
Der alte Karstadt am Leopoldplatz in der Müllerstraße im Berliner Wedding: Es sind die letzten Tage und Wochen… Foto: Gisela Sonnenburg
Kaufhäuser waren mal wie Träume von einer perfekten Warenwelt. Hertie hatte die kuscheligsten Tiere unter den Spielzeugen und die schönsten bedruckten Stoffe in der Nähabteilung. Karstadt bot mal eine veritable Buchauswahl. Im KaDeWe, dem Kaufhaus des Westens, soff man außer Champagner so skurrile Spezereien wie Ebereschenlikör. In die Galeries Lafayette lockt gar ein Honig mit Trüffelaroma. Und wer sich noch daran erinnert: Das Centrum Warenhaus wartete am Berliner Alexanderplatz mit metallen schimmernden Eisbechern aus Plaste auf, von Verwegenen gern als Aschenbecher genutzt. Soweit einige Erinnerungen an berühmte Kaufhäuser, den Tempeln des Luxus ebenso wie des Alltäglichen. In einem gut sortierten Kaufhaus fand man früher Rat und Tat für alles und nichts, vom Pickelpflaster bis zur Pelzstola. Was in Zukunft von dieser Pracht noch übrig sein wird, ist aber ungewiss. Hertie und Centrum gingen längst pleite, Karstadt und die Galeria Kaufhof verschmolzen; sie wurden vom selben Mogul des Geldes aufgekauft wie das KaDeWe – und stehen nun alle zitternd am Abgrund. Denn ihr Käufer, der österreichische Milliardär René Benko, 46, hat sich verrechnet.
Benko kaufte mit seinem international verflochtenen Konzern namens Signa Holding, der etliche Tochterfirmen hat, zunächst erfolgreich Immobilien im großen Stil. Dann auch die Kaufhäuser. Jetzt, da der Immobilienmarkt in Turbulenz geraten ist, platzt seine Wirtschaftswunderblase: Die Insolvenzverwalter geben sich bei Benko die Klinke in die Hand.
92 Galeria-Filialen, dazu Luxuskaufhäuser wie das KaDeWe in Berlin, das Alsterkaufhaus in Hamburg und der Oberpollinger in München, bangen um ihre Existenz. Dabei schien es zuletzt bergauf zu gehen. Von einem „ziemlich starken Jahr“ sprach noch Ende Oktober 2023 triumphierend Olivier van den Bossche, der Chefangestellte der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof. Über 90 Prozent der Filialen würden „profitabel“ laufen, hatte van den Bossche schon im Sommer verkündet. Ahnte er nichts? Seinen Posten hat van den Bossche erst seit kurzem: Just im März 2023 wurde sein Antritt bekannt gegeben.

Das Logo steht für Traumwelten – Karstadt in Berlin-Wedding. Foto: Gisela Sonnenburg
Damals gab es so etwas wie einen Sanierungsplan. Von 129 Warenhäusern sollten möglichst viele gerettet werden. Die langfristige Schließung von 42 Häusern stand dennoch fest. Wie die vom Karstadt in der Müllerstraße im Berliner Bezirk Wedding. Es ist ein stolzes Haus, einst belebt und auch in diesen Tagen – seinen letzten, denn Ende Januar 2024 wird es für immer geschlossen – ist es oft noch proppenvoll. Der Räumungsverkauf lockt Menschenmengen an, das bevorstehende Weihnachtsfest tut ein übriges. Auch am ersten Advent war geöffnet – und die Schlange an den meisten Kassen lang. Ganz so, als sei ein Kaufhaus in Deutschland mit verkaufsoffenem Sonntag etwas ganz Normales. Und nicht etwas, das es schon in wenigen Monaten vielleicht nicht mehr geben wird.
Weil es hier Lebensmittel gibt, ist der Weddinger Karstadt aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht ein Warenhaus – und kein Kaufhaus. Aber wen kümmern schon solche Begrifflichkeiten im Verkaufsalltag. Nicht mal das für sein üppiges Fressalien-Angebot bekannte KaDeWe nannte sich jemals Warenhaus, sondern immer nur Kaufhaus. Das des Westens eben, schon seit 1907, als der Unternehmer Adolf Jandorf eine bis heute anhaltende Legende des Konsums schuf.
Es gab Zeiten, da glaubten die Berliner (und nicht nur sie), es gebe nichts, was es nicht auch im KaDeWe geben würde. Knöpfe, so winzig, dass man sie an die Miniaturkleidung von Puppen nähen konnte. Herrentaschen aus feinstem Lackleder. Abendkleider, die so bauschig, hauteng oder glamourös waren, dass man vermuten musste, sie seien direkt von einem Laufsteg aus Mailand oder Paris importiert. Es gab Engel aus dem Erzgebirge, Porzellan von KPM. Kuchen aus Frankreich, Wurst und Käse aus Italien. Weine aus Kanada. Früchte aus aller Herren Länder. Lippenstifte aller Art, in allen Farben. Und Schuhe mit und ohne Absatz, Schnallen, Riemchen. Ach, und Haarnadeln, so fein, dass man frische Blüten damit unsichtbar feststecken konnte. Passendes Parfum gab es wie im olfaktorischen Paradies – schamlos wehten die duftenden Wölkchen der Probierzerstäuber durch das Erdgeschoss.

