Good bye, Legris! Manuel Legris verlässt das Wiener Staatsballett mit einer fulminanten digitalen Gala und einem exquisiten „Best of“ seiner Ära

Hier links im Bild: Manuel Legris, Jahrgang 1964, zu Gast auf der Couch von John Neumeier in Hamburg. Legris verlässt seinen Posten in Wien freiwillig, wechselt zur berühmten La Scala in Mailand. Faksimile von Facebook: Gisela Sonnenburg

In Österreich sagt man zum Abschied gern „bye-bye“, ausgesprochen „ba-ba“, und das ist leichthin soviel wie „Auf Wiedersehen“ und „Auf Nimmerwiedersehen“ in Eins. Der ehemalige Pariser Étoile, also Startänzer, Manuel Legris, trat 2010 als Ballettdirektor an der Donau an und schaffte es innerhalb weniger Spielzeiten, das noch immer von Rudolf Nurejew geprägte klassische Ensemble – „Rudi“ herrschte dort von 1964 bis 1988 als Tänzer und Choreograf – straff auf Linie zu bringen und zu einer der führenden Compagnien Europas zu machen. Jetzt folgt Legris seinem Vorgesetzten, dem Intendanten Dominique Meyer, an die Mailänder Scala. Für ihn mag das kein großer Verlust sein – für Wien aber ist es eine Schande, dass er geht. Da wird Martin Schläpfer, der gefühlt älteste moderne Choreograf unserer Zeit, als Legris‚ Nachfolger wohl kaum ein Trost sein. Zum Abschied von Manuel gibt es immerhin noch einmal ein tänzerisches Feuerwerk, das an die berühmten Live-„Nurejew Galas“ seiner Ära anschließt. Natürlich spielt sich heuer alles digital und sozusagen als Konserve ab, im Internet, wo sonst, immerhin auch kostenlos – aber groß angelegte Events wie diesen wird man ja live wegen der Corona-Krise so schnell eh nicht wieder zu sehen bekommen. Was, by the way, auch richtig ist: Wir wollen uns im Theater schließlich nicht anstecken und auch die Künstler und ihre Angehörigen nicht in Gefahr wissen. Darum also rasch ein festliches Arrangement daheim inszeniert, die Frisur aufgehübscht, Lippenstift aufgelegt und vielleicht ein Glaserl Sekt kalt gestellt – und vor den Computer oder den Laptop gesetzt, ersatzweise mit dem Handy auf einen Outdoor-Sonnenplatz!

Denn am Donnerstag, dem 25. Juni 2020, einem ganz und gar unspektakulären Werktag also, brillieren die Ersten Solisten und weitere Publikumslieblinge vom Wiener Staatsballett bereits ab 14 Uhr auf staatsoperlive.com in einem neuartigen Format, nämlich einer speziell für diesen Anlass produziertenProgrammcollage, die just vor wenigen Tagen im Ballettsaal der Wiener Staatsoper aufgezeichnet wurde. Nur 24 Stunden steht das gute Stück kostenfrei online!

"Le Corsaire" von Manuel Legris beim Wiener Staatsballett

Alice Firenze in Aktion: eine tolle Verbindung aus Ballett und Folklore, aus Anmut und Schwung. So zu sehen in „Le Corsaire“ von Manuel Legris mit Masayu Kimoto beim Wiener Staatsballett. Foto: Ashley Taylor / Wiener Staatsballett

Gezeigt werden Ausschnitte aus den Dauerbrennern „Giselle“, „Dornröschen“, „Coppélia“ und „Don Quixote“ (letzteres in der wirklich überragenden Inszenierung von Rudolf Nurejew), aber auch aus zeitgenössischen Produktionen wie „Peter Pan“, „Peer Gynt“ und „Movements to Stravinsky“.

Und natürlich kommen auch leckere Stückchen aus den Eigenkreationen von Manuel Legris, der sie im klassischen Stil mit folkloristischem Pep choreografierte: „Sylvia“ und „Le Corsaire“ werden für ballettösen Charme und Virtuosität stehen.

„Peer Gynt“ von Edward Clug mit der Musik von Edvard Grieg ist bei der digitalen „Nurejew Gala 20“ vom Wiener Staatsballett dabei. Foto: ORF / Wiener Staatsballett

Das ist nun wirklich mal was Neues, die Not gebar hier ein neues Format: Eine so großartige Ballettsaal-Gala haben wir bislang noch nie gesehen, schon gar nicht im Internet!

