Das Ruth Street Theater in Prescott, Arizona (USA), ist immer für eine Überraschung gut. Jetzt präsentierte Rainer Krenstetter, Principal vom Miami City Ballet und zuvor beim Staatsballett Berlin Erster Solist, die erste Ausgabe seiner Ballettgala: „Rainer and Friends“ zeigt Soli, Pas de deux und Pas de trois der Spitzenklasse, getanzt von Spitzentänzer:innen, vereint mit fröhlichen Darbietungen von Student:innen, die Rainer beim Movement Studio unterrichtet hatte. Als Veranstalter fungierte die Margot Fonteyn Academy of Ballet, deren Künstlerischer Leiter Krenstetter ist. Und die Stimmung im Theater war so, wie sie bei Ballett sein sollte: allerbest!
Mit einem zart duftenden Elixier der frühmodernen Klassik beginnt der Abend. Gastgeber Rainer Krenstetter und seine aparte Bühnenpartnerin Tricia Albertson vom Miami City Ballet tanzen, in orangerosa Licht getaucht, „Le Spectre de la Rose“ von Mikhail Fokine nach der bekannten „Aufforderung zum Tanz“ von Carl Maria von Webern. 1911 wurde diese Choreografie in Monte Carlo uraufgeführt. Aber sie wirkt, zumal, wenn sie so hübsch getanzt wird, nach wie vor unvergänglich. Wirklich: Fokines Meisterwerk strotzt nur so vor kessen erotischen Anspielungen und originellen floralen Motiven.
Tricia Albertson in der Rolle als Heimkehrerin von einem Ball, die sich verträumt mit einer duftenden Rose in der Hand auf einen Stuhl setzt und prompt einschläft, vermittelt alle Poesie so einer Situation. Und Rainer Krenstetter, der im modern-rosenhaften Kostüm eben nicht zugeschminkt wirkt, verkörpert mit leichtfüßig gesetzten Sprüngen und absolut geschmeidiger Armarbeit den von ihr herbei gesehnten Rosengeist, eine Fantasie aus Naturliebe und Sinnenreiz.
Später wird Rainer Krenstetter – dann in glamourös glitzerndes Schwarz gehüllt – erklären, welche tieferen Gedanken an diesem 11. September 21 dazu gehören: Mit einer kurzen Zeit des Schweigens, einem „silent moment“, für die Opfer und die bei Rettungsversuchen verstorbenen Helfer:innen des Terroranschlags vor zwanzig Jahren in New York City.
Der Charme von Rainer Krenstetter, diesem Sunnyboy mit Weanerischer Seele, ist aber auch dabei nicht zu übersehen. Es macht einfach Spaß, ihm zuzuhören, ihn anzusehen – sich in ihn einzufühlen.
Er selbst tanzte an Nine Eleven beim Staatsballett Wien als Nachwuchstalent in „Romeo und Julia“, und die Musik von Sergej Prokofiev mag für ihn seither für immer auch mit Trauer verbunden sein.
Weitere Highlights des rund zweistündigen Programms: Hannah Fischer vom Miami City Ballet als „Sterbender Schwan“, ebenfalls von Mikhail Fokine choreografiert, der das mittlerweile weltberühmte Solo 1905 für Anna Pavlova schuf.
Zuvor aber tanzte Fischer auch eine elegisch-melancholische Nikija aus Marius Petipas „La Bayadère“ in der Choreografie von Marius Petipa: Es ist jenes Solo, das mit hingebungsvollen Linien beginnt, die nachgerade eine todessehnsüchtige Liebeserklärung an einen anderweitig Vergebenen beschreiben, um dann unvermittelt in rasantes Temperament zu verfallen. Noch einmal möchte diese Frau den Puls des Lebens spüren – als habe sie eine Ahnung davon, dass in das Blumenkörbchen, das sie spielerisch schwenkt, eine todbringende Schlange gelegt wurde.
Machi Muto und Frank van Tongeren liefern zudem mit dem Grand Pas de deux aus „Le Talisman“ von Marius Petipa sowie mit seinem „Diana und Actaeon“-Divertiment ein virtuoses Fest aus Sprüngen und Pirouetten ab.
Und das Trio Jordan-Elizabeth Long, Ashley Knox und Renan Cerdeiro zelebrieren sowohl aus „Schwanensee“ (1. Akt) einen groß angelegten klassischen Pas de trois als auch einen solchen aus „Paquita“, mit der niemals endenden Power von Marius Petipa und Joseph Mazilier aus dem 19. Jahrhundert.
Eine ebenfalls fast zeitlos schön wirkende Ansprache von Rainer Krenstetter erinnert uns daran, dass Menschen füreinander Verantwortung tragen, auch wenn nicht alle das immer berücksichtigen. Aber wenn es hier heißt „Rainer and Friends“, dann ist das keine Floskel. Dann halten hier wirklich alle zusammen. Und dieses subtile Flair von teamfähiger Unterstützung und gemeinsamer Anstrengung merkt man auf eine sehr angenehme Weise.
Das „Adagietto“ von Renato Zanella, das er mit Tricia Albertson tanzt, zeigt jedenfalls, das es auch wertvolle Beziehungen gibt, die nicht unkompliziert sind. Wie hier das Mann-Frau-Gefüge hält, obwohl es manchmal fast zerbrechlich erscheint, so fragil und befragungswürdig, ist ein absoluter Hingucker!
Und noch ein Schmankerl gibt es für alle Rainer-Fans: Er tanzt, in Jeans und ein weißes Hemd mit Fliege gewandet, für einen Teddybär – gemeint ist jedoch eine Ode an die Kindheit, verknüpft mit Dank an alle liebenden Mütter. „To Who it may concern“ heißt das Stück von Miquel G. Font zum „Ave Maria“ von Franz Schubert. Am Ende darf der Ballerino sprechen – in ein Mikrofon, und er enthüllt somit, an wen sich das getanzte Gedicht gewandt hat.
Soviel Herz und soviel Leidenschaft bringen das Publikum in Prescott zum tosenden Jubel.
Da flirrt das Finale nur so über die Bühne!
Also bitte: Streamen und Genießen, es ist eine seltene Gelegenheit!
Gisela Sonnenburg
Bis Mittwoch, 29. September 21, sechs Uhr morgens (Ortszeit Berlin) steht die Gala „Rainer and Friends“ hier bitte online, als Benefiz für die Margot Fonteyn Academy of Ballet: