Bye-bye, Nacho Duato! Zum Ende seiner letzten Spielzeit beim Staatsballett Berlin bereitet die Truppe ihrem Noch-Chef Nacho Duato eine mit Vorstellungen prall gefüllte Zeit: die „Ballettwoche“

Die Ballettwoche in Berlin

Nacho Duato, immer noch ein schöner Mann, war nicht für jedermann in Berlin der optimale Ballettintendant – aber er überzeugte mit seinem eigenwillig-schönen choreografischen Stil, mit dem Heranholen faszinierender Tänzer und bedeutender Choreografenkollegen – sowie mit einer herzlich-offenen Art zu sprechen. Bye-bye, großer Melancholiker! Foto: Gisela Sonnenburg

Ein Ballett-Festival hatte das Staatsballett Berlin (SBB) schon lange nicht mehr zu bieten. In der Ära von Vladimir Malakhov (2004 – 2014) gab es immerhin zweijährlich den „Dance Summit“, der – zuletzt 2012 – nicht nur mit Vorstellungen, sondern vor allem mit interessanten Workshop-, Vortrags- und Education-Programmen punktete. Mal ging es um den Zusammenhang zwischen der fortschrittlichen Sportmedizin und den verletzungsgefährdeten Profitänzern, dann wieder um rein künstlerische Traditionen, zum Beispiel um die unterschiedlichen Präsentationsweisen von modernen Klassikern wie „Le Spectre de la Rose“. Öffentliche Proben, dramaturgische Referate, Klärungen von Trainingsgrundlagen, Podiumsinterviews mit den Stars – mit solchen Highlights spielte sich das SBB locker in die Herzen des an Ballett interessierten Berliner Publikums. Zum Abschied von Noch-Ballettintendant Nacho Duato wird jetzt zwar nicht direkt an diese erloschene Reihe angeknüpft, aber es gibt immerhin die „Ballettwoche“: mit sechs Vorstellungen und fünf verschiedenen aktuellen Produktionen vom SBB.

Los geht es am 15. Juni 2018 mit der letzten Vorstellung von Nacho Duatos existenziell-ästhetischem Meisterwerk „Herrumbre“ in der Staatsoper Unter den Linden. Der spanische Begriff für „Rost“ aus dem Titel ist psychologisch zu deuten: gemeint ist die Redewendung, die Seele setze Rost an, wenn sie unterdrückt und geschändet, vergewaltigt und misshandelt wird. Folter und andere Grausamkeiten sind die Themen dieses eindringlichen, politisch gemeinten Balletts, und die internationale Ballettwelt sollte stolz auf Nacho Duato sein, dass er sich entschieden jenseits des Heileweltspielens diesen wichtigen Aspekten von zeitgenössischer Kunst mit den Mitteln des modernen Balletts widmete.

Die Ballettwoche in Berlin

Ein Blick auf die Schlüsselszene aus „Herrumbre“ von Nacho Duato beim Staatsballett Berlin: die medialen Berichte aus Guantanamo regten ihn an, dieses ergreifende Ballett zu kreieren. Foto: Fernando Marcos

Der große Melancholiker, wie ich Duato bei seinem Amtsamtritt 2014 in meinem Portrait im Ballett-Journal genannt habe, zieht in „Herrumbre“ wirklich alle Register seines Könnens. Und es ist nicht nur deprimierend, sondern auch aufbauend, solchermaßen bei einer sensibilisierenden Vorstellung live zu erfahren, dass Menschen trotz all ihrer dunklen, fiesen Seiten auch in der Lage sind, humanistisch vorzugehen und die Finsternis sprich das Böse schlechthin zu besiegen.

Die utopisch ausgerichtete Ballettkunst ist in der Tat weltweit gefordert, immer wieder darauf hinzuweisen – und Duato macht es beispielhaft vor, wie das gehen kann.

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Kontrast ist das weitere Programm: Am 17. Juni locken die munteren Liebenden sowie die schrullige Titelfigur vom „Don Quixote“ in die Deutsche Oper Berlin (DOB). Die auf betont spanische Art modernisierte Version von Victor Ullate, die das SBB mit fantastischer Raffinesse und virtuoser Technik tanzt, erhält zudem eine besonders feine und doch persönlichkeitsstarke Note durch die Besetzung der Kitri mit der Primaballerina Ksenia Ovsyanick. Und Marian Walter, einer der wenigen deutschen Ersten Solisten, die internationalen und sehr hohen Ansprüchen genügen, wird ihr ein ehrenwerter, so verliebt wie hoch springender Liebhaber sein. Der schräge Titelheld, von Rishat Yulbarisov mit der notwendigen, putzigen Weltfremdheit verkörpert, hat zudem ureigenes komisches Potenzial, das von einem generös durch die Szene purzelnden Vladislav Marinov als kumpelhafter Partner Sancho Pansa hintergründig aufgerundet wird.

Dass Robert Reimer die Vorstellung dirigiert, wird diese Vorstellung zusätzlich unvergesslich und auch akustisch zu einem Highlight machen.

