Versuchung, Verflechtung, Verneinung Eine seltene Mischung zeigt das Bayerische Staatsballett mit dem Programm „Duato/Skeels/Eyal“

Madison Young unter dem pudrigen Wasserfall, der in „White Darkness“ von Nacho Duato den Drogenkonsum symbolisiert. Foto vom Bayerischen Staatsballett: Nicholas MacKay

Schöne traurige, manchmal aber auch schelmisch drein schauende Augen. Ein großflächiges Gesicht mit einer prägnanten Nase darin. Dazu eine hoch gewachsene Statur sowie edel geformte, dennoch kräftige Hände mit kultivierter  Gestik. Er ist nicht nur künstlerisch, sondern auch persönlich unverwechselbar: Nacho Duato ist der große Melancholiker unter den Starchoreografen. Der Spanier durchleidet die Welt und weiß seinen Kummer, mitunter mit schwarzem Humor gespickt, gekonnt in Tanzsprache zu fassen. Beim Staatsballett Berlin war er von 2014 bis 2018 Ballettintendant, seit 2019 ist er wieder – wie zuvor – künstlerischer Leiter des Balletts am Mikhailovsky Theater in Sankt Petersburg. Jetzt eröffnet Duatos moderner Klassiker über den Drogentod „White Darkness“ das neue Programm „Duato/Skeels/Eyal“ beim Bayerischen Staatsballett in München – und somit zugleich die diesjährige Ballettfestwoche. Es ist ein berührend-aufrüttelndes Stück, das in Deutschland außer in Berlin auch schon beim Semperoper Ballett in Dresden zu sehen war. Die Selbstüberschätzung und der Selbstverlust durch Drogenkonsum, die hier tänzerisch bebildert sind, machen nachdenklich, zumal sie – und auch das ist dem Ballett ablesbar – in der Gesellschaft viel tiefer verankert sind, als gemeinhin angenommen. Nach diesem grandiosen Einstieg haben es die folgenden beiden Stücke etwas schwerer: Der US-Amerikaner Andrew Skeels lässt in „Chasm“ („Riss“) eine Sci-Fi-Gesellschaft in einer Höhle leben, ausbrechen und dennoch untergehen – eine skurril-negative Zukunftsfantasie. Es ist die Uraufführung des Abends. Die Israelin Sharon Eyal wiederum kümmert sich erwartungsgemäß gar nicht um den Krieg ihres Landes in Gaza gegen Palästina, sondern flüchtet wie stets in bekannte ritualhafte Bewegungsmuster der Sinnleere, die sie dieses Mal „Autodance“ nennt und, wie so oft, von Gai Behar hat mitchoreografieren lassen. Im Vergleich zu klassischem Ballett ist der Stil von Eyal übrigens extrem simpel – und keinesfalls „hochkomplex“, wie ihre Verkäufer sie loben. Dennoch: Tragik, Schrägheit und die Verweigerung, sich mit der Realität auseinander zu setzen – dieser Abend beinhaltet thematisch eine Menge.

Das Beste zuerst. Nacho Duato ist ein großer Verführer zum Tanz. Seine Tänze sind wie Gebete, von nobler Schönheit und starkem Ausdruck.

Auf in ein neues Ballettjahr!

So sieht Nacho Duatos „Dornröschen“ aus: topfit, obwohl in Trance. Iana Salenko und Stargast Leonid Sarafanov 2015 beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Der russische Theaterbaron Vladimir Kekhman, der mit seinem Mikhailovsky Theater in Piter etwas erschuf, was es weltweit nur einmal gibt, nämlich ein privates Opernhaus, hatte den richtigen Instinkt: Er holte Nacho Duato, diesen Meister der getanzten menschlichen Beziehungen in hoch ästhetischer Form, um klassische Ballette neu choreografieren zu lassen – etwas, worauf der an sich modern ausgerichtete Schöpfer gar nicht gekommen wäre.

