Dortmunder Vielerlei Xin Peng Wang begeht sein 20-jähriges Jubiläum als Chef vom Ballett Dortmund mit der Internationalen Ballettgala XXXVII und einem bunten Spielzeitprogramm

Das Ballett Dortmund ist top

Seine Kunst weiß exzellent zwischen den Kulturen zu vermitteln: Xin Peng Wang, Ballettdirektor mit außerordentlichem Erfolg beim Ballett Dortmund. Foto: Gisela Sonnenburg

Xin Peng Wang ist immer für eine orginelle Idee gut. Der Direktor vom Ballett Dortmund, der kürzlich seinen 67. Geburtstag feierte und jetzt schnurstracks in eine Jubiläumsspielzeit stiefelt, steht für ungewöhnliche, aber tragfähige Handlungsballette, die so mitreißend wie faszinierend sind. 20 Jahre lang leitet Wang nunmehr seine Truppe in der nicht wirklich schönsten Stadt Deutschlands, und er hat es geschafft, nach Art eines Dortmunder Ballettwunders Freaks und Fans für die Tanzkunst heranzuziehen. Die letzten 20 Jahre sind voll überragender Einfälle. Wang stand und steht für höchste schöpferische Qualität. Man erinnere sich: Sein Mephisto in „Faust I“ hatte den Fuß in einem Eimer Zement stecken. Was für ein Klumpfuß, zumal an einem Tänzerbein! Sein Hans Castorp im „Zauberberg“ entwickelte aus dem angeleuchteten Nebel einen Sehnsuchtstanz. Überzeitlich ergreifend. In  „h.a.m.l.e.t. – Die Geburt des Zorns“ tobte sich die zarte Ophelia mit innerer Stille mehr als zehn Minuten lang in den Wahn. Im „Traum der roten Kammer“ wurde dann ein Baum zum Ort der intimsten getanzten Wünsche. Und im „Schwanensee“ wurde das Bühnengeschehen in einer Spiegelwand über den Tanzenden verdoppelt. Höhepunkt von Wangs Schaffen aber ist die Trilogie „Die göttliche Komödie“ nach Dante Alighieri, die 2018, 2019 und 2021 trotz der Corona-Schutzmaßnahmen uraufgeführt wurde. Wilde Klänge und furiose Bilderreigen illustrieren hierin den Werdegang durch das Jenseits, mit allen höllischen und himmlischen Aufs und Abs.

"Die göttliche Komödie III: Paradiso" von Xin Peng Wang beim Ballett Dortmund

Ein schöner Moment in der Online-Uraufführung 2021 von „Die göttliche Komödie III: Paradiso“ von Xin Peng Wang beim Ballett Dortmund. Videostill: Gisela Sonnenburg

Privat lebt Wang zurückgezogen, ist mit einer Violinistin und chinesischen Landsmännin verheiratet. Geboren am 1. September 1956 im chinesischen Dalian, einer fluktuierenden Hafenmetropole mit heute fast 8 Millionen Einwohnern – darunter seit über hundert Jahren nicht wenige Russen – kam Wang relativ spät zum Profi-Ballett. Mit 13 Jahren begann er eine vierjährige Tanzausbildung in Dalian, an die sich ein wiederum vierjähriges Studium der Choreografie in Peking anschloss. Mit einer Tourneetruppe gastierte er junger Tänzer international, um China als junges Ballettland bekannt zu machen.

Zusätzlich absolvierte Wang dann ein einjähriges Gaststudium in Modernem Tanz an der Essener Folkwang Universität der Künste. Seither pendelt der begabte Mann künstlerisch zwischen Deutschland und Fernost, verbindet und vereint zwei Kulturen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten.

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Beim Aalto-Ballett in Essen wirkte Wang als Tänzer, seine Berufung als Choreograf stand da aber schon lange fest. Erste choreografische Erfolge trugen ihn von Essen nach Meiningen in Thüringen, wo er seinen ersten Posten als Ballettdirektor übernahm. Bis 2003. Dann kam er nach Nordrhein-Westfalen zurück, als Ballettchef vom Ballett Dortmund. Sein jüngster Erfolg hier – nach Dutzenden von abendfüllenden Uraufführungen und Premieren – war die Kreation eines digital abgestimmten kurzen Stücks namens „Morph it“, wofür er den mit 20.000 Euro dotierten Prof.-Balzert-Preis erhielt.

