Ballett im Schulterschluss mit der Gewerkschaft Auf einer Tagung in Berlin sagte ver.di-Chef Frank Bsirske den Tänzern vom Staatsballett Berlin Unterstützung zu

Balletttänzer tanzen bei ver.di an.

Tänzer vom Berliner Staatsballett tanzten bei ver.di auf: am 25.4.2015 überzeugten sie auch den ver.di-Chef Frank Bsirske im ver.di-Haus in Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Ein Dutzend junger Leute saß am Samstag im Konferenzsaal „Pablo Picasso“ im ver.di-Haus in Berlin. Es waren Tänzerinnen und Tänzer vom Staatsballett Berlin. Mehrere befristete Streiks hatten sie bereits hinter sich. Jetzt berieten sie darüber, wie sie die tagenden Delegierten der Gewerkschaft von sich überzeugen könnten. Eine Rede war bereits gut vorbereitet; zwei weitere wurden schon mal angedacht.

Dass Balletttänzer über einen Auftritt vor Gewerkschaftern nachdenken, liegt am weithin schwelenden Arbeitskampf der Künstler. Nach mittlerweile vier bestreikten Vorstellungen ist die Bereitschaft des Geschäftsführenden Direktors des Staatsballetts, Georg Vierthaler, mit ver.di zu verhandeln, nicht spürbar gewachsen. Die Tänzer streben einen Haustarifvertrag an, der ihre spezifische Arbeitssituation in Berlin berücksichtigt. Zu fast hundert Prozent sind die über 70 Ballett-Profis Mitglieder bei ver.di – und haben allen Grund, auf ihre Misere aufmerksam zu machen.

„Die meisten Menschen und sogar unsere Fans wissen ja gar nicht, wie wir leben“, sagt eine junge Dame vom Ballett. Oft würden Arbeitstage, an denen eine Probe auf die nächste folgt, zuviel Zeit und Kraft verbrauchen, um sich zum Beispiel auf das Leben nach der Tänzerkarriere vorzubereiten. Zwar können manche Solisten noch mit über 40 Jahren auf der Bühne Erfolge einheimsen. Aber für das Gros der Tänzer – zumal für die durchaus wichtigen Gruppentänzer – ist viel eher Schluss mit der Karriere.

Balletttänzer tanzen bei ver.di an.

Sabine Schöneburg bei der Organisation eines Tänzerauftritts, bei dem ausnahmsweise nur die Worte tanzten. Im verdi-Haus in Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Die Gewerkschaft ver.di, die auch andere Künstlergruppen – wie Schauspieler und Musiklehrer – erfolgreich betreut, hat mit den Tänzern vom Berliner Staatsballett einen Katalog von Forderungen erstellt. Denn eine nachvollziehbare Gehaltsstruktur fehlt bislang ebenso wie geregelte Ruhezeiten. Auch Zuschläge für Anfahrten, wenn der Aufführungsort weit entfernt vom Ballettzentrum in der Deutschen Oper Berlin liegt, gibt es derzeit nicht. Es sind keine Millionengelder, um die die Tänzer kämpfen. Verglichen mit Forderungen mancher Großbelegschaften muten ihre Bitten sogar bescheiden an.

Aber es geht um das Prinzip: Hoch angesehene, renommierte Künstler wollen ein verbrieftes Mitspracherecht. Das kann und soll sich später weiter entwickeln, teils nach dem Vorbild der Orchestermusiker. Die dürfen sogar bei der Wahl ihres künstlerischen Leiters mitreden.

Zwei Frauen führen den Arbeitskampf der Tänzer vom Staatsballett an: Sabine Schöneburg, ver.di-Landesfachgruppensekretärin, und Miriam Wolff, ehrenamtlich und einst selbst als Tänzerin tätig. Mit dieser Hilfe fanden die Berliner Balletttänzer nun arbeitsrechtlich zu sich selbst: „Wir wollen nicht mehr schweigen“, sagt einer, dem man ansieht, dass er mit sich gerungen hat. Denn Streiken gehört nicht zu den Dingen, die man in einer Profi-Tanzausbildung lernt.

Tänzer bei ver.di

Miriam Wolff während ihrer erfolgreichen Rede im ver.di-Haus am 25.4.2015. Foto: Pekuas

Der stärkste Gegner der Tänzeremanzipation ist aber keineswegs unter altmodischen Ballettlehrern zu finden. Er sitzt im eigenen Haus beim Staatsballett: Mit Georg Vierthaler ist ein regelrechter ver.di-Feind der Vertragspartner der Tänzer. Interviews lehnt Vierthaler ab – dafür hat er zugesagt, einer Einladung ins Berliner Abgeordnetenhaus Folge zu leisten. Am heutigen Montag tagt dort ab 14 Uhr der Kulturausschuss. Der kulturpolitische Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang Brauer, hofft auf Klärung: „Vierthaler soll kritisch befragt werden.“ Die Linken, die Grünen und die Piratenpartei sind bereits auf der Seite des Balletts – die Konservativen und die SPD, darunter der Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, Tim Renner, hielten sich bislang mit Solidaritätsbekundungen stark zurück.

Verschärft wird die Situation durch das Ansinnen Vierthalers, mit zwei Zwerg-Gewerkschaften, die Chorsänger und Maskenbildner vertreten, über Tänzerbelange zu verhandeln. Obwohl die GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger) und die VdO (Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer) keine Mitglieder im Staatsballett Berlin haben, lässt Vierthaler deren Pressemitteilungen verteilen. Darin werden teils grob falsche Fakten als angebliche Erfolge für die Tänzer verbucht. Ohne hartnäckige Streiks, die das Budget der Opernstiftung schröpfen, käme indes von Vierthaler gar kein Angebot, sind sich die Tänzer sicher.

Vierthaler lehnt die Großgewerkschaft ver.di jedoch rundum ab. Er, der als Generaldirektor der Stiftung Oper in Berlin auch noch sein eigener Boss ist, hegt perfide Vorurteile. Das klingt skurril, wird aber zunehmend ein Modell von Arbeitgebern, um die jeweils zugstärkste Gewerkschaft aus dem Rennen zu schleudern. Auch aus Brandenburg sind solche Fälle von „union bashing“ bekannt: eine alarmierende Wettbewerbsbehinderung.

Balletttänzer tanzen bei ver.di an.

Frank Bsirkse, der oberste ver.di-Funktionär, im Gespräch mit Gisela Sonnenburg vom ballett-journal.de – im ver.di-Haus am 25.4.2015. Foto: Pekuas

Die ver.di-Delegierten waren denn auch sehr angetan vom Ansinnen der Tänzer. Eine flammende Rede von Miriam Wolff sorgte am Samstag für Standing ovations. Schließlich sagte der oberste ver.di-Boss Frank Bsirske, der für knallharte, aber auch für clevere Verhandlungen steht, persönlich Unterstützung zu. Sein feierlicher Handschlag mit einem hochrangigen Balletttänzer besiegelte dies. Die Zukunft wird zeigen, was der Schulterschluss zwischen Gewerkschaft und Ballett, diesen zwei grundverschiedenen Welten, wert sein wird.
Gisela Sonnenburg

Heute, am 27. April 2015, beginnt um 14 Uhr im Abgeordnetenhaus von Berlin die Tagung vom Kulturausschuss. mit der geplanten Befragung von Georg Vierthaler.

Für 13.30 Uhr plant das Staatsballett Berlin am Montag vor dem Abgeordnetenhaus eine Fotoaktion.

ballett journal