KritikerinnenTräume Lucia Lacarra übernimmt 2018/19 in Madrid das Victor Ullate Ballet – und beginnt fulminant ihre zweite Karriere, ohne ihre erste als Jahrhundertballerina abzubrechen. Da kommen einer Kritikerin Ideen...

Lucia Lacarra geht nach Madrid

Lucia Lacarra, hier nach einem umjubelten Auftritt, kann froh in die Zukunft sehen – und Madrid, was Ballett angeht, ebenso. Foto: Gisela Sonnenburg

Endlich! Schon lange steht die Jahrhundertballerina Lucia Lacarra auf der Eventuell-Liste für einen Job als Ballettchefin, und nicht wenige wünschten sie sich – das Ballett-Journal eingeschlossen – als Direktorin vom Bayerischen Staatsballett. Denn dort hat sie vierzehn Jahre als Erste Solistin, als Superstar und Zugpferd der Truppe auf der Bühne gewirkt. Enorm stark ist Lacarra aber auch in der verbalen Vermittlung von Ballett: Sie kann als eine der wenigen Ballettkünstler mit sehr viel Bildung anspruchsvoll und doch verständlich, klar und empathisch zugleich über die Inhalte von Ballettabenden sprechen kann. Das wird sie nun ab 2018/19 in Madrid machen, als neue Künstlerische Leiterin des renommierten Victor Ullate Ballet. Wir freuen uns mit Lucia und senden ihr alle guten Wünsche dieser Welt! Selten ist ein Aufstieg in der Ballettwelt so sehr verdient, selten hat man so viel Grund, sich darüber zu freuen.

Nicht nur, dass sie weiterhin auch tanzen wird. Das ist allerdings deshalb so wichtig, weil La Lacarra eine in Statur, Flair und Bewegungskunst eine so hoch entwickelte Kunstform vertritt, dass man sagen könnte: Ohne Lucia Lacarra würde dem zeitgenössischen Ballett eine der prägnantesten Spitzentanzinterpretin der Geschichte fehlen.

Diese Kunst will man weiterhin sehen, davon will man auch nicht einfach irgendwann abrücken. Denn man weiß, dass diese Ausnahmefrau eine ganz besondere Methode finden wird, künstlerisch mit den Veränderungen des Älterwerdens umzugehen. Darauf ist man gespannt, und man überlegt im Geiste, wie andere große Ballerinen vor ihr – etwa Marcia Haydée, Alicia Alonso und Margot Fonteyn, aber vor allem auch Maja Plisetzkaja einen solchen Weg gegangen sind.

Das zusätzlich Besondere an Lacarra ist aber, dass sie hoch begabt darin ist, Sachverhalte zu verbalisieren. Eine Befähigung, die auf den ersten Blick nachgerade im Widerspruch zur wortlosen Kunst des Tanzes steht und über die nur wenige in der Ballettwelt verfügen.

Lucias Interpretation der „Kameliendame“ von John Neumeier ist als Tanz eine poetische Sensation – und wenn sie diese Rolle, die sie zwölf Jahre lang in München getanzt hat, erklärt, dann ist das, als habe Neumeier sie in einem telepathischen Akt zu seiner Dramaturgin erkoren.

EINE TRAUMHAFTE KARRIERE

Dass sie rund um den Erdball Tanzerfahrung sammelte und sammelt – sie und ihr Ehemann, der Primoballerino Marlon Dino, der wie sie sieben Sprachen spricht, gastieren seit Jahren beständig auf den Galas dieser Welt – und dass sie dabei auch Beobachtungen machte, die andere nicht machen, stärkt ihr Profil als Leitfigur und Anführerin.

Die harte Arbeit, die Lacarra ihr Leben von Kindesbeinen an begleitete, trägt somit nicht nur in ihrem Künstlersein Früchte. Sie hat sich auch als Persönlichkeit und Entscheidungsträgerin entfaltet – und man sieht nun, wie richtig es war, dass sie sich und Marlon Dino in München vertragsmäßig niemals einengen ließ. Ihre Karriere ist endlich wirklich traumhaft, in dem Sinne, dass alle Saaten aufgehen. Ihr Töchterchen kann stolz auf diese Mami sein – und auch auf einen modernen Vater, der, wie Dino, kein Problem damit hat, dass seine Frau eine Überfliegerin ist!

