Kann man in Deutschland die guten Leute nicht mal einfach ihre Arbeit machen lassen? Offenbar ist es einfacher, sie rauszuwerfen. Damit nicht auffällt, wie saumselig die anderen sind? Für diese Verdachtsthese gibt es nun ein krasses Beispiel: Nach drei megaerfolgreichen Jahren wurde Xenia Wiest als Ballettdirektorin und Chefchoreografin vom nach ihr benannten Ballett X in Schwerin vom Mecklenburgischen Staatstheater aufgrund interner Querelen einfach „freigestellt“ – also mit sofortiger Wirkung gefeuert. Vor drei Tagen schon. Wiest werden dabei Regelverstöße angelastet, wobei zu fragen ist, ob ihr Intendant, der sie vor die Tür setzte, nicht eher selbst für den Verdacht auf Regelverstöße in Frage kommen muss. Wiest habe mehrfach gegen „Pflichten ihres Arbeitsvertrages“ und gegen „Normen des Betriebsverfassungsgesetzes“ verstoßen, heißt es ziemlich abstrakt, dafür offiziell zur Begründung ihres Rauswurfs. Ihr internes Verhalten sei „untragbar“, wird subsummiert. Doch das klingt nach Mobbing, zumal keinerlei konkreten Vorwürfe vom Theater mitgeteilt wurden. Und Hans-Georg Wegner, Generalintendant und Geschäftsführer der Staatstheater-GmbH in einer Person, scheint vor allem sich selbst zu feiern. Er nennt Wiest nach wie vor eine „einzigartige Künstlerin“, will sie aber nicht mehr am Haus haben. Nachvollziehbare Gründe werden in seiner Presseerklärung nicht mal andeutungsweise genannt. So kann erstmal niemand etwas überprüfen.
Es blieb bislang beim bloßen Vorwurf, bei der bloßen Behauptung. Allein das ist schon unverschämt, auch der Öffentlichkeit gegenüber. Und mal ehrlich: Schon Wegners machtheischender Titel „Generalintendant“– statt „geschäftsführender Intendant“ – stößt dabei unangenehm auf. Ist es in der Provinz so üblich, sich mit den dicksten Titeln zu schmücken, die irgendwie greifbar sind? Gibt es außerdem vielleicht so etwas wie ein heimliches Wettschießen hier zu Lande? Motto: Wer schaßt die tollste Frau?
Xenia Wiest zu verlieren, ist für Meckpom jedenfalls eine Schande. Schämt euch, Generalintendanz- und Geschäftsführer-Anhänger! Hat die zarte, aber willensstarke Xenia euch wirklich was getan? Wenn es so wäre, dann hättet ihr das rechtzeitig sagen und öffentlich machen sollen. Einfach hintenrum zu beschließen: Jetzt nehmen wir dem Publikum mal seine beliebte Ballettchefin – das riecht oberfaul.
Mit Produktionen wie „Nacht ohne Morgen“, „Der kleine Prinz“ und „Bach – Past, Present & Future“ sowie mit einer modernen Tanzgala möbelte Wiest die Kultur im ganzen Landkreis mächtig auf. Sie sorgte für Hingucker und für Aufmerksamkeit, weit über die Grenzen Schwerins hinaus. Dass sie die Krawalltanzmacherin Florentine Holzinger für ein Gastspiel holte, mag nicht nur genial gewesen sein. Aber Holzinger, vielfach preisgekrönt, ist wohl auch mehr eine Art Symptom als eine Essenz dieses Kulturbetriebes. Und: Die Leute wollen diesen lauten Zirkus nun mal sehen. Heutzutage sind solche Künstlerinnen, gern mit Sternchen geschrieben, Stars.
Xenia Wiest ist sich denn auch keiner Schuld bewusst. Sie ist eine Powerfrau und hat ihrer Meinung nach stets die richtigen Prioritäten gesetzt. Dabei ging sachgerechtes Handeln wohl vor Bauchpinseln bei Autoritäten. So sorgte sie mit einem Gesundheitskonzept dafür, dass ihre Tänzer sich in drei Jahren unter ihrer Führung nicht oder fast nicht verletzten. Dass manche Mitarbeiter aus dem Mittelbau, hochtrabend „Ballettmanager“ genannt, mit der Hochbegabten nicht zurecht kamen, spricht eher gegen diese selbst als gegen die Chefin.
Sie hat zuvor jahrelang vor allem beim Staatsballett Berlin getanzt, ist als versierte und führungsstarke, als zuverlässige, vielseitige und auch besonders anmutige Ballerina immer wieder positiv aufgefallen. Zugleich begann sie früh zu choreografieren und zeigte hier bald so großes Talent, dass sie internationale Erfahrung aus Tokio, Prag, Sankt Petersburg, Wien und Luxemburg mit nach Meckpom brachte.
Ein Stern in der Wüste, um es mal deutlich zu sagen: Vor ihr kannte kaum jemand das Ballett aus Schwerin in Norddeutschland. Wiest brachte es zum Erblühen. Wurde ihr Neid zum Verhängnis?
Was die Kunst angeht, so kennt Wiest vor allem ein Credo: den „Kampf gegen die Mittelmäßigkeit“.
Den muss sie jetzt auf juristischer Ebene führen. Traurig. Aber irgendwie typisch für dieses preußische System aus Kulturbürokratie, in dem logisches Denken und Handeln zu aufwändig und Warmherzigkeit und Normalität quasi unmodern geworden sind. Alle sollen hysterisch im Gleichschritt gehen. So entsteht aber kein hohes Niveau.
Wenigstens ist Wiest in den Jahrzehnten ihrer Berufstätigkeit gut bezahlt worden. Alleinstehend ist sie auch nicht. Einen guten Anwalt kann sie sich also leisten.
Meckpom, zieh dich da mal warm an!
Schade übrigens, dass es in Deutschland immer öfter Mode wird, die Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen zu stellen, statt öffentliche Debatten zu führen, wenn es um Ausgaben für Kultur aus dem Staatssäckel geht.
Xenia Wiest hat aber die Sympathie des Publikums auf ihrer Seite – und sie wird sich zu gegebener Zeit wohl auch noch deutlicher zum Sachverhalt äußern. Wir vom Ballett-Journal wünschen ihr bis dahin: Kopf hoch gegen jedwede Form von Neid und Intriganz!
Gisela Sonnenburg
Zum Porträt von Xenia Wiest: https://ballett-journal.de/staatsballett-berlin-ballett-x-schwerin-xenia-wiest/