Der kriminalisierte Nussknacker Zensur?! Das Staatsballett Berlin verzichtet auf den „Nussknacker“, um im Schulterschluss mit der BILD-Zeitung einer undurchsichtigen Lobby in den Allerwertesten zu kriechen

"Der Nussknacker" hebt die Stimmung!

Stars mit Kindern und  Ensemble im typischen Weihnachtsballett-Outfit: Ksenia Ovsyanick und Dinu Tamazlacaru beim Schlussapplaus nach „Der Nussknacker“ mit dem Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Man wartet auf ein Zeichen. Die Freiheit der Kunst ist in Gefahr. Wird sich John Neumeier, der Oberguru der Ballettwelt und ein choreografisches Genie, dazu mal äußern? Oder wird die Ballettdirektorenkonferenz, eine Vereinigung von lauter Leuten, die regelmäßig den „Nussknacker“ spielen lassen, endlich mal zu Wort melden? Leute, es wird Zeit! Es gibt in Deutschland eine garantierte Freiheit der Kunst! Artikel 5 des Grundgesetzes regelt nicht nur die Presse- und Meinungsfreiheit, sondern auch die von Lehre und Forschung, Wissenschaft und eben Kunst. Letztere steht sogar unter besonderem Schutz in der Rechtsprechung – und darf im Rahmen von Satire und Karikatur sehr viel näher an Bereiche etwa der Persönlichkeitsrechtsverletzung heranreichen als die nackte Tatsachenbehauptung. Sonst hätten wir auch keine demokratische Kultur. Und keine Freiheit, laut zu denken. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – auch Antidiskriminierungsgesetz genannt – verbietet wiederum Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Geschlechts oder der sexuellen Ausrichtung, der Religion und Weltanschauung wie auch der Behinderung oder aus Altersgründen. Normalerweise kollidieren diese beiden Rechtsbereiche eher selten. Schon darum nicht, weil bei der Kunst jede:r weiß: Das ist Kunst und da steckt noch was dahinter, nicht nur das, was man vordergründig sieht oder hört. Schon Kinder können das  unterscheiden, sie lernen es im Kasperletheater, in der Schule, im Museum und im Alltag. Das Staatsballett Berlin ist allerdings auf einem Niveau angekommen, das man in vier Buchstaben griffig benennen kann: BILD. So heißt das wenig ehrenwerte Blatt, das die derzeit heiß laufende Debatte über angeblich diskriminierende Anteile des historischen Balletts „Der Nussknacker“ anregte. Günter Wallraff hat einst enthüllt, was die eigentlichen Absichten des Massenblatts BILD sind. Doch vor knapp einer Woche gab die  sich lediglich kommissarisch im Amt befindende Ballettintendantin – Dr. Christiane Theobald vom Staatsballett Berlin – dem Boulevardschreihals BILD ein Interview, das intelligenten Ballettinteressent:innen viel Geduld abverlangt.

Demnach sind bereits in den letzten Jahren kleine Urheberrechtseingriffe am „Nussknacker“ vorgenommen worden, um Kinder, die sich zuvor schwarz angemalt haben, als erkennbare Bleichgesichter auf die Bühne zu schicken.

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Doch damit nicht genug. Der „Nussknacker“ steckt – wie vermutlich die ganze Hochkultur – angeblich voller Fallen. Wohl vor allem, wenn man trotz vorhandener Intelligenz diese nicht anwendet. Da könnte man dem BILD-Interview nach doch glatt vermuten, jede:r Afro-Look auf der Bühne könnte voll diskriminierend sein. Zumal, wenn eine Dauerwelle gelegt wurde.

Folklore soll nun also rassistisch sein? Folkloristische Elemente müssen eleminiert werden?

Auch „La Bayadère“ von Alexei Ratmansky wurde wegen ihrer nicht-europäischen Tänze schon aus dem Berliner Programm genommen. Obwohl das Stück beim Publikum genau so gut ankam wie der „Nussknacker“.

