusste davon eben ein Liedlein zu singen…
Und auch die Ehen der beiden anderen Verehrer Biancas, also der klamaukige Gesangslehrer Hortensio (Matheus Barboza de Jesus) sowie der gockelhafte Gremio (Denis Untila), denen die beiden dreisten Huren vom Beginn als Gattinnen untergejubelt wurden, werden wohl die Hölle auf Erden für die Herren der Schöpfung: Die beiden Prostituierten erweisen sich als herrschsüchtige, eiskalte Unterdrückerinnen. Prost Mahlzeit!
Und wieder befinden wir uns in einem Kosmos altbekannter Komikbilder, die in Klischees und in Karikaturen die Jahrhunderte überdauerten.
Aber wieder hat Shakespeare diese Abstürze ins Groteske nicht ohne Grund hingezaubert: Paradoxerweise wirken die am Ende unglücklichen drei Paare beinahe realistisch im Kontrast zum überirdisch harmonisch einherkommenden Pärchen, das Petrucchio und seine gezähmte Katharina darstellen.
Der Widersprüche und Kontraste gibt es hier also genügend.
Man kann „Der Widerspenstigen Zähmung“ als holzschnittartige, deftige Volkskomödie tanzen – wie das Bayerische Staatsballett es zuletzt tat (siehe hier ) – und man kann, wie es jetzt das Aalto Ballett macht, immer mit einer Spur Eleganz eine Betonung der Stilisierung zeigen.
Die Ästhetik des modern-klassischen Balletts steht dabei in reizvollem Kontrast zur scheinbar volkstümelnden Geschichte.
Es geht ja vordergründig um die restlose Unterwerfung einer selbständigen Frau, die zu Beginn alles andere als eine liebende, devote Gattin ist.
Aber ist das wirklich das, was Cranko und Shakespeare, der die Vorlage lieferte, wollten?
Zu Shakespeare ist zu sagen, dass er das Motiv der zu zähmenden Braut nicht erfunden hat. Da gab es bereits literarisch-dramatische Vorläufer, so von George Gascoignes.
Aber Shakespeare beließ es gerade nicht beim putzmunteren Haudrauf-Humor. Schon seine sprachliche Ausgestaltung des Stücks, das vermutlich 1594 uraufgeführt wurde, ist ziemlich anspruchsvoll – und keineswegs durchgehend derb.
Auf diesem Niveau, das Shakespeare schon seinen Zeitgenoss:innen abverlangte, muss man mitdenken und nachdenken – einfach nur abzulachen, wäre für die eigentliche Zielgruppe der Shakespeare-Stücke immer unbefriedigend gewesen.
Kaum ein anderes Shakespeare-Drama beweist so sehr wie dieses, dass der Dramatiker und Theaterinhaber sich eben nicht nach den Groundlings richtete, also den eher ungebildeten Zuschauern im damals preisgünstigen Parkett, sondern nach den Damen und Herren auf den Sitzplätzen in den Logen. Das Parkett war denn auch kein ansteigendes Parkett, sondern der ebene, nicht überdachte Innenhof des Theatersaals, und es gab dort nicht mal eine Bestuhlung – das Publikum dort musste stehen. Dafür war der Eintritt hierfür denkbar günstig, im Gegensatz zu den erhobenen Plätzen mit guter Sicht auf die Bühne.
Die Groundlings konnten denn auch kaum der vollständigen Handlung folgen, schon gar nicht optisch. Dennoch waren sie als Stimmungsmacher unverzichtbar. Sie sollten auf Schlagworte und Wortspiele reagieren, aktuelle Anspielungen verstehen und sich von den sprachlichen Mitteln der Schauspieler beeindrucken lassen.
Aber sogar sie sollten die eigentliche Botschaft der „Zähmung“ verstanden haben. Schließlich wird Gewalt gegenüber Frauen in der Komödie allzu deutlich als angeblich legitimes Mittel der Unterwerfung vorgeführt, als dass man dieses Vorführen für bare Münze nehmen könnte. Noch dem ungehobelsten Burschen dürfte bei der kolossal grausamen Art der Eheschließung hier klar werden: Frauen muss man in der Realität wohl doch deutlich besser behandeln.
John Cranko kürzte das Drama außerdem, um es für das Ballett auf die wesentliche Liebesgeschichte zu konzentrieren. Er widmete das im März 1969 unter großer Zustimmung von Kritik und Publikum uraufgeführte Meisterwerk seinem langjährigen Intendanten Erich Walter Schäfer, der getrost auch als Crankos Entdecker gelten kann.
