Ein Stern unter Sternen jetzt Die Hamburger Ballettmeisterlegende Leslie McBeth verstarb

Leslie McBeth verstarb

Die legendäre Ballettmeisterin Leslie McBeth: 2015 beim Hamburg Ballett lässig auf den glänzenden Flügel im Ballettsaal gelehnt und von Holger Badekow mit der Kamera portraitiert.

Die kalifornische Sonne trug sie im Herzen. Ihre Arbeit aber strotzte nur so vor Stil und Menschlichkeit, und gerade diese Mischung war es, die Leslie McBeth zu einer einmalig strengen, zugleich schier unendlich hilfreichen Ballettmeisterin machte. 2003 hatte John Neumeier sie zwecks Trainingsleitung und Beprobung zum Hamburg Ballett geholt. Als Solistin hatte sie zuvor beim Stuttgarter Ballett unter anderem die Rolle der Prudence in Neumeiers „Die Kameliendame“ mit vollendeter Eleganz und dennoch dramatischen Spiel getanzt. Gecoacht hat sie später aber auch die ganz großen Rollen, und Generationen von Hamburger Ballerinen und Tänzern verdanken Leslie das Wissen um die jeweiligen Rollengestaltungen. Am 11. August 2025  verstarb sie, ganz unerwartet – und viel zu früh. Nur ein knappes Jahr war sie aus der täglichen harten Knochenarbeit im Ballettsaal heraus, arbeite nurmehr freiberuflich. Und da gab es Pläne, die jetzt nicht mehr existieren. Leslie McBeth Commelin, die Witwe des Choreografen Jean-Paul Commelin, hinterlässt eine Schwester und eine Tochter – und eine sehr große Gemeinde von Menschen, die wissen, dass sie ihr mit die besten Momente ihres Lebens zu verdanken haben.

Ich habe sie mal gefragt, was sie an ihrer beruflichen Position besonders mochte. Sie überlegte einen Moment, legte dann den Kopf spitzbübisch zur Seite und lächelte hintergründig. „Ich finde es so toll, dass ich bei John Neumeier immer meine ganz ehrliche Meinung sagen kann“ – wirklich, das sagte sie. Und diesen Satz meinte sie zugleich sehr ernst und verlieh ihm auch eine ironische Note. Denn einerseits musste sie ihre Meinung sagen, nämlich bei den Proben, vor allem auch, wenn es ums Detail ging. Unbestechlich musste sie da sein und musste auch Tänzer, die ihr supersympathisch waren, anhalten, sich noch mehr anzustrengen. Andererseits gab es bei John Neumeier nie die Möglichkeit, in eine andere Richtung zu gehen, als es von ihm für sein Werk verlangt wird. Den Tänzern zu helfen, Neumeiers Stilistik zu wahren und wiederzugeben, ist auch jetzt die Hauptaufgabe der Ballettmeister vom Hamburg Ballett. Die Trainer und Coachs sind da nun mal verantwortlich.

"Chopin Dances" von Jerome Robbins beim Hamburg Ballett

In Starbesetzung premierte 2010 der Abend „Chopin Dances“ beim Hamburg Ballett. Leslie McBeth leitete viele maßgebliche Proben. Hier ein Blick ins Programmheft von damals, links mit Hélène Bouchet und Edvin Revazov. Fotos: Holger Badekow – Faksimile: Gisela Sonnenburg

Die Prima Hélène Bouchet probte im November 2010 mit Leslie McBeth und Edvin Revazov als Partner einen Pas de deux für „Dances at a Gathering“ von Jerome Robbins. Hélène monierte, am Boden mit einem halben Spagat beschäftigt, dass ihr das Knie weh täte. Oh, Leslie stimmte sofort ein: Das kenne sie gut, vor allem, wenn sie die Treppen herunterginge. Und sie wusste genau, was sie tut: Sie machte der Tänzerin Mut, zeigte Empathie, zugleich aber auch Härte, denn selbstverständlich wurde die Probe nicht unterbrochen. Wenn mal was schmerzt, gehört das heutzutage fast zum Alltag im Profiballett. Anders sind die oftmals schier übermenschlichen Leistungen, die im echten Spitzenballett seit einigen Jahrzehnten verlangt werden, nicht zu bekommen.

