News On and Off Von John Neumeier über Ralf Dörnen bis zum Staatsballett Berlin und dem Norwegian National Ballet: Ballettöse Neuigkeiten aus dem In- und Ausland, aus dem Online- und Offline-Bereich

Abgespeckt und zugelegt: Ralf Dörnen, Chef vom BallettVorpommern, hat gesunderweise abgenommen, seine Karriere aber beschleunigt: 2021 wird er Intendant der Theater Vorpommern. Herzlichen Glückwunsch! Foto: Mario Perricone

Karrieren gehen hoch und runter, Highlights finden ihren Weg und auch ihr Ende. Und wo immer Dinge vorwärts gehen, muss man manchmal auch zurückblicken, um die wahren Schätze zu entdecken. Als Personalie ist taufrisch zu vermelden, dass Ralf Dörnen, Ballettchef vom BallettVorpommern, ab Sommer 2021 Intendant der Theater Vorpommern wird und also den gesamten Spielplan des Hauses gestalten darf. Herzlichen Glückwunsch! Endlich erklimmt mal ein gebildeter Ballettmensch auch andere Höhen als die aus dem Ballettsaal. Dörnen, vor Ort seit 1997 als Ballettdirektor bekannt, setzte sich gegen 54 Mitbewerber durch. Seit 2005 erhielt der vormalige Hamburger Tänzer diverse Preise aus der Region, so – 2016 – den Kulturpreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Man darf gespannt sein, wie sich die Theaterlandschaft in Greifswald und Stralsund, den beiden Wirkungsstätten des Ensembles, unter seiner Ägide entwickeln wird. Vorher sollte man aber unbedingt online gehen und die sehr gelungene Doku „Nijinsky & Neumeier – Eine Seelenverwandtschaft im Tanz“ von Annette von Wangenheim über Dörnens ehemaligen Chef John Neumeier ansehen. Sie stammt von 2009, hat an Flair und Bedeutung aber nichts verloren. Exklusiv ist sie kostenlos als Video on demand beim hamburgballett.de zu sehen, noch bis zum 16. Mai (16.30 Uhr) und dann wieder vom 23. Mai (16.30 Uhr) bis zum 25. Mai 2020 (16.30 Uhr. Abschied nehmen heißt es hingegen von den charmanten, inspirierenden, aufrüttelnden Trainings vom Norwegian National Ballet, sofern man nicht zu den Glücklichen dieser sonnigen Company zählt.

Denn die „Ersatz-Klasse“, die Jahn-Magnus Johansen dort täglich wie eine open class via Facebook online gab, live, mit Piano-Musik und manchmal mit tänzerischer Begleitung für die Anschauungskraft, fand heute zum letzten Mal statt. Die Studios in Oslo öffnen sich nämlich wieder für die Power der Company.

Ingrid Lorentzen, Ballettchefin vom Norwegian National Ballet in Oslo, mit ihren Online-Class-Helden: top! Videostill von Facebook: Gisela Sonnenburg

Ballettchefin Ingrid Lorentzen – seit 2012 in ihrem Job und eine der sympathischsten Ballettchefs, die man je gesehen hat – bedankte ihre „Helden“ (die sie zurecht so nannte) für die wochenlange Online-Arbeit mit Blumen, natürlich live vor der Kamera, die Nicolai Nishino-Ekeberg geführt hat.

Wirklich: Einen so mitreißenden Trainingsmeister wie Johannsen gibt es selten, und Ingrid Lorentzen mit ihrer fröhlichen, unverkrampften, herzlichen, aber dennoch höflichen und kultivierten Art kann sich wahrlich international blicken lassen.

By the way: Endlich mal eine Dame, die sich auch in einem Chefposten traut, ein schönes Dekolleté zu zeigen!

Und sie kann stolz sein auf ihre Jungs, die mit ihrer Kunst und ihren Fertigkeiten, mit ihrer Zuverlässigkeit und Sorgfalt vielen von uns die bittere Corona-Zeit versüßt haben.

Ob es die weltweit viel Zuspruch findenden Classes künftig als historische Dokumente oder einfach als Trainingsansporn via youtube oder im Verkauf geben wird, steht noch nicht fest. Die Hoffnung… nun ja, stirbt zuletzt.

Und wie Johansen zum Ade sagte: „Wer weiß, wann wir wieder streamen werden!

Überhaupt sollten unsere Compagnien daran denken, dass es nicht wenige Tänzer, Laien und Ex-Tänzer gibt, für die das in Corona-Zeiten notwendige Home ballet sowieso auf der Tagesordnung steht. Hilfreiche, gut gelaunte Anleitungen wie die von Johannsen aus Oslo sind da immer willkommen!