So entstanden ein wunderbares, himmelhoch jauchzendes „Dornröschen“, eine berührende modern-klassische Version von „Schwanensee“ und eine schmissig-tragische „La Bayadère“.

Der ureigene Stil von Duato aber ist modern-elegant, und er lässt die Tänzerinnen und Tänzer sanft über den Boden sowie in empor geleitete Höhen gleiten, während er ihre Körper unmerklich in immer neue Formen gießt.

Wie elektrisiert tanzt ein Ensemble den Duato-Stil; spanische Folklorismen sind darin organisch eingeflochten und vermengt mit Klassik, Neoklassik und einem gestischen Ausdruck, der schon verrät, dass Nacho Duato als Tänzer durchaus von Maurice Béjart geprägt wurde. Dessen Ausbildungsstätte Mudra besuchte Duato als ganz junger Mann.

Heute, mit 67 Jahren, hat Nacho Dutao sich immer noch die Jugendlichkeit bewahrt, die ihn mit großer Neugier auf die Welt blicken und sie für seine tänzerischen Zwecke als Inspiration nutzen lässt. Zum Zeichen dessen trug er gestern bei der Münchner Premiere seines 2001 kreierten Drogenstücks „White Darkness“ seine knapp geschnittene schwarze Lieblingslederjacke, die ihn mittlerweile seit mehreren Jahrzehnten sportlich-elegant kleidet – ein Relikt aus seiner Jungspundzeit.

Les Ballets de Monte Carlo tanzen auf 3sat

Nacho Duato ist ein sensibler Choreograf, der zeitkritischen Themen nachspürt. Foto: Gisela Sonnenburg

Sein Stück ist einzigartig im Reigen der modernen Klassiker. Kaum ein Choreograf wagte es bislang, dieses Thema – Drogensucht und Drogentod – in seiner Arbeit anzupacken. Duato wählte das Thema nicht von sich aus. Es kam vielmehr zu ihm, über die knallharte Realität, in der eine seiner sechs Schwestern an ihrer Drogensucht zu Grunde ging und starb.

Die Trauer und Verzweiflung, das Gefühl der Ohnmacht wichen dem kreativen Tatendrang. Duatosuchte sich Musik des britischen Komponisten Karl Jenkins, der Jazz und moderne Klassik zu vereinen sucht.

Zu diesen mal pathetisch-aufgeblähten, dann wieder puristisch-zurückgezogenen Klangwelten entfächert sich auf der Bühne gefühlt das hektische Großstadtleben des frühen 21. Jahrhunderts. Duato braucht dazu keine Projektionen von fahrenden Autos oder anderen flimmernden Animationsfilmchen. Es ist der Tanz, der das Lebensgefühl, das er zeigen will, illustriert.

Madison Young, die weibliche Allzweckwaffe vom Bayerischen Staatsballett, tanzt die Hauptfigur in diesem Drama, das die Seele ins Zentrum der Kunst stellt.

Die Leichtigkeit des Konsums, die scheinbaren Flügel, die eine Droge wie Heroin oder Kokain verleiht – die Ballerina zeigt sie barfuß tänzelnd im pflaumenlila Kleid, als elegant und außergewöhnlich getarnt.

Ihr Partner, getanzt von Münchens weiterem Wien-Import Jakob Feyferlik, der über den Umweg Amsterdam nach Bayern kam, hält hier zunächst dagegen. Doch nichts ist, wie es scheint, denn die Droge hüllt alles in Rausch und Lüge.

Madison Young und Jakob Feyferlik in „White Darkness“ beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Nicholas MacKay

Der Mann hält die Frau. Unter den Vorzeichen, dass sie sich nicht nur ihm, sondern vor allem auch dem künstlich erzeugten Rausch hingibt, hat das eine andere Bedeutung als sonst. Ist er die Verbindung zur Außenwelt? Oder versorgt er sie sogar noch mit Stoff?

