Das Ergebnis kam nicht unerwartet: Unter dem Druck einer beispiellosen Mediencampagne einigte sich gestern das Staatsballett Berlin mit seiner zuvor gekündigten Gruppentänzerin Chloé Lopes Gomes. Die dunkelhäutige Ballerina hatte behauptet, ihre Kündigung sei rassistisch motiviert gewesen. Stichhaltige Beweise wurden zwar nicht vorgelegt – aber die Stiftung Oper in Berlin, die das Staatsballett Berlin rechtlich vertritt, wollte die Sache wohl möglichst rasch vom Tisch haben. Lopes Gomes darf nun ein Jahr länger Mitglied des Ensembles bleiben und kassiert zudem eine Entschädigung von 16.000 Euro. Verglichen mit den Kosten für manche Opernsänger, die bis zu 80.000 Euro pro Abend in Deutschland bekommen, ist Lopes Gomes‘ Schadenersatz aus Sicht der Stiftung wahrscheinlich nicht viel Geld. Aber man gibt damit klein bei, um den internationalen Medienhype, den Lopes Gomes seit November 2020 ausgelöst hat, möglichst frühzeitig zu beenden. Ob das gelingt, ist allerdings fraglich. Denn Lopes Gomes, die sonst zum Spielzeitende im Sommer hätte gehen müssen und nun ein Jahr länger bleibt, dürfte das Staatsballett weiterhin spalten. Dass sie gern große Interviews gibt, hat sie gerade erst kürzlich wieder bewiesen.
Künftig wird sie wohl weiterhin mit Glacéhandschuhen von ihren Vorgesetzten angefasst, denn alle werden Angst vor ihrer Denunziation haben. Ob das für eine Ballerina aber wirklich leistungsfördernd ist?
An ihren Angaben bestehen bei Skeptikern zudem weiterhin starke Zweifel. Und auch das Bezirks-Bühnenschiedsgericht konnte die als bedeutsam genannten Vorgänge nicht wirklich aufklären, auch wenn es eine Empfehlung abgab. Zumal in dieser spezifisch für Theater ausgerichteten Institution fast ausschließlich juristische Laien wirken.
Knallhartes Arbeitsrecht ist hier darum nicht zu bekommen. Aber in der Sache Lopes Gomes galten von Beginn an weniger harte Fakten als vielmehr schrill gezeichnete Anwürfe.
Etliche interessante Tatsachen rückten erst gar nicht ins Blickfeld der Verhandelnden.
Nicht berücksichtigt wurde vom Bühnenschiedsgericht, dass kurz nach der Kündigung von Lopes Gomes zunächst ihr Bruder namens Isaac Lopes Gomes (auch er ist Tänzer) in Paris eine offensive Mediencampagne über angeblichen Rassismus an der Pariser Oper startete. Aber weder er noch seine Schwester Chloé erwähnten einander in ihren Gesprächen mit der Presse.
Dafür liest sich ein Manifest des Bruders aus Paris wie ein sehr professionell erstelltes, bewusst medienwirksames Dossier. Kaum vorstellbar, dass junge Tänzer, die ihr Leben seit ihrer Kindheit vorwiegend im Ballettstudio verbringen, so etwas verfasst haben sollen. Auch die Vorgehensweise wirkte nicht naiv, sondern medial professionell. Wie von PR-Profis gelenkt.
In Paris wurde erstmal schnell ausprobiert, wie die Medien auf das Thema „Rassismus und Ballett“ reagieren. Tatsächlich stürzten sich viele Journalisten – in der Corona-Krise unter kulturellem Themenmangel leidend – begierig auf den Kontrast vom schönen, hehren, stets international besetzten Ballett und dem hässlichen, menschenverachtenden, intoleranten Rassismus.
Erst nach erfolgreich angestoßener Diskussion in Frankreich – die erstaunlicherweise ohne konkrete Anschuldigungen von Personen stattfand – ging die Schwester von Isaac Lopes Gomes, also Chloé Lopes Gomes, von Berlin aus an die internationale Öffentlichkeit.
Sie beschuldigte von Beginn an gezielt eine langjährig erfahrene Ballettmeisterin vom Staatsballett Berlin rassistischer Verhaltensweisen – und kam damit bei der Presse fulminant gut an. Kaum einer der berichtenden Journalisten machte sich die Mühe, die Gegenseite zu befragen. Der Skandal wurde lukrativ verkauft, nicht hinterfragt. Die Quote diktiert eben nicht selten den Inhalt.
