Avantgarde des Absurden Das Staatsballett Berlin bespaßt uns hintergründig und süffisant mit „A Sort of…“ und „Cacti“ im Programm „Ek/Ekman“

"Ek/Ekman" mit "A Sort of..." und "Cacti"

Sie laufen und laufen und kommen doch nicht voran: Köstliches Satireballett in „Cacti“ von Alexander Ekman beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Gehen Sie hin! Allein schon das zweite Stück des Abends „Ek/Ekman“ beim Staatsballett Berlin, aufgeführt in der Deutschen Oper Berlin und gestern abend dort mit großem Erfolg premiert, ist jede Anreise wert. Wer „Cacti“, eben diesen zweiten Teil, noch vom Semperoper Ballett oder vom Ballett Dortmund her kennt, wird es vielleicht auch ein weiteres Mal genießen wollen. Wer es noch nie sah, dem wird dabei ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, das stundenlang anhalten wird. Alexander Ekman, heute 39-jährig, kreierte es bereits 2010, also blutjung. Seit der Uraufführung beim Nederlands Dans Theater (NDT) in Den Haag reist das Stück nun als moderner Klassiker um die Welt – es wurde wirklich Zeit, dass es in Berlin Station macht. Kombiniert ist diese witzige Satire auf den Kunst- und Kulturmarkt mit einem weiteren avantgardistischen, schon 1997 und ebenfalls in Den Haag, und zwar beim NDT 2, uraufgeführten Stück des Altmeisters Mats Ek: „A Sort of…“. Und das macht in „Ek/Ekman“ auch den Anfang. Dass die Nachnamen der beiden Tanzschöpfer mit denselben Buchstaben beginnen (und der eine dann auch schon endet), ist übrigens Zufall und keineswegs Fügung oder Absicht.

Eine gelbe Wand mit Spitzdachtür bildet zunächst das Bühnenbild von Maria Geber. Die Welt, so scheint es, ist recht übersichtlich, das Wichtigste allerdings liegt im Verborgenen.

"Ek/Ekman" mit "A Sort of..." und "Cacti"

Arshak Ghalumyan in Pink und Vivian Koohnavard in „A Sort of…“ von Mats Ekman beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Den geschlechtlichen Rollentausch unserer Tage, der so stark propagiert wird, sah Ek offenbar kommen.

Da ist nämlich ein Mann mit Frauenschuhen und pinkfarbenem Mantel ausgestattet (Arshak Ghalumyan), und er ist einsam, bis sich eine Frau in Herrenschuhen zum Hosenanzug (Vivian Koohnavar) seiner erbarmt. Als Liebeszeichen stellt er ihr einen ihrer Schuhe auf den Kopf, eine Krönung der seltensten Art. Sie scheint das zu mögen. Und erst, als er sie weit über seinen Kopf hinaus hoch hebt, zieht sie sich den Schuh wieder an.

Überhaupt zieht sie sich diesen Schuh an, auch im übertragenden Sinn: Sie nimmt ihn zum Partner.

Doch die Beziehung ist nicht sehr gesegnet. Als Strafe, weil sie ihn dominieren will, packt er sie einfach in einen Koffer. Später lässt er sie zwar frei, zwei Mal sogar – doch am Schluss verlässt sie ihn für einen anderen Mann. Einsam bleibt er zurück, am Boden gekrümmt. Und das ist das Ende vom Lied.

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Bei Mats Ek kulminieren menschliches Miteinander und menschliches Gegeneinander in solchen slapstickartigen Szenen und Posen. „Eine Art von…“ – damit sei ja auch eine Art Reise oder Traum gemeint, erklärt der Choreograf. Und es ist mehr ein Alptraum als eine Utopie, die hier zu sehen ist. Was der Realität leider näher kommt als die Verherrlichung der Schönheit allein.

Die Männer in dieser modernen Welt sind gemein, sie schießen die Frauen, Schwangerenbäuche und auch Luftballons ab, und sie tanzen aggressiv in Alltagsklamotten ihren Hipster-Lifestyle.

Die Frauen wiederum flirten sogar miteinander – besonders toll: Elisa Carrillo Cabrera – und lassen ansonsten die Männer agieren. Man merkt, dass Mats Ek, Jahrgang 1945, kein junger Mensch ist. Seine Frauen sind zwar zeitweise herrschsüchtig, ansonsten aber oft passiv und leidend.

Manches ist wenig schlüssig. Etwa, wenn eine Frau eine Wasserpistole zückt und ihren entsetzten Partner mit dem kleinen Wasserstrahl so sehr quälen kann, dass er am Boden bleibt und flüchtend ins Off robbt.