Duatos Trick ist, hier vieles offen zu lassen und doch nacheinander die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten vorzuführen. Erst hilft der Mann, indem er sein Mädchen von der herab rieselnden Weiße fern hält. Ein Wasserfall aus weißem Puder bildet hier das Symbol für den Drogenkonsum.

Doch dann kehrt sich das Ganze um, aus Stärke wird Schwäche – und der Mann wird ebenfalls Konsument, mehr noch: der Dealer seiner Partnerin.

Und so steht der schöne Mann als Sinnbild der Verführung, der Versuchung da, während die ihn begehrende Frau daneben greift und sich die Droge einverleibt statt sich um Geben und Nehmen im Sinne der Liebe zu bemühen.

Das Pulver zerstört alle Beziehungen. Nur merken es die Betroffenen erst viel zu spät.

Vier Paare verkörpern hier die Umgebung, die Gesellschaft, die Normalität, die längst nicht so normal ist, wie es ihr zugesprochen wird.

"Duato/Skeels/Eyal" in München

Spagat als Ausdrucksmittel: Hier stützt sich der Mann auf die Frau, hält sie aber auch zugleich geerdet. Severin Brunhuber und Eline Larrory vom Bayerischen Staatsballett in „White Darkness“, zu sehen in „Duato/Skeels/Eyal“. Foto: Nicholas MacKay

Das immer schnellere Dasein, der Overkill an Aktionen, Vergnügungen, Empfindungen, die rapide wachsenden Ansprüche – all das vermengt sich zu einem Cluster der schlechten Zuträglichkeit ans wahre Leben.

Weltflucht – kann sie mit Droge überhaupt stattfinden? Eher ist es eine Flucht nach vorn, ein Fallen in genau jene Fallstricke, die mit der Droge eigentlich umgangen werden wollen.

Doch die Falle schnappt zu. Irgendwann sitzt der Süchtige drin und kommt nicht mehr heraus. Was am Anfang noch so leichthin geschah, als Ausnahme und seltenes Event, ist plötzlich elender Alltag. Die Suche nach der nächsten Möglichkeit, sich zuzudröhnen, beherrscht die Emotionen, die Gedanken, die innere Weltordnung. Noch macht sich der Süchtige vor, die Droge diene nur seiner eigenen Aufrechterhaltung. Er verdrängt, wer hier wen beherrscht. Dass die Droge längst gewonnen hat.

In elegisch-schönen Bewegungen zeigt Nacho Duato, wie sich das Paar, das eigentlich zusammen durchs Leben gehen wollte, über die Drogensucht nicht hinwegsetzen kann.

Der Untergang der jungen Frau ist vorprogrammiert, denn ihr Wille zu widerstehen, ist nicht genügend ausgeprägt. Sie fällt der obskuren Lust am Vergessen völlig anheim, stellt sich in den unaufhörlichen Regen aus feinem weißen Staub. Sie wird ein Teil einer anderen, lebensfeindlichen Welt, in der sie schließlich zusammenklappt und leblos erstarrt, wie eine Suchende, die das, was sie suchte, nie fand.

Der Applaus zeigt, wie sehr diese Tragödie, die sich weltweit so oft und so erbärmlich wiederholt, anrührt.

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Nacho Duato hat mit dem Thema und seiner Umsetzung als modernes Ballett einen Nerv getroffen, der bis ins Innerste unserer Gesellschaft verläuft.

Hellsichtig bewahrheiten sich seine tänzerischen Prophezeiungen denn auch Stück für Stück in unserer realen Welt. Kein Zweifel: Duato hält allen einen Spiegel vor, den Süchtigen ebenso wie jenen, die meinen, vor einer Sucht gefeit zu sein und die dann doch von ihrer Regierung die Legalisierung von Haschisch beschließen lassen.

Da wird es doch Zeit, mal eine Woche ohne Zucker, ohne Kaffee, ohne Alkohol, ohne sonstige Rauschmittel auszukommen. Nur Mut! Gemüsesäfte, Tee, Obst  und Wasser können enorm hilfreich sein. Und dann erinnere man sich an die „White Darkness“, die „weiße Dunkelheit“, und man finde sie in sich selbst.

