Eine Mutprobe in Weiß Vladimir Malakhov, dessen Schuhe gerade zu Porzellan wurden, studiert seine „Bajadere“ mit dem Staatsballett Berlin ein – für die Solisten wie für das Damen-Corps eine Herausforderung

Die Bajadere hat nicht viel zu lachen.

Eine Rolle voll großartiger Spagatsprünge: Solor aus „Die Bajadere“, hier von Mikhail Kaniskin im Staatsballett Berlin mit aller gebotenen Grandezza getanzt. Foto: Enrico Nawrath

Sie defilieren wieder! Eine nach der anderen tritt auf die Bühne, hebt den zarten Fuß und schreitet voran. Nach einigen Schritten heben sie langsam hinten ein gestrecktes Bein – und halten es, als wäre dieses die schönste Art, sich zu entspannen. Dann setzen sie das Bein ab, gehen einen Schritt rückwärts – und beginnen das Défilée von vorn. In Haarnadelkurven schlängeln sich die ganz in weiß gekleideten Tänzerinnen vom Staatsballett Berlin nach vorn. Vorne sind es nur noch drei Schritte – auf dieselbe Taktanzahl wie zuvor – bis es jeweils zur Arabeske, der Pose mit dem gestreckten Bein, kommt. Oh! Dieses Ballet blanc, das Weiße Ballett, ist ein Kernstück des Dramas „Die Bajadere“ zur Musik von Ludwig Minkus.

Eingebettet ist dieser Rausch aus 35 synchron tanzenden Damen im weißen Tutu – „weiße Schatten“ genannt – in eine rührselige Story: über einen wankelmütigen Liebhaber und der an ihrer tragischen Liebe zu diesem Mann sterbenden Tempeltänzerin, der Bajadere. Sie erhält ihr Glück erst im Jenseits, in einer himmlisch anmutenden Schattenwelt…

Die Bajadere hat nicht viel zu lachen.

Das Reich der weißen Schatten… spielt das bezaubernde Mittelstück aller Bayaderen-Ballette, wie hier „La Bayadère“ im Mariinsky-Theater in Sankt Petersburg, die immer ein dankbares Sujet auch für Gala-Aufzeichnungen im Fernsehen ist. Diese lief 2009 auf arte. Foto: arte

Vladimir Malakhov gab 2002 mit dieser Arbeit, die eine „Nachdichtung“ der Originalchoreografie von Marius Petipa ist, seinen Einstand in Berlin: als Chef vom Ballett der Staatsoper Unter den Linden. Später war er der Intendant vom vor elf Jahren gegründeten Staatsballett Berlin – bis man ihm, trotz legendär hoher Auslastung von weit über 90 Prozent, seinen Vertrag nicht verlängerte. Weil die Politiker in Berlin mehr modernes Ballett wollten.

Die Fans aber werden kommen und gucken: Die von Malakhov eingedeutschte „Bajadere“, die sonst überall auf der Welt auf französisch „La Bayadère“ genannt wird und zuletzt in einer Version von Natalia Makarova auf den internationalen Ballettbühnen getanzt wurde, hat Weltklasseformat, ist ein Leckerbissen, hat ein hohes Rührungspotenzial und ebenso viel Sogkraft. Es ist, wegen der angespannten Stimmung im Staatsballett, das trotz einiger Streiks noch immer nicht seinen ver.di-Haustarif hat, fast eine Mutprobe, dass dieses virtuose Ballett jetzt wieder getanzt wird – und das Damen-Corps wird erneut in eine Welt aus höchster Anmut und bezaubernder Schönheit verführen.

Von 2010 bis 2012 stand Malakhovs Glanzstück nach nur dreijähriger Pause denn auch erneut auf dem Spielplan. Und sorgte in jeder Vorstellung für Begeisterungsstürme!

Jetzt, nach wieder nur drei Jahren Abstinenz vom Berliner Spielplan, kommt sie wieder, die Bajadere, die schöne, unglücklich liebende Tempeltänzerin, die von Marius Petipa ganz offensichtlich nach dem Vorbild von „Giselle“ von 1841 geschaffen wurde.

