Wenn das Böse siegt Neubesetzungen in „Dornröschen“ von Marcia Haydée beim Stuttgarter Ballett: Alexander Mc Gowan als Carabosse, Rocio Aleman als Aurora und Martí Fernández Paixà als Desiré sowie Virna Toppi als Aegina in „Spartacus“ beim Bayerischen Staatsballett

Das Böse ist überall

Virna Toppi als Aegina mit Emilio Pavan als Crassus beim Bayerischen Staatsballett: der Titelheld von „Spartacus“ wird das Opfer des Bösen… Foto: Wilfried Hösl

Das Böse ist nicht immer schwach. Manchmal ist es viel hartnäckiger, besser vernetzt, geschmeidiger, spannender und siegreicher als das Gute. Damit muss man rechnen. Zwei Ballettinszenierungen legen das auf unterschiedliche Weise nahe: „Spartacus“ in der Choreografie von Yuri Grigorovich beim Bayerischen Staatsballett und „Dornröschen“ von Marcia Haydée beim Stuttgarter Ballett. In der schwäbischen Metropole triumphierte am Sonntagnachmittag der Solist Alexander Mc Gowan in der Partie der bösen Fee Carabosse – und es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass er das Opernhaus zum Brodeln brachte. Auch Aurora und ihr Prinz Desiré waren in Stuttgart mit Rocio Aleman und Martí Fernández Paixà neu besetzt. Als wahre Prinzessin der Präzision und als eifriger Springer bilden sie ein beinahe perfektes Paar. In München beim Bayerischen Staatsballett reüssierte hingegen schon am Samstagabend die dort neue, von der Mailänder Scala kommende Primaballerina Virna Toppi als Aegina in „Spartacus“: als tänzerische Verkörperung der leise funkelnden Bosheit mit sich einschleichender Hinterlist. Das Böse mit sanftmütiger Tarnung… und die Lüge kann schöne Beine haben!

Während sonst Prisca Zeisel (ebenfalls beim Bayerischen Staatsballett) eine feurige, dämonisch-leidenschaftliche Aegina hinlegt, deren Power von Anfang an fasziniert, tanzt Toppi die Rolle der teuflischen Verführerin zunächst mit tückischer Zurückhaltung und typisch weiblich verhaltener Aggressivität.

Das Böse ist überall

Aegina und die Insignien der Macht: Virna Toppi in „Spartacus“ beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Zu Beginn ist Virna Toppi als Aegina noch nicht die dominante böse Kraft, die schließlich siegen und das Gute – den Sklavenbefreier Spartacus – von den eigenen Herolden töten lässt. Erst, als Aeginas Ehemann Crassus, der im Zweikampf von Spartacus besiegt worden und dank zuviel Gnade leben gelassen wurde, an Stärke verliert, dreht Aegina auf. Und sie drängt Crassus, gegen Spartacus vorzugehen, solange, bis der Held im Kampf erlegt wird wie ein Tier.

Emilio Pavan als Crassus ist ein vorzüglicher Springer und stellt die Rolle des Bösewichts mit glaubhaftem Ehrgeiz dar. Er hat darin auch schon Übung, ebenso wie die schöne Laurretta Summerscales als weibliche Heldin Phrygia aus dem Sklavenlager, deren Partner Spartacus mit Yonah Acosta so männlich wie sensibel besetzt ist.

In Stuttgart hingegen stürzten sich gleich drei Tanzkünstler ins Abenteuer einer Neubesetzung, am Wochenende hatten sie ihre zweite Vorstellung mit diesen Rollen im munteren „Dornröschen“.

Das Böse ist überall

Martí Fernández Paixà hält als Prinz Desiré die Ballerina Rocio Aleman als „Dornröschen“ beim Hochzeitstanz in Positur – so zu sehen beim Stuttgarter Ballett. Foto: Stuttgarter Ballett

Rocio Aleman (sonst auch schon als Fliederfee angenehm aufgefallen) brilliert als Prinzessin Aurora mit hoher Musikalität und großer Sicherheit. Ihr Partner Martí Fernández Paixà als Prinz Desiré tanzt technisch sehr sicher, könnte im Ausdruck aber sicher noch stärker wirken.

Nur die Überstreckungen bei den Grands jetés, die ihm passierten, sollte er künftig vermeiden. In manchen modernen Choreografien sieht es lustig und sogar korrekt aus, wenn ein gesprungener Spagat einem Bogen mit nach oben gerichteten Enden entspricht. In der Klassik aber – und Marcia Haydée vertritt die klassische Ästhetik – kommt es auf eine möglichst gerade Linie an, die dem durch die Luft fliegenden Körper die Anmutung eines sirrenden Pfeils gibt.

Das Böse ist überall

Was für eine knallharte Carabosse! Alexander Mc Gowan vom Stuttgarter Ballett als böse Fee, umringt von den guten Feen… Foto: Stuttgarter Ballett

Und dann trumpft Alexander Mc Gowan als Carabosse auf!

Das ist eine knallharte böse Fee, eine Domina, die allen anderen sagt, wo es langgeht. Hier wird nicht geschmeichelt und Freundlichkeit vorgetäuscht. Nein, diese Carabosse ist die Passion des Bösen in Person!

Arrogant und eiskalt vermag sie ihre dunklen Energien ohne Umwege auf das zu konzentrieren, was ihr Ziel ist. Führungsstärke ist ihre erste Tugend. Und ihre erkennbar maskulinen Bewegungen sind magische Beschwörungen der Zerstörung; es ist keine Frage der Mode, warum sie Schwarz trägt.

Außer von Jason Reilly, der die unangefochtene Meisterfee des Bösen in Stuttgart ist, hat man so etwas noch nicht gesehen. Schauer und Gruselgefühle sind hier mal ausdrücklich erlaubt.

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Insgesamt zeigen diese Beispiele, dass Handlungsballette eine Vielfalt an Möglichkeiten haben, menschliches und unmenschliches Verhalten wirkungsvoll zu demonstrieren. Die Zuschauer honorieren das mit viel Aufmerksamkeit und Beifall – das ballettöse Theater ist auch dann ganz bei sich, nicht nur in den harmonisch-idealtypischen Szenen.

Das Böse ist überall

Jason Reilly in einem Trailer vom Stuttgarter Ballett, der sein Make-up als Carabosse zeigt – wow! Videostill vom Stuttgarter Ballett: Gisela Sonnenburg

Vor allem aber gilt für die Bühne: Ohne das Böse wird auch das Gute als Gutes nicht fasslich. Insofern ist es unverzichtbar.
Franka Maria Selz / Boris Medvedski / Gisela Sonnenburg

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