Und man stelle sich die Frage: Kann man die weiße Düsternis wandeln und zu einer glücklichen Religion der Entsagung machen? Sich zu einem Zustand des Puren, des Nüchternen, des Erhabenen ohne künstliche Zutat hinreißen lassen? Nur zu!

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Die erste Pause von „Duato/Skeels/Eyal“ ist nunmehr vorbei, und wir bereiten uns auf das zweite Stück vor, das etwas ganz anderes ist als Duatos Meisterwerk und doch in einem gewissen Sinn wie eine Antwort und Weiterführung anmutet.

"Duato/Skeels/Eyal" in München

Die Urmasse Mensch in zigtausenden von Jahren: Sie lebt unterirdisch. So will es Andrew Skeels in „Chasm“ beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Serghei Gherciu

Denn es geht darin um die Zukunft und die Frage: Was kommt nach dieser Gesellschaft? Andrew Skeels aus Boston, der die Berufe Tänzer und Cutter (Filmeditor) erlernte, ließ sich auf das Experiment ein, explizit ein Sci-Fi-Ballett zu erstellen. Der Titel „Chasm“, was soviel wie „Kluft, Riss, Spalt, Abgrund“ heißt, verweist auf das Ende des Stücks, in dem es darum geht, ob eine Menschheit, die des Sonnenlichts entwöhnt ist, mit Tageslicht überhaupt noch leben kann.

Das klingt jetzt banal, aber das Licht steht symbolisch für alle Freiheiten, die wir als gegeben und normal zu empfinden gewöhnt sind. Wahrheit zählt dazu.

In schlammfarbenen, krötenfarbenen, auch Military-farbenen Kostümen wabert hier die Menschheit unterirdisch vor sich hin. In Skeels‘ Fantasie lebt sie zig Jahrtausende in einer Höhle eng beisammen, und zwar wie ein Myzel, also ein unterirdisches Pilzgeflecht, ohne allerdings, wie ein Pilz, Fruchtkörper im Sonnenlicht zu gebären.

Vielmehr verklammert und verbrämt sich die menschliche Masse hier zu einer Einheit, die nur noch in sich lebensfähig ist. Das Individuum hätte da keine Chance mehr, so die Vorstellung von Andrew Skeels.

Dieses Konzept setzt er genau so um. Wir sehen auf der nur spärlich ausgeleuchteten Bühne eine faszinierende Meute Mensch, die nicht mehr weiß, was Bäume, Büsche, blühende Wiesen sind. Die keine Kunst und keinen Gott mehr kennt. Die nur noch frisst und scheißt, sich vermehrt und stirbt.

Ganz so weit weg scheinen sie gar nicht mal von uns zu sein, oder? Die Klimakatastrophen, die uns noch ängstigen, haben sie längst hinter sich. Wird es wirklich noch Tausende von Jahren dauern, bis die Menschheit so weit ist?

"Duato/Skeels/Eyal" in München

Das Individuum hat nichts zu melden: in „Chasm“ von Andrew Skeels, uraufgeführt beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Die Musik hier lenkt die Aufmerksamkeit auf das Drama des Überlebens. Antoine Seychal schuf Filmmusik ohne Film, die der ebenfalls cineastisch inspirierten Arbeit von Skeels sehr entgegen kommt. Die gute alte Programmmusik feiert solchermaßen Urständ: Man hört die Tropfsteinhöhle und findet auch das Kriechen der Rest-Menschheit akustisch wieder.

Für eine Uraufführung im Jahr 2024, diesem neuen Zeitalter voller Kriege, Gewalt und Umbrüche, voller Verschärfungen und Verengungen der Lebensräume, ist es eine sehr homogene, kraftvolle Uraufführung.

