Schönheit aus dem Imperium Das Russische Haus in Berlin unterliegt keinen Sanktionen – und bietet Kinofilme mit Untertiteln, Konzerte, Ausstellungen sowie Sprachkurse und auch  einen Sprachklub für Russischlernende an

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Das Russische Haus in Berlin in der Friedrichstraße hieß vormals „Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur“. Das Design des Eingangsbereichs erinnert an Motive des Künstlers Wassily Kandinsky. Foto: Gisela Sonnenburg

Kennen Sie das? Ein Kinofilm ist so gelungen, so herzzerreißend und emotional, dazu noch mit fantastischem Tanz und mitreißender Musik angefüllt, dass Sie sich, sowie er zuende ist, wünschen, er möge noch einmal neu beginnen. So ging es nicht nur mir am letzten Donnerstag, als im stilvollen Filmtheater im Russischen Haus in Berlin der Kinofilm „Bolshoi“ lief, der unter dem Titel „Ballerina – ihr Traum vom Bolschoi“ 2017 in Deutschland herauskam. Regie führte Waleri Todorowski, der auch den Musicalfilm „Hipster“ hervorbrachte. 2008 war Todorowski Gast übrigens der Berlinale, dem großen jährlichen Filmfestival in Berlin. Derzeit arbeitet er vor allem für einen russischen Streaming-Anbieter. Sein Ballettfilm schildert den Werdegang eines jungen Mädchens aus der russischen Provinz, das von einem ehemaligen Tanz-Star beim Street Dance entdeckt wird. Er sorgt dafür, dass sie die strenge, aber auch liebevolle Ausbildung an der Bolschoi-Ballettschule (Moskauer Staatliche Akademie für Choreografie) erhält. Julia, so der Name des Mädchens, wird von zwei Darstellerinnen, die hervorragend tanzen können, verkörpert: Jekaterina Samuilina spielt Julia als Kind, Margarita Simonowa spielt sie als junge Erwachsene. Denn natürlich ist Julia ein Supertalent, das eigentlich in die erste Reihe der Bravour-Solisten gehört. Aber das Leben ist dramatisch und schicksalhaft – und erst ganz am Ende tanzt Julia die Hauptrolle im „Schwanensee“, wie sie ihr gebührt.

Julia (Margarita Simonowa) als „Ballerina – ihr großer Traum vom Bolschoi“ in der Garderobę vom Bolschoi-Theater: Gleich wird sie in „Schwanensee“ auf der Bühne stehen. Foto: Promo

Dass Julia zunächst gegen Geld auf die Hauptrollen verzichtet, liegt daran, dass ihre verwitwete Mutter und der halbkriminelle Bruder in Armut leben. Um ihnen zu helfen, nimmt Julia das Geld der reichen Mutter ihrer schärfsten Konkurrentin an. Das schickt sie zu den darbenden Verwandten. Und überlässt die bedeutende Hauptrolle in „Dornröschen“ bei der Schulabschlussvorstellung Karina, dem anderen Mädchen, das von dem Deal erstmal nichts weiß. Julia – sie haut einfach ab, statt sich für die Vorstellung umzuziehen – springt derweil von Dach zu Dach, eine lebensgefährliche Sache. Aber Karina darf als zweite Besetzung die Aurora tanzen – und wird mit dem Auftritt glatt berühmt. Die Lehrerin von Julia, die an Demenz leidende Galina Mikhailowna, verstirbt punktgenau, als Julia auf ihre Karriere verzichtet.

Da die beiden talentierten Ballettmädchen aber nicht nur Rivalinnen, sondern auch befreundet sind, erhält Julia, als sie Karina Jahre später aufklärt, ihre zweite Chance. Dieses Mal erscheint Karina nicht zur Vorstellung, und Julia kann endlich auf der Bühne zeigen, was sie kann. Zwischen den beiden Vorstellungen liegt der erste Teil der Karriere von Julia, mit viel Kummer, weil sie Mühe hat, ihre hohen Sprünge den Anforderungen an Synchronizität mit dem Corps de ballet anzupassen. Sie wurde ja von ihrer Lehrerin gezielt zur Prima ausgebildet. Charakterlich ist Julia uns zudem sehr sympathisch: eine Aufmüpfige, die sich nicht alles gefallen lässt, die aber, als die demente Lehrerin ihre Solidarität benötigt, viel für diese erduldet.