Die Stars wie Denys Cherevychko, Liudmila KonovalovaOlga Esina, Davide Dato, Madison YoungMihail Sosnovschi, Rebecca Horner, Eno Peci, Alice FirenzeNikisha Fogo, Jakob Feyferlik, Natascha Mair, Masayu KimotoKetevan Papava, Robert Gabdullin, Maria Yakovleva und Roman Lazik turteln und toben, tänzeln und trudeln hier also beglückend durch den Saal, in dem sie ihre tägliche Arbeit verrichten. Die Werkstatt als Bühnenort, sozusagen – why not?!

Schweiß und Inspiration, Lust am Tanz und Ausdrucksstärke werden zu einem Konglomerat verschmelzen und uns trotz der weiten Entfernungen vom Geschehen das Gefühl geben, ganz nah dabei zu sein.

"Coppélia" im Original in Wien - und verhunzt in München

Natascha Mair und Denys Cherevychko im historischen Look der „Coppélia“ von Pierre Lacotte beim Wiener Staatsballett. Hier auf der Bühne – in der „Nurejew Gala 20“ wird im Ballettsaal getanzt! Foto: Ashley Taylor

Damit aber nicht genug! Im Anschluss präsentiert Manuel Legris sozusagen sein ganz persönlichen Good bye aus Wien: eine digitale Zusammenstellung von ballettösen Highlights der „Nurejew Galas“ aus den Jahren 2010 bis 2019! Dabei sind auch Gaststars zu sehen, und wir lassen uns gern überraschen!

Und dann ist sie auch schon vorbei, die letzte Spielzeit von Manuel Legris als Ballettchef in Wien – die eine oder andere Träne wird erlaubt sein. Good bye, Manuel, vergiss Dein Wien nie – und wenn sich die Gelegenheit ergibt, so wird man sich auf ein Wiedersehen herzlich freuen!
Gisela Sonnenburg

www.staatsoperlive.com

P.S. Und weil Qualität manchmal über Nacht ihr Gesicht ändert, veränderte sich das Konzept des Online-Streams „Nurejew-Gala 20„. Statt zwei Teilen gibt es nun vier Teile, die hintereinander weg anzusehen sind. Zunächst wird – nach den etwas gestelzt klingenden, aber ganz sicher von Herzen kommenden Abschiedsworten von Legris – über eine Stunde lang im Ballettsaal zu Klavierauszügen getanzt, was eine strenge, puristische Anmutung hat. Die Probenkleidung trägt dazu bei: Hier ist alles noch harte Arbeit. Hervorzuheben ist eine peppig-moderne Arbeit, in der Rebecca Horn ihr Talent zu Komik zeigen darf. Obwohl ihr Partner dabei a bisserl lieblos wirkt. Aber dann! Dann folgen drei festliche Teile aus dem Opernhaus. Sie sind fulminant und fein durchdacht und beginnen mit so genannten „Walzerdelirien“: Beinahe drei Stunden lang vermittelt der Stream von jetzt an Gala-Flair, obwohl Einiges nur in Häppchen-Ausschnitten gezeigt wird, aber eben unbedingt mit flottem Drive. Bravo!

Ade aus Wien: Manuel Legris mit seinem Wiener Staatsballett und Gala-Gästen beim Schlussapplaus in der Wiener Staatsoper. Faksimile vom Online-Stream „Nurejew-Gala 20“: Gisela Sonnenburg

Zunächst gibt es liebe Worte von charaktervollen Solisten aus Wien über ihren scheidenden Chef Manuel Legris, später fetzt Natascha Mair als supertolle Primaballerina über die Bühne, gefolgt von weiteren rasanten Highlights mit dem Wiener Staatsballett aus den Nurejew-Galas der letzten zehn Jahre.

Es folgen Ausschnitte von Gaststar-Auftritten bei eben diesen Galas, darunter Friedemann Vogel als Armand in der „Kameliendame“ von John Neumeier; im wohlfeilen Black Pas de deux macht er an der Seite von Isabelle Ciaravola eine hervorragend passionierte Figur.

Und dann gibt es noch Auftritte von Manuel Legris auf seinen Galas, so in der modernen „Sylvia“ von John Neumeier und als „Fledermaus“ von Roland Petit. Voilà, eine echte Überraschung!

Manuel Legris und sein Wiener Staatsballett mit Gästen wie Ivan Urban und Alexandre Riabko (mittig) vom Hamburg Ballett beim Abschiedsapplaus nach der letzten Nurejew-Gala in Wien. Adieu! Faksimile: Gisela Sonnenburg

Schließlich, sozusagen als Zugabe, sind alle zehn Galas durch ihren Schlussapplaus noch einmal zu erleben, zuletzt mit dem Konterfei von Rudolf Nurejew am Bühnenhorizont. Welche ein Glück und welch ein Glanz, das Johlen und Jubeln des Publikums beweist es. Als wollten alle im Chor nun rufen: Adieu, Manu!
Gisela Sonnenburg

 

 

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