Wahre Helden Shale Wagman begeistert als Puck in „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier beim Bayerischen Staatsballett, und Rollendebüts gibt es auch in „Peer Gynt“ von Edward Clug beim Ballett Dortmund

"Ein Sommernachtstraum" und "Peer Gynt"

Strahlend beim Applaus: Madison Young und Jinhao Zhang nach der Vorstellung von „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier beim Bayerischen Staatsballett im Münchner Nationaltheater. Foto: Serghei Gherciu

Es gibt kein passenderes Datum für die Liebeskomödie „Ein Sommernachtstraum“ als den Valentinstag. Außer der Johannisnacht im Sommer vielleicht, in der das Stück spielt. Aber bei Nacht und Nebel im februarkalten München ins Nationaltheater zu eilen, um eines der hübschesten Ballette der Welt zu sehen, ist schon etwas sehr Feines. John Neumeier schuf mit seiner Choreografie von 1977 nach dem gleichnamigen Theaterstück von William Shakespeare, die er im Laufe der Jahre polierte, kürzte und ergänzte, ein unsterbliches Stück Tanz. Beim Bayerischen Staatsballett versüßte zudem ein Aufgebot von Neubesetzungen – allen voran das Rollendebüt von Shale Wagman als Puck – den gestrigen Abend. Ebenfalls heldenhaft bewältigte  auch das Ballett Dortmund, einige hundert Kilometer weiter nordwestlich, eine neue Besetzung seines aktuellen Stücks „Peer Gynt“ von Edward Clug. Und zwar am letzten Samstag. Simon James überzeugte in der Titelpartie, Sae Tamura als Solveig, Filip Kvacák als Tod und Guillem Rojo i Gallego als Hirsch. Sind diese Tanzkünstler nicht die wahren Helden unserer Zeit? Das klingt vielleicht überzogen, aber wenn man sich vergegenwärtigt, dass Ballett die detailreichste und probenaufwändigste Kunst der Gegenwart ist, so muss jede Einstudierung auch unter dem Gesichtspunkt des Fleißes und der Courage gesehen werden.

"Ein Sommernachtstraum" und "Peer Gynt"

Shale Wagman als Philostrat in Neumeiers „Ein Sommernachtstraum“ beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Ksenia Orlova

Der unumstrittene Star im neuen Münchner „Sommernachtstraum“-Cast ist der geschmeidige, aus Kanada stammende Shale Wagman in der Doppelpartie als Puck / Philostrat. Biegsam, verspielt, weich, ja zart, aber auch lausbübisch frech und noch dazu sinnenhaft-erotisch füllt er die Rolle des Elfen Puck, der immer für einen Schabernack aufgelegt ist. Ein rasant schnelles Tempo wechselt dabei mit zelebrierten Adagio-Bewegungen, Brillanz und Expressivität gehen zusammen.

Als Zeremonienmeister namens Philostrat legt Wagman mit puderblauem Frack  jene Süßigkeit in den Blick und jene leicht verschlagene Hinterfotzigkeit ins Lächeln, die sich auf spätromantischen Gemälden oftmals wiederfinden. Man könnte sagen, dass hierin das versteckte rebellische Potenzial der Biedermänner kulminiert.

"Ein Sommernachtstraum" und "Peer Gynt"

Shale Wagman bezaubert als Puck in „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Ksenia Orlova

Dank Pucks irrigen Zaubertricks mit einer Blume verlieben sich Männer und Frauen ineinander, die nicht immer zueinander passen. Die beiden so genannten Liebhaber-Paare, gestern fulminant witzig und spritzig von Bianca Teixeira (Helena) und Ariel Merkuri sowie Carollina Bastos (Hermia) und Rafael Vedra (Lysander) getanzt, brauchen eine wilde Nacht im Wald, um zu erkennen, wer mit wem glücklich werden kann.

Vor allem Carollina Bastos bezaubert mit urkomischem Talent, das sie zugleich niedlich und tolpatschig, aber auch mit exzellenten Linien in den Posen auslebt.