Welchen Druck dieser Medienhype auf alle Beteiligten ausübte, wurde nicht geklärt.
Nicht berücksichtigt wurde vom Bühnenschiedsgericht außerdem, wie viele verschiedene sachkundige Zeug*innen dafür gibt, dass Chloé Lopes Gomes, die seit 2018 beim Staatsballett Berlin tanzt, durch deutlich mangelhafte Leistungen auffiel.
Für Premieren war die Klägerin darum auch nie besetzt, sondern nur für – wenige – öffentliche Proben oder Folgevorstellungen. Bei einer so großen Truppe wie dem Staatsballett Berlin sind allerdings auch Tänzer*innen, die deutlich besser tanzen, nicht immer bei Premieren dabei. Und nicht selten müssen auch wirklich gute Kräfte das Ensemble verlassen, weil sie künstlerisch vom Profil her nicht oder nicht mehr ins Programm passen.
Körper, Geist und Seele – all dies spielt beim Ballett eine große Rolle. Es ist eine ganzheitliche Kunst. Menschen verändern sich aber, und nicht immer geht die Veränderung in die gewünschte Richtung. Lopes Gomes hat sich nicht gut entwickelt, seit sie 2018 beim Staatsballett anfing.
Aber kaum einer der Reporter, die sie als Rassismusopfer feiern, hat Chloé Lopes Gomes je auf der Bühne tanzen sehen.
Ich kann mich allerdings gut an sie erinnern. So fiel es Chloé Lopes Gomes schwer, das Bein zugleich mit anderen Tänzerinnen zu heben und es in der richtigen Höhe zu positionieren. Ihr Oberkörper wirkte meist steif statt geschmeidig, ihre Armarbeit verkrampft. Sie hatte eine frische, selbstbewusste Ausstrahlung. Aber im Ballett reicht das nicht, zumal im Klassischen die Synchronizität das A und O ist. Wenn eine Tänzerin da krass rausfällt, ist der Charme dahin. Ich habe mir in einer Vorstellung entsprechende Notizen gemacht und bin noch heute vom damaligen Anblick entsetzt.
Auch ihre Musikalität schien mir nicht sehr entwickelt, und im Ballettsaal soll sie zudem als „faul“ und „oft unkonzentriert“ wahrgenommen worden sein.
Die verschiedenen Choreografen, die 2018 und 2019 beim Staatsballett Berlin arbeiteten, haben sie denn auch nicht in einem einzigen der neu kreierten Stücke besetzt.
Sollen sie alle Rassisten sein? Darunter sind Israelis und Schweden, die von Berufs wegen ständig weltweit unterwegs sind. Man sollte meinen, dass sie eine schwarze Ballerina eher bevorzugen als vernachlässigen, denn black beauties sind faktisch im Ballett seit einigen Jahren ziemlich gefragt.
Etliche Stars belegen das, angeführt von Misty Copeland in New York, bis hin zu nicht wenigen Stars des Balletts in Deutschland.
Andererseits werden aufgrund der stark leistungsorientierten Auslese im Ballett regelmäßig Ensembletänzerinnen, gleich welcher Herkunft, ausgetauscht. Chloé Lopes Gomes war auch in dieser Saison nicht die Einzige, sondern eine von zwölf gekündigten Tänzer*innen beim Staatsballett Berlin.
Sie war – mit Verlaub – mit Abstand diejenige, die am schlechtesten tanzte. Ich kann mich auch nicht erinnern, jemals eine andere Tänzerin so schlecht in einer klassischen Choreografie gesehen zu haben.
Auch andere Fachleute sahen das.
Die Einzige, die Chloé Lopes Gomes überhaupt besetzte und ihr eine Chance geben wollte, war die später von ihr wegen angeblichen Rassismus beschuldigte Ballettmeisterin.
Aus deren Perspektive ist der Hype ein vor allem gegen sie gerichteter Mobbingvorgang, der lediglich der Geltungssucht von Menschen zu danken ist, die aus unterschiedlichen Interessen dem Ballett unbedingt Rassismus unterstellen wollen.
Tatsächlich gibt es Vereine in Berlin, die sich der Bekämpfung von Rassismus widmen und die sich sofort dem Staatsballett Berlin als vorgeblich hilfreich andienten.
Berliner und auch andere Kolleg*innen von Chloé Lopes Gomes könnten wiederum versuchen, sich durch eine Unterstützung ihrer Rassismus-Behauptungen selbst vor einer Kündigung zu schützen.