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Julia in der Garderobe im Bolschoi vor ihrem großen Auftritt: gar nicht glücklich. Aber das kommt dann noch… Foto: Promo

Angereichert ist der Film zudem mit Aufnahmen, die sehr gekonnt an Originalschauplätzen gedreht wurden: in den Studios vom Bolschoi, in einem Internatszimmer dort, auf der großen Bühne und auch im Zuschauerraum vom Bolschoi-Theater. Die hervorragend ausgeleuchteten Blicke der Kamera von der Bühne in den Saal des Bolschoi – mal fast leer bei den Proben, mal prall besetzt mit Publikum bei einer Aufführung – sind unbezahlbar gut.

Vor allem aber: Man ist von der ersten Sekunde an gefühlt mit dabei, lebt mit Julia im Ballettsaal wie bei ihrer sozial benachteiligten Familie. Auch als sie sich einen Jungen, der außerhalb der Ballettwelt steht, für ihre Entjungferung angelt und mit dem alternden Ballettstar Antoine Duval erst nachts eine Flasche Cognac lehrt, um sich dann tagsüber im Ballettsaal von ihm schikanieren zu lassen, ist man stets ganz nah bei Julia.

Drama und Poesie halten sich hier die Waage, und die englischen Untertitel vermitteln, wenn man englisch versteht, den Inhalt ganz vorzüglich.

Nurejew kommt ins Kino

Oleg Ivenko als „Nurejew – The White Crow“: Tänzerisch und schauspielerisch nicht übertreibend, aber überzeugend im Film von Ralph Fiennes. Foto: Alamode Film

Wie auch bei „Nurejew – The White Crow”, dem Ballettfilm von Ralph Fiennes, ist im diesem Fall die Originalversion viel besser als die deutsch synchronisierte Fassung. Dass die Kino-Vorführungen im Russischen Haus zudem kostenfrei sind, lockt die Freunde der Filmkunst einmal mehr an.

Und auch Live-Konzerte bilden regelmäßig Highlights der russischen Kultur im Russischen Haus. „Von Schubert bis Schtschedrin“ hieß kürzlich ein erlesenes Programm des Pianisten-Paares Jana und Philipp Subbotin. Im „Glinka-Musiksalon“ bezauberten vierhändig gespielte klassische Kompositionen aus Deutschland (von Franz Schubert), Frankreich (von Claude Debussy) und Russland (von Rodion Schtschedrin, dem Gatten der Jahrhundertballerina Maja Plisetzkaja) – und sie beschwörten die jahrhundertealte gute Tradition, in kulturellen Dingen von Moskau über Berlin nach Paris zu reisen und vice versa.

Die Schönheit aus dem russischen Imperium, die hier zur Abwechslung mal akustisch geboten wurde, vermittelte ein Flair von gehobener Kultur ohne kommerziellen Klamauk, dafür mit liebevollem Humor.

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Betonästhetik ist derzeit auch gerade wieder sehr angesagt. Hier das Foyer mit den imponierenden Treppen im Russischen Haus. Foto: Gisela Sonnenburg

Aber auch zeitgenössische Chansons, etwa von Vlad Mayer, der darauf spezialisiert ist, die satirischen Songs des großen Wladimir Wyssotzki zu präsentieren, oder auch die hervorragenden Lied- und Folklore-Interpretationen von Oleg Podolski sind Seelenbalsam für ein Publikum, das die russische Kultur zu schätzen weiß. Schließlich kann nicht nur Anna Netrebko, die manchmal in der Berliner Staatsoper Unter den Linden auftritt, singen.

In der westlichen Ballettwelt aber werden Russinnen und Russen tatsächlich rar.

Früher wurde in fast allen Ballettensembles in Deutschland auch russisch gesprochen. Viele Tänzerinnen und Tänzer kamen mit ihrer hervorragenden russischen Ausbildung in den Westen. Und in vielen ballettaffinen Staaten sprechen Menschen russisch, sodass in den internationalen Ballettsälen in den letzten dreißig Jahren relativ viel russisch zu hören war.

