
Hans van Manen, der als Choreograf vor allem beim Nederlands Dans Theater tätig war, welches er mit gründete, hier im Portrait. Foto: Sebastian Galtier
Er war im Grunde ein Tanzdesigner, nicht nur ein Choreograf; mehr ein Künstler der reinen Form, nicht des Inhalts. Tanz zu schöpfen war für ihn das hoch disziplinierte Formen von Linien und Bewegungen, mit einem Schuss Erotik, wobei sich die Formen fließend, aber keineswegs von innen nach außen ergeben sollten. Es ging bei Hans van Manen (Jahrgang 1932) nicht um den Ausdruck des Gefühls eines Individuums. Es ging ihm um die Erschaffung von puristischer Schönheit mit den Mitteln des menschlichen Körpers. Mit diesem Fluidum wurde er von den Niederlanden aus weltberühmt. Und: Hans van Manen gehörte noch zu einer Generation, die nicht jahre- oder jahrzehntelang dem staatlichen Betriebssystem des Balletts als kleines Rädchen immanent gedient haben musste oder engste Beziehungen zu einem Sponsor gehabt haben muss, um überhaupt als Choreograf an Staatsballetten zugelassen zu werden. Er war Maskenbildner, bevor ihn die Muse Terpsichore küsste und ein Leben lang nicht mehr aus der tänzerischen Liebesumklammerung ließ.
Damals genügte es, bei ein wenig körperlicher Begabung, noch als Erwachsener den ersten Ballettunterricht zu nehmen, um irgendwie männlicher Tänzer in Westeuropa zu werden. In Russland hätte das so erworbene technische Können wohl nie ausgereicht. Aber im auf Moderne sinnenden Westen war es zulässig, aus einem Wenig ein Viel zu machen.

Präzise Linien, flirtende Stimmung: Ida Praetorius und Matias Oberlin in „Variations for Two Couples“ von Hans van Manen beim Hamburg Ballett. 2013 erhielt van Manen für dieses Werk in Moskau den „Prix Benois de la Danse“. Foto: Kiran West
1959 schaffte Hans van Manen es daher, als Tänzer in die schon damals recht berühmte Truppe von Roland Petit in Paris zu gelangen. Da hatte er schon seit einigen Jahren auch choreografische Erfahrung, aus seiner Zeit im Engagement in Amsterdam. Zeitgleich gehörte van Manen zu den 20 Gründern des Nederlands Dans Theater (NDT) in Den Haag, dessen künstlerische Leitung er 1960 übernahm. Und er führte die von Beginn an mit vielen Uraufführungen modern ausgerichtete Truppe zu Welterfolgen.
Schlicht, dennoch hintergründig raffiniert ist sein Stil, der zunächst das NDT sozusagen von Kopf bis Fuß prägte. Außer im Tanz realisierte sich van Manens Stilgefühl aber auch in der Fotografie, mit der er Bücher und Ausstellungen befüllte. Stil als Wesensgrund der Kunst – das ist eine relativ moderne Säule, die letztlich auch zum Erblühen des Designbereichs führte. Hans van Manen kann insofern als Vorläufer und Pionier gelten.
Ab 1974 wirkte van Manen als Ballettmeister und Choreograf bei Het Nationale Ballet in Amsterdam. Ab 1988 schuf er wieder vor allem fürs NDT seine Stücke, die weltweit Anklang fanden und von vielen Compagnien ins Repertoire übernommen oder in Auszügen für Galas geordert wurden. Keine der großen deutschen Compagnien hätte es sich leisten können, nichts von ihm im Repertoire zu haben.

Interessante Kringel statt Krönchen im Haar: Das Outfit passt zur surrealen Stimmung und Choreografie in der „Großen Fuge“ von Hans Van Manen. Videostill vom Stuttgarter Ballett: Gisela Sonnenburg
Hans van Manen war ein Meister der mittelgroßen Form. Keines seiner rund 120 Werke ist abendfüllend, sondern meist ergeben drei Stücke die Länge eines Programms („Triple Bill“). An Musiken verwandte van Manen sowohl die Klassik als auch zeitgenössische oder dem Trivialbereich entstammende Klänge. Rollen oder Figuren gibt es bei ihm nur selten, sein Werk gehört insgesamt in den Bereich der sinfonischen Ballette, ist also dem abstrakten Tanz zuzurechnen. Viele seiner Anhänger feiern van Manen darum als denjenigen, der den Tanz am meisten nutzt, um nur vom Tanz zu erzählen – als Metapher für zwischenmenschliche Beziehungen.
Diese sind bei van Manen allerdings zumeist stark stilisiert. Nicht umsonst nannte er als Vorbild gelegentlich George Balanchine.
Ob „Dances with Piano“, „Adagio Hammerklavier”, „Nacht“ oder „Lieder ohne Worte“, ob die „Große Fuge“ oder „5 Tangos“: So schlicht wie seine Kreationen selbst (zu denen van Manen oft auch die Kostüme schuf), klingen auch ihre Titel, die oftmals ihrer Musik entlehnt sind.

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Der Pas de deux und der Corps spielen dabei jeweils eine besondere Rolle. Die Feinheiten darin zu studieren und die Unterschiede zwischen ähnlich aussehenden Variationen zu erkennen, macht außerordentlich Spaß, was einen Großteil der magnetischen Kraft seiner Choreografien ausmacht. Hans van Manen war einer, der sich künstlerisch immer treu blieb, jedoch nicht in der Wiederholung seiner selbst stecken blieb.
Erst im Mai diesen Jahres widmete ihm das Stuttgarter Ballett den Abend „Fünf für Hans“, der fünf seiner Stücke zu einer Hommage zusammenfasste (hier geht es zum entsprechenden Bericht „Fast eine Überdosis Stil“).
Besonders viel Freude macht van Manens ironisch schmunzelndes Pas de deux „The old Man and Me“, in dem ein älterer, manchmal auch ehemaliger Tänzer auf eine ebenfalls nicht mehr ganz junge Tänzerin trifft. Flirt à la „Ü50“ – damit trifft man natürlich einen Nerv, der in der jugendbesessenen Ballettbranche sonst oft eher abgestorben scheint. Und: Es ist eines der wenigen Stücke von van Manen, das weniger abstrakt als vielmehr thematisch klar umrissen ist. Man kann sogar von einer inneren und äußeren Handlung sprechen – für van Manen eine echte Besonderheit.

Vladimir Malakhov und Beatrice Knop vom Staatsballett Berlin in „The old Man and Me“ von Hans van Manen… erotisch und ironisch, satirisch und voller Herzlichkeit! Foto: Bettina Stöß
2005 erhielt van Manen für sein Lebenswerk die höchste Auszeichnung, die die internationale Ballettwelt jemals zu bieten hatte: den „Prix Benois de la Danse“, der in Moskau verliehen wurde. 2013 erhielt er diesen bedeutenden Preis noch einmal, für ein einzelnes Werk, nämlich die „Variations for two Couples“ („Variationen für zwei Paare“).
Am 17. Dezember 2025 folgte er im hohen Alter von 93 Jahren seiner bereits 1991 verstorbenen großen Liebe, dem Tänzer und Kameramann Henk van Dijk.
Gisela Sonnenburg