Frauen, seht euch an! Männer, seht euch an! Was wollt ihr eigentlich? Um das herauszufinden, ist „Der Widerspenstigen Zähmung“ von John Cranko immer eine starke Beachtung wert. Ivy Amista, die feurige Brasilianerin beim Bayerischen Staatsballett, zeigt in der Titelrolle als widerspenstige Katharina mit vollem Einsatz, wie sich eine schlecht gelaunte Domina zum domestizierten Schäfchen in weiblicher Gestalt wandelt. Prisca Zeisel liefert mit Charme und Hinterfotzigkeit das schwesterliche Gegenstück als Bianca: Ihre voreheliche Sanftmut wird zur Streitsucht. Sollen Frauen so sein? Yonah Acosta als Petrucchio und Jonah Cook als Lucentio komplettieren das kontrastreiche Quartett um die männlichen Facetten: Die Parodie auf den knallharten Macho wird vom schlauen Verliebten ergänzt. Fehlt nur noch Javier Amo als gelinkter Gremio – und die Lachmuskeln werden derart strapaziert, dass man das Ganze als Trainingseinheit fürs Zwerchfell verbuchen kann.
Als John Cranko sein meisterhaft akrobatisch-klamottiges Werk am 16. März 1969 in der bis heute witzig wirkenden Ausstattung von Jürgen Rose uraufführen ließ, konnte er nicht ahnen, dass er für die kommenden knapp fünfzig Jahre ein Alleinstellungsmerkmal mit dieser ballettösen Komödie haben würde. (Für Hintergründe zur Uraufführung bitte hier klicken.)
Aber irgendwie ist diese dreistündige Mischung aus Slapstick, Klamauk und Akrobatik unerreicht – und Generationen von Tänzern rackerten sich schon liebend gern damit ab, aus den komödiantisch-satirischen Figuren tanzende Menschen aus Fleisch und Blut zu machen.
Petrucchio wird in dieser Geschichte – die im Vergleich zum zugrunde liegenden Theaterstück von William Shakespeare um etliche Szenen entschlackt ist – von den drei Freiern der hübschen Bianca überredet, die widerborstige Katharina zu ehelichen. Denn deren Vater Baptista (Peter Jolisch) will die „böse“ ältere Tochter vor der „süßen“ jüngeren loswerden.
Schuld an allem sind sowieso die beiden Dirnen, die Petrucchio beklauten: Séverine Ferrolier und Giorgia Sacher zeigen mit Pep, dass man auch aus relativ kleinen Rollen viel machen kann.
Yonah Acosta hingegen zeigt die große Kür einer absolut fordernden Hauptrolle.
Kein Zweifel, dieser Petrucchio hat viel Spaß daran, zugleich den dicken Max zu markieren und eine wandelnde Satire auf falsch verstandene Männlichkeit abzugeben. Mehr Macker, mehr Vorführung des Männlichkeitswahns ist kaum denkbar.
Und dann Ivy Amista als seine Anti-Geliebte Katharina! So viel Funken sprühender Widerstand, so viel Emanzentum in anmutig-garstiger Ballettsprache, so viel Stolz und dann so viel Demut – grandios!
Und bockt diese Eine sich brillant durch den ersten Akt, um im zweiten unter den Herabsetzungen des neuen Gatten erst zu leiden und sich dann zur braven Hausfrau bekehren zu lassen, tänzelt die Zweite, zunächst scheinbar so Liebliche, bedenkenlos in eine handelsübliche Ehekatastrophe.
Prisca Zeisel als Bianca ist die Überraschung dieser Besetzung: Die Angst vor der großen zankenden Schwester gelingt ihr ebenso in der Darstellung wie die Hingerissenheit vom verliebten Lucentio vor der Ehe – und dann der Einfluss des banalisierenden Effekts der Verheiratung.
Jonah Cook, wie immer ein zuckersüßer Jungmann mit hervorragender Technik, umgarnt und herzt seine Bianca, dass es eine Freude ist!
Javier Amo triumphiert derweil mit clownesken Mitteln, köstlich dümmlicher Mimik und umständlicher tänzerischer Gestik: als schief und falsch „singender“ Verehrer Gremio. Von wegen Tauglichkeit als Gesangslehrer – als solcher gibt er sich ja aus, um in Biancas Nähe zu sein: Aus dem Orchestergraben kommen die schrägen Pfeifentöne, die seine schrille Singstimme simulieren.
Hortensio alias Alejandro Virelles Gonzalez kann da nur keck seine groteske Pagenkopf-Mähne in Szene setzen. Bis er von der wilden Kate seine Laute übern Kopf geknallt bekommt…
Der zweite Akt lebt dann vom tobenden Geschlechterkampf, der eigentlichen „Zähmung“ der halsstarigen Katharina. Für den Eheclinch mit Petrucchio choreografierte Cranko seine witzigsten Sprung-, Wurf- und Schrittkombinationen, und die Wirkung ist auch beim xsten Ansehen nicht gemindert.
Man staunt, man schmunzelt, man lacht frei heraus – und bewundert das hohe Niveau, auf dem ein solcher Zoff hier illustriert ist.
Ein Triumph für das große Format, das da heißt: Ballettkomödie!
Myron Romanul dirigiert dazu die Musik von Crankos kongenialem Spezl Kurt-Heinz Stolze (nach Domenico Scarlatti) mit angemessenem Taktgefühl.
Welches Frauen-, welches Männerbild man im Herzen mit nachhause nimmt – das darf jedoch jede(r) selbst entscheiden.
Franka Maria Selz / Gisela Sonnenburg
Termine: siehe „Spielplan“