Schäfer hatte auch die Idee, Kurt-Heinz Stolze Musiken auf der Grundlage der Klaviersonaten von Domenico Scarlatti schreiben zu lassen und nicht auf der Basis von Werken von Gioachino Rossini. Scarlatti, ein Zeitgenosse Bachs, hinterließ über 550 Sonaten, die zugleich tänzerisch wie auch leicht penetrant in ihren Wiederholungen und gleichförmigen Rhythmen wirken.
Stolze, der auch dem Cranko-Ballett „Onegin“ die Musik verlieh, und zwar auf der Grundlage von Werken von Tschaikowsky, drechselte aus den barocken Phrasen sowie mit ergänzenden Kompositionen im Stil von Scarlatti eine Partitur, die passgenau das Libretto der Tanzkomödie der „Zähmung“ akustisch bebildert.
Dass Stolze sich ein Jahr später das Leben nahm, hatte sicher andere Gründe als die, dass sein Umgang mit klassischer Musik, der nicht eben „werktreu“ im engeren Sinne war, von konservativen Musikliebhabern, die sich als Hüter der Reinheit der Klassik verstanden, kritisiert wurde. Stolze hatte ja, zumal durch die Kooperation mit Cranko, großen Erfolg – warum sollten ihn da einige murrende Stimmen in eine tödliche Depression gestürzt haben?
Die menschliche Seele ist nicht immer einfach zu fassen. Künstler:innen aber lernen zeitig, dass sie auch mit Kritik leben müssen, und harte Kritik gehört oft schon zu ihrer Ausbildung, nicht erst zu ihren Berufsjahren.
Stolze gehörte zudem gerade nicht zu jenen, denen – wie Vincent van Gogh als Paradebeispiel – die Anerkennung ihrer künstlerischen Leistungen zu Lebzeiten vollkommen versagt blieb. Im Gegenteil: Womöglich trieb ihn gerade der Erfolg in einen Leistungsdruck und in eine Erwartungshaltung an sich selbst, die ihn unglücklich machte.
Von Peter I. Tschaikowsky ist immerhin überliefert, dass er in der Zeit vor seinem Freitod vor allem darunter litt, dass er befürchtete, seinen eigenen Ansprüchen mit neuen Kompositionen nicht genügen zu können.
Man kann bei Stolze zudem – ebenso wie bei Tschaikowsky – auch private Gründe für ein persönliches Unglückserleben vermuten. Die Unterdrückung von Homosexuellen in den damaligen Gesellschaften mag dazu einiges beigetragen haben. Weder zu Tschaikowskys noch zu Stolzes Zeiten durften Menschen offen homosexuell sein. Das wird heute schnell vergessen: Es war ein weiter Weg bis zum August 2008, als Deutschland endlich die Diskriminierung von Homosexualität als strafbar und verboten in die Gesetzeslage aufnahm.
Auch für Shakespeare spielte Homosexualität eine große Rolle. Er selbst war bisexuell und führte als verheirateter, gut situierter Künstler und Geschäftsmann ein regelrechtes Doppelleben, was nicht zuletzt seine Sonette ziemlich offenherzig verraten.
Der Spaß am Theater für Homosexuelle seiner Zeit bestand darin, dass nur Männer auf der Bühne standen und auch die Frauenrollen von hübschen, gern zart gebauten Mannsbildern darstellt wurden. Wenn dann noch Verkleidungsspiele hinzu kamen, bei denen die Geschlechter getauscht wurden (wie in „Wie es euch gefällt“ und „Was ihr wollt“), stand die Aufführung wohl punktuell kurz davor, in eine Art Revue abzugleiten.
Die „Zähmung“ erlaubt hier ebenfalls eine doppelte Lesart: Stellt man sich Katharina als widerspenstigen jungen Mann vor, der sich zur Homosexualität erst noch verführen lassen muss, so ist auch das ein ganz besonderer Spaß.
Hintergrund ist so oder so die Tatsache, dass es um Verführung und um nur scheinbar grausame Maßnahmen geht – und eben nicht um gewalttätige, folterähnliche Unterdrückung.
Da das Ganze als von Übertreibung lebende Komödie einher kommt, ist das nicht immer leicht zu verstehen. Aber ohne den Hintergrund der Verliebtheit sowohl auf Katharinas wie auf Petrucchios Seiten würde man doch komplett falsch liegen.