Am 18. Juni geht es dann in die Komische Oper, in die kleinste der drei Berliner Opernhäuser, die traditionell dem zeitgenössischen Ballett geweiht ist. Mit „Doda / Goecke / Duato“ premierte hier jüngst ein anspruchsvolles Programm, das vor allem mit der somit uraufgeführten Kreation „was bleibt“ von Gentian Doda überrascht und begeistert.

Aber auch „Por vos muero“ von Nacho Duato zieht in den Bann und weiß noch lange nach Vorstellungsende das Gemüt zu beschäftigen.

Die Ballettwoche in Berlin

Das in Berlin uraufgeführte, mitreißende Stück „was bleibt“ von Gentian Doda passt nicht nur vom Titel her zur Situation des Staatsballetts Berlin. Schließlich steht die Truppe vor einem Intendantenwechsel. Foto: Fernando Marcos

Schade ist halt nur, dass die Ballettmusik in der Komischen Oper generell vom Tonband kommt – hier könnte man zaghaft auf eine Neuerung hoffen, wenn mit Johannes Öhman ab September 2018 ein neuer Ballettintendant das Zepter ergreift.

Vorher aber geht es noch einmal zum wunderbaren, poetisch-erhebenden „Schwanensee“ in der Version von Patrice Bart in die Deutsche Oper Berlin. Natürlich ist er dort mit Live-Musik zu erleben!

Seit über zwanzig Jahren läuft dieses Stück nun schon in Berlin – eine Rekordzeitspanne.

Bart, der für einen vorzüglichen französisch-klassischen Ballettstil steht, hat sich ja außerdem nicht lumpen lassen und aktiv mitgeholfen, seine Inszenierung auch ohne aufwändige Kulisse und kunterbuntes Lichtgewitter sehenswert zu erhalten.

Die Ballettwoche in Berlin

Diese Scheinwerfer im Schnürboden der Deutschen Oper Berlin waren seit Heiligabend 2017 nicht mehr zu benutzen… aber die „Schwanensee“-Vorstellungen berücken trotzdem und lassen nichts vermissen! Foto: Gisela Sonnenburg

Das war notwendig, nachdem an Heiligabend 2017 eine Wasser-Havarie die Bühnentechnik der DOB fast schachmatt setzte. Überraschenderweise wirkt Barts Inszenierung auch im reduzierten Bühnenbild ungeheuer intensiv, die expressiven Nuancen, die sich solchermaßen ergeben, sind genießenswert.

Die Ballettwoche in Berlin

Marian Walter als Siegfried und seine Gattin Iana Salenko (vorne) als Odette nach einer „Schwanensee“-Vorstellung in der Deutschen Oper Berlin. Bravo! Fotos vom Schlussapplaus: Gisela Sonnenburg

Mit der zarten Iana Salenko am 19. Juni als Odette / Odile oder auch mit der grandiosen Polina Semionova (am 21. Juni) in dieser klassischen Doppelrolle lohnt sich der Besuch in der DOB unbedingt.

Am 20. Juni geht es dann Unter den Linden weiter: mit der modern inspirierten Version von „Romeo und Julia“ zur Musik von Sergej Prokofjew, die Nacho Duato schuf. Hier tanzt die außergewöhnliche Ksenia Ovsyanick die weibliche Hauptrolle, wie schon am 17. Juni in „Don Quixote“ – die gebürtige Weißrussin, die über das English National Ballet nach Berlin kam, hat mit Cameron Hunter als Romeo einen ungewöhnlich jungen Ballerino, einen typgerecht besetzten Newcomer, zum Bühnenpartner.

Die Ballettwoche in Berlin

Meisterstücke wie „Petite Mort“ von Jiri Kylián holte Nacho Duato zum Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Zusätzlich zu diesen Vorstellungen – die „Ballettwoche“ dauert also vom 15. Juni bis zum 21. Juni – gibt es zwar keine Vorträge, aber online einige ergänzende Events.

So soll am Vormittag des 15. Juni das tägliche Training der Tänzer als Live-Stream übertragen werden.

Und etliche Take-Overs sollen einzelne Tänzerinnen und Tänzer vom SBB aus ihrer Perspektive von ihrem Leben als Körperkünstler in Berlin berichten lassen. Die Termine standen bei Redaktionsschluss indes noch nicht fest.

Aber man sollte sowieso am Ball bleiben mit dem SBB.

Mit viel Poesie, fantastischen Sängern, origineller Choreografie und einem hervorragenden Live-Orchester hat sich das Musical „Die Schöne und das Biest“ in die Herzen aller getanzt, die es gesehen haben. Kein Grund, es sich nicht nochmal anzuschauen – oder endlich zum ersten Mal hineinzugehen! Viel Spaß! Und die Tickets gibt es hier auf einen Klick! Faksimile: Anzeige

Zumal die Spielzeit erst am 4. Juli endet – und bis dahin sind drei Produktionen, nämlich „Doda / Goecke / Duato“, der „Schwanensee“ und „Romeo und Julia“ nochmals zu sehen.

