Eine schicksalhafte Trennung Nicht für jeden eine Überraschung: Beim Staatsballett Berlin schmeißen Sasha Waltz und Johannes Öhman zum Jahresende 2020 hin – eine neue Leitung wird gesucht

Waltz und Öhman und ihr neues Programm

Ballettintendanz gesucht! Sasha Waltz und Johannes Öhman, hier bei ihrer Pressekonferenz 2019, verlassen zum Jahresende 2020 vorzeitig das Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Wer wird künftig das Staatsballett Berlin (SBB) lenken? Diese Frage beschäftigt ab sofort  die Kulturpolitiker, die Sponsoren und natürlich die Ballettfans. Hoffen wir, dass die Diskussion dieses Mal transparent und unter öffentlicher Beteiligung verläuft. Damit die Politik nicht wieder hinter verschlossenen Türen verhandelt, nur um das nächste Desaster anzuzetteln. Denn die Ballettintendanten Sasha Waltz und Johannes Öhman ,erst seit kurzem gemeinsam im Amt, haben bereits das Handtuch geworfen, wie heute bekannt wurde. Schon zum Jahresende 2020 werden Waltz und Öhman ihre Intendanz niederlegen, also mitten in der laufenden Spielzeit – was absolut ungewöhnlich ist. Es hat wohl allen sehr pressiert… Erst seit August 2019 sind sie gemeinsam im Amt, wobei Öhman bereits ein Jahr zuvor im Sologang den diffizilen Job begann. Zur Erinnerung: Auch der Vertrag von Nacho Duato, Vorgänger von Waltz und Öhman, wurde vorzeitig gekündigt. Irgendwie ist die Regierung unter Michael Müller (SPD) in Sachen Ballett bislang wohl entweder schlecht beraten gewesen oder vom Pech verfolgt.

Die offizielle Begründung für die jetzt erfolgte Auflösung des von vornherein stark umstrittenen Intendantenduos schiebt die Schuld allein auf Öhman: Er wolle zurück nach Stockholm, in seine schwedische Heimat, um dort fortan als Künstlerischer Leiter und Managing Director des „Dansens Hus“ zu wirken.

Nadja Saidakova nahm mit "Onegin" ihren Bühnenabschied

Das war eine Sternstunde beim Staatsballett Berlin: Jason Reilly vom Stuttgarter Ballett als Gast und Nadja Saidakova, heute Ballettmeisterin beim SBB, beim schier endlosen Schlussapplaus nach Saidakovas letzter Vorstellung mit „Onegin“  von John Cranko. Foto: Gisela Sonnenburg

Damit hat Öhman – der unter anderem den Verlust aller John-Cranko-Lizenzen für die Berliner zu beklagen hat, der eine Premiere und auch mal den Vorverkaufsstart verschieben musste – wohl auch wieder mehr Zeit für die Familie. Was ja auch was Feines ist.

Denn das international nur wenig bekannte „Dansens Hus“ („Tanzhaus“) ist im Vergleich zum Staatsballett Berlin ein sehr kleines Brötchen.

Und: Öhman hat fortan mit klassischem Ballett nichts mehr zu tun, das „Dansens Hus“ ist rein auf Contemporary Dance ausgerichtet. Sein Konzept, Klassik und Contemporary zu vereinen, verfolgt Öhman also auch selbst künftig nicht weiter.

Und niemand würde sich einen Zacken aus der Krone brechen, wenn man nun ganz offen zugeben würde: Öhman war und ist mit seinem Job in Berlin überfordert. Das ist keine Schande, das hat sich so erwiesen.

In der Tat fehlt ihm auch die persönliche Ausstrahlung, die ein Ballettchef haben muss, um dieser vor allen anderen begeisternden Kunst glaubhaft ein Gesicht zu verleihen. Wobei das nicht das Einzige ist, was dieser Posten verlangt.

Dass Sasha Waltz nun gleich mit Öhman den Abgang wählte, lässt tief blicken.

In der Tat wäre ihr allein das Aufgabenkonvolut als Ballettintendantin nicht zuzutrauen, zumal ihr das Ballett als Kunstform dafür auch nicht nahe genug ist. Das war ja von vornherein ein Problem mit ihr. Offenbar hat sich da auch nichts getan.

