Ein Reigen der Unendlichkeit Der Südafrikaner Garth Erasmus eröffnet seine Ausstellung mit Zeichnungen in der Maigalerie in Berlin mit einem jazzigen Konzert

Garth Erasmus in Berlin

Tänzerischen Schritts geht dieser Reigen aus drei Männern durch das Universum: mit Musik im Köcher. Abbildung: Garth Erasmus

Das schwierigste sei es, in dieser Welt zu überleben. Das sagt der südafrikanische Künstler und Musiker Garth Erasmus, 68. Demnach hat sich für die Menschheit ja nie viel geändert. Aber die Ausstellung, die heute Abend mit einem Konzert in der Maigalerie der jungen Welt in Berlin-Mitte eröffnet wird, geht thematisch noch tiefer. Sie zeigt kolorierte „Xnau-Zeichnungen“ (im englischen Original: Xnau Drawings) von Erasmus, die während der letzten Dekade entstanden – und sie ist eine Referenz an die indigene Kultur. „Xnau“, „nau“ ausgesprochen, ist ein Wort der indigenen Ureinwohner Südafrikas, und es bedeutet „Einweihung, Initiation“. Mit der patriarchal geprägten Ursprünglichkeit einerseits und mit dem Thema der Dekolonisation andererseits setzt Erasmus sich in seiner Kunst auseinander. Der Tanz spielt hier keine große explizite Rolle. Aber das tänzerische Wesen der Urkulturen sollte man nie vergessen.

Der Mensch als Teil der Natur: Dieser Gedanke ist ganz stark in den zügig entstehenden, bunten Arbeiten im DIN-A-4-Format. Figuren, die Mischwesen aus Tier und Mensch oder auch aus Mensch und Pflanze zu sein scheinen, bäumen sich hier gegen ihr Schicksal auf. Manchmal sind es drei Arme und vier Beine, die so ein Wesen ausmachen, neben smaragdgrünen, katzengleichen Augen in der schwarzen Silhouette.

Pflanzenornamente und Schriftzüge bilden die Kontraste. Das Wort „LOST“, also „verloren“, ist zu erkennen, und der Frauenname „SARA:“ schiebt sich mit einem Doppelpunkt dazu. Der weibliche Schattenriss in Blaugrün scheint auf dem Bild entrückt. Liebeskummer, Weltschmerz, Verlustängste sind die vorherrschenden Stimmungen.

Garth Erasmus in Berlin

„Xnau Drawings“ – das leidende Individuum und der Schattenriss einer Frau sprechen von Verlustangst und Schmerz. Zu sehen in der Maigalerie, heute Abend auch mit Konzert. Abbildung: Garth Erasmus

„Xnau“ bedeutet für Garth Erasmus eine Initiation im modernen Sinn. Nicht im biologischen Modus. Früher wurden die jungen indigenen Männer beschnitten und dann für mehrere Wochen in der Wildnis sich selbst überlassen. Sie sollten beweisen, dass sie als Jäger und Sammler ohne die Gemeinschaft überleben können. Diese grausame Auslese ist nicht das, was der Künstler uns heute mitteilt. Für ihn bedeutet „Xnau“ eine Art Selbstfindung, auch Selbsterfindung: durch Sensibilisierung, durch Konzentration, durch das Zurückgeworfensein auf sich selbst.

Neuausrichtung. Es sei wie ein Erwachen, sagt Erasmus. Das ist von ihm lernen: Man schaut in sich hinein, entdeckt seine Wurzeln, man verbrüdert sich mit seinem eigenen Innersten, um etwas Neues hervorzubringen. Das ist wie ein mentales Schutzschild: das Wissen um die eigene Erneuerung. Identität durch Selbstinitiation.

Das ist übrigens etwas, das man auch im Ballett sehr gut vertragen kann.

Die Khoisan, die Erasmus inspirieren, also die indigenen Urvölker Südafrikas,  sind im Bewusstsein der Welt noch längst nicht so präsent wie die Weißen und die Schwarzen. Seit 1994 sind sie alle in Südafrika gesetzlich gleichgestellt. Aber in Erasmus‘ Perspektive sind es die Khoisan, die immer weiter gelitten haben, egal, wer gerade um die Macht rangelte.

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Die Geschichte Südafrikas ist eine Geschichte der Verdrängung: Die Indigenen wurden verdrängt und vertrieben, schwarze Sklaven wurden von den Weißen zusätzlich ins Land geholt. Von 1652 bis 1794 herrschten die Niederländer, dann übernahmen die Engländer. Kolonialisierung total. Und die Apartheid-Gesetze wurden erst 1991 abgeschafft.

Dennoch beobachtet Erasmus, dass Kriminalität, Drogensucht und Verwahrlosung – typisch für den Spätkapitalismus – vor Ort wie ein Ergebnis der Kolonialzeit wirken. Als Spätfolgen, sozusagen. Weil Erasmus‘ Unbehagen schon seit den 80er-Jahren gärt, war ihm, der an der Rhodes University in Grahamstown Kunst studiert hat, die Malerei eines Tages nicht mehr genug. Er probierte die Herstellung von Skulpturen, versuchte, dreidimensional zu denken, wie er kürzlich im Interview mit der jungen Welt erzählte. Doch es kam noch ganz anders.

In seinen Bildern ziehen weiße Silhouetten mit Pfeil und Bogen durch das Universum. „Khoi Khonnexion“ heißen die drei Männer, die da so harmonisch-archaisch aufmarschieren wie ein Reigen der Unendlichkeit. Die „Khoi Verbindung“ ist aber keine Fantasie, sondern eine Band. Denn Garth Erasmus kam, als er neue Ausdrucksformen suchte, zur Musik.

Garth Erasmus in Berlin

Die Beine werden Baumwurzeln: Garth Erasmus malt seine Suche nach Identität. Abbildung: Garth Erasmus

Er baute sich ursprünglich anmutende Instrumente, entlockte ihnen fremdartig-aufregende Töne. Damit begann sein neuer Weg. Außer mit Ausstellungen müht er sich seither, die Menschen mit avantgardistischen, exotisch-lockenden Klängen für seine Themen zu interessieren: meditativ und aufrüttelnd zugleich. Auch in der Maigalerie wird er am Abend der Vernissage mit dem Keyboarder Ben Watson und dem Schlagzeuger Peter Baxter ein jazziges Konzert geben: elementar.
Gisela Sonnenburg

Heute, 19 Uhr, „Xnau Drawings“: Vernissage mit Konzert in der Maigalerie der jungen Welt in Berlin: Torstraße 6, 10119 Berlin

 

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