Die Dortmunder Nachfolge Edward Clug tritt mit seinem Manager Jas Otrin und der Choreografin Annabelle Lopez Ochoa die Nachfolge von Xin Peng Wang beim Ballett Dortmund an

"Peer Gynt" von Edward Clug begeistert beim Ballett Dortmund

Immer unter Spannung: Javier Cacheiro Alemán lässt als „Peer Gynt“ von Edward Clug fast nichts anbrennen… So zu sehen beim Ballett Dortmund. Videostill aus dem Teaser: Gisela Sonnenburg

Seit Wochen gärte es, jetzt ist es raus: Der Kulturausschuss der Stadt Dortmund in Nordrhein-Westfalen votiert für den 50-jährigen Starchoreografen Edward Clug als künstlerisches Zentrum einer Dreierspitze als kommende Leitung vom Ballett Dortmund. Zur Spielzeit 2025/26 soll das Trio die Nachfolge des chinesischen Choreografen Xin Peng Wang antreten. Wang machte mit seinen genial-originellen Handlungsballetten wie „Der Zauberberg“ und „Der Traum der roten Kammer“ das Ballett Dortmund international bekannt. Aber auch Edward Clug ist ein renommierter Choreograf, der sich längst von seiner langjährigen Heimatstätte, dem Slowenischen Nationaltheater (SNT) in Maribor, emanzipiert hat. Seit 2003 ist Clug dort der Direktor, aber zusätzlich choreografiert er nahezu weltweit. 2009 schuf er für das Stuttgarter Ballett das  bejubelte „Pocket Concerto“, 2012 ein eher grobes Stück namens „Ssss…“ und 2022 seinen umstrittenen abendfüllenden „Nussknacker“, der von fast allen Folkloretänzen bereinigt ist und stattdessen mit überdimensionalen Nüssen und tanzenden Plüschtieren aufwartet. Beim Ballett Dortmund inszenierte Clug sein Stück „Hora“ und  2021 seinen feuchten, als modernes Wasserspiel angelegten „Le Sacre du Printemps“ (im Rahmen des Programms „Strawinsky!“). Und – mit sehr großem Erfolg – 2023 seinen bereits 2015 in Maribor kreierten „Peer Gynt“, der zuvor schon beim Wiener Staatsballett und dem Zürcher Ballett reüssierte. Mit dem Ballerino Javier Cacheiro Aléman fand Clug allerdings erst in Dortmund eine nachgerade optimale Besetzung für die Titelfigur. Aus Maribor kennt Clug nun den Ballettmanager Jas Otrin, der mit Clug an die Dortmunder Dreierspitze kommen soll. Deren weiblicher Anteil ist allerdings weit weniger bekannt als Clug: Die aus Belgien stammende Annabelle Lopez Ochoa tanzte beim modern ausgerichteten Scapino-Ballett im holländischen Rotterdam, choreografiert aber schon seit 2003 und landete 2015 mit „A Streetcar named Desire“ (nach Tennessee Williams) einen Überraschungserfolg beim Scottish Ballet in Edinburgh. Zu dritt sollen Clug, Otrin und Lopez Ochoa nun das Ballett Dortmund auf Spur halten und neue Impulse geben. Zudem sollen sie vor Ort etwas für den choreografischen Nachwuchs unternehmen, etwa mit Workshops. Hoffentlich setzen sie nicht die jüngere Linie vom Ballett Dortmund fort und arbeiten im Übermaß mit Bühnentechnik. Letztere sollte immer nur den Tanz und die Kunst unterstützen – niemals sollte es umgekehrt sein.

Edward Clug, Annabelle Lopez Ochoa und Jas Otrin werden das Ballett Dortmund leiten

Edward Clug, gut vernetzter Starchoreograf, im Portrait von Christian Knörr. Foto: Theater Basel

Eines ist als Signal aber bedeutsam: Das avisierte dreiköpfige Leitungsteam steht für modernes Ballett, das seine Wurzeln im klassischen Tanz nicht leugnet.

In den Stücken von Clug wie in denen von Lopez Ochoa finden sich regelmäßig Spitzenschuhe für die Ballerinen, ästhetische Pas-de-deux-Konstruktionen für die Paare und nobel anmutende Kostüme mit historischen Anleihen. Das sind untrügliche Anzeichen für eine künstlerische Anbindung an die vorhandene Tradition, auch an die Dortmunder Balletttradition von Xin Peng Wang.

"Strawinsky!" beim Ballet Dortmund

Viel Wasser stürzt von oben herab: „Le Sacre du Printemps“ von Edward Clug. Foto vom Ballett Dortmund: Leszek Januszewski

Dass Wangs Werke nicht verloren gehen, sondern Teil des Repertoires bleiben, sollte zum Standard der Dortmunder Zukunft gehören.

Und dann ist man natürlich neugierig auf Neues:

Von Annabelle Lopez Ochoa, 51, kann man sagen, dass ihre gesamte schöpferische Handschrift deutlich von John Neumeier geprägt ist. Auch ohne dass sie bei ihm Tänzerin gewesen wäre. Neoklassik mischt sich bei ihr mit Showdance, und zahlreiche zeitgenössische Bewegungen, mit Flex-Positionen oder am Boden ausgeführt, ergänzen das klassische Grundrepertoire.