Kürzlich triumphierte Lucia tänzerisch in Madrid, als Victor Ullates neue „Carmen“: im schwarzen Mieder, mit elegant-laszivem Output. Dem durchaus bedeutenden Carmen-Entwurf von Roland Petit wurde so eine Weiterentwicklung, ja eine Überhöhung zuteil, die sich ihm gleichermaßen stolz entgegen setzt.

Lucia, bald 43, arbeitete zwar auch lange intensiv mit Petit in Marseille. Aber ihre Wurzeln als prägnante Ballettkünstlerin liegen tatsächlich bei Ullate in Madrid. In seiner Schule wurde sie entdeckt, hier wurde ihr spezifisches Temperament in die Form des Balletts gegossen – unter der Formung und Inspiration durch Victor Ullate entstand dieses im Tanz so fantastische, rückhaltlos hinreißende, schier vollendete Wesen, das wir immer und immer wieder sehen wollen.

Lucia Lacarra geht nach Madrid

Lucia Lacarra als Kunstwerk im Kunstwerk, mit surreal anmutenden Reflexen auf dem Rahmenglas: Dieses Bild von Lucia hängt im Nationaltheater in München, wo das Bayerische Staatsballett den Großteil seiner Auftritte absolviert. Die Szene entstammt John Neumeiers „Illusionen – wie Schwanensee“; Lacarra lernte diese Variante der Schwanenprinzessin, also die ganze Partie, an einem Nachmittag. Foto: Gisela Sonnenburg

Es ist eine vorzügliche Sache, dass Lacarra nun Ullates Erbe übernehmen und pflegen wird. Sie wird es gut machen, und sie wird vieles zeigen, das sie vielleicht schon kann, aber noch nie machen durfte. Sie wird der Compagnie einen neuen Drive geben, ohne deren junge Tradition zu vergessen. In Madrid hat man darum wahrlich Grund zur Freude!

Als Victor Ullate, 70-jährig, jüngst in Berlin war – sein famoser „Don Quixote“ premierte im Februar in der deutschen Hauptstadt und wurde auf Anhieb zu einem Mega-Erfolg fürs Staatsballett Berlin – hoffte man, auch Lucia Lacarra anzutreffen. Denn man hat Träume, und in denen übernimmt Lacarra von Sasha Waltz und Johannes Öhman das Ruder, um der erstklassigen Berliner Balletttruppe jenen Auftrieb und jenen Ansporn zu geben, den sie verdient hat.

Dazu muss man sie in Madrid allerdings auch mal wieder loslassen…

TRÄUME AUCH FÜRS STAATSBALLETT BERLIN 

Derweil darf man fürs Staatsballett Berlin ungehindert träumen. Mir liegen da ein paar Vorschläge auf der Zunge:

Man könnte David Dawson bitten, ein Berliner Ballett zum Thema Bücher zu machen. Das kann dann ruhig ins Märchenhafte gehen.

Lucia Lacarra unterstützt meine Bitte ausdrücklich, dass man dem Ballett-Journal spenden sollte! Es ist zwar in Deutschland noch ungewöhnlich, für journalistische Projekte Geld zu geben, aber wenn man die Medienlandschaft um das Ballett-Journal ergänzt sehen möchte, bleibt keine andere Möglichkeit. Im Impressum erfahren Sie mehr. Dankeschön – Ihre Gisela Sonnenburg 

Und Mauro de Candia sollte sich eine Komödie vornehmen, von Bertolt Brecht. Da kann man dann musikalisch und stilistisch auch wild aufdrehen, etwa in „Puntila und sein Knecht Matti„.

Der Spieler“ – den sollte Ratmansky kreieren, nach dem Roman von Fjodor M. Dostojewski, mit russischer Musik u. a. von Balakirew, Medtner, Glasunow und Schostakowitsch.

A propos Glasunow, ach, seine „Raymonda“ ist doch topaktuell, mit dieser Angst der Menschen, ihre Identität zu verlieren…

Aber erstmal wird Lucia Lacarra sich in Madrid etablieren, einen neuen Wohnsitz hat sie schon. Und wir dürfen frohgemut mit ihr in die Zukunft schauen. Es geschehen nämlich noch Wunder und Zeichen. Herzlichste Glückwünsche!
Gisela Sonnenburg

 

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