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So ist und bleibt auch Sasha Waltz als Beritt nur der Contemporary Dance, vor allem ihre eigene choreografische Form – und ihre Beziehung zum klassischen Ballett steht auf noch weniger tragfähigen Füßen als die von Johannes Öhman, der immerhin mal klassischer Tänzer war.

Aufhorchen lässt allerdings, dass man in der Berliner Landespolitik mit dem durch Öhman und Waltz vollzogenen Schwenk in Richtung Contemporary Dance hochzufrieden ist.

Klaus Lederer (Die Linke) – Kultur- und Europasenator Berlins – kündigt an, diesen eingeschlagenen Weg fortzuführen. Was für eine Drohung!

Warum gibt die Politik nicht zu, dass sie etwas vorhat, das nicht machbar ist?

Faktisch hat das eigentliche Ballettpublikum selbstredend kaum Interesse an Abenden voller Technogewummere und mit Tänzern in unansehnlichen Nicht-Kostümen gezeigt, auch wenn Touristen und Clubgänger die Vorstellungen halbwegs füllen.

Oft und auch lange nach der Premiere noch ausverkauft war und ist das Staatsballett Berlin hingegen nur bei seinen großen klassischen und klassisch-modernen Ballettproduktionen.

"Sunny" von Emanuel Gat ist beim Staatsballett Berlin so banal wie langweilig

Nix fürs Opernhaus: „Sunny“ von Emanuel Gat beim Staatsballett Berlin. Foto: Jubal Battisti

Contemporary Dance, den es im übrigen nun auch schon seit rund vierzig Jahren gibt und der sich in den letzten fünfzehn Jahren immer weniger entwickelt hat, mag kleinere Spielorte füllen – in den großen Opernhäusern ist er nur als Ausnahme gut platziert.

Das ist das Fazit, das objektive Besucher aus der Ära Waltz / Öhman ziehen.

Bleibt die spannende Frage, wer die Nachfolge antritt. Wird die Politik aus ihrer Schlappe mit Waltz und Öhman doch noch lernen?

Nach einer kommissarischen Leitung, für die jemand wie Christiane Theobald geeignet ist, die seit Jahrzehnten die Stellvertretende Ballettchefin in Berlin ist und seit langem den Status einer so genannten Schattendirektorin innehat, muss man befürchten, dass Kultursenator Klaus Lederer seinen rigorosen Kurs der Förderung von Laien- und Dilettantenkultur weiter fortführt. Männerchöre und Jazzensembles hat er mit reichlich Zuspruch glücklich gemacht – gelingt ihm das nun auch mit dem Ballett?

Doch obwohl offensichtlich ist, dass das Noch-Ballettintendantenduo recht zügig gescheitert ist, lobt sie Lederer im offiziellen Statement, damit ebenso sich selbst und seine Konzeption.

Waltz und Öhman hätten „den Tanz in Berlin regelrecht wachgerüttelt“, behauptet Lederer in seiner schriftlichen Trauerbekundung.

Das ist nun wirklich blanker Unsinn, denn das Berliner Ballettpublikum ist bei so mancher Contemporay-Dance–Produktion eher eingeschlafen oder gleich ferngeblieben.

"Romeo und Julia" - immer wieder ein Knüller

Sowas geht immer in Berlins Opernhäusern: Freude beim Schlussapplaus über hochkarätige Hochkultur. Hier Yolanda Correa und Dinu Tamazlacaru nach „Romeo und Julia“ von John Cranko beim Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Blitzwach ist es hingegen in großen klassischen und modern-klassischen Abenden, seit Vladimir Malakhov das Staatsballett Berlin zu Weltruhm geführt hat.

Wer also wird an diese Tradition anknüpfen können?

Manuel Legris fällt jedem als geeigneter Kandidat ein, der weiß, dass der Noch-Ballettchef vom Wiener Staatsballett ab kommender Spielzeit (also ab August 2020) frei ist.

Legris, einst Startänzer an der Pariser Opéra, hat den Stil und die Stücke von Rudolf Nurejew sozusagen allerbest intus und ist berühmt für sein Talent, dieses zu vermitteln. Allerdings ist er als eigenständiger Choreograf weit weniger begabt, hat aber dennoch den Drang, ständig selbst zu choreografieren – auf Berlin würden also allerhand langweilige Abende im Zeichen der Neoklassik zukommen, wenn auch superbe Momente mit Nurejews Balletten.