Manchmal störte das sogar die nicht-russischen Chefs, die dann nicht immer alles verstanden, was die Tänzer so besprachen. Heute bilden bereits Ukrainerinnen und Ukrainer das Gros der russischsprachigen Tänzer in Deutschland.

Oder es gibt sogar kaum noch Russischsprechende unter der Tänzerschaft. Beim Stuttgarter Ballett etwa gibt es derzeit zwar jede Menge US- und Lateinamerikaner, aber keine Russen unter den Tänzern.

"From Berlin with Love I"

Eisbrecherin und Meistertänzerin: Polina Semionova nach „Cinque“ von Mauro Bigonzetti in „From Berlin with Love I“ in der Deutschen Oper Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Beim Staatsballett Berlin gibt es aber noch tanzende Russen: den  Ensembletänzer Alexander Abdukarimov und Gast-Starballerina Polina Semionova. Semionova wurde, wie Julia im Film „Ballerina – ihr Traum vom Bolschoi“, an der Bolschoi-Ballettschule ausgebildet. Abdukarimovhingegen an der ebenso legendären Waganowa-Ballettakademie in Sankt Petersburg. Diese beiden Künstler können sich die Filme im Russischen Haus auch ohne Untertitel ansehen, ebenso wie Deutsche oder Angehörige anderer Staaten, die des Russischen ausreichend mächtig sind.

Für letztere bietet das Russische Haus allwöchentlich einen ganz besonderen kostenlosen Service: Mittwochabends, stets um 19 Uhr, trifft sich im Juri-Gagarin-Saal im Erdgeschoss eine internationale Gemeinschaft von Freiwilligen: Sie bessern spielerisch ihr Russisch auf.

Deutsche, Russischstämmige und Ukrainer, aber auch ein Syrer, ein Ägypter, eine Kanadierin, ein Türke, ein Israeli, zwei Weißrussinnen, ein Moldawier, ein Peruaner, ein US-Amerikaner und eine Kubanerin sind in lockeren Abfolgen dabei. Nur russische Muttersprachler dürfen seit kurzem hier gar nicht mehr teilnehmen, sofern sie keine Mitarbeiter vom Russischen Haus sind, die den Unterricht mit gestalten sollen, denn man möchte den Fokus auf Russischlernende legen.

Die Atmosphäre ist freundschaftlich, man duzt sich. Es gibt Tee aus einem echt russischen Samowar, dazu was Süßes. An den Wänden hängen großformatige Gemälde, die in modern-figurativem Stil russische Landschaften, die bäuerliche Welt und auch die der Technik zeigen. Nichts erinnert daran, dass das Russische Haus mit seinem kreativen Kandinsky-Outfit und seinen eleganten Bauhaus-Linien in der Innenarchitektur im Jahr 2022 für einige Monate geschlossen war.

Mehr als dreißig Lernwillige kommen insgesamt in diesen kostenfreien Sprachklub namens „Russisch an der Spree“. Manche Teilnehmer sind Anfänger, andere deutlich Fortgeschrittene.

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Anastasia Galkina leitet mit viel Elan das Bildungszentrum im Russischen Haus in Berlin. Von ihrem Büro aus sieht man im Hintergrund den Französischen Dom am Gendarmenmarkt. Foto: Gisela Sonnenburg

Unter der fachkundigen Leitung der jungen, dynamischen Anastasia Galkina, die seit April 2023 Leiterin vom Bildungszentrum im Russischen Haus ist, gibt es pro Sitzung ein Thema: „Russische Städte“, „Russische Malerei“, „Russische Wissenschaftler“ oder auch „Theater“, „Frauentag“, „Reisen“ oder „Wald“. Mit mündlichen und schriftlichen Aufgaben, die durch originelle Spiele gelöst werden, motiviert Anastasia ihre Schützlinge.

Sie versucht, „das Programm so zu gestalten, dass jeder etwas davon hat, auch nach einem langen Arbeitstag“, sagt sie. Tatsächlich haben die Teilnehmenden viel Spaß dabei.