Karstadt bekennt: Alles muss raus… die Preise purzeln hier nur so, aber die Einkäufe haben einen bitteren Beigeschmack. Die Verwicklungen der Wirtschaft um den Kaufhaus-Eigentümer René Benko scheinen typisch für eine untergehende Gesellschaft. Foto: Gisela Sonnenburg
Heute ist das KaDeWe irgendwie laut und marktschreierisch geworden. Club-Musik nervt in der Parfum-Abteilung, und der Schwerpunkt hat sich von „alles“ auf „alles Teure“ verschoben. Die Masse kommt und gafft. Man sieht Zuhälter und Spekulanten ihre Austern schlürfen, Schauspieler und Stars ohne Beruf ihre neuen Roben aussuchen. Ein Punk sucht ein Geschenk für seine Mutter. Eine Touristengruppe findet Souvenirs. Eine Chefsekretärin investiert ein Monatsgehalt in überkandidelte Stiefel. Jeder tröstet sich auf seine Weise.
Das Prinzip, alles an einem Ort kaufen zu können, ist nicht neu. Das erste deutsche Kaufhaus eröffnete schon im Mittelalter, nämlich 1317, in Mainz. Es war ein Verbund von Einzelhändlern. Weit entfernt, in Tokio, London und Paris, zogen in der frühen Neuzeit große, modernere Kaufhäuser ein. Auch Kaufhausketten bildeten sich schon früh. Emile Zola verewigte 1883 das Fluidum vom Kaufhaus und auch seinen Machern im Roman „Das Paradies der Damen“. Der Kaufrausch wurde erstmals ein Thema.
In Deutschland erblühte das Genre der großen Kauf- oder Warenhäuser erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. 1881 wurde Karstadt gegründet – und eroberte von Wismar aus das Land. Man richtete auch Einkaufspassagen, die Vorläufer der Malls, in den Städten ein: als Antwort des Einzelhandels auf den Kaufhaus-Boom. Geschäfte, ob groß oder klein, erlebten ihre Aufs und Abs, wie es sie in einer gesunden Wirtschaft geben sollte, und zwar ohne zur Übermacht oder ins Aus zu führen.
Der jüdisch-deutsche Schriftsteller Walter Benjamin, ab 1933 in Paris im Exil lebend, erhob das Prinzip der Passagen zum Sinnbild für das Leben überhaupt. Seine Geschichtsphilosophie, auf die „permanente Revolution“ als Zielpunkt hoffend, sah sich im Nebeneinander des Verschiedenen bestätigt. Als ewiger Flaneur bewegt sich in Benjamins Welt ein Individuum, das noch an Zukunft glaubt.

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Kaufhäuser verändern aber das (Kauf-)Verhalten der Menschen. Denn bei ihnen herrscht kein Kaufzwang, vielmehr wurde das Recht auf Umtausch sogar vom französischen Kaufhaus-Gründer Aristide Boucicaut eingeführt. Ihm gehörte das „Bon Marché“ in Paris, und er machte gute Geschäfte mit der Neuerung. Denn der psychologische Druck zu kaufen wird allein von der Vielzahl der Angebote, darunter auch Verlustgeschäfte als Lockmittel, aufrecht erhalten. Erst das Internet und seine bequeme, unverbindliche Art einzukaufen sprengten diese Macht der Warenhäuser.
Jetzt zerbröselt der Mythos Kaufhaus als Opfer der Immobilienspekulation. René Benko gehören seit Jahren die meisten Kaufhäuser in Deutschland. Aber tragfähige Konzepte setzte er nicht um. Die Tode der traditionsreichen Karstadt-Häuser in der Hamburger Mönckebergstraße und am Münchner Stachus gehen auf sein Konto – Benko ließ sie in der Corona-Zeit schließen. Und das, obwohl zum Beispiel der Vermieter vom Mönckeberg-Karstadt bereit war, während der Lockdowns auf die Pacht zu verzichten. Benko kannte kein Erbarmen, sondern nur sein Kalkül auf Abriss und neue Bebauung in den guten Lagen. Daraus wird nun eh nichts mehr.
Vom Kaufhaus-Käufer zum Kaufhaus-Killer: Mehr als 11.000 Mitarbeiter und Millionen von Kunden bangen um die Existenz der Benko-Häuser. Wenn sich keine neuen Investoren findet, wird man sie wohl alle schließen. Von Benko unabhängig, sind auch die Tage der illustren Galeries Lafayette in Deutschland schon gezählt: Der US-amerikanisch-jüdische Geschäftsmann Tishman Speyer, Eigentümer des Grundstücks und der Immobilie in der Berliner Friedrichstraße, kündigte das Mietverhältnis mit den Franzosen zum Jahresende 2024.
Auffallend schnell meldete sich der Berliner Senat mit der Idee, dort die Landesbibliothek einzurichten. Als sei eine große Bibliothek in digitalen Zeiten keine Totgeburt. Dabei hat der Senat wohl nicht mal das Vermögen von fast 600 Millionen Euro für den Erwerb übrig. Kaufkraft für die umliegenden Nobelgeschäfte wird eine Bibliothek auch nicht anlocken.