Die allerletzte Vorstellung mit einem Duato-Stück – „Doda / Goecke / Duato“ am 4. Juli in der Komischen Oper – wird dann ein sicher auch emotional recht heiß besetztes Abschiednehmen von einer Ära, die in Berlin ganz sicher auch sehr positive Ballett-Spuren hinterlassen hat.

Die Ballettwoche in Berlin

Polina Semionova (vorn) tanzte die weibliche Titelrolle aus „Romeo und Julia“ von Nacho Duato bei der Berliner Premiere 2018. Schlussapplausfoto: Gisela Sonnenburg

Nacho Duato hatte es nicht leicht in Berlin. Viele waren gegen ihn, bevor er überhaupt angetreten war, sie gaben ihm nullkommanull Chancen zu überzeugen – und das ließ man ihn unverhohlen spüren.

Doch der Spanier ließ sich davon nicht irritieren, und obwohl er seinen Berliner Vertrag auf Wunsch der Berliner Lokalpolitiker von fünf auf vier Jahre verkürzte, so füllte er seine Zeit als Ballettintendant doch mit Elan und starkem Einsatz für einen zeitgenössischen Begriff von Ballett.

Und zwar, ohne die Klassik als eine große Stärke des SBB dem anheim zu geben.

Heißblütig und leidenschaftlich: „Carmen la Cubana“ reißt mit, bietet Tanz und Gesang vom Feinsten – und zeigt die Geschichte von Liebe und Tod mal ganz anders als in der Oper gewohnt. Das kann nur Musical! Und hier geht es flink zu den Tickets… Viel Vergnügen! Faksimile: Anzeige

Als es dann während der zumal für die Zuschauer harten Streik-Zeit 2015 darum ging, die Arbeitsbedingungen und Entlohnungen der Berliner Ballett-Künstler zu verbessern, hielt Duato zu seinen Tänzern – ohne Wenn und Aber.

Legendär war sein Auftritt mit einer wegen Buhs für den ballettfernen Regierenden Bürgermeister Michael Müller elegant abgebrochenen Ansprache anlässlich der Premiere von „Der Nussknacker“ in Duatos Version im Oktober 2016.

Die Quittung erhielt Duato damit, dass man ihn vor der Zeit aus dem Amt drängte.

Aber Nacho Duato nimmt’s mit Lässigkeit: Er weiß, dass er in Berlin auch viele Fans hat, die seine ernsthafte Art, sich mit der Moderne auseinanderzusetzen, zu schätzen wissen. Er liebt Berlin nun ohnehin nicht, aber es gab und gibt einen Austausch der kompliziert gewordenen deutschen Metropole mit Duato, und das schlug sich auch künstlerisch nieder.

Duatos Berliner Kreation „Static Time“, im Mai 2015 uraufgeführt, setzte insofern Maßstäbe, subsummiert sie doch die trübe, deprimierende Stimmung, die das zeitgenössische Berlin jedem aufzwingt, der hier lebt.

Die Ballettwoche in Berlin

Nacho Duato 2015 bei einem Pressetermin in der Deutschen Oper Berlin vor einem Plakat: Er war und ist ein Visionär, was seine Kunst angeht – und das hat er Berlin auch nachdrücklich vermittelt. Foto: Gisela Sonnenburg

Und Duato schaffte es zudem in seinen vier Berliner Jahren, nicht nur durch das Heranholen von faszinierenden Tänzern, sondern vor allem auch durch das Wirken mit seinem versierten Ersten Ballettmeister Gentian Doda (eben jener ballettösen Macherpersönlichkeit, die auch als Choreograf schwer überzeugt) das SBB zu „seiner“ Company zu machen.

Exzellent tanzt die Truppe darum den prägnanten, anspruchsvollen, international als durchaus bedeutend akzeptierten Duato-Stil.

Die Ballettwoche in Berlin

Murilo de Oliveira verbeugt sich hier nach einer Vorstellung – der hoch talentierte Brasilianer ist einer jener begeisternden Künstler, die während Duatos Ära zum Staatsballett Berlin kamen. Zum Glück! Schlussapplaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Und es ist wirklich schade, dass davon in den kommenden beiden Spielzeiten gar nichts mehr zu sehen sein soll.

Aber in den Herzen vieler Ballettfans in Berlin hat Duato seinen Platz sicher – und sollte es ein Wiedersehen geben, so wird man sich darauf freuen.

Die Ballettwoche in Berlin

Nacho Duato, vom Naturell her melancholisch, aber keineswegs pessimistisch, steht zu seinem Stil. Foto aus seinem Berliner Büro: Gisela Sonnenburg

Bye-bye, Nacho Duato! Do not forget this crazy, but heartful city of Berlin, just like we will not forget your intimate style of creating and working with dancers. See you!
Gisela Sonnenburg

Termine: siehe „Spielplan

www.staatsballett-berlin.de

 

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