Drei Probleme weniger Das Staatsballett Berlin und seine von Chloé Lopes Gomes beschuldigte Ballettmeisterin Barbara Schroeder legen ihren Konflikt gerichtlich bei

Ballettmeisterin Barbara Schroeder vom Staatsballett Berlin und ihre Anwalt Jens Brückner in Saal 334 im Landesarbeitsgericht Berlin am Montag, 25.10.21. Foto: Gisela Sonnenburg

Das Bezirks-Bühnenschiedsgericht Berlin hatte heute am frühen Nachmittag einen interessanten Termin. Dieses Mal war eine Beschuldigte die Klägerin: Barbara Schroeder-Kozianka, bekannt als Barbara Schroeder und seit 2006 Ballettmeisterin beim Staatsballett Berlin (SBB) sowie von Chloé Lopes Gomes der angeblich rassistischen Handlungen und Äußerungen bezichtigt, verklagte ihren Arbeitgeber, die Stiftung Oper in Berlin. Und zwar nicht etwa auf ein höheres Gehalt oder auf eine Entschädigung. Sondern darauf, die Abmahnungen, die in Folge der Behauptungen der dunkelhäutigen Tänzerin Chloé Lopes Gomes gegen Schroeder ausgesprochen worden waren, aus der Personalakte zu nehmen. Die Sache klingt knifflig und vor allem schwierig, der Beweislage nach. Und doch oder auch gerade deshalb gab es „eine gute Lösung“, wie der Präsident des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, Dr. Gerhard Binkert, schließlich befand.

Barbara Schroeder vom Staatsballett Berlin als Klägerin

Dr. Gerhard Binkert, Präsident des Landesarbeitsgerichts Berlin, führte die Verhandlung am 25.10.21 ab 14 Uhr. Foto: Gisela Sonnenburg

Binkert fungierte hier als Obmann, seine Beisitzer:innen kamen aus der Theaterwelt: für die Arbeitgeberseite Guido Herrmann (Verwaltungsdirektor und Prokurist vom Friedrichstadt-Palast) und Gabriele Gornowicz (ehemalige Geschäftsführerin und Interimsleiterin der Berliner Volksbühne), für die Arbeitnehmerseite Friedrich Pohl (ehemals Tänzer und heute wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Kanzlei) und Jesse Garon (Regisseur, Schauspieler und   Vorsitzender des Landesverbands Berlin-Brandenburg der GDBA).

Faktisch ging es um drei Abmahnungen, die das Verhältnis zwischen dem SBB und seiner langjährigen  Ballettmeisterin belasteten.

Die erste entspricht dem Vorwurf von Chloé Lopes Gomes, Barbara Schroeder-Kozianka habe ihr bei einer Probe für Alexei Ratmanskys „La Bayadère“ den weißen Schleier verweigert, den andere Tänzerinnen zum Ausprobieren des Textils beim Tanz erhalten hätten. Die Anwältin der Stiftung Oper in Berlin, Marion Ruhl, betont noch, Schroeder-Kozianka habe laut Chloé Lopes Gomes auf Englisch gesagt: „This white – you black“, also sinngemäß: „Der Schleier ist weiß, du bist schwarz“, und mit dieser geradebrechten Begründung habe die versierte Ballettmeisterin Lopes Gomes keinen Schleier gegeben. Das sei in der Spielzeit 2018/19 gewesen.

Barbara Schroeder vom Staatsballett Berlin als Klägerin

Das Bezirks-Bühnenschiedsgericht Berlin tagte am 25.10.21 unter Obmann Dr. Gerhard Binkert (mittig): mit Gabriele Gornowicz (links außen), daneben Guido Herrmann, und rechts außen Friedrich Pohl, daneben Jesse Garon. Foto: Gisela Sonnenburg

Aber ist das glaubwürdig? Ich darf mal einflechten: Jede und jeder, die oder der die Abläufe bei solchen Proben kennt, weiß, dass es dabei eine freudig erregte, nachgerade aufgekratzte Stimmung bei den Tänzer:innen gibt, der das Leitungspersonal eine starke Konzentration auf das Wesentliche entgegenhält. Sitzt der Schleier, wirkt die Bewegung damit noch organisch und fließend? Solche Fragen bewegen Ballettmeister:innen in solchen Momenten, nicht die Hautfarbe der Künstler:innen.

Warum sollte eine Ballettmeisterin, die rassistische Vorbehalte äußern will, das ausgerechnet bei so einer Probe tun? Und wenn es so war, wieso beschwerte sich Chloé Lopes Gomes dann nicht gleich, sondern erst nach ihrer Kündigung 2020?

