Eine nette Diva von innen Die noch in Sanierung befindliche Staatsoper Unter den Linden in Berlin lässt ihre Hüllen fallen

Noch ist die Staatsoper Unter den Linden nicht neu eröffnet

Ein Blick vom ersten Rang ins Parkett und auf die schwarz verhängte Bühne offenbart: in der Staatsoper Unter den Linden gibt es zwar noch viel zu tun, aber schöner als vor der Sanierung wird sie wohl nicht werden. Dafür wird vielleicht ihre Akustik deutlich besser! Foto: Gisela Sonnenburg

Wenn man sich ein Opernhaus als geräumig gebaute Dame vorstellt, dann ist ein Besuch vor der offiziellen Ausgehvisite fast ein Sakrileg. Hatte sie auch genügend Zeit, sich aufzuhübschen? Sei es drum: Seit einiger Zeit gibt es allerorten diese kulturhaltigen Baustellentermine, die nachgerade ein Must für Wissbegierige sind. Das begann mit der damals angeblich „größten Baustelle Europas“, dem Potsdamer Platz, und jetzt liegt eine weitere Berliner Großbaustelle spektakulär in den letzten Zügen. Die Staatsoper UdL (Unter den Linden) lud am letzten Mittwoch ein: Auf dem Programm stand eine Besichtigung für die Presse. Am 3. Oktober 2017 soll das Haus dann mit einem Robert-Schumann-Abend feierlich eröffnet werden – Konzerte sollen fortan häufiger als früher das Opernhaus füllen. Bis zur Aufnahme des regulären Opern- und Ballettbetriebs werden allerdings noch etliche Monate vergehen. Die erste Ballettaufführung mit dem Staatsballett Berlin seit 2010 ist für den 15. Dezember 2017 in der Staatsoper in Berlin-Mitte eingeplant: mit „Jewels“ von George Balanchine soll Glanzevent auf Glanzevent stoßen und einander potenzieren helfen.

Noch ist die Staatsoper Unter den Linden nicht neu eröffnet

Iana Salenko als jazziger Rubin in „Jewels“ von George Balanchine – mit dem Staatsballett Berlin wird dieses Stück in die sanierte Staatsoper UdL übersiedeln. Foto: Carlos Quezada

Bis dahin wird allerdings noch viel Berliner Grundwasser gegen die neuen Betonmauern zwischen Opernhaus und Intendanzgebäude drücken. Hoffentlich erfolglos!

Übrigens: Ob man das bisherige Ausweichdomizil der Staatsoper, das Schiller Theater in Charlottenburg, nahe der Deutschen Oper im Westen Berlins gelegen, als Ballettbesucher arg vermissen wird? Immerhin hatte man sich daran gewöhnt, an dieses kleine, kuschelige, heimelige Theaterchen.

Die Ballettsäle der Staatsoper im Osten wurden derweil gar nicht erst mit renoviert, das arbeitsmäßige Zentrum des Staatsballetts wird also weiter in seinem Ballettzentrum im Westen liegen.

Ins Schiller Theater wird demnächst die jetzige Komödie am Kurfürstendamm einziehen – und es wird kein Zurück mehr geben.

Jetzt, mitten im verregneten Großstadtsommer, steht diese kleine Enthüllung, dieser Vorabbesuch im Innern der ehrwürdigen Gebäudediva im Osten auf dem Plan. Ob der erste Staatsopern-Besuch nach der Sanierung Appetit auf mehr machen wird?

Draußen kneten die Füße den Baustellenmatsch, drinnen herrscht das natürliche Chaos einer Umbau-Situation.

Die Überraschung: Während in den meisten Gängen, in denen man früher und bald wieder dem Lustwandeln frönte, noch der nackte Beton regiert, mit Papierplanen und Spanplatten, ist das Parkett der Staatsoper bereits ein wörtliches und durchaus als Festsaalboden erkennbar.