Und gilt das nur in Berlin? Oder bundesweit? Dürfen die beim Hamburg Ballett in John Neumeiers entzückendem „Nussknacker“ auch nicht mehr im China-Kostüm tanzen? Zuviel Klischee? Oder zuviel Exotik?

Gelten für Kinder verschärfte Maßnahmen?

Dürfen deutsche Kinder nur noch deutsch aussehend auf die Bühne?

Alles andere sei Kulturaneignung oder Schlimmeres?

Schrecklich. Der „Karneval der Kulturen“ gehört demnach natürlich voll verboten.

Man darf dann auch nicht mehr als Indianer:innen zum Fasching gehen. Opern wie „Die Entführung aus dem Serail“ – ein Serail ist ein Harem – müssen wohl auch untersagt werden. Und erst die „Madama Butterfly“!

Die Gitanos, also die tanzenden Zigeuner in „Don Quixote“, möchte Frau Theobald allerdings leben lassen. Sehr merkwürdig. Ihre Begründung: Die spanischen Roma und Sinti würden den Begriff „Gitanos“ auch für sich selbst verwenden. Aber darf man sie in einem Ballett darstellen?

Don Quixote ist ein Publikumsrenner

Das Staatsballett Berlin tanzt den „Don Quixote“ von Victor Ullate mit Flamenco-Gitanos. Unzensiert. Foto: Fernando Marco

Wenn man den „Nussknacker“ kriminalisiert, müsste man „Don Quixote“ eigentlich auch kriminalisieren. Schon wegen der starken Klischees darin.

Den Begriff „Zigeuner“ bezeichnet Theobald zwar als „Z-Wort“. Aber „Gitanos“ sei okay. Toller „Zigeunertanz“ auf der Bühne ist demnach erlaubt, wenn man ihn „Tanz der Gitanos“ nennt.

Wenn sich Theobald auskennen würde, hätte sie in BILD erwähnt, dass Flamenco seine Wurzeln zur Musik der Roma hat.

Aber auch für den „Tanz der Gitanos“ müssen sich Tänzer:innen normalerweise schminken und mit entsprechenden Klamotten verkleiden. Ist das nicht total klischiert?

Dazu sagt Theobald nichts. So steht demnächst der „Don Quixote“ in der ungekürzten Version von Victor Ullate auf dem Berliner Spielplan.

Ob es Demonstrationen dagegen geben wird? Warten wir es ab.

Fröhlich tanzende, schwarz angemalte Kinder, die stolz darauf sind, tolle kleine Afrikaner:innen darzustellen,  sollen nun hingegen von vornherein beleidigend sein.

Weil „Blackfacing“ angeblich auch hier greift? Nein!

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Blackfacing“ bezeichnet die Umschminkung von Weiß auf Schwarz in einer Zeit, als Schwarze noch als angeblich geborene Sklaven diskriminiert wurden.

Das Ziel des „Blackfacing“ damals war eindeutig: grausame Abwertung, und zwar in so genannten „Minstrel Shows“, die im 18. und 19. Jahrhundert in den USA veranstaltet wurden.

Das waren derbe, volkstümliche Jahrmarktaufführungen, mit denen die europäische  Hochkultur derselben Zeit nichts zu tun hatte.

Die „Minstrel Shows“ wurden denn auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgeschafft, vor über 100 Jahren, zugleich mit der Enttabuisierung des Rassismus.

Es ist peinlich, dass Kulturschaffende und Politiker:innen sich dennoch mit angeblichem „Blackfacing“ beschäftigen, ohne hinzusehen, ob eine Diskriminierung vorliegt oder nicht.

Diskriminierung heißt „Herabsetzung, Herabwürdigung“. Nur zur Erinnerung.

In die Hochkultur der europäischen Oper und des Balletts, auch des Theaters, fanden solche plumpen Diskriminierungsmuster bisher keinen Eingang. Nicht mal mit „Othello“ von William Shakespeare.