Auch Leslie kam manchmal an ihre Grenzen, kompensierte das mit Essen und Rauchen und bekam eine ungesunde Gesichtsfarbe. Mal war sie stark übergewichtig, dann wieder hungerte sie sich schlank. So große Gewichtsunterschiede in relativ kurzer Zeit sind sehr ungesund, generell. Und wenn sich dann noch Kummer dazu gesellt, etwa über eine Ballettmeisternachfolge, die geeignet ist, das Lebenswerk einer Leslie McBeth in Sachen der durchgestylten Körperlinien vom Hamburg Ballett zu zerstören – dann wundert einen leider gar nichts mehr.

Leslie McBeth kam nicht als Berufsanfängerin zu Neumeier. Seit 1996 schon hatte sie beim Alberta Ballet in Calgary (Kanada) als Ballettmeisterin gewirkt. Auch als Tänzerin war sie zuvor nicht nur in Deutschland tätig. Sondern sie war eine der internationalen Seelen, die über die Kunst mit den Orten verbunden sind, an denen sie sich aufhalten.

Leslie, in Kalifornien aufgewachsen, lernte den professionellen Auftritt in New York, an der School of American Ballet. Damit wurde eine solide Grundlage für ihre Stilsicherheit gelegt. In fünf Compagnien, darunter bei Roland Petit in Marseille und in Neumeiers Geburtsstadt Milwaukee (USA), tanzte sie – auch als Erste Solistin – bevor sie nach Stuttgart kam. Der Stil von John Cranko, der dort die lokale Besonderheit ausmacht, hat ihr ebenfalls gelegen.

"Nijinsky" von John Neumeier beim Semperoper Ballett

Moisés Carrada Palmeros tanzt in Dresden in „Nijinsky“ von John Neumeier den „Goldenen Sklaven“ zur Musik von „Scheherazade“ von Rimsky-Korsakow. Foto vom Semperoper Ballett: Admill Kuyler

Einstudiert hat sie später vor allem die Werke von John Neumeier, und zwar in Hamburg, aber auch in vielen anderen Städten und Ländern. Von München über Kopenhagen bis Frisco, von Oslo über Toronto bis Moskau. Überall ließ Leslie ein Stück Seele im Ballettsaal zurück; das war positive, aber zielstrebige Energie.

Der gelungene „Nijinsky“ beim Semperoper Ballett in Dresden zu Beginn dieses Jahres war zu einem großen Teil ihr Erfolg. John Neumeier hatte sie nicht ohne Grund ausgewählt, um dieses Megaballett von ihm aus dem Jahr 2000 in Dresden, wo es jetzt neu im Repertoire ist, mit ihm zusammen einzustudieren. Und zwar gleich in vier Besetzungen – rekordverdächtig.

Man hoffte, Leslie McBeth, diese wirkliche Grande Dame, gerade jetzt in naher Zukunft, da das Hamburg Ballett just durch eine harte Krisenzeit ging, wieder öfters mit den Hamburger Tänzern arbeiten zu sehen. Diese Hoffnung wird sich nicht mehr bewahrheiten.

Aber dafür wird wahr, was ihre Schwester Jodie Gates gepostet hat: „Leslie, du wirst immer ein Teil von uns sein, uns Schritt für Schritt den Weg leuchten und unser Leben mit Liebe erfüllen.“ Wir rufen Dir ein sanftes DANKE nach, liebe Leslie! Mögest Du unter Sternen wandeln, selbst ein  Stern…
Gisela Sonnenburg

Die Hamburger Ballettmeisterlegende Leslie McBeth verstarb

Im Bild von 2024 schaut sie schon sehr ernst drein: Leslie McBeth, Ballettmeisterin von Neumeiers Gnaden – und eine Legende an weiblicher Führungskraft. Foto: Kiran West

 

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