Es ist nur nicht von auffallender Schönheit – aber das war es auch vor der Sanierung nicht. Jetzt sieht es wenigstens richtig neu aus und ist zudem von vielen kreisrunden, fünfzehn Zentimeter breiten Lüftungsschächten für die Klimaanlage durchsetzt. Alle dreißig Zentimeter findet sich so eine Lüftung am Boden.

Hoffentlich wird es da nicht zu zugig! Man will ja nicht frieren, während man Wagner oder Tschaikowsky lauscht.

Der Blick wandert hoch, an den weißen Rängen mit Goldstuck vorbei, noch höher: Um genau fünf Meter wurde die Decke zwecks Optimierung der Akustik erhöht. Der zentrale Riesenlüster, der von der Deckenmitte herab hängt, ist noch verpackt. Die spärliche Malerei dort oben ist aber fertig. Sie ist noch eintöniger als die alte. Mehr Grün statt Rot ist zu erkennen. Historisch korrekt ginge wohl anders.

Noch ist die Staatsoper Unter den Linden nicht neu eröffnet

Nicht schön, aber sicher zweckmäßig für die Akustik: Die neue, um fünf Meter erhöhte und farblich sehr langweilig gestaltete Decke der Staatsoper Unter den Linden. Foto: Gisela Sonnenburg

Über Treppen aus dunkelrotem Granit gelangt man in den ersten Rang. Er ist bereits bestuhlt! Unten im Parkett stehen nur ein paar Probestühle, wie provisorisch abgestellt. In den Rängen hingegen formieren sich bereits die Sitzreihen. Das macht Eindruck.

Der erste Rang ist der schönste, und er hat seine ausladenden Rundungen im Stil des Gelsenkirchener Barock behalten.

1955 wurde die Staatsoper nach bestem Wissen und Gewissen damaliger Baumeister der DDR wiedereröffnet; eigentlich handelte es sich um eine Neueröffnung, denn vom 1742 eingeweihten ursprünglichen Bau hatten die Kriegsschäden nicht viel übrig gelassen.

Jetzt wurden sowohl die Stühle als auch Wandgestaltung leicht verändert, und zwar im Dienste der Verbesserung von Akustik und Bühnenansicht.

Die neuen Rückenlehnen sollen zudem ergonomischen Anforderungen entsprechen. Die Sitzflächen könnten diesen Gesundheitskomfort wohl auch leisten, wenn man sie nur richtig, nämlich abschüssig, einstellen würde.

Der Hersteller beteuert, das sei möglich. Derzeit aber führen bei Sitzenden die Oberschenkel vom Hintern an aufwärts, taschenmesserähnlich, und für Rücken und Hüftbereich ist das extrem ungesund.

Noch ist die Staatsoper Unter den Linden nicht neu eröffnet

Rot-gelb gemaserte, flache Polster dienen der Akustikverbesserung: hier das fast fertige Gestühl im ersten Rang der Staatsoper Unter den Linden, Sommer 2017. Die Rückenlehnen sind ergonomisch – ob die Sitzflächen das auch noch werden? Foto: Gisela Sonnenburg

An den 1356 Sitzplätzen müsste also noch nachgeschraubt werden. Aber dann dürfte dem ungestörten Genuss ohne Reue von Opern- und Ballettaufführungen Unter den Linden nichts mehr im Wege stehen.

Es sind jetzt über 20 Plätze weniger als vor der Sanierung – dafür höre und sehe man jetzt besser, sagt der kommende Ko-Intendant der Staatsoper, Matthias Schulz. Hoch gewachsen, sitzt er so lässig, wie er nur irgend kann, auf der neuen Bestuhlung im Opernhaus. Zuletzt leitete er in Salzburg die Kunsthochschule Mozarteum. Er ist ein Manager-Typ, ein Macher, kein Künstler oder Spinner.

Schulz erklärt, der Nachhall in der Akustik im Haus solle sich von 1,1 Sekunden auf 1,6 verlängern. Ob die Töne dann auch runder klingen, bleibt abzuwarten.