Dass eine Ballerina die Luftballonreste zusammen fegen muss wie weiland Cinderella, amüsiert nur teilweise, denn sie wird nicht weiter ins tänzerische Geschehen eingebunden.

"Ek/Ekman" mit "A Sort of..." und "Cacti"

Nicht nur der Wollrock fällt auf: Pas de deux aus „A Sort of…“ von Mats Ek in „Ek/Ekman“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Einige Tänze entzücken hingegen schon wegen der dezenten Modegags, die die Kostüme vorführen: ein gelb-orangener Wollrock hier, ein keckes Hütchen da, ein Galan nur in roten Shorts fallen im Ballett nun mal auf.

Alles in allem gibt es aber nur temporäres Glück zwischen den Tanzenden.

Es gibt hier nur Herren und Knechte in den Beziehungen. Frei scheint der Mensch nur allein zu sein.

Und rigoros ist Mats Ek in seiner Überzeichnung von Gefühlen nicht. Im Gegenteil: Vieles wirkt unterkühlt und wie mechanisch vorgeführt.

Stilistisch typisch für Ek: abgehackte Bewegungen, bei denen die Fußspitzen oft hochgezogen sind, auch wenn die Beine im Plié der zweiten Position auswärts gedreht sind. Die Frauen werden sogar oft in dieser Pose gehoben.

Heben die Damen die Männer – was auch vorkommt – reicht es allerdings nicht zu so stilfeinen Figuren. Da geht es mehr ums Dass statt ums Wie.

Aber generell liegt die Ästhetik im Rhythmus der Bewegungen. Da ist nur gelegentlich etwas zu schlabbrig oder alltäglich, um nicht doch das Augenmerk zu binden.

"Ek/Ekman" mit "A Sort of..." und "Cacti"

Kosakentanz, um die Damenwelt zu beeindrucken: Mann vor Mauer mit Frauen… in „A Sort of…“ von Mats Ek in „Ek/Ekman“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Assoziationen, die über die faktisch gezeigten Szenen hinausgehen, muss der Betrachter subjektiv leisten. Der Tanz macht da keine Vorgaben, er liefert lediglich beliebige Inspirationen.

Die Leichtigkeit, die hier auch über den düsteren Seiten des Lebens zu liegen scheint, rührt wohl aus der Biografie von Mats Ek. Als Sohn der schwedischen Doyenne des modernen Balletts, Birgit Cullberg, wurde ihm die Leitung ihrer Company sozusagen in die Wiege gelegt. Den Überlebenskampf, den er tänzerisch beschreibt, dürfte Ek nur aus der Rolle des Beobachters kennen.

Überwältigend ist allerdings die Musik, die Ek aussuchte: Der von ihm gewählte polnische Komponist Henryk M. Górecki, der 2010 verstarb, wusste genau, wie er pathetischen Glockenklang und jaulende Streicher einzusetzen hat, um maximale Effekte zu kreieren. Obwohl die Musik hier vom Band kommt, kann man in ihr schwelgen.

"Ek/Ekman" mit "A Sort of..." und "Cacti"

Aggressiver Männertanz, nicht schön, aber sprungstark: Das Staatsballett Berlin in „A Sort of…“ von Ek in „Ek/Ekman“. Foto: Yan Revazov

Aus dem Jahr 2010 wiederum stammt das zweite Stück des modernen Tanzabends, und es sprengt tatsächlich alle bis heute bekannten Möglichkeiten des Balletts.

„Cacti“ („Kakteen“) von Alexander Ekman wurde, wie „A Sort of…“ in Den Haag, und zwar beim Nederlands Dans Theater 1, uraufgeführt. Ekman kreierte  für sein starkes Frühwerk auch das Bühnenbild, die Kostüme und das Licht.

Obwohl es um eine Satire geht, ist auch der ästhetische Aspekt durchdacht und sehr präsent. Eleganz und Klarheit, Verspieltheit und Raffinesse machen gute Laune!

Das Semperoper Ballett und das Ballett Dortmund haben es bereits im Repertoire, aber auch in den USA, beim Pacific Northwest Ballet in Seattle, hat man sich schon kringelig über „Cacti“ gelacht.

Es handelt sich aber auch um eine Satire im besten Sinn: mit Liebe und Schmackes gemacht, mit Brillanz und Hingabe serviert. Ein Streichquartett spielt mit, live, und fiedelt Klänge der Klassik, von Haydn über Beethoven bis Schubert, elektronisch verstärkt. Es ist das Streichquartett des Orchesters der Deutschen Oper Berlin. Restliche Musik kommt vom Band.

Das Corps de ballet kniet zunächst im Orchestergraben, von wo es empor schwebt, wie von Zauberhand bewegt: mit den Händen trommelnd, laut ausatmend und in rätselhaft-ästhetische Bewegungen des Oberkörpers vertieft.