Sie arbeitete nicht nur in Europa, sondern auch in Lateinamerika, wo sie zum Beispiel 2022 mit „Requiem for a Rose“ am Ballet Municipal de Santiago in Chilé große Erfolge feierte. Über FernandoBOTERO“, den bildenden Künstler, und über die Malerin „Frida“ (Kahlo) hat sie außerdem Biografie-Ballette erstellt. In Dortmund wird sie künftig für nicht allzu schwierige noch allzu tollkühne, aber durchaus anspruchsvolle Stücke zuständig sein, also als publikumsfreundliches Element wirken.

Edward Clug, Annabelle Lopez Ochoa und Jas Otrin werden das Ballett Dortmund leiten

Annabelle Lopez Ochoa auf ihrer Homepage annabellelopezochoa.com – innovativ, aber nicht provozierend. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Das Genialisch-Riskante wird Edward Clug gewährleisten. Er hat Erfahrung im Crossover, also im Kombinieren von Tanz  mit anderen performativen Kunstsparten, und er ist leidenschaftlich im Ausprobieren neuer Formen. Das entspricht seiner natürlichen Neugier, die ihn überhaupt zur Kunst gebracht hat.

Edward Clug wurde in Rumänien geboren und dort an einer kleinen Ballettschule klassisch ausgebildet. Alles Moderne an seinem Tanz brachte er sich überwiegend selbst bei. 1991 begann er in Maribor als Tänzer. Seit 1996 ist er dort schon choreografisch tätig, wurde zunächst von Tomas Pandur stark gefördert. Clugs erstes abendfüllendes Stück namens „Tango“ premierte 1998 in Maribor.

Edward Clug, Annabelle Lopez Ochoa und Jas Otrin werden das Ballett Dortmund leiten

„A Streetcar named Desire“, also „Endstation Sehnsucht“, von Annabelle Lopez Ochoa, beim Scottish Ballet getanzt. Videostill vom Trailer: Gisela Sonnenburg

Seither hat Clug in den USA beim Festival „Jacob’s Pillow“, aber auch beim „Stars oft he White Nights“-Festival in Sankt Petersburg begeistert und etliche Preise eingeheimst. In Russland war er für „Handman“ für den Prix Benois de la Danse nominiert und hätte dort immerhin beinahe die Goldene Maske erhalten: für sein Stück „Quattro“, das er für vier Tanzstars, darunter Leonid Sarafanov, vom Mariinsky-Theater kreierte.

Annabelle Lopez Ochoa hingegen erhielt, neben anderen Preisen, 2019 den Festivalpreis bei „Jacob’s Pillow“. Versiert und hoch gelobt sind also beide, wenn auch Clug in Deutschland und Europa weitaus bekannter ist als seine künftige Mitstreiterin.

Die beiden schöpferischen Kräfte werden sich in Dortmund jedenfalls auf Fragen der Kunst konzentrieren können, während Jas Otrin als Ballettmanager wirken wird – eine Position, die früher der heutige Dortmunder Intendant Tobias Ehinger ausfüllte. Wie Ehinger in jungen Jahren, war auch Otrin im ersten Berufsleben Tänzer.

Edward Clug, Annabelle Lopez Ochoa und Jas Otrin werden das Ballett Dortmund leiten

Jas Otrin hielt über sein Promotionsthema einen Vortrag an der Uni in München. Faksimile von der Homepage der  LMU in München: Gisela Sonnenburg

Jas Otrin wurde in Musik und Tanz in Slowenien, also in Maribor, ausgebildet. An der Münchner Ballettakademie erhielt er seinen letzten Schliff und begann beim Bayerischen Staatsballett, ging dann zu Het Nationale Ballet (Amsterdam), tanzte weiter in Hannover und Berlin. Seit 2005 leitete er das Ballett in Ljubljana, der slowenischen Hauptstadt, wo er als Tänzer begonnen hatte. Obwohl die Oper dort saniert wurde, schaffte Otrin es, für wechselnde  Spielstätten internationale Koryphäen der Choreografie wie Twyla Tharp und Hans van Manen zu verpflichten.

Zusammen mit seiner Gattin Bojana Nenadovic kreierte er sogar selbst, und zwar eine moderne „Schwanensee“-Version. Zudem wurde er mit seiner Agentur, die ihren Sitz in München hat, für Möglichkeiten der Tänzer-Transition aktiv. Er nutzte diese auch selbst für ein Studium, das er mit der Promotion über berufsbegleitende Transition im Tanz in München abschloss.

Für zwei Jahre war er außerdem „Company Manager“ beim Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen (NRW). Dort war er auch als Ballettmeister tätig.

Lesen Sie hier, was nicht in BILD und SPIEGEL, in Tanz oder tanznetz steht! Und spenden Sie bitte! Journalismus ist harte Arbeit, und das Ballett-Journal ist ein tapferes Projekt ohne regelmäßige Einnahmen. Wir danken es Ihnen von Herzen, wenn Sie spenden, und versprechen, weiterhin tüchtig zu sein!

Von Funktionären aus dem Ruhrpott ins deutsche Tanzvereinswesen protegiert, wurde Jas Otrin Insidern in den letzten Jahren als Lobbyist des staatlich geförderten Tanzes in Deutschland bekannt. Seit 2021 sitzt er zudem als Vertreter der Abgabepflichtigen, also der Arbeit- und Auftraggeber, im Beirat der Künstlersozialkasse.

Bei so viel geballter Macht im Hintergrund kann in Dortmund in ballettöser Hinsicht eigentlich nichts mehr schiefgehen. TOITOITOI allen Beteiligten für die Zukunft!
Gisela Sonnenburg 

www.theaterdo.de

ballett journal