Schmäh und Eleganz Das Wiener Staatsballett beglückt online auf 3sat beim Wiener Opernball 2023 – und Superstar Jane Fonda ist daselbst a bisserl peinlich

"Wiener Blut" beim Opernball mit dem Wiener Staatsballett

„Wiener Blut“ als wunderschönes Walzerballett von Martin Schläpfer: Olga Esina und Marcos Menha vom Wiener Staatsballett beim heurigen Opernball. Foto: Ashley Taylor

So eine Freude! Martin Schläpfer, aktueller Ballettdirektor vom Wiener Staatsballett, überrascht mich immer wieder. Nach seiner famosen, modernen „Dornröschen“-Version schuf der Choreograf jetzt in wenigen Wochen einen Auftritt vom Feinsten für auserwählte Solisten seiner Truppe beim Wiener Opernball 2023. Dieser Ball hatte heuer erhöhte Aufmerksamkeit, da er durch die Corona-Pandemie zwei Jahre lang ausfallen musste. Legendär sind aber sowieso die Live-Berichte mit versiert sarkastischen und gerade dadurch amüsant-klugen Kommentatoren im deutschsprachigen Fernsehen. 3sat sendete denn auch dieses Jahr am gestrigen späten Abend wieder zuverlässig charmant, aber auch zuverlässig bissig aus der Wiener Staatsoper, wobei auffiel: Die Aspekte des Nutzens der exklusiven Angelegenheit wurden dieses Jahr betont wie nie. Als müsse man rechtfertigen, dass der Wiener Opernball überhaupt stattfindet. So wurde die touristische Bedeutung ebenso hochgehalten wie die wirtschaftliche für die Zulieferdienste, von Friseuren bis zu den Taxi-Unternehmen. Kein Schmäh!

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Dass auch noch Spenden für etliche Anliegen gesammelt werden, erfuhr man dann im Verlauf der Sendung – und Insider wissen, dass Richard „Mörtel“ Lugner, 90 und Bauunternehmer, den Opernball am liebsten als eine Werbeaktion des Umweltschutzes sehen würde. Die ebenfalls mit ihren Mitteln gegen die Klimakrise kämpfende Schauspielerin Jane Fonda, 85, bezahlte er nach deren Aussage großzügig, damit sie im geliehenen Pracht-Outfit auf dem Ball erschien und Interviews gab.

Die elegante Grand Dame Fonda wirkte dabei wie eine wandelnde Werbung weniger für den Umweltschutz als vielmehr für die Schönheitsmedizin, deren Versuchskaninchen sie sein könnte. Trotz hohen Alters schien ihr Gesicht faltenlos, mehr noch: Sie sieht aus wie ein Abbild von sich selbst im Alter kurz vor 40. Ein so perfekt rekonstruiertes Gesicht war bisher noch von keiner prominenten Person zu besichtigen.

Leider vergaß Fonda, auch ihr Gehirn mit entsprechenden Maßnahmen jung zu halten. Immerhin gab sie freimütig zu, dass sie dachte, sie würde dafür bezahlt, im Publikum einer Opernaufführung in Wien mitzuwirken. Darum wollte sie auch Hosen tragen. Das ist den Damen beim Ball in der Wiener Staatsoper aber verboten. Und von ihrem angestammten Recht auf eine vorübergehende Transgender-Persönlichkeit wollte sie keinen Gebrauch machen.

"Wiener Blut" beim Opernball mit dem Wiener Staatsballett

Ketevan Papava und Brendan Saye vom Wiener Staatsballett beim Wiener Opernball 23 mit „Wiener Blut“ von Martin Schläpfer. Top! Foto: Ashley Taylor

Eine feminine Prachtrobe hatte Fonda aber auch nicht im Gepäck, sodass man sie vom unecht glitzernden Ohrring über ein grauweißes Kleid im Brokat-Look bis zu den ebenfalls glitzernden Fingerringen leihweise ausstattete.

Alles in allem war ihr Auftritt vor den Kameras dennoch a bisserl peinlich, auch wenn sie flüssig und ohne Hysterie ins Mikro sprach. Professionalität beim Präsentieren ist halt nicht alles. Die gute Absicht, etwas für den Umweltschutz zu tun, entglitt auf PR-Ebene in den Augen kritischer Betrachter mit Fondas Weltfremdheit vollends. „Mörtel“ wird beim nächsten Ball darum einen besseren Griff haben, wir sind uns sicher.

Für Ballettfans gab es aber ohnehin einen anderen Höhepunkt beim Ball: Das superbe Stück zum Walzer „Wiener Blut“ von Martin Schläpfer, dargeboten vom Wiener Staatsballett, allen voran von Olga Esina und Marcos Menha, war wirklich etwas Besonderes und lohnt auch mehrfaches Ansehen in der Mediathek.

Mit erlesenen Kostümen in Schwarz von Susanne Bisovsky – für die Damen mit glitzernder Spitze als langärmliges, transparentes Oberteil, für die Herren mit Glitzer-Optik am ebenfalls schwarz gekleideten Oberkörper – bieten die Tanzpaare höchst musikalisch kreiertes Walzerballett vom Feinsten.

Mit Noblesse und Spitzentanz, schwungvollen Drehhebungen, entzückenden Hebefiguren und spritzigen Passés wie eleganten Développés berücken sie vollends!