"Ek/Ekman" mit "A Sort of..." und "Cacti"

Das köstlich tanzende Staatsballett Berlin zu Beginn vom ebenfalls köstlichen Stück „Cacti“ von Alexander Ekman. Foto: Yan Revazov

Wer diesen Anfang nachtanzen möchte oder sich auch nur dafür interessiert, kann auf YouTube kostenlos einen Workshop ansehen, in dem dieses Stück  eine knappe halbe Stunde lang gelehrt wird. Dank an Alexander Ekman, der sich damit ziemlich souverän-großzügig zeigt, was seine Urheber-Lizenz angeht.

Aber Vorsicht: Dass die Bewegungen kostenlos gelehrt werden, heißt noch lange nicht, dass man sie komplett vor Publikum aufführen darf. Auch hier gilt das Urheberrecht, ebenso aber auch das Zitatrecht, das nur kleine Auszüge als Zitat erlaubt.

Der Knüller des Abends sind sowieso die auffälligen und vielfältigen Plastik-Kakteen in schicken weißen Blumentöpfen, die alsbald wie heilige Reliquien hin- und hergetragen werden. Sie sind Symbole für die Absurdität des Kunst- und Kulturbetriebs, in dem beliebige Gegenstände und Werte verehrt werden wie sonst nur der schnöde Mammon.

"Ek/Ekman" mit "A Sort of..." und "Cacti"

„Cacti“ in „Ek/Ekman“: Kakteen als Reliquien, Kunstsymbole, Investitionen. Zu sehen beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Was für eine köstliche Parodie auf die hehre zeitgenössische Kunst!

Der Kaktus als Skulptur, als Ready-made, als Mirakel, als Naturrelikt. Als Spekulationsobjekt, als Investition. Als triviales Sinnbild für Kunst schlechthin.

Tänzerischer Höhepunkt ist aber ein Pas de deux mit passend eingesprochenem Text. Dabei wechseln die inhaltlichen Ebenen so rasant wie die Fußstellungen. Geht es um eine reale Beziehung oder um eine Probe? Beides ist gemeint. Danielle Muir und Johnny McMillan zelebrieren den Geschlechterkampf mit Wucht und Verve, und es ist unmöglich, nicht zu kichern.

"Ek/Ekman" mit "A Sort of..." und "Cacti"

Danielle Muir und Johnny McMillan im Beziehung-auf-Probe-Pas-de-deux aus „Cacti“ in „Ek/Ekman“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Das Stück hat wirklich viel Lob verdient. Ich zitiere mich darum mal selbst. 2015 schrieb ich im Ballett-Journal anlässlich einer Aufführung von „Cacti“ in Dresden, es handle sich um „eine Gesamtkunstwerkmischung von absurd-skurrilem Profil“ – und diese  heize einem so richtig schön ein. Das hat auch heute Gültigkeit.

Als ein schönes Pendant fällt mir noch die ganz anders gearbeitete, aber auch göttliche Parodie auf den Ballettbetrieb ein, die John Neumeier 2002 für „Die Möwe“ kreierte. Darin ist dann auch der Sexismus enthalten, den Ekman verschweigt: Der Chefchoreograf flaniert da wie ein Playboy mit Mädels rechts und links über die Bühne.

„Cacti“ bleibt abstrakter, wirkt aber nicht weniger süffisant.

Am Ende kredenzt das Ensemble dem Publikum die Kakteen, stellt sie an die Rampe. Festlich wirkt das. Und die Tänzer dürfen beim Applaus zunächst nicht lächeln. Ihre Botschaft ist ernst. Was die ganze Sache noch komischer macht.

Als Dank für den stürmischen Applaus werfen die Künstler dann Blumen, die sie vom Haus erhielten, in den Zuschauersaal. Wie gut, dass keine Stacheln daran sind. Die Widerhaken befinden sich vielmehr in der bissig-sarkastischen Aussage des Stücks.

Mit soviel Avantgarde des Absurden ist man von daher bestens für weitere kulturelle Abenteuer gerüstet.

"Ek/Ekman" mit "A Sort of..." und "Cacti"

Blumen beim Schussapplaus für die Tänzer aus „Cacti“ von Ekman in „Ek/Ekman“ beim Staatsballett Berlin. Foto vom Applaus der Premiere: Gisela Sonnenburg

Dass Ballett in diesen Zeiten verstärkt eine humorvolle Seite zeigt, ist nicht verwerflich. Man sollte sich nur darüber im Klaren sein, dass das nicht alles ist, was Kunst zu bieten haben sollte. Auch wenn gerade die Parodie „Cacti“ absolut ihre Berechtigung hat. Aber hallo!
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

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