Die Beschäftigung mit fremden Kulturen gehört hingegen als Zeichen von Toleranz sowohl in die Hochkultur des 19. als auch in die des 20. als auch die des 21. Jahrhunderts.

Immer wieder da: der Nussknacker!

Auch Asien darf tanzen! Die Exotik spielt mit, im dritten Teil vom „Nussknacker“ – hier in geschmackvollen Farben beim  Semperoper Ballett in Dresden. Foto: Costin Radu

Es ist also ein Zeichen von Toleranz, wenn man Asiat:innen, Oriental:innen oder Afrikaner:innen ebenso schön tanzend wie Europäer:innen auf die Bühne stellt. Ob gebürtige oder geschminkte.

Den ganzen Kontinent Afrika etwa aus dem Ballett auszusperren, ist hingegen eher etwas, das man von einer Apartheidspolitik erwartet hätte.

Niemand sollte sich beleidigt fühlen, nur weil seine Ethnie dargestellt wird. Falsche Eitelkeiten verletzen in der Tat die Freiheit der Kunst – und nicht die Rechte der Ethnienangehörigen.

Wer das Schwarzschminken in der heutigen Theaterkultur – auch in Stücken wie „Othello“ – nun mit dem „Blackfacing“ der „Minstrel Shows“ vergleicht, ist entweder ungebildet oder willkürlich.

Oder auch machtgierig. Denn hinter dem vorgeblichen Wunsch, Diskriminierung zu verhindern, kann durchaus auch der Wunsch nach Zensurausübung stecken.

Nur um es nochmals klar zu sagen: Juristisch und auch wissenschaftlich gesehen, macht es überhaupt keinen Sinn, das angebliche „Blackfacing“ wie im „Nussknacker“ zu verbieten, denn es gab darin nie das Ziel der Herabsetzung.

Krasina Pavlova verleiht der Clara im "nussknacker" eine geheimnisvolle Note.

Asiatische Exotik gehört eigentlich auch in Berlin dazu: Vladislav Marinov und Marina Kanno im Kostüm des „Chinesischen Tanzes“ beim Schlussapplaus vom „Nussknacker“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Diskriminierung heißt aber, ich wiederhole es, nichts anderes als „Herabsetzung, Herabwürdigung“. Nur darum sind Kunstwerke abzuändern:

Wenn sie tatsächlich herabsetzen oder herabwürdigen. Alles andere ist Zensur.

Was soll nun an hübsch tanzenden Kids herabsetzend wirken? Die Tatsache, dass sie Theater spielen und kleine Afrikaner:innen darstellen? Dürfen sie nur noch sich selbst darstellen?

Müssen Bleichgesichter neuerdings unter sich bleiben? Soll es eine Straftat werden, sich Dreadlocks wachsen zu lassen?

Im übrigen folgt der Berliner „Nussknacker“ nicht, wie von Theobald in der BILD behauptet, der historischen Originalversion von Marius Petipa, sondern ist nur vom Kostümdesign her stark an die Vorlagen aus dem 19. Jahrhundert angelehnt. Choreografisch ergibt sich eine Mischung aus der tradierten und erneuerten Inszenierung.

Iana Salenko als indische Heldin „La Bayadère“ mit dem Staatsballett Berlin in der Staatsoper Berlin. Von Diskriminierung keine Spur – trotzdem wurde das Stück vom Spielplan wegzensiert. Foto vom Schlussapplaus: Gisela Sonnenburg

Mit „La Bayadère“ verhält es sich umgekehrt. Hier ist die Ausstattung neu, die Choreografie und Inszenierung richten sich aber nach den überlieferten Aufzeichnungen einer Einstudierung von 1900. Auch dieses Ergebnis ist nicht identisch mit der Uraufführung von 1877. Und um originale indische Tänze geht es sowieso nicht – nur um  den Stil und den Geist der indischen Tänze. Aber insgesamt bleibt es, was es sein soll: Ballett.

Warum sollte es auch anders sein?