Sie hatte zum früheren Ballettintendanten Johannes Öhman doch anscheinend einen ganz guten Draht. Und es gibt auch Betriebsräte am Theater, denen man solche Dinge anvertrauen kann. Außerdem gibt es auch weitere Ballettmeister:innen, also weitere Vorgesetzte von Tänzer:innen. All diese Personen wären als Ansprechpartner in Frage gekommen. Statt dessen kann die Stiftung Oper in Berlin den angeblichen Vorfall nicht mal konkret datieren.

Barbara Schroeder kann denn auch prompt ohne zu zögern bestreiten, jemals etwas Derartiges gesagt oder getan und kommentiert zu haben. Nicht auf Englisch, nicht auf Deutsch, nicht auf Russisch.

Barbara Schroeder vom Staatsballett Berlin als Klägerin

Barbara Schroeder (hier mit ihrem Anwalt Jens Brückner im Bild) gab bislang nach eigener Angabe keine Interviews, um das Ansehen vom Staatsballett Berlin nicht zu beschädigen. Die sie belastende Chloé Lopes Gomes verhielt sich da bekanntlich etwas anders. Foto: Gisela Sonnenburg

Der zweite Vorwurf mutet ebenfalls leicht absurd an. Schroeder habe Lopes Gomes „angehalten“, vor einem Fototermin im „Schwanensee“-Kostüm weiße Nassschminke zu benutzen. Und das, obwohl Johannes Öhman das Weißschminken von nicht-weißen  Tänzer:innen untersagt habe. Wo genau sich das Gespräch mit Lopes Gomes abgespielt haben soll, kann die Beklagte denn auch nicht sagen. Weder die Anwältin noch Elsa Gäbelein, Referentin des Generaldirektors der Stiftung, können helfen.

Aber die Klägerin, also Barbara Schroeder, kann namentlich eine Zeugin benennen, und zwar eine ehemalige Tänzerin vom SBB, die damals Gruppensprecherin war. Diese kann sich demnach daran erinnern, dass Chloé Lopes Gomes mehrfach von sich aus angeboten haben soll, für „Schwanensee“ weiße Schminke aufzulegen. Aber die Ballettmeisterin Schroeder habe das stets abgelehnt, den Anweisungen Öhmans folgend.

Die dritte Abmahnung betrifft das Nachstellen einer Zeichnung, in welcher vier Ballerinen an der Barre, der Ballettstange, ein Tendu, also eine bestimmte Ballettübung, ausführen, während die Ballettmeisterin dieses mit etwas hochnäsiger Haltung überwacht. Weil wegen der Corona-Pandemie in den Ballettsälen vor dem letzten Sommer in sehr kleinen Gruppen trainiert wurde, half ein männlicher Tänzer beim Nachstellen der Zeichnung aus.

Das Foto, dem dieses Nachstellen diente, konnte vorgelegt werden. Man sieht darauf: vier Tendus und eine Ballettmeisterin in der ersten Position auf halber Spitze. Eine der Tänzerinnen ist Lopes Gomes.

Warum das Bild nun die dunkle Hautfarbe von Chloé Lopes Gomes lächerlich machen soll, konnte allerdings nicht herausgefunden werden. Anwältin Ruhl stellte dennoch heraus, Lopes Gomes habe sich diskriminiert und verletzt gefühlt und ihre Einwilligung zu dem Act an der Stange nur gegeben, weil Barbara Schroeder ihre Vorgesetzte gewesen sei.

Der humoristische Aspekt des Fotos betrifft eindeutig nur die Ballettmeisterin, die absichtlich übertrieben ballettmeisternd dreinschaut und sich sozusagen gewollt erhaben präsentiert. Von einer belustigenden Wirkung, die von den Tänzer:innen oder gar nur von Lopes Gomes ausgehen soll, kann keine Rede sein.

Und nun?

Die Stiftung Oper in Berlin habe deshalb auf eine Strafanzeige verzichtet, weil Barbara Schroeder-Kozianka eine langjährige Betriebsangehörige sei, ließ Anwältin Ruhl zu den Abmahnungen verlautbaren.

Allerdings hat man als Außenstehende eher den Verdacht, dass die Beweislage für eine strafrechtliche Vorgehensweise keinesfalls auch nur annähernd ausgereicht hätte.