Theatergeschichtlich knüpft sie an „Le sacre du printemps“ an, zu dem sie sich wie ein modernes Pendant und wie ein kontrastierendes Spiegelbild verhält. Beide Male geht es um eine Urhorde Mensch, beide Male stirbt am Ende ein einzelner Mensch.

Kulturgeschichtlich hat die Fantasie einer unterirdisch lebenden Zukunftsgesellschaft vor allem im Sci-Fi-Film eine lange Tradition. Schon „Metropolis“ von Fritz Lang spielt unter Tage. Auch auf dem „Planet der Affen“ wird unterirdisch überlebt, während überirdisch zwar nicht alles verstrahlt, aber verwüstet und versandet ist.

Skeels selbst erwähnt „Dune“ als Anregung, was etwas hinterfotzig ist, denn darin leben riesige Sandwurm-Monster, nicht Menschen, unterirdisch.

So trifft das Elitäre des Balletts auf das Populäre des Cineastischen. Kein Wunder:

Andrew Skeels besorgte Stücke für den Cirque du Soleil ebenso wie für das Grand Théatre de Geneve. Dennoch ist seine Sicht auf die Welt rein männlich. Die Emanzipation von weiblichen Werten und Sichtweisen – und zwar jenseits des Kinderkriegens und der Brutpflege, die ohnehin zunehmend eine Sache der Männer werden – ist ihm als Thema vermutlich noch nie ins Bewusstsein gekommen.

Und so erfahren wir nicht, wie die Gewaltverhältnisse in seiner fiktiven Myzel-Menschheit wirklich gestaltet sind.

Einerseits erscheint es als Utopie, was sich da akrobatisch-ästhetisch im Dunkel als Tanz aufbaut. Andererseits wirkt es abschreckend, weil es das Individuum außer Acht lässt und eine Entwicklung eines Einzelnen nicht mehr zu kennen scheint. Ist die Zivilisation hier nur noch eine Redensart? Die Menschheit in ihrem Endzustand und in ihrem Endlager, wie Andrew Skeels sie vorführt,  scheint sich nicht mehr an sich selbst und ihre eigene Vergangenheit zu erinnern.

Eine Verflechtung der Gegenwart in sich selbst – ist das die Zukunft?

"Duato/Skeels/Eyal" in München

Am Ende sorgt das Licht für die Wende… in den Tod hinein. So zu sehen in „Chasm“ von Andrew Skeels beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Nicholas MacKay

Und die Liebe? Ist sie wirklich überflüssig, wenn die Menschen unterirdisch und ohne Lichtquelle vor sich hin vegetieren? Man denke an Schnecken, die schlecht sehen, aber gut fühlen – und die sich paaren, so oft es geht. Sollte die Libido der Menschheit in Zukunft kleiner sein als die von Schnecken?

Aber es gibt Paare bei Skeels. Sie formieren schöne Ideen mit ihren Körpern, sie feiern die Zweiheit, also jene Gefühle, die auf die Liebe folgen sollen, im futuristischen Erdreich-Imperium des Gottes Skeels.

Nur: Die Liebenden bilden keinen wirklichen Kontrast zu ihrem Stammesleben, zu dieser diffusen, ineinander verketteten Meute. Liebe als Vision, um die Gesellschaft zu verbessern, wie es sie seit „Romeo und Julia“, im Grunde sogar  seit den altgriechischen Mythen in der Kunst gibt – das gilt hier nicht mehr. Die wahrhaft Liebenden sind ausgestorben im Zeitalter des Skeels.

Lichteffekte machen schaudern. Das Gewusel der pilzigen Masse wirkt, je länger man hinschaut, umso realer. Sehen Menschen an Regentagen in der Fußgängerzone nicht schon genau so aus?

Und so segelte die Menschheit immer mal wieder knapp an einem schwarzen Loch vorbei, noch hält die Erdanziehungskraft, noch hat sich die Sonne nicht selbst gefressen.

Wie lange noch?