Schließlich wird das Staatsballett Berlin sogar vom Berliner Senat angehalten, sich den Vorwürfen auszusetzen.
Eine kritische Überprüfung der Sachlage leisteten aber weder irgendwelche Vereine noch ein Staatsanwalt oder wenigstens die Polizei. Dabei wäre das Strafrecht hier nicht fern.
Aber alles stagnierte auf dem Niveau der Behauptung. Den meisten Medien war das genug, um das Staatsballett Berlin anzuklagen.
Die betroffene Ballettmeisterin hat dennoch nicht wenige Fürsprecher*innen innerhalb und außerhalb vom Staatsballett Berlin. Sie ist als Koryphäe auf ihrem Gebiet bekannt, auch viele Berliner Ballettfans haben ihre Arbeit und deren Erläuterung bei öffentlichen Proben, Trainings und Lectures schon bewundert.
Auch Gasttänzer*innen und Gastballettmeister*innen kennen sie, aus oft jahrelanger enger Zusammenarbeit. Für viele Ballettinsider ist es undenkbar, dass sie auf einmal rassistisch geworden sein soll.
Alexei Ratmansky, internationaler Starchoreograf mit ukrainisch-russischen Wurzeln und zudem Wunschkandidat vieler als kommender Ballettintendant für Berlin, teilte ausdrücklich mit, dass er bei seinen Arbeiten in Berlin niemals Rassismus konstatieren musste.
Auch Personen, die die beschuldigte Trainerin aus der täglichen Arbeit kennen und bei den fraglichen konkreten Situationen mit dabei waren, haben sich deutlich vor sie gestellt.
Demnach ist es definitiv nicht wahr, dass sie sich gegenüber Lopes Gomes rassistisch oder anders diskriminierend geäußert oder entsprechend gehandelt hätte. Die Tatvorwürfe werden als haltlos bezeichnet.
Die Anwältin vom Staatsballett Berlin, Marion Ruhl von der Kanzlei Knauthe in Berlin, unterließ es allerdings, möglichst viele Zeug*innen zu Gunsten ihrer Mandantin zu befragen und einzubringen.
Mangelndes Engagement von Anwälten entscheidet bekanntlich den Verlauf der meisten Verfahren. Und zwar für die Gegenseite.
Der Anwalt der Gegenseite in diesem Fall, der Chloé Lopes Gomes vertritt und Christoph Partsch heißt, hat ziemlich viel unternommen, um seine Mandantin ins Recht zu setzen. Bishin zu einer blindwütigen Ehrverletzung des Ballett-Journals.
Er hat seine Kanzlei am Ku’damm – und einen nicht unbeschädigten Ruf, seit ihm 2016 vorgeworfen wurde, seine damalige Position als Vertrauensanwalt des Berliner Senats für Korruption für Geschäfte mit seinen Mandanten missbraucht zu haben. Ausgerechnet die BILD-Zeitung hat das – so etwas gibt es auch mal – sehr sauber recherchiert.
Partsch hatte schon im Vorfeld angekündigt, 20.000 Euro Entschädigung für seine Mandantin einholen zu wollen. Immerhin 16.000 Euro plus ein Jahr Weiterbeschäftigung handelte er jetzt als Vergleich aus.
Aber: Ein Vergleich ist kein Urteil. Und ein Bühnenschiedsgericht ist kein Landesarbeitsgericht.
Man mag sich freuen, dass die Chose nun vielleicht ein schnelles Ende findet. Das hängt wohl auch vom Verhalten von Chloé Lopes Gomes ab.
Aber man mag es auch bedauern, dass die mutmaßliche Wahrheit auf der Strecke blieb.
P.S. Ausgerechnet das Land Berlin macht fehlerhafte Mitteilungen über die Sache auf seiner Homepage www.berlin.de. Dort steht, Lopes Gomes habe „eine Rückkehr in die Compagnie“ gefordert. Die Compagnie musste sie aus arbeitsrechtlichen Gründen aber nie verlassen. Ihr war ja nicht fristlos, sondern ordentlich gekündigt worden. Bis zum Spielzeitende hätte sie also in jedem Fall mit dem Staatsballett Berlin trainiert.
Außerdem spricht das Land Berlin vom Staatsballett Berlin wie von einem Arbeitgeber. Juristisch ist hier aber die Stiftung Oper in Berlin der Ansprechpartner. Ob das ein Vorteil oder ein Nachteil fürs Ballett ist, sei dahingestellt.
Gisela Sonnenburg