John Neumeier lässt beim Hamburg Ballett seinen „Nussknacker“ unverändert tanzen. Selbstverständlich auch mit folkloristischen Zügen. Diese sind wesentlicher Bestandteil nicht nur der Ballett-Tradition, sondern auch der gesamten Hochkultur.

Viele andere Ballettdirektor:innen im In- und Ausland machen es ähnlich – und lassen den „Nussknacker“ mit Russ:innen, Spanier:innen, Oriental:innen, Chines:innen und reichlich Schminke und Kostüm auftanzen.

Generationen von internationalen Ballettbesucher:innen und gerade auch Familien sind davon mitgerissen und begeistert – und bauen ihre Vorurteile anderen Kulturen gegenüber eher ab, als dass sie neue entwickeln.

Warum soll das herabsetzend sein?

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Die Darstellung einer anderen Ethnie als der, in die man hineingeboren wurde, ist ein Recht der freien Persönlichkeitsrechtsentfaltung. In der Kunst ist es zudem das Recht auf freie Kunstausübung. So einfach ist das. Und offenbar doch so kompliziert.

Warum aber wird das angebliche Beleidigtsein von lobbyistischen Einzelnen so ernst genommen? Will man hier das Tor für nationalistische und diskriminierende Bestrebungen öffnen statt es zu schließen?

Die Abschaffung von spielerischen Kostümierungen – ob im Theater oder im Alltag – verengt den Horizont. Kinder und Erwachsene verlieren den Sinn dafür, dass jede Ethnie ihre eigene Schönheit hat. Sie lernen dann, dass nur die eigene Ethnie dargestellt werden darf – und das erzieht sie zu Nationalist:innen und zu intoleranter Heimattümelei.

Ist das beabsichtigt?

Auch in die erotische Erziehung wird solchermaßen eingegriffen. Wollen wir denn Bikinis auf der Bühne abschaffen, weil ein zunehmender Teil der Bevölkerung dem islamischen Glauben anhängt und einige davon immer prüder werden?

Sollen sich die Ballerinen der Zukunft verhüllen, wie es im Iran der Fall ist?

Oft genug erfüllt die Hochkultur einen Auftrag von Freiheit und Schönheitsbildung, und man sollte ihr schon darum einen hohen Respekt zollen – statt sie zu zensieren.

"Der Nussknacker" verändert sich mit jeder Besetzung.

Giacomo Bevilacqua, Soraya Bruno, Elinor Jagodnik, Jordan Mullin und Georgeta Varvarici begeisterten mit dem „Danse orientale“ – dem „Orientalischen Tanz“ – im „Nussknacker“ mit dem Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper Berlin. Schlussaplaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Der hinreißend erotische „Orientalische Tanz“ aus dem Berliner „Nussknacker“ von Vasily Medvedev und Yuri Burlaka – dieser „Orientalische Tanz“ steht ebenfalls auf der schwarzen Liste von Christiane Theobald – soll angeblich auch Gefühle verletzen.

Weil man darin Körperschminke benutzt? Oder weil die Darstellung von superhübschen Fantasie-Haremsdamen und einem wunderschönen, fast nackten Jüngling sexistisch sein soll?

Das ist ein Fall von wirklich schlimmer Selbstzensur. Kein Gericht in Deutschland und auch nicht der Europäische Gerichtshof würde eine solche ästhetische Darbietung als irgendwie problematisch einstufen.

Aber Dr. Theobald, der man schon seit Jahren nachsagt, dass sie im Grunde von Ballett nicht viel versteht, möchte, dass auch dieser Tanz verboten wird.

Natürlich steckt eine Lobby dahinter. Denn Frau Dr. Theobald hat zwar Wirtschaft studiert und sogar promoviert. Aber so schlau ist sie nun doch nicht, als dass sie allein auf so eine perfide Finesse käme.

Die Lobby, die sich hier breit macht, behauptet, sich der Antidiskriminierung zu widmen.

Faktisch aber diskriminiert sie, und zwar die Künstler:innen, die sich an die Gesetze gehalten und die multikulturelles Flair mit ihren Tänzen verbreitet haben.