Und so beginnt das Tanzspiel mit einer nächtlichen Szene vor dem Haus von Baptista, den Marek Tuma köstlich verzweifelt spielt. Tuma ertanzte sich übrigens bereits reichlich Meriten bei einem internationalen Fernsehpublikum, in einer Gala aus Prag aus dem Jahr 2006, die arte ausstrahlte: Er brillierte gemeinsam mit Dmitri Simkin (Vater von Daniil Simkin) in dem umwerfend kraftvollen Männerduett „Amsterdam” von Ben Van Cauwenbergh.
So viel Flair hat Tumas Rolle als Baptista zwar nicht, aber er kann hier immer noch höchst komödiantisch flanieren: Denn Baptista ist zwar vermögend, aber mit den beiden ungleichen Töchtern wahrhaft vom Schicksal geschlagen, und Katharina unter die Haube zu bringen, steht wie eine schier unfassliche Aufgabe vor ihm.
Die drei Verehrer Biancas bringen ihr derweil ein Ständchen, was die Nachbarn weckt und verärgert. Sie werden vergrämt, kehren in eine Schenke ein und lesen dort den soeben seiner letzten Habe beraubten Petrucchio auf.
Ihn schleppen sie zu Baptista, er soll um Katharina freien. Ein erster stürmischer Pas de deux entspinnt sich – und überraschend willigt Katharina in die Ehe ein. Wir dürfen annehmen, dass hier schon eine nicht näher definierbare ambivalente Zuneigung entflammt ist…
Adeline Pastor und Moisés León Noriega zeigen hier nachdrücklich, warum der Geschlechterkampf in diesem Stück von Cranko so legendär geworden ist.
Sie ringen und streiten, sie nutzen alle Mittel des Slapstick – und noch ist Katharina, die Freche, die Herrscherin und scheinbar Unbesiegbare.
Im zweiten großen Pas de deux nach der Verheiratung sieht das dann schon anders aus. Das männliche Element beißt zurück, sozusagen – Petrucchio zeigt Katharina, wer der Stärkere im Haushalt ist.
Sie muss frieren und hungern (unter dem Vorwand, die Speisen seien für seine Ehefrau nicht gut genug, weist Petrucchio das Mahl zurück) – und jede Abwehr von ihr wird vielfach unterdrückt. Sogar ihre ohnehin nicht stark ausgeprägte Eitelkeit verletzt Petrucchio, indem er ihre Kleidung herabsetzt – und Katharina weiß bald nicht mehr, wo ihr der Kopf steht vor lauter Unglück.
Auf der Reise auf einem Holzpferd zur Hochzeit von Bianca nähern sich die beiden Eheleute aber schließlich an. Es ergibt sich ein Waffenstillstand. Mehr noch: Die Liebe beginnt zu erblühen!
Der dritte große Pas de deux des zunächst so ungleichen Paares berückt dann als getanzte Liebeserklärung, mit gefühlter Intimität und große Nähe.
Das Publikum darf sich gesegnet fühlen, ihn so grandios interpretiert zu sehen wie hier von Adeline Pastor in den Armen von Moisés León Noriega.
Hebungen und Umarmungen – all das kann und soll im klassisch-modernen Ballett mit so vielen Beinoten und unterschwelligen Wünschen getanzt werden, dass es unter die Haut geht. Oh ja, die Vereinigung dieser beiden Traumtalente hier ist ein Quell ewiger Freude!
Es ist im übrigen aber auch Crankos Gespür für Dramaturgie zu verdanken, dass das nun im Kontext nicht unglaubwürdig oder gar kitschig wirkt. Tatsächlich aber trieb die Beziehung von Katharina und Petrucchio von Beginn an zielstrebig auf die Vereinigung zu. Aller Ärger, aller Ulk, aller Kampf war da nur der Ballast, der abgeworfen werden musste.
Das Aalto Ballett Essen hat aber auch genau verstanden, wie man das umzusetzen hat!
Und das Ensemble macht dabei mit, füllt die etwas spärliche Ausstattung der Bühne mit Grandezza und glänzt in den wirklich schön nuancierten Kostümen, die Elisabeth Dalton kreierte.
Hier tanzt eine Gesellschaft, die sich selbst nicht ändern will, die aber neugierig jede Veränderung bei anderen beobachtet.
Dabei wird auch klar, warum Cranko die Rahmenhandlung, die es bei Shakespeare gibt, weggelassen hat: Sie hätte seinem durchaus hoffnungsvollen Gesellschaftsbild vermutlich nicht entsprochen.