Ansonsten herrscht in der Tat Notstand an geeigneten Kandidaten, denn die meisten  Profitänzer, die sich als Choreografen verdingen, sind dafür – wie Legris– nicht wirklich begabt.

Spitzenklasse: Berlins Starballerino Dinu Tamazlacaru kehrt mit Liudmila Konovalova aus Wien in „Schwanensee“ von Patrice Bart beim Staatsballett Berlin auf die Bühne zurück

Die Schwäne sind verzaubert – und harren ihrer Erlösung am See. Die fantastischen Schwanendamen vom Staatsballett Berlin nach der „Schwanensee“-Vorstellung am 21.10.18 in der Deutschen Oper Berlin. So etwas hat sogar Zukunft! Schlussapplaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Ein Ballettchef muss aber nicht unbedingt selbst Choreograf sein.

Man muss vielmehr Folgendes als Ballettintendant in Berlin können:

Man muss motivieren und ein inneres, emotionales wie auch intellektuelles Verständnis des Balletts haben.

Man muss dieses Verständnis nach außen tragen können. Vulgo: 

Man muss das Ballett lieben und diese Liebe mit Charme vermitteln können. 

Man muss außerdem einen unbedingten Instinkt für Qualität haben. 

Man muss das, was Positives aufgebaut worden ist, weiterführen.

Man muss Entscheidungen sachgerecht treffen können – und nicht an aller Vernunft und aller Bildung vorbei agieren.

Man muss wissen, was man kann – und was man nicht kann. 

Man muss begabte, international konkurrenzfähige Choreografen auswählen und nach Berlin holen können, auch zeitgenössische wie Yuri Possokhov, Christopher Wheeldon, Aszure Barton und Liam Scarlett.

Man muss der Politik klarmachen, dass man klassisches und modernes Ballett nicht mit Contemporary Dance regulär vermischen kann. Man kann ja auch Oper mit  Musical nicht regulär vermischen, und genau so verschieden sind die Ansätze von Ballett und Contemporary. Aber man kann das Ballett modernisieren: mit neuen Stücken.

Man muss dafür die Gegebenheiten und Bedürfnisse vor Ort realistisch annehmen und das Beste, nein: das Allerbeste aus ihnen machen.

Dass dazu die Rückeroberung der John-Cranko-Lizenzen etwa für „Onegin“ gehört, muss wohl nicht etwa erwähnt werden.

Spitzenklasse: Berlins Starballerino Dinu Tamazlacaru kehrt mit Liudmila Konovalova aus Wien in „Schwanensee“ von Patrice Bart beim Staatsballett Berlin auf die Bühne zurück

Temperamentvoll und cool im Wechsel: Alexej Orlenco als Rotbart, hier nach der Vorstellung von „Schwanensee“ beim Staatsballett Berlin. Das ist Ballettkunst, die Berlin begeistert! Schlussapplaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Aber es muss eben auch eine Vision von einer modernen klassischen Company so stark zum Leuchten gebracht werden, dass alle Beteiligten Lust haben, dieses Ideal Wirklichkeit werden zu lassen.

Man muss in diesem Sinn neue Ballettformen entwickeln, behutsam und mit Fingerspitzengefühl. Es gibt so viele auch literarische Themen, die für Ballett geeignet sind – es wird Zeit für ihre Umsetzung! 

Und was hat das Staatsballett Berlin dafür anzubieten?

Eine fantastischevielseitige, leidenschaftliche, begeisterte, selbstständige Companyhervorragend arbeitende Ballettmeisterinnen und Ballettmeister, eine sehr gut funktionierende, gewachsene und eingespielte, erprobterweise krisenfeste Backstage-Struktur und eine nach wie vor im Berliner Kulturpublikum stark verwurzelte Anbindung.

Es ist also ein toller Job, diese Truppe zu leiten, allen Unkenrufen zum Trotz – und auch, wenn die aktuelle Berliner Politik für Ballett als Ballett bisher nicht viel Verständnis aufbrachte, so ist es vielleicht nicht zu spät, den Fahrtwind in die richtige Richtung zu bringen.

Eine weitere Kandidatin in Berlin wäre von daher Superstar Polina Semionova – wäre sie nur mehr als eine Primaballerina. Aber ach und oje: Polina hat sich seit Jahren nicht mehr weiter entwickelt, weder als Künstlerin noch als Persönlichkeit.

