Man muss sich wundern. Wenige Tage nach der Bundestagswahl zeigt die Hamburgische Staatsoper unbotmäßig Flagge und nutzt eine Möglichkeit, die der wirtschaftsversessene Hamburger Senat ihr eröffnet hat: Ab dem 1. November 2021 dürfen nur noch Geimpfte und Getestete ins Opernhaus. Das so genannte 2-G-Modell gilt in Hamburg bereits seit Wochen für etliche Restaurants und Gastronomiebetriebe, auf freiwilliger Basis der Betreiber. Jetzt hat sich auch die Oper entschieden: Ja, wir wollen mehr Freiheiten für weniger Menschen! Und die Oper lockt mit fragwürdigen Freiheiten als Belohnung für die Impfung: Es wird keinen Maskenzwang und kein Distanzgebot mehr geben, weder im Foyer noch auf den Toiletten noch im Zuschauersaal. Es wird also wieder reichlich Gedrängel ohne Mund-Nasen-Schutz geben – und die bei Viren aller Art beliebten voll besetzten Zuschauerreihen. Oh je! Das gilt übrigens auch für die Vorstellungen der „Jungen Choreografen“ in der Opera Stabile, der kleinen Zweitbühne des Hauses. Scheinstrenge könnte man das nennen. Man sperrt einen großen Teil der deutschen Bevölkerung – immerhin sind mehr als 30 Prozent derzeit nicht geimpft – aus, um unter sich sozusagen die Sau rauszulassen. Prost! Da mag es doch kein Zufall sein, dass Ballettintendant und Co-Geschäftsführer John Neumeier mit dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ziemlich gut befreundet ist. Fakt ist: Das Hamburg Ballett, das derzeit in Baden-Baden gastiert und sich dort für die Planung eines neuen Tanzfestivals in Baden-Baden feiern lässt, bietet in Hamburg künftig nicht mehr allen Steuerzahler:innen seinen erfreulichen Anblick.
Wenn das kein Impfzwang für Hamburger Ballettfans ist – was dann?
Nicht beachtet wird bei solchen Entscheidungen, dass der Anteil der Überträger:innen von Covid-19 unter den Geimpften deutlich höher ist als unter den Getesteten. Wenn man konsequent wäre, müsste man also Geimpften auch einen Test abverlangen, um ihren aktuellen Status möglichst sicher zu bestimmen.
Stattdessen werden in Hamburg nun all jene, die geimpft oder genesen sind, mit der Möglichkeit, sich zu infizieren, belohnt. Ein tolles Ding!
Und all jene, die sich nicht impfen lassen wollen oder können, werden einfach ausgesperrt. Mehr als 30 Prozent sind das derzeit. Von ihnen sind bei weitem nicht alle so genannte Querdenker:innen, sondern darunter sind viele Allergiker:innen und auch Impfgeschädigte. Sie können sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen.
Die hanseatische Ballettkultur ist indes bald nicht mehr für alle da, auch nicht für alle Steuerzahler:innen, sondern nur noch für jene, die sich dem Diktat der Politk und der Pharmaindustrie ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit und Befindlichkeit beugen.
Ist das nun eine neue Facette des Hamburger Snobismus oder einfach nur ekelhaft?
Aufklärung mit dem Ziel, dass sich die Leute freiwillig impfen lassen, sieht jedenfalls anders aus.
Die Entscheidungsträger:innen können sich gegenseitig feiern: Sie setzen sich ohne Rücksicht auf Verluste im sensiblen Bereich einfach durch. Mit den Steuergeldern von allen, wohlgemerkt.
Übrigens: Erkrankungen an Long Covid, also an den langwierigen Nachwirkungen von Covid-19, betreffen auch infizierte Geimpfte, die einen milden Verlauf hatten. Wenn auch selten.
Nun haben Bühnenkünstler:innen und Politiker:innen ja etwas gemeinsam: Sie sind körperlich meist überdurchschnittlich robust.
Sie setzen sich denn auch nicht für die körperlich Empfindlichen ein, sondern für jene, die selbst robust sind.
Da wird eine Corona-Infektion mit Impfstatus mal eben auf die leichte Schulter genommen.
Das ist, wenn man es genau betrachtet, fahrlässig.
Aber dafür darf ja das Opernhaus wieder voll ausverkauft sein.
Dem finanziellen Denken wird also alles untergeordnet?
Die Kontaktpersonen, die sich bei einem geimpften, frisch infizierten Opern- oder Ballettfan anstecken, werden sich bedanken.
Gisela Sonnenburg