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Ebenfalls entzückend tolpatschig, wenn auch von ganz anderer Natur und Statur, ist der kräftige Robin Strona als Handwerker Zettel. Er darf als Freiland-Versuchskaninchen für Pucks Liebeszauber – im Auftrag des von seiner Gattin gekränkten Elfenkönigs Oberon – herhalten. Und solchermaßen als Sexobjekt der eleganten Feenkönigin Titania, die sich dank der Liebesblume in ihn verknallt. Damit aber nicht genug: Zuvor wurde Zettel von Oberon in einen Esel verwandelt, der hier mit Eselsohren am Menschenkopf besonders bizarr wirkt.

Später, beim Hochzeitsfest am Hof von Theben, tritt der in menschliche Gestalt zurückverwandelte Zettel mit seinen Kumpels als Laiendarsteller in einem absurd-tragikomischen Stück auf. Beim Entrée kreuzt sein Blick den der Hippolyta, der Braut – und die beiden schauen irritiert drein, scheinen sich aus der Nacht der Elfenträume gar zu erkennen.

"Ein Sommernachtstraum" und "Peer Gynt"

Jinhao Zhang und Madison Young als kompliziert-erotisches Elfenpaar, zu sehen in  „Einn Sommernachtstraum“ von John Neumeier in München. Foto vom Bayerischen Staatsballett: Serghei Gherciu

So wird es Zeit, das Hauptpersonen-Paar vorzustellen. Madison Young tanzt mit unnachahmlicher Feinheit, aber auch großer Mädchenhaftigkeit die Doppelrolle der Hippolyta / Titania. Die ganze verrückte Nacht im Wald mit ihren Liebesirrungen und Wirrungen ist ihr Traum, also der Vorhochzeitstraum von Hippolyta.

Diese kommt als zukünftige Herrscherin an den Hof und fragt sich an ihrem letzten Abend als Single, ob der offenbar schürzenjagende Theseus wohl als Gatte taugen wird.

Da erfährt sie von den Fluchtplänen eines der Liebhaber-Paare – und träumt sich im Schlaf selbst in den Wald, hier ist es eine Art Olivenhain.

Die Festvorbereitungen bei Hofe mit Blumen und Nähnadeln einerseits (von Jürgen Rose im Stil des Klassizismus edel-spielerisch ausgestattet) und das Treiben der Elfen bei Nacht und Nebel (in mondglitzernden Bodysuits) mit hohen Grand Battements und schnellen Sprüngen andererseits werden vom Ensemble des Bayerischen Staatsballett vorzüglich kredenzt. Spaß und Spannung finden hier zur möglichst sinnlichen Form.

Am Ende sind die Beziehungskuddelmuddel geklärt, die Widerstände beseitigt und sogar die Bedenken der Braut verweht. Denn Theseus erweist sich ebenso wie Oberon nach erfolgter süßer Rache tänzerisch als zärtlich-souveräner Partner.

Jinhao Zhang ist ein Oberon wie aus dem Bilderbuch, mit kraftvoll-männlichen Gesten und anmutig-lässiger Haltung.

Dass Michael Schmidtsdorff das Bayerische Staatsorchester dirigierte, machte die Sache noch besser: Er kennt das Stück schon vom Hamburg Ballett. Die Musiken von Felix Mendelssohn Bartholdy (für die höfische Rahmenhandlung) und von György Ligeti (für die Elfenwelt) becircen das Gemüt allemal.

Und Shale Wagman räumt beim Schlussapplaus ab – wie könnte es anders sein!

"Peer Gynt" von Edward Clug begeistert beim Ballett Dortmund

Mega-expressiv: Javier Cacheiro Alemán als „Peer Gynt“ von Edward Clug beim Ballett Dortmund. Foto von Facebook: Leszek Januszewski

Ebenfalls aberwitzig, zudem abenteuerlich und mit düsterem Pathos gewürzt kommt „Peer Gynt“ von Edward Clug einher. Simon Jones, gebürtiger Schotte, hat es nach der überragenden, herzhaft-sensiblen Interpretation von Javier Cacheiro Alemán bei der Dortmunder Premiere nicht einfach. Aber er schlägt sich tapfer und schafft es, die Entwicklung des norwegischen Jedermanns Peer Gynt en detail aufzuzeigen.

Vielleicht ist dieser Peer sogar eine Art verkappter Puck, der mit Schelmenwitz und Hintersinn allerlei Unsinn anstellt.