"Wiener Blut" beim Opernball mit dem Wiener Staatsballett

Die Herren beim synchron gesprungenen Spagat im „Wiener Blut“-Walzer von Martin Schläpfer auf dem Wiener Opernball 23. Yeah! Foto: Ashley Taylor

Und beim Herrengruppentanz weiß der Kommentator glatt ein Zitat von Choreograf Hans van Manen zu benennen – Bravo für diese gerade im Fernsehen nicht selbstverständliche Klasse der Berichterstattung.

Klassische Pas-de-deux-Elemente mischt Schläpfer denn auch mit modernen Gesten wie dem Berühren und Vorzeigen des linken Unterarmes als Zeichen für den Blutfluss: Nach dem Wiener Blut ist der Walzer von Johann Strauß (Sohn)  schließlich benannt.

Ohne angeberisch-reißerische Posen, dafür mit zart-sensiblen Arabesken und Attitüden erhält der Walzer genau jene tiefgründige Pikanterie, für die er berühmt ist.

Auch der Damengruppentanz mit Sprüngen und Trippeln ist erotisch, aber nicht obszön.

"Wiener Blut" beim Opernball mit dem Wiener Staatsballett

Fiona McGee hoch oben beim Wiener Opernball: mit dem Wiener Staatsballett in „Wiener Blut“ von Martin Schläpfer. Foto: Ashley Taylor

Und wenn die Herren wieder zu ihren Partnerinnen eilen, ist die Stimmung so gehoben, dass eine Pointe fürs Finale fällig ist: Die junge Solistin Fiona McGee wird empor geliftet und schwebt gewissermaßen über und hinter den liebevoll miteinander posierenden Paaren, bei denen die Herren den Kopf in die Hände der Damen schmiegen dürfen.

Selten war ein offizieller Wiener Walzertanz so voller Esprit und innigem Liebreiz!

Einhellig denn auch der Applaus vor Ort.

Auch die Gesangsdarbietungen von Andreas Schager und Camilla Nylund waren lohnend, die Kinderdarbietungen in Chor und Ballett erträglich, sogar ganz niedlich (mehr leider nicht) – und nur bei den hochwertigen Fressalien, die den Gästen durch die Festnacht helfen sollten, zeigten die Kameras dieses Jahr viel zuviel Zurückhaltung.

Allein das eher läppische Krapfen-Büffet, also aufgemotzte Berliner Pfannkuchen, war der Regie einen ausführlichen Besuch wert. Von Austern war dann lediglich in einem Interview die Rede; und all die anderen teuren Luxus-Schmankerl, die sonst manchmal von den Kameras in Großaufnahme abgegrast wurden, verschlangen die Gäste jetzt ohne Fernsehbegleitung durch 3sat. Auch wenn sich die eingesandten Zuschauerfotos wie immer schon lohnten. Es gab:

Keinen Champagner-Talk und kein Fachsimpeln über verschiedene Sorten Mineralwasser; kein Kaviar-Butterbrot, keinen salzigen Hering für das Après, keinen Lachs auf Kren, keine Würstelkartoffelsalatfraktion; keine vegetarische noch eine vegane Novität und auch keinen schokoladigen Liebesknochen, vielleicht eine neue Landmann-Schöpfung, für alle Fälle.

Nun ja. So blieben die Augen trotz der vorzüglichen Kunst ein wenig hungrig. Man kann aber mutmaßen, dass es da einen Hintergrund gibt und der Sozialneid jener bitterarmen Zuschauer, die es unter dem Millionenpublikum vor der Glotze auch gibt, nicht allzu sehr geschürt werden sollte.

Ob der Wiener Opernball irgendwann in der Zukunft mal vor der Kamera eine Extralage Essen für Arme ausgeben wird?

Jane Fonda oder wer auch immer könnte dann das rote Band durchschneiden, um die exquisite Outdoor-Ausgabe einer Tofu-Gulaschkanone zu eröffnen.

Statt Schampus tut es draußen dann besser wärmender Früchtepunsch, gesunderweise ohne Alkohol.

Walzer für Arme? Als der Opernball gegründet wurde, dachte man an solche Maßnahmen vermutlich als Letztes bzw. gar nicht. 1877 fand so ein Ball erstmals in der Wiener Staatsoper statt, ab 1935 läuft er unter dem heutigen Titel „Wiener Opernball“.

Die jungen, in Weiß gekleideten Debütantinnen, allesamt Diadem-gekrönte Häupter, mit ihren Galanen gehören dabei unabdingbar dazu, ebenso die aufgebrezelten Prominenten aus allen Bereichen, vor allem aus der Kultur und der Politik.

Ballettdirektor Martin Schläpfer erschien denn auch formvollendet im Frack – er hielt wortlos ein überzeugendes Plädoyer für dieses männliche Kleidungsstück, das viel zu oft im Orchestergraben der Oper fast unsichtbar ist.

Und so hat der Wiener Opernball zahlreiche Nebeneffekte, die man nicht missen möchte. Auch die leichte Berauschung beim Blick auf die Ränge, den die Kameras gern schweifen lassen, gehört dazu.

"Wiener Blut" beim Opernball mit dem Wiener Staatsballett

Auch leicht berauschend: Blick auf die geschmückten Ränge beim Wiener Opernball 2023. Videostill von 3sat.de: Gisela Sonnenburg

Und nun der Kostenpunkt für die Vergnügungssüchtigen vor Ort: 2023 kostete der Eintritt 350 Euro, inklusive 35 Euro Solidaritätszuschlag für von Armut betroffene Österreicher, die Gastronomie mit Spendenaufschlag kam noch extra. Mit 400 bis 500 Euro Minimum pro Person sollte man da wohl gerechnet haben. Aber bitte mit Schlagobers!
Gisela Sonnenburg

www.3sat.de

 

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