Aber leicht ist Russisch aus deutschsprachiger Sicht eher nicht, was schon daran liegt, dass man praktisch neu lesen lernen muss, denn das kyrillische Alphabet unterscheidet sich deutlich vom lateinischen. Die Aussprache im Fluss des Sprechens ist dann eine weitere Schwierigkeit: Vieles wird zusammen gezogen oder ganz anders betont, als man es im Deutschen machen würde.

Immerhin sind die grammatischen Zeiten leicht im Russischen: Es gibt Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Sonst nichts.

Ob früh oder spät geboren: Die Generationen mischen sich im Sprachklub, und das ist auch so erwünscht.

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Das obere Foyer besticht mit Lässigkeit, gemütlichen Ledersofas und auch mit Stil à la Kandinsky. Foto aus dem Russischen Haus in Berlin: Gisela Sonnenburg

Jan, 34 und Ingenieur, kommt, weil er „an der russischen Kultur und den Menschen interessiert“ ist. Drei Mal war er schon in Russland und hofft auf eine weitere Reise: an den Baikalsee oder nach Kasan, auch wenn das zurzeit nicht eben einfach ist. Seine Russischkenntnisse stammen aus seiner Studienzeit, und mit den Russen in Russland hat er ausnehmend gute Erfahrungen gemacht: „Meine eigene Offenheit und Unvoreingenommenheit wurden ebenso erwidert.“

Lisa, 21 und Studentin, war noch nie in Russland, möchte aber gern dorthin: für ein Auslandssemester. Sie studiert Ökologie und Umweltplanung. Ihr Hobby aber sind Fremdsprachen: Außer Russisch lernt sie auch Latein und Italienisch. Ihre Wunsch-Uni befindet sich aber in Kaliningrad, wohin sie auch Kontakt zu einer befreundeten Familie unterhält. Weil das Russische Haus Menschen aus Deutschland Studienplätze in Russland vermittelt, ist Lisas Traum nicht unrealistisch.

Ihre Sitznachbarin Katja, 51, ist eine selbstbewusste Schönheit, die trotz guter Bildung als Küchenhilfe und Reinigungskraft arbeitet. Sie könnte sich sogar vorstellen, ganz zu übersiedeln: „Wenn ich keine Kinder hätte, wäre ich schon nach Russland ausgewandert.“ Sie liebt die russische Kultur. Das nicht einfache Russisch ist für sie „die schönste aller Imperialsprachen“. Bis zum Ural würde Katja am liebsten reisen – aber konkrete Pläne hat sie noch nicht.

Viele Sprachklub-Teilnehmer hatten, wie Katja, mal Russisch als Schulfach und frischen ihr Können jetzt auf. Andere haben einen russischen Elternteil und wollen sich ihre Multikulturalität bewahren. Noch andere machen einen Sprachkurs im Russischen Haus – besonders die zweiwöchigen Intensiv-Kurse sind beliebt – und brauchen praktische Übung. Wieder andere kommen vor allem wegen der sozialen Kontakte: Russisch verbindet.

Die melodisch klingende, in ihrer Logik sogar dem Deutschen ähnelnde russische Sprache wird weltweit von 260 Millionen Menschen verstanden und gesprochen.

Im Internet ist Russisch die am zweithäufigsten verwendete Sprache, kommt gleich nach dem Englischen. Trotzdem bemüht sich die deutsche Politik aber kaum noch um den russischsprachigen Nachwuchs.

Um hier mehr zu erfahren, fragen wir mal außerhalb Berlins nach.

Catrin Fuchs ist „Fachleiter Russisch“ – ohne weibliche Endung – an der Salzmannschule Schnepfenthal. Das ist ein staatliches Spezialgymnasium für Sprachen im thüringischen Waltershausen. Fuchs lehrt seit 35 Jahren Russisch, lernte die Sprache schon als Kleinkind, weil ihre Mutter auch Russischlehrerin war. Die auch lokalpolitisch aktive Gelehrte Fuchs hat Zeiten erlebt, in denen kompetente Russischunterrichte hoch angesehen waren, auch nach 1990.

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Kantige und geschwungene Linien gibt es in der Innenarchitektur des Russischen Hauses in Berlin. Anklänge an die frühe Moderne prägen den Bau von 1984. Der Architekt heißt Karl-Ernst Swora. Foto: Gisela Sonnenburg

Seit 2022 aber, sagt Catrin Fuchs, wurde Russisch „an vielen Schulen ein Auslaufmodell“: erstens, weil die Schüler politisch gegen Russland vereinnahmt werden, und zweitens, weil es nach der kommenden Pensionierungswelle kaum noch pädagogischen Nachwuchs in Deutschland geben wird. „Die Ausbildung zum Russisch-Lehrer wird nicht mehr genügend gefördert“, sagt sie.

Manche Schulen, wie das Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Berlin, stampften schon vor zwei Jahren ohne ministerielle Anweisung den Russischunterricht ein. Es gibt dort nur noch die auslaufenden Kurse. Aber es gibt immerhin – das stellt sich nach sehr gründlicher Recherche heraus – noch 13 Schulen in der deutschen Hauptstadt, an denen Russisch gelehrt wird.

Neben der Rudolf-Virchow-Oberschule bieten unter anderem auch drei Waldorf-Schulen, das Jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn und das Victor-Klemperer-Kolleg Russisch an, für etliche Schüler ist Russisch damit bis zum Abitur und als Leistungskurs verfügbar.

Laut der „Fachaufsicht Russisch“ in Gestalt der erfahrenen Russisch-Lehrerin Maria Appel vom Berliner Max-Planck-Gymnasium haben allerdings 85 Prozent der Schüler in Berlin, die Russisch etwa als Leistungskurs belegen,  einen Migrationshintergrund oder, wie man es jetzt lieber hören möchte, eine Migrationsgeschichte. Sie sind insofern Muttersprachler, als sie zuhause beim Abendessen mit ihrer Familie oder mit Teilen ihrer Familie mal eben Russisch sprechen können. Ihnen fällt es natürlich leichter, in der Schule mit Russisch zu reüssieren als solchen Kindern und Jugendlichen, die in ihrem privaten Umfeld  die einzigen sind, die russische Sprachkenntnisse haben.

Dennoch ist die Nachfrage nach Russisch in der Schule in Deutschland faktisch ungebrochen. Fragt sich nur, wie lange noch.

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Das Russische Haus in Berlin in der wetterbedingt etwas tristen Friedrichstraße. Schnell über die Straße – und dann heißt es: Come in and find out or even more! Foto: Gisela Sonnenburg

Denn die Schulbuchverlage Klett und Cornelsen stellten die Aktualisierung der Lehrbücher für das Russische ein. Damit bewirken sie eine Problematik, die mit freier Marktwirtschaft und Freiheit der Lehre nichts mehr zu tun hat. Denn die Nachfrage ist ja eben gegeben, und wirtschaftlich wären damit die Russischbücher auch weiterhin.

Hier agieren Verlage als Sprachrohre der Regierungspropaganda, indem sie – in voraus eilendem Gehorsam – deren politisch motiviertes Votum umsetzen, ohne dazu gesetzlich unter Zugzwang zu stehen. Das hat was von Selbstzensur als Liebedienerei bei der Politik. Ziemlich würdelos.

Die Leidtragenden sind die Kinder und Jugendliche unter den Russischlernenden. Mit den jetzt nur noch begrenzt vorhandenen digitalen Lehrmitteln für Russisch kommt man nämlich laut Expertin Catrin Fuchs nur noch auf das Sprachniveau von B1.

Auch die weiteren Bildungsmöglichkeiten in Deutschland sind von der antirussischen Propaganda beeinflusst. An den Universitäten sind die entsprechenden Studentenzahlen rückläufig.

Der Friedrich Verlag gab ein Fachblatt, eine russische Fremdsprachenzeitung, einfach auf. Was ist das anderes als Selbstzensur? Fortbildungen für Russischlehrer werden in Deutschland zudem faktisch zu einer Seltenheit.