Auch der Seiteneingang vom Weddinger Karstadt in Berlin lockt zum letzten Aufgebot. Foto: Gisela Sonnenburg
Den Verlust des kauffreudigen Publikums fürchtet man überall, wo Kaufhäuser schließen. So reißt René Benko in vielen Städten eine ganze Einkaufskultur mit sich in den Abgrund. Ein einzelner Mensch machte nach und nach platt, wofür sich Generationen abgerackert hatten – jetzt hängen die Reste am seidenen Faden.
Es zerreißt einem das Herz, wenn man die abgeräumten, leere Regale eines sterbenden Kaufhauses sieht. Es ist, als wollten sie sagen: „Hier waren Menschen mal glücklich, aber das ist unwiderruflich vorbei.“ Schuld daran ist die ungerechte Verteilung der Güter. Das Vermögen von Benko wurde 2021 vom amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes auf 5,6 Milliarden Dollar geschätzt. Wie genau er dieses erst gemacht und dann durchgebracht hat, ist unklar. Spekulationen sind selten transparent. Aber sogar der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz vermeldet jetzt, Benko habe Schulden in Millionenhöhe bei ihm.
Forbes nahm René Benko mittlerweile von der Liste der Milliardäre. Seine hochwertige Kunstsammlung sowie eine Luxus-Yacht bot Benko schon Ende November 2023 zum Kauf an, um rasch zu Geld zu kommen. Damals begann sein aus vielen Firmen collagierter Konzern, in die Insolvenz zu gehen. Eine Ehrung auf Stadtplänen wird man Benko wohl nie zugestehen. Aber der jüdische Kaufhaus-Besitzer Heinrich Grünfeld und seine Familie wurden kürzlich so geehrt: Der frühere Joachimsthaler Platz am Ku’Damm in Berlin wurde etwas despektierlich in „Grünfeld-Ecke“ umbenannt. Direkt gegenüber steht übrigens ein Textilkaufhaus: ein klassischer Konkurrent der Gattung Warenhaus.

Noch einmal gucken gehen… Noch gibt es Karstadt im Wedding in Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg
Dabei sind die Vorzüge eines gemischten Kaufhauses tatsächlich unübertrefflich. Zum einen kann hier die beste Möglichkeit bestehen, Leistungen und Preise von verschiedenen Herstellern und Labels zu vergleichen. Zum anderen kann man im Nu den Verkaufsbereich wechseln – und befindet sich dank einer Rolltreppe oder eines Fahrstuhls in einer komplett anderen Warenwelt. Auf vergleichsweise engem Raum und ohne kilometerlange Shopping-Märsche durch Mall-Gassen oder Einkaufsviertel hat man schnell alles beisammen, was man sucht. Oder man kennt zumindest die Angebote des schnell Verfügbaren.
Und es gibt einen weiteren, unschlagbaren Vorzug in unserer zunehmend digitalen Welt: Man kann im Kaufhaus tasten, riechen, anprobieren, bevor man kauft. Von daher ist eigentlich unverständlich, wieso gerade heute Kaufhäuser keine Erfolgsmodelle sein sollen. Allerdings muss das Verkaufsprofil den Kundenwünschen angemessen sein. Und daran hat es unter Benkos Regime arg gehapert. Denn nur auf Billigware einerseits und auf Superluxus andererseits zu setzen, kann nicht funktionieren. Die Mehrheit will bezahlbare Qualität – auch wenn es mühsam ist, diese im Großhandel zuverlässig aufzutreiben.
„Ich habe nichts zu sagen, nur zu zeigen“, so überspitzt Walter Benjamin in seinem „Passagen-Werk“ die Philosophie des Verkaufs. René Benko hat nun langfristig nicht mal mehr das im Angebot. Der Kapitalismus, der sich mit der Erfindung von Kaufhäusern große Vorsprünge zum Einzelhandel sicherte, vernichtet jetzt seine hehren Tempel, um sie selbst dem Gott des Geldes zu opfern.
Ob es im Deutschland der Zukunft überhaupt noch gemischte Kauf- und Warenhäuser geben wird, ist ungewiss. Es triumphieren neue Lobbyisten, und deren Spielregel lautet: Nur noch der rasche Profit zählt. Die größten finanziellen Zuwächse verzeichnen in Deutschland derzeit übrigens die Rüstungsindustriellen und die Energiekonzerne.
Der Waffenhersteller Rheinmetall nennt etwa 7,5 Milliarden Euro als avisierten Umsatz für dieses Geschäftsjahr. Und allein der Stromhändler RWE verzeichnete mit 3,4 Milliarden Euro in 2023 mehr als doppelt soviel Netto-Gewinn wie im Vorjahr. Ohne die Politik der aktuellen Bundesregierung wären beide Ergebnisse wohl nicht denkbar. Für die Rettung der Kaufhäuser scheint der Staat allerdings deutlich weniger Interesse aufzubringen.
Gisela Sonnenburg