Alexei Ratmansky sowie Vasily Medvedev mit Yuri Burlaka könnten in Deutschland ihr Recht durchsetzen. Sie könnten ihr Recht durchsetzen, weil man ihre Arbeit nicht zensieren darf.

„Eine Zensur findet nicht statt“, so steht es in Artikel 5 des Grundgesetzes.

Tom Schilling war der bedeutendste Choreograf der DDR.

Christiane Theobald setzt sich gern selbst in Szene – jetzt auch mit der BILD-Zeitung. Foto: Gisela Sonnenburg

Frau Theobald hat durch ihr kommissarisch ausgeübtes Amt zwar die Macht zu entscheiden, was auf den Spielplan kommt und was nicht. Aber sie darf dabei keine Zensur ausüben.

Genau das macht sie aber, wenn sie behauptet, Arbeiten wie „La Bayadère“ und „Der Nussknacker“ seien möglicherweise diskriminierend.

Alexei Ratmansky, der für „La Bayadère“ sogar eine indische Spezialistin einfliegen ließ, sieht sich düpiert. Er ist ein weltbekannter, sehr erfahrener Choreograf, und für „La Bayadère“ hat er ganz besonders darauf geachtet, den echten indischen Stil einzufangen.

Rajika Puri – so der Name der Expertin für indischen Tanz – ist ganz bestimmt keine Bollywood-Verkäuferin. Wir befinden uns da schon auf sehr seriösen Pfaden. Wieso sollte Puri mit ihrer Arbeit für Ratmansky ihre eigene Kultur beschädigen? Trotzdem muss sich Ratmansky von Theobald in Verruf bringen lassen. Ist das in Ordnung?

Eine Unterstellung ist in Deutschland, einer Demokratie, kein Argument, um künstlerischen oder finanziellen Erfolg zu unterbinden. Mit so etwas darf man niemanden vom freien Wettbewerb aussperren. Vom Persönlichkeitsrecht der kreativen Künstler:innen ganz zu schweigen.

Man kann auch nicht tatwirksam behaupten, die Nationaltänze im „Schwanensee“ von Patrice Bart seien weniger problematisch. Aber genau das tut Theobald in der BILD. Sie hätte sagen können, dass ihr die Bart‘schen Tänze besser gefallen. Aber dass die etwa von Ratmansky in diskriminierender Hinsicht problematischer seien, das ist faktisch objektiv falsch und beschädigt Ratmansky zu Unrecht. Im übrigen hat auch Ratmansky die Überlieferung mit eigenen choreografischen Ergänzungen gemischt – eine vollständige Überlieferung gibt es nämlich nicht.

"Schwanensee" von Patrice Bart - beim Staatsballett Berlin

Yolanda Correa und Marian Walter mit dem Staatsballett Berlin nach „Schwanensee“ von Patrice Bart. Auch hierin gibt es folkloristische Kostüme, wie im Hintergrund zu sehen – sie stehen aber zurzeit nicht auf Christiane Theobalds schwarzer Liste. Schlussapplaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Umgekehrt hat auch Patrice Bart eine traditionelle Vorlage, und zwar die tradierten Choeografien von Marius Petipa vom „Schwanensee“. Außerdem hat Bart viel mit Rudolf Nurejew gearbeitet, und dieser hatte eine eigene, aber stark an den russischen Versionen orientierte Fassung erstellt. All das ist in Ordnung – und nichts davon ist diskriminierend, ebenso wenig wie die Arbeit von Ratmansky und von dem Rekonstruktionsexperten Doug Fullington, mit dem er häufig kooperiert.

Christiane Theobald hat womöglich noch nicht verstanden, dass die (unter anderem vom Senat) bezahlten Vereine, die nun die Antidiskriminierung missbrauchen wollen, dabei die Kunst nicht verletzen dürfen.

Sie hat womöglich auch noch nicht verstanden, dass sie nicht im privat-persönlichen Interesse entscheiden darf, sondern in ihrem kommissarischen Amt Verpflichtungen hat.