Zwar bemüht sich das 1993 in Berlin gegründete Deutsch-Russische Forum e.V., durch seinen Wettbewerb „Bundescup: Spielend Russisch lernen“ die jugendliche Sprachbegeisterung zu steigern. Aber oft wird Russisch heute diskriminiert. So wurde die international bekannte „Bundesolympiade der russischen Sprache, Literatur und Kultur“ schon letztes Jahr abgeschafft, auf Druck der Bundesregierung und ohne jedwede die Abschaffung vorschreibende Gesetzesgrundlage.

Durch die einseitige, stark lückenhafte Berichterstattung der Mainstream-Medien über die Ukraine und Russland werden junge Leute zudem vom Russischen abgeschreckt. Wer will schon eine angebliche „Tätersprache“ lernen? Kann man damit noch Karriere machen? Bleibt Russisch überhaupt eine bedeutende Sprache?

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Das Pianisten-Paar Jana und Philipp Subbotin beim Konzert im intimen „Glinka-Musiksalon“ im Russischen Haus in Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Wer im Russischen Haus in Berlin einen Sprachkurs besucht, hat diese Fragen für sich meistens beantwortet und hält sich an die Fakten: Russisch ist eine der wichtigsten Sprachen der Welt und als Kultursprache mit seiner reichhaltigen Literatur ohnehin eine der größten Hausnummern.

Man denke an Puschkin und Turgenjew, an Tolstoi und Dostojewski. An Gorki und Tschechow, an Majakowski und Pasternak. An Zwetajewa, Achmatowa, Sorokin… Bis in die Gegenwart spielt die russische Dichtung eine führende Rolle.

Und was nur wenige wissen: In der Menge der Publikationen wissenschaftlicher Literatur steht Russisch weltweit auch auf einem der ersten Plätze.

Die russische Seele manifestiert sich also in Poesie ebenso wie im Intellekt.

Ballett ist ohne seine russischen Expertinnen und Experten, ob historische oder gegenwärtige, überhaupt gar nicht vorstellbar. In Frankreich und Italien vor rund 400 Jahren erfunden, wurde der klassische Tanz erst in Russland das, was wir heute Ballett nennen. Das klassische Training, die Grundlage des Balletts, wird in jenem Format, das die Pädagogin Agrippina Waganowa ihm in Leningrad in der Sowjetunion, also im heutigen Sankt Petersburg, verlieh, weltweit praktiziert. Bis heute sind russische und russisch ausgebildete Tänzerinnen und Tänzer, Choreografen und Ballettkomponisten führend in der Welt.

Will der Westen wirklich auf all das verzichten? Die historischen Leistungen von Russinnen und Russen auf vielen Gebieten der Zivilisation sind doch unumstritten. Der 2022 mancherorts in Westdeutschland begonnene Versuch, Konzert-, Opern- und Ballettspielpläne ohne russisches Kulturgut zu erhalten, ist denn auch rasch eingebrochen: Nur mit Bach und Mozart, mit Chopin und Ravel, mit Pop und elektronischer Musik kann man keine anspruchsvolle musikalische Bildung leisten. Folgende Komponisten gehören unbedingt dazu: Tschaikowsky, Schostakowitsch, Rachmaninow, Prokofjew

Und Peter I. Tschaikowsky – der nicht nur mit seinen drei Handlungsballetten „Dornröschen“, „Der Nussknacker“ und „Schwanensee“ die musikalischen Vorlagen für bedeutenden Bühnentanz liefert – ist außerdem auch noch der weltweit am meisten gespielte Komponist.

Im Ballett weiß man es ja eh seit langem: Die Künste finden mit Russland zu ihren schönsten Blütezeiten. Obwohl oder gerade weil Russland die Kontinente Europa und Asien in sich vereint.

Um sich nun authentische Kunst aus Russland näher anzuschauen, geht man in Berlin ins Russische Haus. Das ist hier das normalste von der Welt. Dessen zentrale Lage in Mitte – auf der Westseite der Friedrichstraße – macht die Anreise zudem auch aus Außenbezirken relativ unkompliziert.

Immer wieder beliebt sind die Kino-Abende hier. Ob ein anspruchsvoller Film aus Sowjetzeiten oder ein Kinderfilm mit Animation gezeigt wird: Hier guckt man Kunst, nicht Trash.