Superschöne Linien gibt es auch wieder in den Studios vom Staatsballett Berlin: Hier rechts im Bild ist Primaballerino Dinu Tamazlacaru bei einer feinen Arabeske zu sehen. Videostill von Facebook: Gisela Sonnenburg

Da könnte auch das Staatsballett Berlin (SBB), das seinen Trainingsbetrieb im Ballettzentrum just kürzlich auch wieder aufnahm, vielleicht ein neues Feld der Education befüllen.

Die Bilder vom Abholen von bunten Masken und folgenden feinen Arabesken im Tom-Schilling-Studio machten jedenfalls Mut: Es tut gut zu sehen, dass die Koryphäen der Klassik und Moderne ihre gute Form nicht verloren haben.

Dass solche Trailer vom SBB mit banaler Blubbermusik vom Synthi statt mit hochwertigen Klängen unterlegt sind, lässt die Firma allerdings etwas provinziell wirken. Bei der Optik gibt man sich doch auch Mühe – warum nicht auch bei der Akustik?

Ebenfalls wieder zurück im Ballettsaal ist das Semperoper Ballett in Dresden, das größtenteils mit Masken trainiert. Vorsicht mit der zarten Haut vorm Hitzestau unterm Mundschutz!

Das Semperoper Ballett in Dresden konnte dem Publikum schon frohgemut seinen Wiedereinzug in den Ballettsaal verkünden. Mit Maskenschutz und schönen, elegant gebliebenen Beinen! Videostill von Facebook: Gisela Sonnenburg

Fürs Publikum bleiben allerdings die Online-Videos das Beste dieser Zeit, darum sollte man sie genießen!

Beim Hamburg Ballett folgen noch weitere Streamings: „John Neumeier at Work“ (Rezension bitte hier), vom 21. Mai bis zum 30. Mai 2020.

Und: „John Neumeier – Unterwegs“ (Rezension bitte hier) vom 28. Mai bis zum 6. Juni 2020.

Leslie Heylmann und Alexandre Riabko in „Le Pavillon d‘ Armide“ von John Neumeier, so anmutig zu sehen in „Nijinsky & Neumeier“ vom WDR, derzeit als Stream beim Hamburg Ballett. Videostill: Gisela Sonnenburg

Die lächerlichen Videoclips zu den Themen „Händewaschen“ und „Zahnbürste“ unter dem hochtrabenden Titel „BJB Domestic Choreography“, die das dafür ganz schön überbezahlte Bundesjugendballett (BJB) nach zwei Monaten Corona-Pause von sich gab (sie stehen auf youtube) sind indes getrost zu ignorieren.

Wenn künstlerische Leiter nicht genügend Verstand haben, um Mini-Ballette als home dance zu konzipieren, sollten sie sich dafür vielleicht jemanden von außen holen. Aber solche peinlichen Selbstdarstellungsshows ihrer Tänzer sollten sie dem Publikum ersparen. Sie bilden das bisherige ballettöse Tief in der Corona-Zeit.

Zur Erklärung: Der Clip „BJBathe Your Hands“ führt Händewaschen ohne Seife vor, was derzeit ziemlich sinnlos ist, denn nur die Seife knackt die Hülle des Covid-19-Virus.

Im Clip „BJBrush Your Teeth“ wird die Zahnbürste vermutlich als Symbol fürs dauererigierte Ego verwendet. Man wundert sich, weil hier jegliche Kreativität in den Bewegungen einem ziemlich deutlichen Stumpfsinn gewichen ist.

Leider passt das haargenau zu der Entwicklung, die das Bundesjugendballett in den letzten zwei Jahren genommen hat – das Modell hochkarätiger Kunst im Kleinen ist unter den dort gegebenen Umständen des Populismus und der Oberflächlichkeit wohl schlicht und ergreifend aufgebraucht. Da ändert auch kein Preis, den Super-Promi John Neumeier als Intendant seiner Mini-Truppe zugeschanzt hat, irgendetwas dran.

Lucia Lacarra postet auf Facebook zu ihrem Foto: „I bend so I don’t break.“ Wie wahr! Bei der aufregendsten aller Ballerinen zu gucken, lohnt sich übrigens immer! Faksimile von Facebook: Gisela Sonnenburg

Dafür lohnt es sich derzeit aber immens, auf youtube, Facebook und Instagram nach diversen Kurzvideos und Clips von anderen Tänzern zu stöbern, deren Leiter sich zwar nicht für die Elite der Menschheit halten, die dafür aber Sinn, Schönheit und Humor vermitteln können.

Tänzer und Tänzerinnen, Tanzstudenten und Tanzstudentinnen, Compagnien, Schulen und Tanzfamilien aus dem In- und Ausland – darunter die Pariser Opéra und Misty Copeland aus New York City – schaffen es so, mit sehr viel Esprit die harten Corona-Zeiten erträglich zu machen. Danke an sie alle!
Gisela Sonnenburg

www.hamburgballett.de

 

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