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Für die zauberhaften Schwäninnen vom Staatsballett Berlin ist seit Jahren Ballettmeisterin Barbara Schroeder zuständig. Bis 2006 war sie Solistin beim Ballett der Staatsoper Unter den Linden. Schlussapplaus-Foto von 2018: Gisela Sonnenburg

Und so wurden, um irgendwie auf die öffentlichen Behauptungen von Lopes Gomes zu reagieren, von Seiten der Opernstiftung die Abmahnungen an Schroeder-Kozianka erteilt: eine am 05.11.20, eine am 19.05.21 und die dritte am 21.05.21. Übrigens: Bei vorgeblicher Wiederholung eines abgemahnten Vorgangs kann das Folgen bis zur Kündigung haben. Darin liegt die Sprengkraft der Abmahnungen.

Die Tücke der Abmahnungen im Arbeitsrecht liegt indes auch darin, dass sie jederzeit umformuliert werden können, sodass eine Arbeitnehmerin wie Barbara Schroeder stetig unter neuen Druck gesetzt werden kann.

Ihr ziemlich klug wirkender Anwalt Jens Brückner macht das drastisch klar.

Bei jeder Umformulierung – das sagt Anwalt Brückner zwar nicht, aber das kann man sich denken – können sich dann die Fronten weiter erhärten. Auch der Arbeitgeber kommt dann aus seiner Rolle, die eigene Angestellte als Feindin zu sehen, während sie doch tagtäglich hervorragende Arbeit für ihn leistet, kaum noch heraus.

Die Abmahnungen stellen also drei Probleme dar, die man nicht einfach so übergehen kann.

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Der Reihe nach bespricht der Obmann die einzelnen Vorwürfe en detail. Gibt es denn noch weitere, erhärtende Fakten?

Gibt es konkrete Angaben zu Daten, Orten, Zeug:innen? Und was wäre an Wahrheitsfindung gewonnen, wenn man eine Beweisaufnahme mit anzuhörenden Zeug:innen initiiert?

Eine Viertelstunde Pause soll sowohl dem Gericht als auch den Parteien die Möglichkeit geben, die Sache zu bedenken und sich zu besprechen.

Und tatsächlich ergibt sich der goldene Weg der gütlichen Einigung. Rückblickend weiß man eigentlich nicht, für wen dieser nun noch besser ist, ob für die Klägerin oder die Beklagte.

Barbara Schroeder vom Staatsballett Berlin als Klägerin

Waren ein gutes Team vor Gericht und sind gegenseitig stolz auf sich: Barbara Schroeder und ihr Anwalt Jens Brückner nach der Verhandlung am 25.10.21 in Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

So sieht der gerichtliche Vergleich hier aus: Die Parteien erklären, dass sie unter Beibehaltung ihres rechtlichen und tatsächlichen Ausgangspunktes in eine gütliche Einigung einwilligen möchten. Vulgo: Trotz Differenzen ist man bereit, sich zu einigen.

Die Stiftung Oper in Berlin wird darum am Ende des laufenden Jahres – am 31.12.21 – jene  Abmahnung, die das die Zeichnung nachstellende Foto betrifft, aus der Personalakte von Barbara Schroeder-Kozianka nehmen.

Am 20.05.22 werden die beiden anderen Abmahnungen folgen. Der das Arbeitsverhältnis stark belastende Druck ist damit genommen – und Barbara Schroeder muss sich dann nicht mehr als regulär falsch Beschuldigte fühlen, die in einer steten Wiederholungsgefahr schwebt.

Das Verfahrensende ist ein Sieg nach Punkten für Barbara Schroeder – auch wenn er ihrem Arbeitgeber ebenfalls nützlich ist.

Dass Chloé Lopes Gomes seit dieser Saison nicht mehr in der großen Compagnie einer Hauptstadt tanzt, sondern beim kleinen Provinzballett in Mulhouse in Frankreich, hat mit dieser Einigung direkt nichts zu tun.

Aber schade ist es schon, dass Lopes Gomes dadurch keine Gelegenheit hat zu sehen, wie Konflikte bereinigt werden können – und nicht stetig nur hochgekocht, ungeachtet der Beweislage.

Dass am kommenden Samstag in Mulhouse ein Ballett nach dem Film „Der Himmel über Berlin“ von Wim Wenders getanzt wird, ist da fast eine superbe Pointe. Tatsächlich haben die Berliner Engel der Gerechtigkeit in Sachen Chloé Lopes Gomes auch ohne sie gute Arbeit geleistet.
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

 

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