Die Bajadere hat nicht viel zu lachen.

Er hat ein unbezwingbar schönes Flair: Vladimir Malakhov, einst Startänzer, jetzt künstlerischer Berater vom Tokyo Ballett, Namensgeber der Malakhov Foundation in Berlin und einstudierender Choreograf von „Die Bajadere“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Malakhov Foundation

Vladimir Malakhov reiste an, um sie einzustudieren – und er machte kürzlich im Ballettzentrum in der Deutschen Oper Berlin einen bestens gelaunten, ausgeruhten, aber hoch konzentrierten Eindruck. Der Premierenstress macht dem beliebten Star, der zeitweise als bester Tänzer der Welt gehandelt wurde, nicht allzu sehr zu schaffen – aber natürlich ist die Stimmung im Staatsballett emsigst!

Schließlich werden nicht nur die Szenen des Damen-Corps intensivst geprobt, sondern auch die Hauptrollen sind nicht ohne Finessen und werden zudem in mehreren Besetzungen einstudiert. Bei der Premiere werden Shoko Nakamura (früher Erste Solistin beim Staatsballett Berlin und heute in Budapest tanzend), Mikhail Kaniskin (berühmt für seine Sprünge und akkuraten Balancen) und Elena Pris (nicht selten ein As in den Rollen der Bösewichtinnen) für Grandezza sorgen.

Am 23. Juni werden als Gast Ekaterina Krysanova (vom Bolschoi), Dinu Tamazlacaru und Krasina Pavlova brillieren. Am 26. Juni gehört die Bühne Iana Salenko, Marian Walter (mit einem unüberbietbaren Cambré) und Elisa Carrillo Cabrera – ebenfalls großartig, diese Besetzung.

Die Bajadere hat nicht viel zu lachen.

Kultobjekt für Sammler: Die Porzellanfirma KPM brachte soeben eine Skulptur hervor, die Vladimir Malakhovs gebrauchte Ballettschuhe in Originalgröße nachgebildet zeigt. Zart, zart, zart… Foto: KPM

Choreograf Malakhov hat zur „Bajadere“ übrigens ein besonderes Verhältnis. Er sah das Ballett erstmals als Ballettschüler in Moskau, als das Kirov-Ballett aus Leningrad dort ein Gastspiel gab. 1995 tanzte er die Version von Makarova in New York, beim American Ballet Theatre – und erst 1999 in Wien choreographierte er „Die Bajadere“ neu, damals für das Ballett der Wiener Staatsoper.

Den Inhalt fasst „Vladi“ Malakhov so zusammen: „Es ist eine Dreiecksbeziehung. Nikia ist die Tempeltänzerin, die Bajadere. Sie hat sich ganz in den Dienst der Gottheit gestellt. Sie liebt Solor aufrichtig, wird ihm aber niemals gehören können, und das weiß sie auch. Solor schwört dennoch, sie für immer zu lieben. Zur selben Zeit wird er von dem reichen Radscha als Ehemann für dessen Tochter Hamsatti bestimmt.“

Die Bajadere hat nicht viel zu lachen.

Liebe in indischen Gefilden und Kostümen: „Die Bajadere“ beim Staatsballett Berlin. Die Rolle des Radscha (rechts, im Umhang) wird gern vom Ballettmeister Tomas Karlborg übernommen, der sonst die Herren fit trainiert und für die Bühne coacht. Jetzt steht er selbst wieder da! Foto: Enrico Nawrath

Ein Intrigenspiel nimmt seinen Lauf… Im prächtigen Bühnenbild von Jorgi Roig erlebt die Titelfigur so Eifersucht und Hass, Liebe und Tod… aber auch die Auferstehung als weißer Schatten und schließlich sogar ein ätherisches Happy Ending in einer mehr dem Traum als dem Tod verpflichteten paradiesischen, surrealen Sphäre…
Gisela Sonnenburg

Mehr hier:

www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-die-bajadere/

www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-streik-nakamura-buch/

Premiere der Wiederaufnahme: 21. Juni in der Deutschen Oper Berlin

Weitere Termine: 23., 25., 26., 28. Juni daselbst

www.staatsballett-berlin.de

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