Dabei geht es darum, einerseits die Steuergelder sinnvoll und zweckmäßig einzusetzen und andererseits ein ganz bestimmtes, interessiertes Publikum zu erfreuen und zu bilden.

Dass Theobald selbst in der BILD ihren Bildungsauftrag zitiert, wirkt wie Spott und Hohn.

Denn wenn sie diesen Bildungsauftrag ernst nehmen würde, dann wäre es nicht zu den katastrophalen Absetzungen von „La Bayadère“ und „Der Nussknacker“ gekommen.

Die sind deshalb katastrophal, weil sie als Zensurmaßnahme zu verstehen sind.

Das ist nicht mehr lustig. In Deutschland wird also die Zensur durch die Hintertür wieder eingeführt – ausgerechnet unter einem Berliner Kultursenator der Partei Die Linke.

"Der Nussknacker" hebt die Stimmung!

Protestieren hier demnächst die Naturschützer:innen? Oder begreifen sie den Tanz richtigerweise als Werbung für ihr Thema? Die schönsten Butterblumen überhaupt bildete jedenfalls das Corps vom Staatsballett Berlin in „Der Nussknacker“. Foto vom Schlussapplaus: Gisela Sonnenburg

Deutlich wird der Aspekt der Zensur auch beim nächsten Beispiel, das die Integrität des Berliner „Nussknackers“ in Abrede stellen soll.

Die Kostüme vom heiteren „Chinesischen Tanz“ aus dieser Produktion sollen nämlich möglicherweise auf der Grundlage einer Karikatur entstanden sein. Umso besser, möchte man meinen!

Dann ist er nämlich vom Gesetz ganz besonders geschützt. Karikaturen dürfen, ich riss es eingangs dieses Beitrags schon an, in einer Demokratie noch mehr als bloße Tatsachenbehauptungen.

Ja, man darf sich auch mal lustig machen über etwas, sogar über China, wenn man möchte!

Ach so, ach nein, nicht in Berlin. Das Staatsballett Berlin argumentierte nun auf Facebook, wegen dieses möglichen Hintergrunds einer Karikatur sei der „Chinesische Tanz“ problematisch.

Da stimmt doch was nicht.

Kann es sein, dass den Kunstvermarkter:innen in Berlin die Freiheit der Kunst zu langweilig geworden ist?

Will man sich jetzt mit vorgeblich moralischen Kriterien ins Gespräch bringen, die faktisch nichts anderes als Zensur sind, also Machtmissbrauch entsprechen?

Die ungebildete Lobby, die hier triumphiert, soll der Theobald helfen, ihre Macht zu erhalten.

Dabei wissen die Beteiligten, dass sie rechtlich nichts zu melden haben. Sie diskutieren ohne Rechtsgrundlage.

Madoka Sugai und Carsten Jung in „Der chinesische Vogel“ aus John Neumeiers „Der Nussknacker“ beim Hamburg Ballett. So fein und furios! Und derzeit ganz unzensiert zu sehen. Foto: Kiran West

Darum wählte Theobald als Startmedium der Diskussion wohl auch die BILD-Zeitung. Also das unterste Niveau, das überhaupt zu haben ist. Da ist sie nicht anders als schon viele Politiker:innen vor ihr.

Hat Theobald eigentlich schon Pläne für ihre berufliche Zukunft? Das Staatsballett Berlin wird sie wohl irgendwann verlassen müssen. Aber in der Politik oder in der Lobby ist auch für ältere Personen – sie ist jetzt 64 Jahre alte – oft ein warmes und sehr lukratives Plätzchen frei.

Fazit: Statt für die Freiheit der Kunst zu kämpfen, verschanzt sich diese kommissarische Ballettintendantin hinter Phrasen von angeblicher Diskriminierung, die selbst eine Rechtsverletzung darstellen.

Berlin ist wirklich nur zu beglückwünschen. Soviel BILD war nie.
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

www.hamburgballett.de

 

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