Diese Frage wird jede und jeder selbst beantworten wollen. Andrew Skeels, von dem man nicht weiß, wann er geboren wurde, der aber sicher die 30 oder auch 40 Lenze schon abgerissen hat, lässt am Ende seines Stücks einen Menschen empor kriechen, um die Wahrheit, das Licht zu sehen – der Riss, der „Chasm“ aus dem Titel macht’s möglich. Tageslicht strömt in die Höhle.

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Aber auch das bedeutet hier keine Lösung. Sonnenlichtentwöhnt und vermutlich mit Nacktmulchen gekreuzt oder aber auf hohe Dosierungen von Vitamin D gesetzt, kann sich die Menschheit nicht mehr an das, was wir noch als Norm kennen, gewöhnen. Die Sonne, mittlerweile wohl auch mit hoher UV-Strahlung  gepeppt, ist für den Menschen tödlich geworden. Der Tanz versiegt. Das Leben verstarb.

Es ist eine Anti-Vision, die Skeels hier vorschlägt, und es ist klar, was er damit bezweckt: Er gibt uns eine Warnung, schlägt apokalyptischen Alarm.

Und so verschieden die beiden ersten Stücke des Abends auch sind: Gemüsesaft scheint in jedem Fall der richtige Weg zu reagieren. Rettet das Klima also nicht,  ohne auf Zucker, Alkohol und ähnliche Reizstoffe zu verzichten!

Sonst endet ihr noch wie die krötenfarben kostümierten Nacktmulche.

Menschliche Nacktmulche könnte man auch in den Choreografien von Sharon Eyal vermuten. Sie hat darum Erfolg, weil sie konsequent der Monotonie frönt. Laute Langeweile, dröhnend laut, propagiert sie in immer denselben reduzierten choreografischen Formen – aber ihre Fans können davon gar nicht genug bekommen. Sie ist eine Art weiblicher Marco Goecke, allerdings (noch) ohne straftätige Hundekot-Attacke in der Vita.

Wer von der Kunst mehr verlangt als stumpfsinnige Berieselung, geht besser in der zweiten Pause. Um eben dieses zu ermöglichen, stellte man das Eyal-Stück namens „Autodance“ wohl auch ans Ende des dreiteiligen Abend.

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Ein ums andere Mal wird auf halber Spitze in verklemmter Haltung vor sich hin getrippelt: eine typische Szene für ein Stück von Sharon Eyal, hier „Autodance“ beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Serghei Gherciu

Der Mensch und seine gruppendynamischen Zwangshandlungen – das sehen wir in Eyals Stücken eins ums andere Mal. Und „Autodance“ oder auch „Automatentanz“, der sich vorgeblich aus sich selbst heraus entwickelt – so könnte jedes Stück von ihr heißen.

Hier schieben sich die Tänzerinnen und Tänzer, wie immer bei Eyal, auf halber Spitze und mit verklemmt zusammen gepressten Beinen langsam nach vorn. Sie bilden einen Pulk, sie sind vereinzelt, sie können nicht miteinander und nicht ohne einander. Sie sind wie faschistoid abgerichtete, alles nur einheitlich Empfindende. Sie können einem Leid tun. Sie sind grotesk und geistig verarmt.

Mit dieser Rest-Menschheit will man mit oder ohne Klimakatastrophe nichts mehr zu tun haben. Sie sind nicht gut noch böse, sie sind einfach gar nicht sie selbst – denn sie sind nur noch lebendige Automaten, die sich kein Abweichen von der einprogrammierten Vorgabe erlauben. Roboter sind noch interessanter tanzen zu sehen als diese sich gegenseitig kopierenden Pulkmenschen von Sharon Eyal.