In Peking ist er ein Begriff, ebenso in Hongkong, in Amsterdam, in Dresden, in London, in Antwerpen. Sein fester Standort aber ist seine Heimstatt Dortmund.

"Der Traum der roten Kammer" beim Ballett Dortmund

Mark Radjapov und Monica Fotescu-Uta als Pao Yü und seine große Liebe in „Der Traum der roten Kammer“ von Xin Peng Wang beim Ballett Dortmund. Videostill: Gisela Sonnenburg

Seine Jubiläumsspielzeit beginnt Wang hier mit der traditionell zwei Mal jährlich, stets auch im September aufwartenden Internationalen Ballettgala. Deren 37. Ausgabe startet am 9. und 10. September 23 mit Stars aus Amsterdam, London und Stuttgart, die zu Gast sind und das Publikum begeistern werden.

Angekündigt sind die Superstars Marianela Nunez, Reece Clarke, Polina Semionova, Anna Tsygankova, Matthew Ball, Victor Caxeita, Wentao Li, Yunting Qiu, Friedemann Vogel, Mayara Magri und andere. Und dann sorgt das Ballett Dortmund natürlich auch für Überraschungen. Man darf gespannt sein und sich auf einen echten Event freuen!

"Giselle" tanzt im Kino 2020

Akkurat und doch spontan: So lieben die Fans die grandiose Marianela Nunez, die auf dem Foto in London die „Giselle“ von Peter Wright interpretierte. Foto: Tristram Kenton

Leider zeigt das Theater Dortmund, dem das Ballett Dortmund zugeordnet ist, aber bei seinen Online-Auftritten keineswegs internationale Beflaggung, etwa inklusive China, GB, Frankreich, den Niederlanden und Russland, wie sich das in der jüngeren  Kulturgeschichte Europas ziemen würde.

Statt dessen protzt man diese Saison mit der Regenbogenfahne und behauptet, man würde fest an der Seite derer stehen, die anderes als hetero vögeln. Das ist ja schön und gut – aber eine nennenswerte Antibewegung zu Schwulen gibt es derzeit doch sowieso nicht. Sogar die AfD hat mit Alice Weidl ihre Vorzeigelesbe. Wenn man vor 30 Jahren die Doppelpussy- und Analliebhaber öffentlich belobigt hätte, okay, das wäre mutige Libertinage gewesen. Aber heute?

Heute bedeutet die Regenbogenfahne nur, dass man bei den öffentlichen Kassen ordentlich die Hand aufhalten möchte und bereit ist, nichts zu bemeckern, was als Parole aus den Rathäusern kommt. Revolutionär ist das wirklich nicht.

Regenbogenfarben sind heute bekanntlich das Zeichen von Mitläufertum. Aber ob es an den deutschen Theatern schon Geschlechtswandel aus Karrieregründen gibt? Da wird man künftig aufpassen, ob die Diversitätsquote auch stimmt. Ach ja, und das Publikum? Ohne einen Nachweis bezüglich Erfahrungen mit nicht-heterosexueller Liebe dürfen sie alle einfach so rein? Das ist aber tolerant. Screenshot von Facebook: Gisela Sonnenburg

Wohltuenderweise hält Xin Peng Wang sich da zurück und hat noch kein Schwulenballett extra für die örtliche Politik angekündigt. Da nun im Ballett traditionell mindestens ein Drittel der Tänzer homo sind, ist es auch gar nicht nötig, mit irgendwelchen Aktionen darauf hinzuweisen.

Und schon der wichtigste Ballettkomponist, Peter I. Tschaikowsky, ein Russe, liebte gleichgeschlechtlich, wie mittlerweile alle halbwegs Gebildeten wissen dürften.