Verantwortlich ist das Berliner Architekturbüro HG Merz. Dieses bediente schon diverse Museen und Gedenkstätten, etwa das Hessische Landesmuseum in Kassel. Der Auftrag in Sachen Staatsoper UdL lautete: weitgehende Rekonstruktion.

Denn die progressive Erneuerung, für die eine Fachjury 2008 votierte, wurde öffentlich so madig gemacht, dass die Politik sie ablehnte. Der damalige Entwurf der Firma Klaus Roth hätte aber nicht nur eine hervorragende Akustik besorgt. Er hätte durch radikale Modernisierung auch die optische Misere des langweiligen Mittelmaßes in der Oper beendet.

Jetzt ist zu sehen, was zu erwarten war.

Viel Weiß, dazu einige manchmal verloren wirkende goldene Schnörkel: Prunk geht anders. Design auch.

Vergleicht man den (rekonstruierten) Preußen-Look à la DDR der Berliner Staatsoper mit dem opulenten Barock der Dresdner Semperoper oder auch mit dem gediegenen romantischen Stil der Stuttgarter Oper, macht die Hauptstadt mal wieder keine gute Figur.

Zum Glück hat Berlin mit der Deutschen Oper – einem oftmals zu Unrecht geschmähtem Haus – eine Stilikone der 60er Jahre zu bieten, in der sich immerhin ein konkret fasslicher guter Geschmack formuliert.

Das wird in der Staatsoper Unter den Linden innenarchitektonisch wohl eher nie der Fall sein.

Noch ist die Staatsoper Unter den Linden nicht neu eröffnet

Unten im Parkett ist erstmal nur der Boden zu bewundern, aber der erste Rang behält seine Kurven: Blick in den Zuschauerraum der Staatsoper Unter den Linden im Juli 2017. Foto: Gisela Sonnenburg

Von außen handelt es sich bei dem Gebäude um eine nette, alte Dame mit Volants und Rüschen und all dem Chichi, den man von einem historisch anmutenden Opernhaus so erwartet.

Von innen besehen, zeigt diese Dame aber weder genügend Mut zu rüschigen Unterröcken noch zu einer frivolen Korsage, die ihr ein wenig Sexappeal verleihen könnte.

Biedermann und Co. waren hier einst die Dekorateure – und irgendwie steckt der armen alten, nur neu geschminkten Operndame noch immer die geschmackliche Unsicherheit der ersten Nachkriegsjahre in den mauernen Knochen.

Im Klartext: Das Staatsoperninterieur ist Pseudoklassizismus auf Sparflamme – dafür sprechen auch die nur angedeuteten achtkantigen Säulen. Das ist nicht Schuld der Rekonstrukteure, sondern der Politiker, die sich – aus Unbildung – von diesem Mief und Muff nicht trennen wollten.

Wer sich in Architektur und Ästhetik aber auch nur ein wenig auskennt, fand und findet diese arme Alte innen einfach nur potthässlich.

Ein Trost: Man kommt ja nicht wegen der Innenarchitektur, sondern wegen der Kunst auf der Bühne ins Haus. Und vielleicht ist es ganz gut, wenn den Künstlern die Show nicht gestohlen wird und sie somit nicht mehr die Hauptattraktion wären.

An eine grundsätzliche bauliche Veränderung der Staatsoper ist ja auch jetzt nicht mehr zu denken, nachdem so viel Geld in die Sanierung floss und fließt:

Mit vierjähriger Verspätung und der Verschlingung von insgesamt mindestens 400 Millionen Euro soll sich der repräsentative, aber altbacken anmutende Bau nun ab Oktober endlich für das Publikum öffnen. Niemand würde diese Frist mutwillig noch verlängern wollen.