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Pavel Isvolskij, Leiter vom Russischen Haus in Berlin, in seinem Büro. Foto: Gisela Sonnenburg

Für die nahe Zukunft verspricht Pavel Izvolskij, der Direktor vom Russischen Haus in Berlin, sogar eine deutsche Untertitelung bei einigen Filmen. Und zwar für brandheiße neue Ware, für aktuell aus Moskau kommende Kinofilme. Das wird viele in Berlin lebende Russland-Fans interessieren.

Dieses Projekt gehört zu den geplanten Veranstaltungen im Jubiläumsjahr 2024. Denn das Russische Haus feierte vor vierzig Jahren seine Einweihung.

Weitere Highlights anlässlich dieses Jubiläums werden in der zweiten Jahreshälfte folgen. Als „Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur“ wurde das siebenstöckige Gebäude am 5. Juli 1984 unter allgemeinem Beifall auch aus dem Westen eröffnet. Die Aufgaben, sagt Pavel Izvolskij, sind seither dieselben geblieben: „Es geht darum, die russische Kultur den Menschen in Deutschland zu vermitteln.“ So einfach ist das.

In den deutsch-russischen Beziehungen nimmt das Haus eine Sonderstellung ein. Für die BILD ist es eine „Kreml-Propaganda-Zentrale“. Nur ist solche plumpe Abwertung kein Bildungsmaßstab.

Die Berliner Staatsanwaltschaft, die 2022 begann zu ermitteln und die das Russische Haus in Berlin auch mal eben auf die Liste der Sanktionierten setzte, stellte ihre Ermittlungen mittlerweile ein. Denn es gibt ein Abkommen zwischen der Russischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland, laut dem „eingedenk der Bedeutung des Kulturaustausches für die Verständigung unter den Völkern“ die Präsentation der eigenen Kunst und Kultur im jeweils anderen Kulturraum praktiziert werden soll.

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Die Deutschen senden demnach ihre Kulturmissionen durch die Goethe-Institute in die Russische Föderation, dafür darf Russland im Russischen Haus in Berlin zum Genuss russischer Kultur einladen.

In Moskau, in Sankt Petersburg und in Nowosibirsk gibt es die besagten  Goethe-Institute, die, ebenso wie das Russische Haus in Berlin, im Vertrag namentlich genannt sind.

Da muss man kein Schamane sein, um zu erkennen, dass mit der Gültigkeit solcher vertraglicher Grundlage eine einseitige Sanktionierung eines der Kulturzentren unmöglich ist.

Es gibt darum gegen das Russische Haus keinerlei Sanktionen mehr. Somit atmen alle Freunde des großen Hauses auf: Die hasserfüllten Rufe derer, die bis zum Oktober letzten Jahres unter ukrainischer Flagge bei Demos noch eine Schließung des weltgrößten Kulturinstituts verlangten, sind substanziell verstummt.

Was auch immer die tagesaktuelle Politik besagt: Auf rund 29.000 Quadratmetern, die auf sieben Stockwerke verteilt sind, wird hier weiterhin für die kulturelle Verständigung zwischen Deutschland und Russland gearbeitet. „Wir sind eine der Bastionen der kulturellen Brücke zwischen den Ländern“, sagt Pavel Izvolskij, und seine Leitfrage ist, kosmopolitisch gesehen, niemals out. Sie lautet: „Wer sind die Russen, wer sind die Menschen, die in Russland leben?“

Hier spricht am besten die Kultur selbst für sich weiter. Die Konzerte, die Filme, die Sprachkurse wurden schon erwähnt. Die wechselnden Ausstellungen auch über Sach- und Wissenschaftsthemen regen zum Staunen und Diskutieren an. Demnächst wird eine Ausstellung über Michail Glinka, den Komponisten, dessen 220. Geburtstag man in diesem Jahr feiert, eröffnet. Der genaue Termin wird noch bekannt gegeben.

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Eine Ausstellung zum Leben und Werk von Michail Glinka, dem Komponisten, der vor 220 Jahren in Russland geboren wurde, erwartet die Besucher im Frühjahr im Russischen Haus. Foto: Promo

In der Keramikwerkstatt, die immer wieder sonntags stattfindet, begegnen sich dann junge, ganz junge und auch ältere Menschen unter Anleitung auf russisch, deutsch und englisch, um sich künstlerisch auszudrücken. Die meditative Wirkung des Töpferns wird dabei besonders hervorgehoben.