Vom naiven Draufgänger, der feststellt, dass ihm nichts gelingt, über den skrupellosen Verführer und Glück habenden Kaufmann bis hin zum in der Irrenanstalt Gestrandeten und dann reuevollen Heimkehrer ins kleine Dorf illustriert er die märchenhafte getanzte Odyssee, die nach dem Drama von Henrik Ibsen entstand.

"Ein Sommernachtstraum" und "Peer Gynt"

Sae Tamura (links) und James Simon (mittig) mit dem Ballett Dortmund beim Schlussapplaus nach „Peer Gynt“ von Edward Clug. Foto: Franka Maria Selz

Sae Tamura, bildschön und ausdrucksstark, ist ihm eine ergebene, lebenslang auf ihn wartende, am Ende schwer an der letzten Tür des Lebens tragende Liebende. Peer hilft ihr, gleichermaßen gehen beide mit der Tür auf dem Rücken als Hinterseite in die Ewigkeit ein.

Und auch der Hirsch, Peers in der Natur gespiegelte Seele, legt sich zum Sterben nieder, sehr malerisch vor der dunklen Tür von Peer und Solveig – was für ein rührender Schlusspunkt.

"Ein Sommernachtstraum" und "Peer Gynt"

Guillem Rojo i Gallego als Hirsch (hier ohne Krücken und Geweih) mittig beim Schlussapplaus nach „Peer Gynt“ beim Ballett Dortmund. Foto: Franka Maria Selz

Mit seinen Krücken als Vorderbeine und dem aufgeschnallten Geweih-Helm ist dieser Tiermensch während des ganzen Stücks eine rätselhafte, faszinierende Partie, im Debüt von Guillem Rojo i Gallego allemal. Zackig-geradlinige Bewegungen und schräg-schön gestylte Posen verheißen eine Einheit von Natur und Mensch, die in der Realität vielleicht nie erreicht werden kann. Aber die Kunst gibt die Utopie vor!

"Ein Sommernachtstraum" und "Peer Gynt"

Kein Puck, aber auch ein Held: Alexander Kalouti erweist sich als unterhaltsamer und vor allem klug moderierender Dramaturg bei der Einführung zu „Peer Gynt“ im Foyer vom Dortmunder Opernhaus. Foto: Franka Maria Selz

Filip Kavacák debütierte am selben Abend – seinem Geburtstag – in der Rolle des Todes, der Peer durchs Leben begleitet, ihn manchmal rettet, ihn aber auch – skurrilerweise mit Malerpinsel und Palette – in die Flucht treibt. Der Tod ist hier ein Körper gewordener Gedanke, und das ist vielleicht das höchste Kompliment, das eine Theaterfigur einheimsen kann.

Das Ensemble vom Ballett Dortmund begeistert mit Schwung und Elan, mit Präzision und Hingabe. Ballettdirektor Xin Peng Wang hält seine Truppe einfach überwältigend gut im Training. Denn auch moderne Stücke wie dieses wollen gut durchgeprobt sein.

Die fantasievollen Kostüme von Leo Kulas verbinden heutige Gefühle mit Erinnerungen an das 19. Jahrhundert.

Musikalisch erfreuen – mit der schwelgerischen Musik von Edvard Grieg – am Taktstock Motonori Kobayashi sowie Tatiana Prushinskaya am Klavier. Ein persischer Sufi-Song in knatternder Vinyl-Aufnahme trägt multikulturelles Flair in den Abend hinein.

"Ein Sommernachtstraum" und "Peer Gynt"

Skurril bis in die Nebenrollen: „Peer Gynt“ von Edward Clug, hier Lúcio Kalbusch als Schmied und Rion Natori als Klein-Helga, Solveigs Schwester. Foto vom Schlussapplaus mit dem Ballett Dortmund: Franka Maria Selz

Alles in allem sind beide Stücke verträumt und nostalgisch, dennoch auch zeitgenössisch und gegenwärtig. Während in „Peer Gynt“ die Tagträume wahr werden, ist es im „Sommernachtstraum“ so, als hätten alle denselben zukunftstiftenden Traum.

Die Traumarbeit auf den Ballettbühnen könnte sinnvoller nicht sein.
Franka Maria Selz / Gisela Sonnenburg

www.bayerisches-staatsballett.de

www.theaterdo.de

 

 

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