In dieser Rahmenhandlung wird ein stets betrunkener Kesselflicker von einem Lord aufgelesen, gebadet und parfümiert in ein vornehmes Bett gelegt. Als er aufwacht, wird ihm weisgemacht, er sei ein von langer Krankheit genesener Edelmann – und sein ganzes Leben als Kesselflicker mit zänkischer Gattin sei nur ein böser Alptraum gewesen.
Der Mann glaubt das schließlich. Zur Unterhaltung und wohl auch als Ermahnung zeigt man ihm „Der Widerspenstigen Zähmung“, was also eigentlich ein Theaterstück-im-Theaterstück ist.
Aber als der Kesselflicker wieder eingeschlafen ist, wird er vor der Kneipe, aus der er zuvor im Vollrausch rausgeflogen ist, ausgesetzt. Er erwacht und ihm dämmert, was ihm seine Frau erzählen wird, wenn er ihr sein Abenteuer berichtet… Von einer „Zähmung“ kann da kaum die Rede sein, aber als Warnung vor dem Alkoholismus taugt die Rahmenhandlung letztlich noch immer.
Stuttgarts damaliger Generalintendant Erich Walter Schäfer befragte Cranko inständig, ob er nicht die Kesselflicker-Handlung mit choreografieren wolle. Für Schäfer war das die zeitlose Geschichte eines Mittellosen, und sie brachte genau jene Prise Sozialkritik mit, auf die man in den Jahren um 1968 scharf war. Cranko lehnte jedoch ab, weil ihm das balletttechnisch nicht machbar schien. Zuviel Zeit würde vergehen, bis man tänzerisch auf das eigentlich Komische und Aufregende an der Geschichte kommen könnte.
Schäfer ließ Cranko machen – und genoss den triumphalen Applaus, den die Inszenierung auf Anhieb erhielt, im Gegensatz zu Crankos anderem Meisterwerk „Onegin“, das erst nach einer gründlichen Überarbeitung 1967 vom Publikum akzeptiert worden war.
Bis heute hat es nach aktuellem Kenntnisstand niemand auch nur versucht, die „Zähmung“ inklusive der Shakespeare’schen Rahmenhandlung in Tanz umzusetzen.
Und sowohl die Oper „Der Widerspenstigen Zähmung“ von Hermann Götz (1874) als auch das ebenfalls nach Shakespeare entstandene Musical „Kiss me, Kate!“ von Cole Porter (1948) haben die Rahmenhandlung so gelassen, wie sie bei Shakespeare ist. Sie haben sie entweder durch eine andere ersetzt („Kiss me, Kate!“) oder ganz weggelassen.
Auch der Film „Kohlhiesels Töchter“ von Axel von Ambesser (1962), der nur das Hauptmotiv von Shakespeare übernahm, konzentriert sich ganz auf die Verschiedenheit der beiden Schwestern im Hinblick auf ihre Reife für die Ehe.
Schließlich gibt es sogar Theateraufführungen, die die Rahmenhandlung einfach ersatzlos entfallen lassen.
John Cranko hatte dafür einen guten Grund – und doch könnte man mal darüber nachdenken, wie die Aufgabe der Inszenierung anders zu lösen sein könnte.
Schließlich hat Shakespeare sich bei dem Vorspiel was gedacht… Und dass es Träume gibt, die für Viele unerfüllbar sind, dürfte sich auch im 21. Jahrhundert schon herumgesprochen haben.
Beim Aalto Ballett Essen werden Träume von hervorragenden Vorstellungen unterdessen wahr!
Die Essener Philharmoniker unter der Leitung von Wolfgang Heinz tun da ein übriges: Knackig kommen die Akkorde, lebhaft die Melodien, und wenn es manchmal fast nach Carl Orff klingt, dann ist das ganz im Sinne des Erfinders, der an solchen Stellen Zimbeln und Trommelrhythmen einsetzte. Das passt! Denn:
Bunt und manchmal sogar krachledern ist die Welt, die John Cranko so perfekt theatralisch und dennoch hoch ästhetisch in Szene setzte. Die Zartheit der Liebe ist darin das ideale Tüpfelchen auf dem „i“. Wie gesagt: Es ist eine hervorragende Sache, gerade jetzt und gerade hier in Essen „Der Widerspenstigen Zähmung“ zu sehen!
Gisela Sonnenburg (Informantin: Franka Maria Selz)
Die Inszenierung wurde gefördert von der Sparkasse Essen, aus Mitteln der Lotterie „PS-Sparen und Gewinnen“ sowie durch eine private Spende der Eheleute Sunhild und Christian Sutter.