Sie hat es zweifelsohne zu Weltruhm gemacht, als ihre Beine noch schön waren.

Mittlerweile jedoch schreibt man mitunter mitleidig über sie, denn es gibt nichts Traurigeres als einen absteigenden Weltstar, der nur ab und an noch Glamour verströmt.

Sich als Persönlichkeit des Balletts zu etablieren, hat Polina versäumt. Sie ist zu gefällig, zu wenig aufstrebend, zu routiniert in ihrem Auftreten geworden.

Und ihre Honorarprofessur als Pädagogin an der Staatlichen Ballettschule Berlin ist wohl auch mehr ein PR-Gag als eine ernstzunehmende Tätigkeit: viel zu selten doziert Semionova dort, um jemals kommende Tänzer zu prägen.

Man hat im übrigen bisher auch keinen Grund zu glauben, dass sie gut unterrichten kann (das kann nämlich nicht jeder Tänzer, es ist ein spezielles Talent dafür erforderlich). Ihre Schülerinnen berichten eher das Gegenteil.

Haare über Haare in "Ekman / Eyal" beim Staatsballett Berlin

Sie sitzt zwar gut auf diesem Stuhl, aber als Ballettintendantin wäre sie fehlbesetzt: Polina Semionova, hier in „LIB“ von Alexander Ekman in „Ekman / Eyal“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Jubal Battisti

Als Chef vom Staatsballett Berlin wird aber jemand benötigt, der oder die differenzieren und auch die eigenen Fähigkeiten richtig einschätzen kann.

Jemand, der weiß, was professionelle Ballettarbeit im Ballettsaal wie auch am Schreibtisch ausmacht; jemand mit Köpfchen; jemand mit Respekt.

Purer Machtinstinkt genügt also nicht.

Bloße Bekundungen, es anders und besser machen zu wollen als die Vorgänger, reicht allein aber auch nicht!

Bevor man nun übereilt erneut Menschen aus dem Bereich des Contemporary Dance zu Ballettchefs in Berlin kürt (und diese Gefahr droht akut), sollte man den Blick auf die Außenseiter der Ballettszene richten – oder auch neue Modelle der Führung ausprobieren.

Um meinen Worten Gewicht zu verleihen, darf ich darauf hinweisen, dass ich als eine der ganz Wenigen im Profi-Betrieb von Beginn an – also seit 2016 – prophezeit habe, dass Sasha Waltz in der  Ballettintendanz ganz falsch besetzt sei.

Darum jetzt mein Vorschlag für den nächsten Berliner Ballettintendanten: 

Oleksi Bessmertni, der seit siebzehn Jahren den Tanzolymp in Berlin (den einzigen ernstzunehmenden Wettbewerb im Bereich Ballett in Deutschland) organisiert.

Oleksi Bessmertni organisiert seit siebzehn Jahren erfolgreich den Tanzolymp Berlin – er sollte ein Chance als Ballettintendant vom SBB erhalten. Foto: Gisela Sonnenburg

Bessmertni, früher Ballerino in Berlin, hat nicht nur Erfahrung mit Künstlern, Sponsoren und Politikern, sondern auch eine originelle, zudem klassisch fundierte Auffassung von Ballett. Wer sich mit ihm unterhält, stellt fest, dass er äußerst gebildet ist und auch selbständige Ideen von Balletten zu entwickeln vermag.

Und: Er hat einen exzellenten Geschmack, etwas, das in der Kunst nicht den Designern allein überlassen werden sollte.

Und noch einen Pluspunkt gibt es: Klaus Lederer ist Oleksi Bessmertni und seinem Projekt, dem Tanzolymp, äußerst zugetan, obwohl oder weil Bessmertni eher old school ist als neumodisch.

Das ist doch schon mal ein sehr gutes Zeichen: Auch ein Lederer kann sich dem offenkundigen Charme der ehrlichen ballettösen Klassik nicht entziehen, wenn sie entsprechend präsentiert wird.

Man sollte Bessmertni diese Chance geben – und seinen Tanzolymp im selben Zuge an das Staatsballett Berlin angliedern. Damit wäre dann auch gewährleistet, dass dieser renommierte Wettbewerb langfristig Zukunft hat.

Wichtig aber ist vor allem: Dass es in Berlins drei Opernhäusern bald wieder spannende ballettöse Premieren und Uraufführungen gibt…
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

www.tanzolymp.com

 

 

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