Am 17. September 23 zeigen sich dann Wangs „Schwanensee“-Tänzer zu Tschaikowskys Musik von ihrer ungewöhnlichsten Seite: während eines Gottesdienstes in der Kirche St. Reinoldi. Und am 23. September 23 stellt Wang seine ganz neu erarbeitete „Schwanensee“-Kreation vor, welche im Oktober premiert und in welcher ein durchgeknallter, wahnsinnig gewordener Künstler statt Prinz Siegfried den weißen Schwänen verfällt – auch darauf darf man gespannt sein.

"Romeo und Julia" von David Dawson in Dresden

Strahlende Gesichter beim Premierenapplaus nach „Romeo und Julia“ von David Dawson (zweiter von links) in Dresden. Und die weißen Blumen passen zum Gesamtbild! Bald auch in Dortmund… Wird Dawson hier der Nachfolger von Wang? Foto: Franka Maria Selz

Im April 2024 werden dann zwei Stücke von David Dawson in Dortmund an einem Abend premieren – für Kenner dürfte das ein Highlight und Leckerbissen in eins werden. Zusätzlich verknüpft man das Engagement von Dawson in Dortmund mit der Hoffnung, dass der stilbegabte Brite in die Fußstapfen von Wang treten wird, wenn dieser, was er plant, 2025 seinen Ballettdirektorenposten abgeben wird. Wird es diese Zukunft geben?

Noch gibt es dazu keinerlei offizielle Verlautbarung. Man muss also abwarten.

"Der Traum der roten Kammer" beim Ballett Dortmund

Der Kirschbaum und die Liebende – in „Der Traum der roten Kammer“ von Xin Peng Wang gehören sie zusammen. Videostill: Gisela Sonnenburg

Zuvor, im Januar 2024, wird „Der Traum der roten Kammer“ von Wang wiederaufgenommen. Buddhistische, antike, christliche Mystik verweben sich darin. Der Geschichte nach steht hier ein junger Mann zwischen zwei Frauen. Aber auch drei Nornen gibt es sowie Szenen von Macht und Revolution. Mao-Bibeln, die Kulturrevolution, ein Kirschbaum als zeitlos überdauerndes Sinnbild der Hoffnung und die Gefühle einer unerfüllt liebenden Frau verwirbeln sich zu poetischen Bildern, die der Tanz mit Eleganz und Akrobatik erfüllt.

Ein kunterbuntes, munteres Spektakel besorgt der Truppe hingegen Alexander Ekman als Gastchoreograf – mit der Auswahl von Ekman bewies Wang sein Gespür für moderne Komik und zeitlos-witzige Unterhaltungskunst. Ekmans „Ein Mittsommernachtstraum“ ist wieder im November 23 im Dortmunder Opernhaus zu sehen.

"Ein Mittsommernachtstraum" ganz ohne Shakespeare von Ekman

Ein Bett! Da! Ganz oben, ganz hinten rechts! Und vorne ein toller Sprung, noch weiter davor eine passionierte Bodenfigut. Das Ballett Dortmund zeigt alles in „Ein Mittsommernachtstraum“ von Alexander Ekman. Foto: Ballett Dortmund

Verstärkung holt sich das Ballett Dortmund seit 2014 auch bei seiner eigenen Nachwuchstruppe, dem NRW Juniorballett. Vor allem aber müssen die Namen des Dramaturgen Christian Baier und des Ausstatters Frank Fellmann erwähnt werden, wenn man Wangs kreative Stützen berücksichtigen will. Ohne Baier und Fellmann ist das Dortmunder Ballettvielerlei tatsächlich fast ebenso wenig vorstellbar wie ohne Xin Peng Wang.

"Schwanensee" mit dem Ballett Dortmund ist toll.

Euphorische Stimmung beim Schlussapplaus im Opernhaus in Dortmund nach „Schwanensee“ in der Version von Xin Peng Wang von 2012. Foto: Gisela Sonnenburg

Ihm gratuliert man jetzt von Herzen und wünscht ihm eine erfolgreiche, segensreiche, inspirierte Jubiläumsspielzeit! Auf dass von seinem Glanz so Einiges auch nach seinem Weggang aus Dortmund dort hängen bleibt.
Gisela Sonnenburg

www.theaterdo.de

 

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