Martin Schläpfer und sein Abstieg

Weit entfernt von Millionensummen, aber tapfer! Woanders wird wahllos gelobhudelt, hier wird recherchiert, geforscht, kommentiert und im Sinne einer kulturhaltigen Bildung gewertet: Das Ballett-Journal macht deutlich mehr her und dafür aber auch viel mehr Arbeit als andere Medien. Lassen Sie sich das mal was wert sein! Jeder Euro zählt, um die Medienlandschaft ballettfreundlicher zu machen. Und Dankeschön für alle große und kleine Spenden!

Das Bauen ist damit aber noch nicht beendet. 140 der 400 Millionen sind für die Zeit bis 2019 berechnet. Das ist ein vorerst limitierter Korb der Fülle; man hofft, dass es nicht noch teurer wird. Eine Garantie gibt es nicht. Das hässliche Wort „Millionengrab“ umschwirrt die Opernbaustelle.

Die rund 600 000 Euro, die der Verein der Freunde und Förderer der Staatsoper Unter den Linden vorgeblich für die neue Bestuhlung aufbrachte, mildern die finanzielle Wunde nur wenig. Denn die Förderer würden immer soviel Geld für die Kunst übrig haben. Man hätte es lieber in einer zusätzlichen Konzertreihe, einem prachtvollen Bühnenbild, teuren Kostümen oder Starauftritten angelegt gesehen.

Aber Berlin – das hier mehr Lasten trägt als der Bund – ist die Bedrückung durch vermeidbare Unsummen ja sowieso gewohnt.

Dabei war mal, und zwar 2009, von nur knapp der Hälfte der Kosten für die Opernsanierung die Rede.

Noch früher, vor 2006, reichte die Hochrechnung sogar nur bis 129 Millionen Euro. Doch dann wechselte der Technische Direktor, und der neue, Hans Hoffmann ­(der auch heute noch amtiert), schlug eine unterirdische Verbindung des Intendanzgebäudes mit dem Opernhaus vor. Damit stiegen die Kosten, denn der Berliner Grundwasserspiegel sowie vergammelte Holzpfähle in der Tiefe verlangten nach immer mehr Beton gegen Überschwemmung.

Der hohe Preis wird nun bezahlt, damit Bühnenbildgroßteile aus dem unterirdischen Lager ohne weitere Montage auf die Bühne geschafft werden können – was nur geht, sofern sie sechs Meter nicht überschreiten. Was ein richtiges Bühnenbild einer Oper ist, so sind die Kulissen auch deutlich höher.

Die Mitarbeiter aber sind kleiner als sechs Meter. Sie können nun künftig vom Intendanz- und Probengebäude ins Opernhaus gehen, ohne nass zu werden, allerdings auch, ohne ein paar Sonnenstrahlen zu sehen.

Regenschirme hätten’s da ja vielleicht auch getan. Und wären zweifellos deutlich preiswerter gewesen.

Immerhin aber wird Berlin wohl mal einen Zeitplan einhalten können, nämlich den der Eröffnung am Tag der Deutschen Einheit, und das verdankt sich unzweifelhaft den fleißigen Machern auf dieser kulturhaltigen Baustelle.

Insofern also ein Dankeschön an sie alle!

Noch ist die Staatsoper Unter den Linden nicht neu eröffnet

Erinnerung und Vorausblick: Polina Semionova, Marian Walter und das Staatsballett Berlin beim Schlussapplaus nach einer fulminanten „Giselle“-Vorstellung. Ab Dezember so hoffentlich wieder in der Staatsoper Unter den Linden zu sehen! Foto: Gisela Sonnenburg

Und wenn sich am 21. Dezember 2017 erstmals wieder der Vorhang für die „Giselle“ von Patrice Bart hebt, womöglich mit der bezaubernden Polina Semionova in der Titelrolle, dürfte der Klassik-Zauber in Berlin perfekt sein – ob da viele oder wenige Goldstuck-Elemente im Zuschauerraum prangen, wird dann schlicht und ergreifend total egal sein.
Gisela Sonnenburg

 www.staatsballett-berlin.de

 

ballett journal