Immerhin taugt das 40-minütige Werk – es ist das längste des Abends – als Fitnessbeweis fürs Staatsballett. Mehr Transpiration als Inspiration sieht man dabei, aber das passt in die Zeit. Politisch hat die immerhin auch schon 53-jährige Sharon Eyal, wiewohl sie aus Israel kommt, leider gar nichts mitzuteilen. Ob sie überhaupt eine Position zur Welt und ihren Kriegen hat? Man weiß es nicht, und wenn man dieses Gehopse sieht, interessiert einen die Meinung der Schöpferin auch nicht mehr so sehr.

"Duato/Skeels/Eyal" in München

Das Repertoire an Bewegungen ist rasch erschöpft, wenn Sharon Eyal choreografisch dabei ist. Hier die Damen und Herren vom Bayerischen Staatsballett in Socken für den „Autodance“. Welch eine Verschwendung! Foto: Serghei Gherciu

Auch die Musik ist mal wieder nur ohrenbetäubend laut (bitte Ohrstöpsel mitbringen!) – und sonst gar nichts. Der Beat, der sich im Bass wiederholt, baut zwar Spannung auf, und wenn neue Instrumentenklänge dazu kommen, könnte man fast an ein Aufstreben glauben. Aber flugs versackt wieder alles im Einheitsdröhnen, denn die Abstumpfung ist hier Programm, nicht die Differenzierung.

Ori Lichtik heißt übrigens der E-Musik-Macher, den Sharon Eyal und Gai Behar, das Choreografenteam, das hier tätig war, regelmäßig für seine stupiden Simpel-Exzesse im Techno-Sound bucht.

Da vermisst man an diesem Abend dann doch die Live-Musik, denn wir müssen hier bei allen drei Stücken ganz ohne echt vorhandenes Orchester auskommen.

Auf manche Ältere im Publikum hat das einförmige, metronomartige Gedröhne von Lichtik allerdings eine offenbar angenehm einschläfernde Wirkung, und wir wünschen allen, die, wie die freundliche Dame neben uns, eingenickt sind, süße Träume im Opernhaus.

Auf Eines müssen wir Laurent Hilaire, den aktuellen Münchner Ballettdirektor, allerdings ausdrücklich hinweisen: Es ist ein der Sache nicht nur zuträglicher Widerspruch, wenn man Nacho Duatos feine, genaue Analyse der Gefahren des Drogenkonsums („White Darkness“) und die gedankenlose Absage an die Aufklärung von Sharon Eyal („Autodance“) an einem Abend zeigt. Absicht kann es da wohl nicht sein, dem Rausch des Zudröhnens die letzte Aufmerksamkeit zu schenken.

Inhaltlich und formal ist Eyals Stück jedenfalls ein Rückfall in Ansprüche des Vergessens statt des Wissens. Verneinung statt Bildung – das ist nicht empfehlenswert. Der Kleinmädchen-Sex, den die Kniestrümpfe der Tänzer verströmen, wirkt sogar auch noch einen Hauch pädophil.

Da retten auch die tänzerischen Präszisionsarbeiten der Protagonisten nichts.

"Duato/Skeels/Eyal" in München

Ein tolles Foto macht noch kein tolles Tanzstück: „Autodance“ von Sharon Eyal in „Duato/Skeels/Eyal“ in München. Foto: Nicholas MacKay

Mit Sharon Eyal geht die Zivilisation baden, und das Publikum, das sie anlockt, wirft danach vielleicht noch ein paar Rauschmittel ein, um jut druff zu sein, wie die Berliner sagen.

München will aber halt up to date sein, um jeden Preis, darum ist es verlorene Liebesmüh, hier auf ein Absehen von negativen Trends zu hoffen. Die Schickimicki-Welt holt sich ihren Kram ins Nationaltheater –  ganz verdrängen wird sie die echte Kunst vorerst aber nicht.

Und wenn von drei Stücken zwei als sehenswert einzustufen sind, so ist das eine gute Ausbeute. Also auf in den wohl experimentellsten Abend, den das Bayerische Staatsballett je auf der großen Bühne zeigte!
Gisela Sonnenburg / Franka Maria Selz

www.bayerisches-staatsballett.de

 

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