Wenn man genügend erholt ist, geht es ab in den Sprachunterricht. Samstags wird für die Kinder Berlins, die russisch lernen oder bilingual aufwachsen, ein freundlicher Zusatzunterricht angeboten: das russischsprachige College. Die Mehrheit der Kinder hier hat russischsprachige Eltern. Um früh einen Bezug zur großartigen Kultur der Russen zu erhalten, ist der Sprachunterricht aber für alle Kinder sinnvoll. Märchen- und andere Kinderfilme, die im hauseigenen Kino gezeigt werden, versüßen ihnen das Lernen.

Für die erwachsenen Berliner gibt es Russisch in Intensivkursen, doch auch langsames Lernen oder Einzelunterricht ist im Russischen Haus möglich. Übrigens auch online.

Und: In Kooperation mit dem Moskauer Puschkin-Institut finden Zertifikat-Prüfungen statt.

Das Russische Haus in Berlin ist nicht sanktioniert und bietet viel Kultur

Der Buchladen neben dem Russischen Haus in Berlin ist der größte für russische Literatur in Deutschland. Die oft hochwertig gestalteten Bände zählen nicht selten zur Weltliteratur. Aber auch Kinderbücher und Spiele gibt es hier. Foto: Gisela Sonnenburg

Einmal jährlich zieht zudem die „Woche der russischen Sprache“ das Fachpublikum an. Auch Catrin Fuchs aus Thüringen kennt das Haus von diesen Tagungen. Gleich nebenan, erst im letzten Dezember eröffnet, residiert der größte russische Buchladen in Deutschland. Hier kann man seine bevorzugte Lektüre einkaufen, auch Kinderliteratur, wenn man für einen  Heranwachsenden ein Geschenk sucht. Die russische Literatur ist bekanntlich vielfältig und nicht gerade kleingeistig: Russisch lesen sollte daher Kultstatus haben. Oder liest in Zukunft niemand mehr?

Es gibt immerhin viele kulturbewusste Eltern, die ihre Kinder Russisch lernen lassen. Vom Staatsballett Berlin schickt beispielsweise eine Ballettmeisterin ihren Sohn privat in den Russischunterricht. Damit handelt sie weitsichtig.

„Die derzeitige Abwicklung der Russischunterrichte an den Schulen ist eine große Dummheit“, sagt auch Catrin Fuchs und begründet punktgenau: „Denn es wird eine Zeit nach den kriegerischen Auseinandersetzungen geben.“ Dann werden Menschen mit Kenntnissen der russischen Sprache und Kultur wieder gefragt sein. Das Deutsch-Russische Forum wird sein Leitbild dann zurecht wie folgt benannt haben: „Friedenskräfte stärken / Dialog fördern“. Was auch sonst. Хорошо!*
Gisela Sonnenburg

*Okay!

P.S. Wir sprechen allen, die vom grauenvollen Attentat auf die Crocus Konzerthalle in der Nähe von Moskau betroffen sind, unsere tief empfundene Trauer aus. Die Täter wissen womöglich gar nicht, was sie wirklich gemacht haben. Sie haben vor allem ihre eigene Unwürdigkeit und ihre Unfähigkeit, in einer Zivilisation zu leben, bewiesen.

Friede allen Opfern!

Außerdem werden verständlicherweise alle Veranstaltungen im Russischen Haus in der kommenden Woche – der Karwoche 2024 – verschoben. 

Russisches Haus in Berlin, Friedrichstr. 176 – 179, 10117 Berlin.

Kontakt für Sprachunterricht dort: russisch@russisches-haus.de, Tel.: 030 – 20 30 22 06 

Deutsch-Russisches Forum e.V., Schillerstr. 59, 10627 Berlin, info@deutsch-russisches-forum.de, Tel.: 030 – 26 39 07-0

Der SpielfilmBallerina – ihr Traum vom Bolschoiist als BluRay und DVD im Handel erhältlich, allerdings in der nicht so gelungenen deutschen Synchron-Fassung.

ballett journal